Entscheidungsstichwort (Thema)

Verbösernde Entscheidung gegenüber Hinzugezogenen

 

Leitsatz (NV)

Das FA darf gegen den Hinzugezogenen eine verbösernde Einspruchsentscheidung nur dann treffen, wenn es über den Streitpunkt allen Beteiligten gegenüber notwendigerweise nur einheitlich entscheiden kann (Ergänzung zum Urteil vom 28. November 1989 VIII R 40/84, BFHE 159, 410, BStBl II 1990, 561).

 

Normenkette

AO 1977 § 180 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 2, §§ 350, 360 Abs. 3, § 367 Abs. 2 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihr Bruder sind Mitberechtigte eines Erbbaurechts, das sie 1973 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge gegen Einräumung des Vorbehaltsnießbrauchs am ganzen Erbbaurecht und eines Wohnungsrechts an der Erdgeschoßwohnung von ihren Eltern übertragen erhalten haben. Das Grundstück ist mit einem Zweifamilienhaus bebaut. Die Klägerin bewohnt seit 1982 unentgeltlich die Wohnung im Erdgeschoß, ihr Bruder von Anfang an die Wohnung im ersten Stock.

Im Streitjahr 1983 gaben die Klägerin und ihr Bruder getrennte Erklärungen zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Grundstück ab. Die Klägerin errechnete für sich einen Werbungskostenüberschuß; einen Mietwert der eigengenutzten Wohnung berücksichtigte sie wegen des Nießbrauchsrechts ihrer Eltern nicht.

Der Bruder der Klägerin bezifferte den ihm entstandenen Werbungskostenüberschuß auf . . . DM, wobei er einen Mietwert für die eigengenutzte Wohnung von . . . DM pro qm zugrunde legte. Gegen den erklärungsgemäß erlassenen Feststellungsbescheid legte der Bruder der Klägerin Einspruch ein mit dem Ziel, den Mietwert der eigenen Wohnung bei ihm nicht zu erfassen, weil der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) auch bei seiner Schwester keinen Mietwert angesetzt habe. Das FA zog daraufhin die Klägerin gemäß § 360 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) zu dem Einspruchsverfahren hinzu und teilte ihr mit, daß es beabsichtige, nunmehr auch bei ihr einen Mietwert der eigengenutzten Wohnung zu erfassen und den Feststellungsbescheid entsprechend zu ändern. Nach Ablauf der Äußerungsfrist erließ das FA eine Einspruchsentscheidung, in der es den gesondert und einheitlich festgestellten Werbungskostenüberschuß wie angekündigt dahin änderte, daß es nunmehr auch den Mietwert der von der Klägerin genutzten Wohnung berücksichtigte. Dadurch ergab sich für die Klägerin ein entsprechend geringerer Anteil am Werbungskostenüberschuß.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung zurück, das FA sei berechtigt gewesen, gegenüber der Klägerin eine verbösernde Einspruchsentscheidung zu erlassen. Es habe auch zutreffend der Klägerin den Nutzungswert der von ihr selbst genutzten Wohnung zugerechnet, weil die Eltern der Klägerin ihr Nießbrauchsrecht im Streitjahr nicht mehr ausgeübt hätten.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie rügt Verletzung des § 172 AO 1977 (Bestandskraft) sowie der §§ 367 Abs. 2 und 360 AO 1977. Im übrigen nimmt sie auf die Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde Bezug. Dort hatte sie ausgeführt, das FA habe ihr gegenüber den Feststellungsbescheid nicht nachteilig abändern dürfen. Nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 sei es dem FA nur gestattet, den mit dem Einspruch angegriffenen Verwaltungsakt zum Nachteil des Einspruchsführers zu verbösern. Sie sei jedoch nicht Einspruchsführerin, sondern nur Hinzugezogene gewesen. Sie dürfe nicht schlechtergestellt werden als ein Alleineigentümer des Grundstücks.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung verletzt § 367 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO 1977.

Nach diesen Vorschriften hat das FA auf Einspruch hin die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen und darf den Verwaltungsakt auch zum Nachteil dessen abändern, der Einspruch eingelegt hat, wenn es ihn auf die Verböserungsmöglichkeit hingewiesen hat. Die Verböserungsmöglichkeit besteht, wie der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) zwischenzeitlich entschieden hat, grundsätzlich auch gegenüber nach § 360 Abs. 3 AO 1977 Hinzugezogenen (Urteil vom 28. November 1989 VIII R 40/84, BFHE 159, 410, BStBl II 1990, 561, 563). Der erkennende Senat schließt sich dieser Entscheidung an. Der Zweck der gesonderten und einheitlichen Feststellung, gegenüber mehreren Beteiligten eine einheitliche Entscheidung zu treffen, könnte nicht erfüllt werden, wenn es dem FA verwehrt wäre, eine einheitliche verbösernde Entscheidung zu treffen.

Der Senat hält jedoch eine verbösernde Entscheidung gegenüber dem Hinzugezogenen nur dann für zulässig, wenn über den Streitpunkt zwangsläufig nur einheitlich entschieden werden kann, weil sich die Entscheidung notwendigerweise auf alle Feststellungsbeteiligten auswirkt. Das ist z. B. der Fall, wenn um die Abziehbarkeit einer alle Beteiligten betreffenden Ausgabe gestritten wird. Soweit der Einspruchsführer dagegen solche Besteuerungsgrundlagen (Komponenten) des Feststellungsbescheides angreift, die den Hinzugezogenen nicht notwendigerweise betreffen, ist eine Verböserung diesem gegenüber nicht statthaft. Die Verböserung gegenüber dem Hinzugezogenen ist in einem solchen Fall nach dem Zweck der gesonderten und einheitlichen Feststellung nicht zwingend geboten. Der VIII. Senat hat auf Anfrage mitgeteilt, daß er diesen Ausführungen zustimmt.

Im Streitfall bestand kein Zwang zu einer einheitlichen Entscheidung über die Frage, ob auch bei der Klägerin ein Mietwert für die eigengenutzte Wohnung anzusetzen war. Das FA konnte den Einspruch zurückweisen, ohne zwangsläufig auch über den der Klägerin zuzurechnenden Mietwert zu entscheiden. Es braucht nicht abschließend entschieden zu werden, ob Grundlage für die gesonderte und einheitliche Feststellung § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a oder § 180 Abs. 2 AO 1977 war. Dahinstehen kann auch, ob der Einspruchsführer gemäß der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Teilanfechtung gesonderter und einheitlicher Feststellungsbescheide (BFH-Urteile vom 10. Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544; vom 10. April 1989 VIII R 302/84, BFHE 157, 275, BStBl II 1989, 697; vgl. auch das Senatsurteil vom 1. Dezember 1987 IX R 170/83, BFHE 152, 101, 108) seinen Rechtsbehelf auf einzelne Besteuerungsgrundlagen beschränken konnte. Der Streitfall weist nämlich die Besonderheit auf, daß das FA Einnahmen und Werbungskosten für beide Mitberechtigte gesondert ermittelt und jedem von ihnen die (fiktiven) Einnahmen und Ausgaben zugerechnet hat, die er selbst erzielt bzw. getragen hat. Das FA hat im Feststellungsbescheid und im Einspruchsbescheid die jeweils auf den einzelnen Mitberechtigten entfallenden (fiktiven) Einnahmen und die Ausgaben wie Sondereinnahmen bzw. Sonderwerbungskosten des Mitberechtigten behandelt. In einem solchen Fall kann über die Besteuerungsgrundlage eines Beteiligten entschieden werden, ohne daß die Entscheidung zwangsläufig Auswirkungen auf andere Beteiligte haben muß.

Das FA durfte danach gegenüber der Klägerin als Hinzugezogener keine verbösernde Entscheidung treffen. Da das FG von einer anderen Rechtsansicht ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Einspruchsentscheidung ist, soweit das FA darin der Klägerin gegenüber eine verbösernde Entscheidung getroffen hat, aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418116

BFH/NV 1992, 436

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