Leitsatz (amtlich)

§ 164 Abs. 1 i. V. m. § 171 Abs. 1 AO enthält neben der besonders geregelten Nachweispflicht insbesondere für die Vermögensteuer den allgemein geltenden Rechtsgedanken, daß derjenige, der nicht nur seinen Namen für Geschäfte i. S. des § 164 AO hingibt, sondern sie sogar selbst vornimmt, später nicht ohne Nachweis die Zurechnung dieser Werte bestreiten kann.

 

Normenkette

AO § 164 Abs. 1, § 171 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) bei der Vermögensteuerveranlagung auf den 1. Januar 1967 Wertpapiere im Nennwert von 200 000 DM mit 192 500 DM zuzurechnen sind.

Der Kaufmann A. war vom FG mit der Begründung beigeladen worden, daß nach Lage des Streitfalles die nominell 200 000 DM Wertpapiere nur der Klägerin oder A. als dem Beigeladenen zugerechnet werden könnten. A. ist während des Revisionsverfahrens gestorben und lt. Erbschein von seiner Witwe als Alleinerbin beerbt worden, die nunmehr als Beigeladene auftritt. Der verstorbene A. hatte die Klägerin im Jahre 1964 an Kindes Statt angenommen. Im Oktober 1966 schlossen sie einen Erbvertrag unter Einsetzung der Klägerin als Alleinerbin. Eine Prüfung der Steuerfahndung ergab, daß A. der Klägerin Unterhaltsleistungen und Zuwendungen, u. a. ein Einfamilienhaus, belastet mit dem Nießbrauch für ihn selbst, gemacht hatte. Außerdem wurden in einem Bankhaus und unter dem Namen der Klägerin verschiedene, im FG-Urteil einzeln aufgezählte Wertpapierkäufe und -verkäufe vorgenommen. Der letztlich verbleibende Kaufpreis für die Wertpapiere von nominell 200 000 DM wurde von A. aus dem Verkaufserlös von Anteilen und einem am 19. Januar 1966 an das Bankhaus überwiesenen Zuschuß bezahlt. Die Klägerin will diese Papiere nicht zu Eigentum erhalten, wohl aber die Zinsscheine eingelöst haben. Nach persönlichen Differenzen erfolgte unter beiderseitiger Zuziehung von Rechtsanwälten, die im finanzgerichtlichen Verfahren als Zeugen gehört wurden, Besprechungen über die Auflösung des Kindschaftsverhältnisses und des Erbvertrages und über die finanzielle Abfindung der Klägerin etwa in Höhe des gesetzlichen Pflichtteils. Die Klägerin behauptete, Vermögenszuwendungen von nominell 200 000 DM nicht erhalten zu haben; es habe sich um auf ihren Namen laufende Geschäfte des A. gehandelt. Sie willigte in die Auflösung des Adoptionsvertrages und des Erbvertrages unter der Voraussetzung ein, daß ihr A. 190 000 DM zahle, seinen Nießbrauch auf dem Grundstück löschen lasse und ihr die Fortführung des Namens gestatte. Im September 1967 zahlte A. 190 000 DM; das Adoptionsverhältnis und der Erbvertrag wurden aufgelöst.

Steuerfahndung und Beklagter und Revisionskläger (FA) nahmen an, die Klägerin habe die Wertpapiere von nominell 200 000 DM mit Mitteln A.'s erworben. die Zuwendungen hätten etwa dem Pflichtteil entsprochen. Dementsprechend rechnete das FA sie der Klägerin mit dem Steuerkurswert von 192 500 DM ihrem steuerpflichtigen Vermögen auf den 1. Januar 1967 zu.

Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Das FG gab der Klage statt und hob die Einspruchsentscheidung und die Vermögensteuerneuveranlagung 1967 ersatzlos auf.

Es führte dazu aus: Es habe sich nicht feststellen lassen, daß die Klägerin die Wertpapiere zu Eigentum erworben habe. Weder die Tatsache, daß die Wertpapiertransaktion im Januar und April 1966 unter dem Namen der Klägerin durchgeführt sei, noch sonstige Umstände widerlegten die Möglichkeit, daß A. unter dem Namen der Klägerin als unter fremdem Namen die Wertpapiergeschäfte vorgenommen habe. Die Klägerin hätte bei ihrer beschränkten eigenen wirtschaftlichen Lage diese Wertpapiere nur aus einer Schenkung des A. erwerben können. Es sei aber nicht erkennbar, weshalb A. damals diese Werte habe schenken sollen. Die Abfindung der Klägerin wegen Aufhebung der Adoption und des Erbvertrages stehe nach den Bekundungen der als Zeugen vernommenen Rechtsanwälte mit der angeblichen Wertpapierzuwendung in keinem Zusammenhang. Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Abrechnungen des Bankhauses sprächen für Wertpapiergeschäfte des A., vorgenommen im Jahre 1965 unter dem Namen der Klägerin. Die Vorschrift des § 164 Abs. 1 AO über die Nachweispflicht eines Treuhänders oder sonstigen Besitzers greife nicht Platz, da nach der Behauptung der Klägerin A. die Papiere alsbald an sich genommen habe; die Klägerin bestreite jedenfalls den Besitz der Papiere am 1. Januar 1967. § 164 Abs. 1 AO enthalte keine Vermutung für die Fortdauer eines einmal erlangten Besitzes, sie spreche lediglich aus, wem Wertpapiere zuzurechnen seien, wenn der Besitz an den entscheidenden Zeitpunkten oder innerhalb der betreffenden Zeiträume feststehe. Das sei aber vorliegend für den Stichtag 1. Januar 1967 nicht der Fall.

Das FA legte Revision ein und begründete sie folgendermaßen: Das angefochtene Urteil enthalte mehrere Verstöße gegen die Denkgesetze infolge Widersprüchen zwischen zugrunde gelegten tatsächlichen Annahmen und dem Sachverhalt nach dem Akteninhalt.

Ferner habe das FG Behauptungen der Klägerin als erwiesen angesehen, obwohl ihnen die Unterlagen des Bankhauses und der Schriftwechsel über die Aufhebung der Adoption und des Erbvertrages sowie die Aussagen des A. oder seines Rechtsanwalts entgegengestanden hätten. Das FG habe auf Grund eines unrichtig wiedergegebenen Sachverhalts das Urteil auf tatsächlich falschen Annahmen aufgebaut und einen klaren Verstoß wider den Inhalt der Akten begangen, wie im einzelnen dargelegt werde.

Das FG habe § 164 Abs. 1 AO falsch ausgelegt und die gesetzliche Beweisregelung umgekehrt, wenn es vom FA den Nachweis verlange, daß die Klägerin am Veranlagungsstichtag noch Eigentümerin der Wertpapiere gewesen sei. Die Klägerin habe unstreitig im Januar und April 1966 bei der Bank Verkaufsorder für Anteile mit eigenem Namen unterschrieben und Kauforder für Landesbank-Kommunalschuldverschreibungen und Hypothekenbank-Pfandbriefe erteilt. Danach habe sie diese strittigen Wertpapiere höchstpersönlich bei der Bank in Empfang genommen und den Empfang der Bank schriftlich quittiert. Sie habe auch in den Jahren 1966 und 1967 Zinsscheine für diese Wertpapiere unstreitig selbst eingelöst. Unter diesen Umständen obliege ihr der Nachweis, nicht Eigentümerin der Wertpapiere geworden zu sein. Durch § 164 AO solle sichergestellt werden, daß es dem Steuerpflichtigen zuzumuten sei, sich Beweise zu sichern, wenn er unter seinem Namen Wertpapiere erwerbe. Hier trage der formale Rechtsinhaber die objektive Beweislast (Feststellungslast). Somit müsse sich die Klägerin die Wertpapiere, die sie nach den Unterlagen der Bank im Jahre 1966 erworben habe, für die Vermögensteuer zurechnen lassen.

Das FA regte abschließend an, das Revisionsverfahren betr. der Vermögensteuer 1967 und das ebenfalls beim BFH anhängige Revisionsverfahren betr. Einkommensteuer in 1966 und 1967 der Klägerin wegen sachlichen Zusammenhangs und gleicher Rechtsfragen nach §§ 121, 73 FGO zu verbinden.

Die Klägerin hält das Urteil des FG für zutreffend. Sie nimmt ablehnend zu den einzelnen Rügen des FA Stellung und führt insbesondere zur Auslegung des § 164 Abs. 1 AO aus: Die Anwendung des § 164 Abs. 1 AO entfalle schon deshalb, weil die Klägerin mangels rechtsgültiger Schenkung nicht formaler Rechtsinhaber der Wertpapiere gewesen sei und die tatsächliche Gewalt nicht erhalten habe. § 164 Abs. 1 AO enthalte keine Vermutung für die Fortdauer eines einmal erhaltenen Besitzes.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Dem Begehren auf Verbindung der beiden beim BFH anhängigen Revisionen wegen Vermögensteuer 1967 und wegen Einkommensteuer 1966 und 1967 ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für das Jahr 1974 nicht stattzugeben. Das FG hat getrennte Klageverfahren durchgeführt und dementsprechend sind zwei selbständige Urteile für die Vermögensteuer und für die Einkommensteuer ergangen. Es käme daher für eine Verbindung nur die Ausnahmeregelung des Geschäftsverteilungsplanes in Anmerkung I 1b in Frage. Es liegt hier jedoch kein Fall vor, bei dem bei getrennten Steuerarten nur eine Rechtsfrage streitig ist; vielmehr handelt es sich bei der Vermögensteuer um die Zurechnung von Kapitalwerten auf den Stichtag 1. Januar 1967 nach dem BewG und dem VStG, bei der Einkommensteuer 1966, 1967 dagegen um die Zurechnung von Erträgen aus Wertpapieren als Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 EStG. Neben unterschiedlichen Rechtsfragen dürften auch die tatsächlichen Grundlagen verschieden sein, da die streitige Übereignung der Wertpapiere und die Einlösung der Zinsscheine sich offensichtlich nicht deckten.

2. Das FG hat seine Entscheidung letztlich maßgeblich auf eine rechtliche Auslegung des § 164 Abs. 1 AO gestützt, der der Senat nicht zustimmt. Das FG hat es dahingestellt sein lassen, ob die Klägerin im Jahre 1966 Besitzerin der Wertpapiere geworden ist und die tatsächliche Gewalt i. S. des § 854 Abs. 1 BGB innegehabt hat, da die Zurechnung nach § 164 Abs. 1 AO nur zulässig sei, wenn der Besitz am Stichtage oder innerhalb der betreffenden Zeiträume feststehe. Diese Auffassung ist zu eng.

a) § 164 Abs. 1 AO hängt mit der Einschränkung der Beweislast des Steuerpflichtigen durch die Grenzen des Zumutbaren gemäß § 171 Abs. 1 AO zusammen. Auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen kann jedoch nicht verzichtet werden, wenn ungewöhnliche, nur von ihm aufklärbare Verhältnisse vorliegen. Im Rahmen dieser Beweisgrundsätze bestimmt § 164 Abs. 1 AO, daß derjenige, der u. a. Rechte oder Wertsachen als Treuhänder oder Vertreter zu haben behauptet, zu beweisen hat, wem die Sachen gehören, oder wenigstens, daß sie ihm nicht gehören. Andernfalls sind ihm die Sachen zuzurechnen (vgl. hierzu Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 164 AO Anm. 1).

b) Hier hat die Klägerin nach den bisherigen Feststellungen in eigener Person auf ihren Namen die Wertpapiere bestellt, von der Bank ausgehändigt erhalten und ist so in den Besitz der Wertpapiere gekommen. Damit ist für die im Januar und April 1966 der Klägerin übergebenen Wertpapiere für die damaligen Zeitpunkte der Tatbestand des § 164 Abs. 1 AO erfüllt, wonach derjenige, der Wertsachen (hier Wertpapiere), die er besitzt, als Vertreter eines anderen (hier des A.) zu haben behauptet, auf Verlangen nachzuweisen hat, wem die Wertsachen gehören oder daß sie ihm nicht gehören, andernfalls sie dem Besitzer zuzurechnen sind. Diese Vorschrift stellt es nach dem Wortlaut auf den Besitz ab; wenn das FG in seiner Entscheidung eine Vermutung für die Fortdauer des Besitzes ablehnt, so mag es dahingestellt bleiben, ob dieser Rechtsstandpunkt bei zeitlich weit zurückliegenden Fällen der Besitzübertragung, insbesondere z. B. bei den Ertragsteuern in vorangegangenen Veranlagungszeiträumen, zutreffend wäre. Bei der hier streitigen Vermögensteuerveranlagung auf den 1. Januar 1967 kann insbesondere wegen des bei der Vermögensteuer allein maßgeblichen Veranlagungszeitpunkts 1. Januar von einer unzulässigen Vermutung für die Fortdauer des im Jahre 1966 erlangten Besitzes der Klägerin nicht die Rede sein. Denn nach §§ 4, 13 VStG war die vermögensteuerliche Auswirkung der Wertpapierübertragung im Jahre 1966 die Neuveranlagung auf den 1. Januar 1967 der dem Gesetz entsprechende früheste Zeitpunkt. Diese zeitliche Überbrückung findet im § 171 Abs. 1 AO eine gesetzliche Stütze, nämlich die dem Steuerpflichtigen den Umständen nach auferlegte Zumutbarkeit, den Verbleib des Vermögens, das er früher besessen hat, zu beweisen. Durch die Bestimmung soll eine Überspannung der amtlichen Ermittlungspflicht vermieden werden, und es wird sichergestellt, daß es dem Steuerpflichtigen i. S. des § 171 Abs. 1 AO zuzumuten ist, sich Beweise zu sichern, wenn er Rechte auf seinen Namen schreiben läßt.

Der erkennende Senat sieht in § 164 Abs. 1 i. V. m. § 171 Abs. 1 AO einen dahin gehenden allgemeinen Rechtsgedanken, daß derjenige, der nicht nur seinen Namen für Geschäfte i. S. des § 164 AO hergibt, sondern sie sogar selbst vornimmt, später nicht ohne Nachweis die Zurechnung dieser Werte bestreiten kann. Das FA kann sich unter diesen Umständen auf den äußeren Anschein berufen, ohne im einzelnen den vielfach geradezu unmöglichen Nachweis der Fortdauer des Besitzes oder des Erwerbes führen zu müssen. Dieser Gedanke ist auch schon bisher in der Rechtsprechung vertreten worden. So hat der BFH bei einem ähnlichen Sachverhalt, als der Steuerpflichtige behauptete, von einem Konto abgehobenes Geld nur als Vertreter seines Bruders besessen zu haben, die Nachweispflicht des Steuerpflichtigen über das Geld bejaht, weil es sich hierbei um eine Wertsache im Besitz des Steuerpflichtigen handle (§ 164 AO) und die Angaben des Steuerpflichtigen angesichts der vorhandenen schriftlichen Unterlagen offensichtlich zu Zweifeln Anlaß gäben (nicht veröffentlichtes BFH-Urteil vom 3. August 1972 IV R 13/72).

3. Demgegenüber hat das FG in Verkennung der dargelegten Rechtsgrundsätze die Anwendung des § 164 Abs. 1 AO verneint. Auf diesem Rechtsverstoß beruht das FG-Urteil, das demgemäß nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO aufzuheben und zur anderweitigen Verhandlung zurückzuverweisen ist. Das FG hat unter Beachtung der dargelegten Rechtsauffassung des BFH den Tatbestand erneut zu prüfen. Dabei sind die mit der Revision zusätzlich geltend gemachten Rügen im Rahmen der dem FG zustehenden Beweiswürdigung zu beachten, und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß das FA und das FG als Tatsacheninstanz zwar die Besteuerungsgrundlagen von Amts wegen zu ermitteln haben, daß aber die Steuerpflichtigen bei diesen Ermittlungen, soweit sie gesetzlich dazu verpflichtet sind, ebenfalls bis zur Grenze des Zumutbaren mitzuwirken haben (BFH-Entscheidung vom 12. Juli 1962 IV 124/58 U, BFHE 75, 700, BStBl III 1962, 522).

 

Fundstellen

Haufe-Index 71140

BStBl II 1975, 25

BFHE 1975, 150

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