Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustellung mehreren gerichtlicher Verfügungen in einem Briefumschlag - Ausschlußfrist zuv Vorlage der Vollmacht - Heilung von Zustellungsmängeln

 

Leitsatz (amtlich)

Sollen einem Beteiligten mehrere gerichtliche Verfügungen in einem Briefumschlag zugestellt werden, muß sich aus der auf dem Briefumschlag angebrachten Geschäftsnummer ergeben, welchen Inhalt die zuzustellende Sendung hat. Hierzu genügt die Verwendung des gerichtlichen Aktenzeichens ohne entsprechenden Zusatz als Geschäftsnummer nicht, da hieraus nicht mit der gebotenen Sicherheit auf den Inhalt der durch das Gericht zuzustellenden Sendung geschlossen werden kann.

 

Orientierungssatz

1. Die mit einer (Ausschluß-)Frist verbundene Aufforderung zur Vorlage einer Prozeßvollmacht, ist gemäß § 53 Abs. 1 FGO zuzustellen; erst mit der ordnungsgemäßen Zustellung wird die betreffende Frist wirksam.

2. Die die Heilung eines Zustellungsmangels ausschließende Regelung des § 9 Abs. 2 VwZG, mit der Streitigkeiten über einen Fristablauf möglichst ausgeschlossen werden sollen, ist nicht auf die aufgezählten Fristen beschränkt. Sie gilt vielmehr auch für solche prozessualen Fristen, deren Versäumung ihrer Bedeutung nach dem Verlust eines Anspruchs oder eines Rechtsmittels gleichkommt. Sie ist auch auf die (Ausschluß-)frist zur Vorlage der Vollmacht nach § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO anwendbar.

 

Normenkette

FGO § 53 Abs. 1-2, § 62 Abs. 3 S. 3, § 65 Abs. 2 S. 2; VwZG § 3 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, § 9 Abs. 1-2; ZPO § 195 Abs. 2, § 418 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 31.08.1994; Aktenzeichen 1 K 1736/94)

 

Tatbestand

Am 5. Mai 1994 haben die Prozeßbevollmächtigten der Kläger und Revisionskläger (Kläger) für diese gegen die Bescheide zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus der Bauherrengemeinschaft B für die Jahre 1990 und 1991 Klage erhoben. An demselben Tag verfügte der Senatsvorsitzende des Finanzgerichts (FG), den Prozeßbevollmächtigten der Kläger den Eingang der Klage zu bestätigen. Zugleich forderte er sie in getrennten Verfügungen auf, zum einen schriftliche Prozeßvollmachten der Kläger vorzulegen und zum anderen in Ergänzung der Klageschrift den konkreten Sachverhalt darzulegen, in dessen steuerrechtlicher Würdigung durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt --FA--) die Rechtsverletzung gesehen werde; beide Aufforderungen wurden gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 und § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit einer Ausschlußfrist verbunden.

Nach den Feststellungen des FG sind die Eingangsbestätigung und die beiden Aufforderungen in einer Sendung zur Zustellung durch die Post versandt worden. Sowohl auf der Postzustellungsurkunde als auch auf dem Briefumschlag der Sendung war das Aktenzeichen des FG als Geschäftsnummer verzeichnet. Während auf der Postzustellungsurkunde aber zusätzlich vermerkt war, welche Schriftstücke die Sendung enthielt, fehlte auf dem Briefumschlag ein entsprechender Vermerk über den Inhalt der Sendung.

Nachdem die Prozeßvollmachten der Kläger nicht innerhalb der Ausschlußfrist eingereicht worden waren, wies das FG die Klage als unzulässig ab: Entgegen der Auffassung der Kläger sei die Verfügung zur Vorlage der Vollmachten ordnungsgemäß zugestellt, die Ausschlußfrist mithin wirksam gesetzt worden. Die zuzustellende Sendung sei durch die Angabe des gerichtlichen Aktenzeichens mit einer ausreichenden, den Inhalt der Sendung einwandfrei identifizierenden Geschäftsnummer i.S. von § 3 Abs. 1 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) versehen gewesen; im Gegensatz zu Zustellungen im Verwaltungsverfahren bedürfe es im gerichtlichen Verfahren insoweit keiner Angabe zum Inhalt der Sendung. Die Prozeßbevollmächtigten der Kläger hätten auch nicht den nach § 418 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zulässigen Beweis der Unrichtigkeit des in der Postzustellungsurkunde beurkundeten Geschehensablaufs geführt. Im übrigen sei ein etwaiger Zustellungsmangel nach § 9 Abs. 1 VwZG geheilt worden; nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe nämlich zur Überzeugung des Senats fest, daß die Aufforderung zur Vorlage der Vollmachten die Prozeßbevollmächtigten der Kläger erreicht habe. Die Heilung eines Zustellungsmangels sei auch nicht nach § 9 Abs. 2 VwZG ausgeschlossen, da diese Vorschrift nicht auf richterliche Fristsetzungen anwendbar sei. Schließlich komme auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 62 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 56 FGO) nicht in Betracht, da die Ausschlußfrist zur Vorlage der Vollmachten nicht unverschuldet versäumt worden sei.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts, Verstöße gegen Denkgesetze sowie Verfahrensmängel.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA schließt sich dem Antrag der Kläger an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, für die Vorlage der Prozeßvollmachten sei gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO wirksam eine Ausschlußfrist gesetzt worden.

a) Die mit einer (Ausschluß-)Frist verbundene Aufforderung zur Vorlage einer Prozeßvollmacht ist gemäß § 53 Abs. 1 FGO zuzustellen; erst mit der ordnungsgemäßen Zustellung wird die betreffende Frist wirksam (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. Juni 1984 I R 152/81, BFHE 141, 455, BStBl II 1984, 841, und vom 10. März 1988 IV R 218/85, BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731, jeweils zu Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit --VGFGEntlG--).

Zustellungen sind im finanzgerichtlichen Verfahren nach den Vorschriften des VwZG vorzunehmen (§ 53 Abs. 2 FGO). Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG ist die Sendung u.a. mit einer Geschäftsnummer zu versehen. Gemäß § 3 Abs. 3 VwZG, § 195 Abs. 2 ZPO muß die von dem Postbediensteten über die Zustellung zu fertigende Urkunde die Übergabe der ihrer Anschrift und ihrer Geschäftsnummer nach bezeichneten Sendung bezeugen. Da die Postzustellungsurkunde nicht die Übergabe des Schriftstücks selbst, sondern nur die Übergabe einer Sendung bezeugt, stellt die Angabe der Geschäftsnummer auf der Sendung sowie auf der Postzustellungsurkunde die einzige urkundliche Beziehung zwischen dieser und dem zuzustellenden Schriftstück her. Wegen der gebotenen Gewähr für die Nämlichkeit und den unveränderten Inhalt der Postsendung muß die Geschäftsnummer infolgedessen die Identifizierung der zuzustellenden Sendung ermöglichen (Senatsurteil vom 21. Juli 1993 IX R 81/89, BFH/NV 1994, 357 m.w.N.). Sollen mehrere Schriftstücke verschiedenen Inhalts in einem verschlossenen Briefumschlag zugestellt werden, muß sich aus der auf dem Briefumschlag angebrachten Geschäftsnummer auch ergeben, welchen Inhalt die zuzustellende Sendung hat (BFH-Urteil vom 1. Dezember 1992 VIII R 85/90, BFH/NV 1993, 701 m.w.N.); nur auf diese Weise kann der Adressat einer mehrere Schriftstücke umfassenden Sendung deren Vollständigkeit prüfen und ggf. den Beweis der Unrichtigkeit der in der Postzustellungsurkunde bezeugten Zustellung führen (§ 418 Abs. 2 ZPO).

Zu der hiernach notwendigen Identifizierung des oder der zuzustellenden Schriftstücke genügt nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Verwendung der Steuernummer --ohne zusätzliche Kennzeichnung-- als Geschäftsnummer nicht, da sie weder auf ein einzelnes Schriftstück bezogen werden kann noch einen Anhaltspunkt dafür bietet, daß der verschlossene Briefumschlag mehrere Schriftstücke enthält (BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 701 m.w.N.). Dieselben Erwägungen gelten in bezug auf ein finanzgerichtliches Aktenzeichen (vgl. Zwischenurteil des FG Berlin vom 29. Oktober 1993 III 491/92, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1994, 375); auch aus dem Aktenzeichen eines finanzgerichtlichen Verfahrens kann nämlich --ohne entsprechenden Zusatz-- nicht mit der gebotenen Sicherheit auf den Inhalt einer durch das Gericht zuzustellenden Sendung geschlossen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn --wie im Streitfall-- mit einer Sendung zugleich mehrere richterliche Verfügungen zugestellt werden.

Im Hinblick auf die dargestellte Notwendigkeit einer Gewähr für die Nämlichkeit und den unveränderten Inhalt einer zuzustellenden Sendung kann es entgegen der Ansicht der Vorinstanz in diesem Zusammenhang nicht darauf ankommen, ob der Zustellungsadressat einer gerichtlichen Verfügung im Einzelfall mit der Verfügung zu rechnen hatte.

b) Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall die Aufforderung zur Vorlage der Prozeßvollmachten nicht wirksam zugestellt worden. Im Gegensatz zu dem auf der Postzustellungsurkunde angebrachten Vermerk war auf dem Briefumschlag lediglich das Aktenzeichen des finanzgerichtlichen Verfahrens angegeben. Damit fehlte es an einer für die Identifizierung des Inhalts der mehrere Schriftstücke umfassenden Sendung notwendigen Geschäftsnummer.

c) Der Zustellungsmangel konnte auch nicht geheilt werden (§ 9 Abs. 2 VwZG).

Gemäß § 9 Abs. 1 VwZG gilt ein unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangenes Schriftstück in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. Zum Schutze des Zustellungsempfängers schließt § 9 Abs. 2 VwZG die Heilung eines Zustellungsmangels gemäß Absatz 1 der Vorschrift jedoch dann aus, wenn mit der Zustellung eine Frist für die Erhebung der Klage, eine Berufungs-, Revisions- oder Rechtsmittelbegründungsfrist beginnt. Diese Ausnahmeregelung, mit der Streitigkeiten über einen Fristablauf möglichst ausgeschlossen werden sollen, ist nicht auf die aufgezählten Fristen beschränkt (BFH-Urteil vom 29. April 1982 IV R 52/81, BFHE 136, 179, BStBl II 1982, 715; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 16. Dezember 1965 8 B 65.65, BVerwGE 23, 89). Sie gilt vielmehr auch für solche prozessualen Fristen, deren Versäumung ihrer Bedeutung nach dem Verlust eines Anspruchs oder eines Rechtsmittels gleichkommt (BVerwG-Urteil vom 23. April 1985 9 C 48.84, Deutsches Verwaltungsblatt 1985, 960). So findet sie nach herrschender Meinung z.B. auch auf die (Ausschluß-) Frist zur Vorlage der Vollmacht nach § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO Anwendung (BFH in BFHE 136, 179, BStBl II 1982, 715 zu Art. 3 § 1 VGFGEntlG; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 53 Anm. 75; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 9 VwZG Tz.3).

Mithin kommt es auf die Frage, ob die Prozeßbevollmächtigten der Kläger die Aufforderung zur Vorlage der Vollmachten tatsächlich erhalten haben, nicht an; die gegen die Beweiswürdigung des FG insoweit erhobenen Revisionsrügen bedürfen daher keiner Erörterung.

2. Da keine wirksame Ausschlußfrist i.S. von § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO gesetzt worden war, kommt auch der Frage nach einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Vorlage der Prozeßvollmachten keine Bedeutung zu.

3. Die Vorentscheidung, mit der die Klage zu Unrecht wegen Versäumung der Frist zur Vorlage der Prozeßvollmachten als unzulässig abgewiesen worden ist, ist aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG hat --von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend-- keine für die Beurteilung der materiell-rechtlichen Streitfrage maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen getroffen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65550

BStBl II 1995, 898

BFHE 178, 546

BFHE 1996, 546

BB 1995, 2570 (L)

DB 1995, 2510 (L)

DStR 1995, 2001-2002 (KT)

DStZ 1996, 158 (KT)

HFR 1996, 82-83 (L)

StE 1995, 790 (K)

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