Leitsatz (amtlich)

1. Der Senat hält an seiner Rechtsauffassung fest, daß die Feststellung eines Einheitswerts unzulässig ist, wenn er nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden kann, weil sämtliche Steuern verjährt sind, die auf das Jahr entfallen, auf dessen Beginn die Feststellung durchgeführt werden soll.

2. Der Umstand, daß eine Steuer mangels steuerpflichtigen Vermögens nicht festgesetzt wird, steht der Einheitswertfeststellung nicht entgegen, weil Fragen der Steuerfestsetzung nicht im Verfahren zur Feststellung der Besteuerungsgrundlagen entschieden werden können.

 

Normenkette

AO § 214

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines gemischtgenutzten Grundstücks. Im Jahre 1963 errichtete er auf dem Grundstück einen Lagerschuppen und einen Lagerkeller. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) erfuhr erst durch eine Mitteilung der Stadt vom 2. September 1966, daß der Kläger auf seinem Grundstück weitere Bauten errichtet habe. Mit Bescheid vom 13. Februar 1970 führte das FA auf Grund des Gebäudeveränderungsblattes zum 1. Januar 1965 eine Fortschreibung des Einheitswerts auf 81 400 DM und eine Fortschreibungsveranlagung des Grundsteuermeßbetrags auf 569,80 DM durch.

Der Einspruch gegen diese Bescheide war ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klagen ab. Es hat die Revision zugelassen. Seine Entscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1973 S. 476 (EFG 1973, 476) abgedruckt.

Die Revision des Klägers rügt, das FG habe § 214 AO unrichtig angewendet. Die Fortschreibung zum 1. Januar 1965 hätte nicht durchgeführt werden dürfen, weil die Einheitswertfeststellung ohne steuerliche Bedeutung sei. Die Grundsteuer für 1965 sei bei Erlaß des Feststellungsbescheids und Grundsteuermeßbescheids schon verjährt gewesen. Für die Vermögensteuer habe der festgestellte Einheitswert keine steuerliche Bedeutung gehabt, weil wegen Schuldenüberhangs ein steuerpflichtiges Vermögen zum 1. Januar 1965 nicht vorhanden gewesen sei.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und den Feststellungsbescheid sowie den Grundsteuermeßbescheid zum 1. Januar 1965 ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Nach § 214 AO sind "die der Besteuerung zugrunde zu legenden Einheitswerte" festzustellen. Aus dem Wortlaut des Gesetzes hat der Senat die Rechtsfolge hergeleitet, daß ein Einheitswert nicht festzustellen ist, wenn er für die Besteuerung keine Bedeutung hat und damit der Besteuerung nicht zugrunde gelegt wird (vgl. Entscheidung des BFH vom 31. Oktober 1969 III R 73/69, BFHE 97, 499, BStBl II 1970, 173). Ein Einheitswert hat für die Besteuerung dann im Sinn des § 214 AO Bedeutung, wenn derjenige, dem die zu bewertende wirtschaftliche Einheit zuzurechnen ist, unstreitig nicht persönlich von allen einheitswertabhängigen Steuern befreit ist und wenn die an den Einheitswert anknüpfenden Steuern noch nicht verjährt sind. Dabei ist entgegen der Auffassung des FG jedenfalls bei einer Fortschreibung des Einheitswerts für die Entscheidung, ob die an den festzustellenden Einheitswert anknüpfenden Steuern verjährt sind, auf die Steuern des Jahres abzustellen, auf dessen Beginn der Einheitswert festgestellt werden soll.

2. Das FG hat seine Entscheidung in erster Linie im Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats (Urteil III R 73/69) auf die Überlegung gestützt, Einheitswertbescheide seien Dauerbescheide, die auch für die Steuern der auf die Feststellung folgenden Jahre von Bedeutung seien. Ein überzeugender Grund, weshalb für die Zulässigkeit einer Feststellung auf die Verjährung der Steuer des Jahres abzustellen sei, auf dessen Beginn die Feststellung durchgeführt werden soll, sei deshalb nicht zu erkennen.

Dieser Auffassung kann sich der Senat nicht anschließen. Dabei ist festzuhalten, daß im Streitfall über eine Fortschreibung und nicht über eine Hauptfeststellung zu entscheiden ist, die das FG in seine Überlegungen mit einbezogen hat. Aus § 225a AO in Verbindung mit § 22 Abs. 2 BewG in der Fassung vor dem Bewertungsgesetz 1965 ergibt sich, daß der durch Fortschreibung festgestellte Einheitswert den vorher maßgebenden Einheitswert vom Fortschreibungszeitpunkt ab außer Wirkung setzt; für die Besteuerung ist dann nur noch der durch Fortschreibung festgestellte Einheitswert maßgebend. Wenn nun sämtliche Steuern verjährt sind, die für das Jahr zu erheben sind oder zu erheben wären, auf dessen Beginn die Fortschreibung durchgeführt werden soll, so würde einer Steuerfestsetzung auf der Grundlage des vor der Fortschreibung maßgebenden Einheitswerts die Besteuerungsgrundlage entzogen, obwohl wegen Verjährung die fortgeschriebene Besteuerungsgrundlage in die Steuerfestsetzung nicht mehr eingehen kann. Dagegen könnte man zwar einwenden, daß der Reichsabgabenordnung eine relative Wirksamkeit eines Einheitswertbescheides, nämlich nur für eine bestimmte einheitswertabhängige Steuer, dagegen nicht für sämtliche einheitswertabhängigen Steuern, durchaus bekannt sei, wie § 214 Nr. 3b AO beweise. Auch im Falle der Entscheidung des erkennenden Senats vom 6. August 1965 III 43/63 S (BFHE 83, 349 [354], BStBl III 1965, 626) habe die Berichtigungsfeststellung nur Auswirkungen auf die Vermögensabgabe, dagegen nicht auf andere einheitswertabhängige Steuern gehabt, so daß der "unberichtigte" Einheitswert teilweise über den Feststellungszeitpunkt der Berichtigung hinaus relativ wirksam geblieben sei. In diesen Fällen schließt jedoch die Wirksamkeit des Einheitswertbescheides für die einzelne Steuer ohne zeitliche Überschneidung oder Lücke an die Wirksamkeit des vorhergehenden Feststellungsbescheids an. Die Auslegung des § 214 AO durch das FG würde dagegen dazu führen, daß sich, wie oben näher dargelegt, die zeitliche Wirksamkeit zweier aufeinander folgender Bescheide für ein und dieselbe Steuer überschneiden würde, denn der durch die Fortschreibung ab dem Fortschreibungszeitpunkt unwirksam gewordene Einheitswertbescheid würde noch für eine Zeit nach dem Fortschreibungszeitpunkt Besteuerungsgrundlage bleiben, weil der fortgeschriebene Einheitswert wegen Verjährung sämtlicher an den Fortschreibungszeitpunkt anknüpfenden Steuern erst später wirksam werden kann. Aus diesem Grund verbleibt der Senat jedenfalls für die Fortschreibung bei seiner in der Entscheidung III R 73/69 vertretenen Rechtsauffassung.

3. Das FG kam jedoch in der Hilfsbegründung seiner Entscheidung mit zutreffenden rechtlichen Erwägungen zu dem Ergebnis, daß - wenn man der Rechtsprechung des BFH folge - die an die Feststellung zum 1. Januar 1965 anknüpfenden einheitswertabhängigen Steuern, für die der Kläger als Steuerschuldner in Betracht kommt, im Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheides und des Grundsteuermeßbescheides, dem 13. Februar 1970, noch nicht verjährt waren.

a) In diesem Zeitpunkt war zwar die Grundsteuer für 1965 verjährt, weil sich die Verlängerung der Verjährungsfrist für die Grundsteuer von drei auf fünf Jahre durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 - AOÄG - (BGBl I 1965, 1356, BStBl I 1965, 643) auf den Grundsteueranspruch von 1965 noch nicht auswirkte; denn die Grundsteuer für 1965 ist mit Beginn des Kalenderjahres 1965 entstanden (§ 3 Abs. 5 Nr. 2 StAnpG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 AOÄG).

b) Dagegen war der Vermögensteueranspruch für 1965 am 13. Februar 1970 noch nicht verjährt (§§ 144, 145 Abs. 1 AO in der Fassung vor dem Gesetz zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze in Verbindung mit § 3 Abs. 5 Nr. 2 StAnpG). Der Senat teilt nicht die Auffassung des Klägers, der zum 1. Januar 1965 festgestellte Einheitswert für sein Grundstück werde der Vermögensteuer nicht im Sinn des § 214 AO zugrunde gelegt, weil er zu diesem Veranlagungszeitpunkt steuerpflichtiges Vermögen nicht besessen habe. Denn hierauf kommt es nach dem Wortsinn des § 214 AO nicht an.

Nach § 213 Abs. 1 AO bildet die Feststellung der Besteuerungsgrundlage regelmäßig einen unselbständigen Teil des Steuerbescheids, der nicht selbständig mit Rechtsbehelfen anfechtbar ist. Für die einheitswertabhängigen Steuern wird dagegen die Besteuerungsgrundlage gesondert festgestellt (§ 214 AO). Dies hat zur Folge, daß die Feststellung der Besteuerungsgrundlage und die Festsetzung der Steuer in zwei getrennten Verfahren durchgeführt werden. Jedes Verfahren endet mit einem selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt. Daraus ergibt sich, daß Entscheidungen, die im Feststellungsverfahren über den Einheitswert getroffen worden sind, nicht mit Gründen angefochten werden können, die sich gegen die Steuerfestsetzungen richten (vgl. § 232 Abs. 2 AO, § 42 Abs. 2 FGO). Hieraus folgt weiter, daß Fragen der Steuerfestsetzung nicht in das Verfahren über die Feststellung der Besteuerungsgrundlage verlagert werden können.

Der Eintritt der Verjährung bewirkt, daß der Steueranspruch erlischt (§ 148 AO). Die Frage, ob ein Steueranspruch verjährt ist, betrifft damit in erster Linie die Steuerfestsetzung. Die Verjährung tritt allein durch Zeitablauf ein. Der Zeitablauf ist nachprüfbar, unabhängig von der einzelnen Steuerart und von den persönlichen und sachlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen, die für die Festsetzung der Steuer von Bedeutung sind und im Verfahren zur Festsetzung der Steuer ermittelt werden müssen. Dies rechtfertigt es, die Verjährungsfrage schon im Verfahren zur Feststellung der Besteuerungsgrundlagen zu prüfen, weil damit keine Ermittlungen der Verhältnisse des Steuerpflichtigen verbunden sind, wie sie für das Steuerfestsetzungsverfahren im übrigen typisch sind. Dementsprechend ist für die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlage davon auszugehen, ein Einheitswert werde dann der Besteuerung im Sinne des § 214 AO zugrunde gelegt, wenn die Steuer, die für das Jahr anfällt, auf dessen Beginn die Einheitswertfeststellung durchgeführt werden soll, noch nicht verjährt ist.

Das FG ist unter Berücksichtigung der Rechtslage, wie sie sich aus der Trennung der gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlage gegenüber der Festsetzung der Steuerschuld ergibt, zutreffend davon ausgegangen, daß aus der Entscheidung des Senats III R 73/69 nicht der Schluß gezogen werden könne, Voraussetzung für die Einheitswertfeststellung sei, daß eine Steuer für das Jahr, auf dessen Beginn die Feststellung durchgeführt werden soll, tatsächlich erhoben werde. Der Senat wollte mit der Formulierung in dieser Entscheidung, eine Feststellung sei unzulässig, wenn sämtliche Steuern verjährt sind, die auf Grund dieser Feststellung für das Jahr "erhoben" werden müßten, auf dessen Beginn die Feststellung durchgeführt werden soll, nur zum Ausdruck bringen, daß es nicht auf die Steuerpflicht für irgend ein Folgejahr während der möglichen Wirkungsdauer der Feststellung ankommt, sondern auf die Steuerpflicht für das Jahr der Feststellung.

Es trifft allerdings zu, daß der RFH in der Begründung seines Urteils vom 15. Dezember 1938 III 264/38 (RStBl 1939, 121) unter Hinweis auf seine Rechtsprechung ausführte, eine Einheitswertfeststellung sei entbehrlich, wenn feststehe, daß der Einheitswert keiner Besteuerung zugrunde zu legen ist. Diese Rechtsprechung des RFH bezog sich aber auf persönliche Befreiungsgründe von einheitswertabhängigen Steuern, dagegen nicht auf Fälle, in denen gegen einen subjektiv Steuerpflichtigen eine Steuerschuld nicht festzusetzen ist, weil sich bei der Veranlagung ergibt, daß er ein steuerpflichtiges Vermögen nicht hat. Aus der Rechtsprechung des RFH ergibt sich im übrigen die auch vom erkennenden Senat vertretene Rechtsauffassung, daß Fragen der Steuerfestsetzung grundsätzlich nicht im Verfahren zur Feststellung der Besteuerungsgrundlagen entschieden werden können. Aus diesem Grund folgt der Senat nicht der von Tipke-Kruse (Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 6. Aufl., § 214 AO Anm. 2) und Becker-Riewald-Koch (Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 214 AO Anm. 2 Abs. 1) vertretenen Auffassung, daß die Feststellung eines Einheitswerts auch dann zu unterbleiben habe, wenn sich bei der Person, der er zuzurechnen ist, ein so geringes Vermögen ergibt, daß es nicht zur Festsetzung einer Vermögensteuer kommt. Denn dazu müßten in dem gesonderten Verfahren zur Feststellung der Besteuerungsgrundlagen Entscheidungen getroffen werden, die dem Veranlagungsverfahren vorbehalten sind. Auch können sich, solange die Steuer nicht zweifelsfrei verjährt ist, jederzeit Gesichtspunkte ergeben, die zur Festsetzung einer Steuerschuld führen (vgl. § 222 AO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 71009

BStBl II 1974, 666

BFHE 1975, 55

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