Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Das Schreiben des Stpfl. an das FA, die zunächst geschätzten Einkünfte in einem Steuerbescheid entsprechend der nachträglich eingereichten Steuererklärung herabzusetzen, ist regelmäßig als Einspruch aufzufassen.

 

Normenkette

AO §§ 94, 249, 238, 259, 229

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige (Stpfl.), eine Grundstücksgemeinschaft, hatte für das Streitjahr 1963 keine Erklärung zur einheitlichen Feststellung der Mieteinkünfte abgegeben. Im Feststellungsbescheid vom 22. Februar 1965 schätzte das Finanzamt (FA) die Einkünfte auf 14.000 DM. Am 2. März 1965 reichte die Stpfl. die Steuererklärung ein, die über 10.475 DM Einkünfte lautete, und bat, den Bescheid vom 22. Februar 1965 gemäß § 94 AO zu ändern. Das FA verfuhr entsprechend. Zugleich erließ es eine Einspruchsentscheidung, mit der es den Einspruch in der Hauptsache für erledigt erklärte und der Stpfl. die Kosten nach § 307 Abs. 3 AO a. F. auferlegte, weil sie die Steuererklärung verspätet abgegeben habe.

In der Berufung machte die Stpfl. geltend, sie habe keinen Einspruch erhoben, sondern nur um eine schlichte änderung des Steuerbescheids nach § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO gebeten. Eine solche änderung löse keine Kostenpflicht aus.

Die Berufung hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) legte der Stpfl. nur die Hälfte der Kosten zur Last, weil die Schätzung des FA überhöht gewesen sei. Im Grunde billigte es aber die Einspruchsentscheidung. Es betrachtete das Schreiben vom 2. März 1965 als Einspruch.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Stpfl. ist nicht begründet. Nach § 229 AO a. F. war gegen Feststellungsbescheide das Berufungsverfahren gegeben, dessen ersten Rechtsmitteilung der Einspruch bildete. Zur Einlegung des Einspruchs bedurfte es nicht des Gebrauchs dieses Wortes. Vielmehr galt jede schriftliche äußerung als Einspruch, sofern sie erkennen ließ, daß der Steuerpflichtige sich beschwert fühlte und eine Nachprüfung des Bescheids begehrte (§ 249 Abs. 2 AO a. F.). Die Stpfl. erklärte sich hier mit dem Ansatz der 14.000 DM Mieteinkünfte nicht zufrieden und verlangte, den Feststellungsbescheid auf 10.475 DM zu ändern. Das Schreiben, mit dem sie das erklärte, betrachtete das FA daher zu Recht als Einspruch im Sinne des § 249 AO a. F.

Auf den Einspruch hin hatte das FA die Sache erneut zu prüfen (§ 259 Abs. 1 AO a. F.). Einer förmlichen Einspruchsentscheidung bedurfte es nach Satz 2 a. a. O. nicht, soweit das FA den angefochtenen Bescheid dem Einspruchsantrag gemäß änderte. Hier übernahm das FA die nachträglich erklärten 10.475 DM. Gemäß § 94 Abs. 2 Satz 1 AO a. F. war es daher berechtigt, den Feststellungsbescheid vom 22. Februar 1965 entsprechend zu ändern.

Da dem Rechtsmittelantrag voll entsprochen wurde und das Rechtsmittel dadurch in der Hauptsache seine Erledigung fand, war eine Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nicht erforderlich, wenn das FA dem Stpfl. erklärte, die Kosten zu übernehmen (§ 94 Abs. 2 Satz 2 AO a. F.). Da das FA diese Erklärung nicht abgegeben hat, mußte es über diesen Teil des Rechtsmittels durch Einspruchsentscheidung entscheiden (Entscheidungen des BFH II 206/59 U vom 8. November 1961, BFH 74, 110, BStBl III 1962, 42; I 203/60 U vom 31. Juli 1963, BFH 77, 332, BStBl III 1963, 441). Dabei machte das FA im Streitfall von § 307 Abs. 3 AO a. F. Gebrauch, weil die Stpfl. auch nach wiederholten Fristverlängerungen keine Steuererklärung abgegeben und dadurch die Schätzung des FA notwendig gemacht hatte.

Die Stpfl. behauptet, mit ihrem Schreiben vom 2. März 1965 habe sie keinen Einspruch eingelegt, sondern das FA nur um eine schlichte änderung des Steuerbescheids gebeten. Dem ist nicht zuzustimmen. Gewiß kann ein Steuerpflichtiger frei entscheiden, ob er ein Rechtsmittel einlegen will oder nicht. Erklärt er ausdrücklich, kein Rechtsmittel einlegen zu wollen, stellt er aber gleichzeitig dem FA anheim, in irgendeiner Weise den Steuerbescheid zu seinen Gunsten zu ändern, so mag das rechtlich möglich sein. Solche Fälle werden aber praktisch kaum vorkommen; denn wenn kein Rechtsmittel eingelegt ist, wird mit dem Ablauf der Rechtsmittelfrist der Steuerbescheid unanfechtbar und kann dann nach § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO a. F. nicht mehr zugunsten des Steuerpflichtigen geändert werden. Einen Anspruch auf änderung des ergangenen Steuerbescheids erwirbt der Steuerpflichtige nur, wenn er rechtzeitig ein Rechtsmittel einlegt und dadurch den Eintritt der Rechtskraft des Steuerbescheids hintanhält. In der BFH-Entscheidung III 200/58 vom 19. Juni 1959 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 94, Rechtsspruch 16) wird zutreffend ausgeführt, daß ein Steuerpflichtiger, der einen in der Steuererklärung unterlassenen Antrag nachholen will, das nur in Form des Einspruchs gegen den ergangenen Steuerbescheid tun kann. Ebenso kann ein Steuerpflichtiger, der es zur Schätzung seiner Einkünfte hat kommen lassen und der nach Erlaß des Steuerbescheids die Einkünfte entsprechend der nachgereichten Steuererklärung herabgesetzt haben will, die Herabsetzung nur durch Einlegung des Einspruchs gegen den Steuerbescheid erreichen.

Läßt die äußerung des Steuerpflichtigen ungewiß, ob er ein Rechtsmittel einlegen will, so ist im allgemeinen die Erklärung als Rechtsmittel zu betrachten, um zugunsten des Steuerpflichtigen den Eintritt der Rechtskraft aufzuhalten. Normalerweise will ein Steuerpflichtiger, der einen Steuerbescheid gegenüber dem FA beanstandet und erklärt, sich durch den Steuerbescheid beschwert zu fühlen, damit den prozessualen Anspruch erwerben, daß das FA seine Beanstandungen sachlich prüfen muß. Einen solchen Anspruch kann aber, wie gesagt, der Steuerpflichtige nur dadurch erwerben, daß er rechtzeitig ein Rechtsmittel einlegt. Will er ausnahmsweise seine Erklärung nicht als Rechtsmittel verstanden wissen, so muß er das klipp und klar erklären. Jede andere Auslegung würde Unklarheit schaffen und die prozessuale Stellung des Steuerpflichtigen schwächen.

Nach diesen Grundsätzen haben das FA und das FG zutreffend das Schreiben der Stpfl. vom 2. März 1965 als Einspruch aufgefaßt und eine Kostenentscheidung getroffen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412550

BStBl III 1967, 382

BFHE 1967, 314

BFHE 88, 314

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