Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung rechtlich zweifelhafter Kapitalforderungen

 

Leitsatz (NV)

1. Ist zwischen Bewertungsstichtag und Vornahme der Bewertung oder Veranlagung das Bestehen einer ehedem bestrittenen Kapitalforderung rechtskräftig festgestellt worden, ist die Forderung grundsätzlich gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BewG 1965 mit dem Nennwert anzusetzen.

2. Eine der von der Rechtsprechung (BFH- Urteil vom 5. April 1968 III 235/64, BFHE 93, 316, BStBl II 1968, 768) zugelassenen Ausnahmen liegt nicht vor, wenn die Rechtslage bereits 1 Jahre nach dem Stichtag geklärt war, eine erste gerichtliche Entscheidung schon sieben Wochen nach dem Stichtag erging und sämtliche Instanzen zu derselben Beurteilung kamen.

3. Soweit der Reichsfinanzhof den Steuerbehörden allgemein die Befugnis eingeräumt hat, Kapitalforderungen auch dann noch mit einem niedrigeren Wert anzusetzen, wenn die Rechtslage bereits geklärt ist (so Urteil vom 26. November 1943 III 60/43, RStBl 1944, 147), wird daran nicht festgehalten.

 

Normenkette

BewG 1965 § 12 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Der Vater des Klägers, Revisionsklägers und Revisionsbeklagten (Kläger) verstarb 1986. Er hatte den Kläger durch Testament vom Dezember 1985 zugunsten eines Halbbruders enterbt und ihm darüber hinaus gemäß § 2333 Ziff. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) unter Bezugnahme auf angeblich beleidigendes Verhalten und auf Vorgänge, die z. T. Jahrzehnte zurücklagen, den Pflichtteil entzogen. In dem Testament war dem Erben für den Fall, daß der Kläger gegen seine Enterbung rechtlich vorgehen werde, aufgegeben, dem "strikt" entgegenzutreten und keinerlei Kompromisse einzugehen.

Nach dem Tod des Vaters verklagte der Kläger seinen Bruder zunächst auf Auskunft und hatte dabei in allen drei Instanzen Erfolg. Das im Februar 1987 verkündete Urteil des Landgerichts wurde vom Oberlandesgericht (OLG) noch im November desselben Jahres bestätigt. Mit Beschluß vom Juli 1988 nahm der Bundesgerichtshof (BGH) die dagegen eingelegte Revision nicht an. Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben, weil die Entziehung des Pflichtteils unwirksam sei. Hinsichtlich eines der drei im Testament genannten Entziehungsgründe fehle es an einer ausreichenden Angabe des Kernsachverhalts i. S. des § 2336 Abs. 2 BGB. Die übrigen Entziehungsgründe stellten entweder kein schweres vorsätzliches Vergehen dar oder seien nicht mehr zu beweisen, weil die Zeugen verstorben seien. Dies gehe gemäß § 2336 Abs. 3 BGB zu Lasten des Erben.

Sogleich nach Ergehen des erstinstanzlichen Urteils in der Auskunftssache erhob der Kläger gegen seinen Bruder Leistungsklage. Mit Urteil vom 24. Februar 1988 verurteilte das Landgericht den Bruder zur Zahlung eines Mindestbetrages von ... DM nebst 4 v. H. Zinsen. Zur Begründung berief es sich auf sein Urteil in der Auskunftssache. Die dagegen eingelegte Berufung nahm der Bruder im September 1988 zurück. Noch im Oktober desselben Jahres zahlte er den Pflichtteil in der zugesprochenen Höhe aus.

Nachdem der Kläger sich geweigert hatte, auf den 1. Januar 1987 eine Vermögensteuererklärung abzugeben, führte der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) am 24. Januar 1991 eine Neuveranlagung auf diesen Stichtag durch und setzte ausgehend von einem Gesamtvermögen von ... DM Vermögensteuer fest. Das zugrunde gelegte Aktivvermögen bestand aus dem Pflichtteilsanspruch in der geschätzten Höhe von ... DM.

Insoweit erging die Steuerfestsetzung vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage unter Zulassung der Revision teilweise statt, indem es die Steuer auf ... DM herabsetzte. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 737 veröffentlicht. Es entschied, die mit dem Erbfall entstandene Pflichtteilsforderung, deren Nennwert mindestens ... DM betragen habe, sei zum 1. Januar 1987 wegen besonderer Umstände i. S. des § 12 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) nur mit einem geschätzten Wert von ... DM anzusetzen.

Gegen die Entscheidung haben beide Beteiligte Revision eingelegt.

Der Kläger trägt vor, § 12 Abs. 1 Satz 1 BewG sei falsch angewendet. Das FG habe das Prozeßrisiko zwar zutreffend als besonderen Umstand i. S. dieser Vorschrift gewertet, ihm aber nicht ausreichendes Gewicht beigemessen. Bei richtiger Gewichtung wäre die Pflichtteilsforderung mit 0 DM anzusetzen gewesen. Im Bewertungszeitpunkt habe keinerlei greifbare Aussicht auf Durchsetzung der Forderung bestanden.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie den Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1987 vom 24. Januar 1991 und die Einspruchsentscheidung vom 23. Mai 1991 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen und unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Es rügt Verletzung des § 12 Abs. 1 BewG. Rechtliche Unsicherheiten seien wirtschaftlichen nicht gleichzustellen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Revision des FA ist dagegen begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FA hat zu Recht den Pflichtteilsanspruch in der angesetzten Höhe bereits zum Stichtag 1. Januar 1987 berücksichtigt.

1. Der auf Zahlung von Geld gerichtete Pflichtteilsanspruch stellt eine Kapital forderung i. S. des § 12 Abs. 1 BewG dar. Gemäß dieser Vorschrift sind derartige Kapitalforderungen mit dem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen. Maßgebend sind die Verhältnisse im Bewertungs- oder Veranlagungszeitpunkt. Dabei sind Tatsachen, die für den Bestand und die Bewertung einer Kapitalforderung bedeutsam sind und am Stichtag bereits vorhanden waren, aber erst nach dem Stichtag bekannt geworden sind, zu berücksichtigen, wenn sie durch eine Prüfung der in Betracht kommenden Verhältnisse am Stichtag hätten festgestellt werden können (so Urteil des Reichsfinanzhofs -- RFH -- vom 10. Februar 1938 III 215/37, RStBl 1938, 537).

Infolgedessen sind Urteile etwa von Zivilgerichten, die bei Durchführung der Bewertung oder Veranlagung bereits ergangen und durch die am Stichtag vorhandene Zweifel an Bestand und Höhe der Forderung ausgeräumt worden sind, zu berücksichtigen (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 5. April 1968 III 235/64, BFHE 93, 316, BStBl II 1968, 768, sowie vom 31. Oktober 1974 III R 23/73, BFHE 114, 252, BStBl II 1975, 322, und vom 11. Mai 1979 III R 81/77, nicht veröffentlicht). Dies bedeutet kein Einbeziehen von Tatsachen, die am Stichtag noch nicht vorgelegen haben. Ausschlaggebend sind nicht die Urteile als solche; entscheidend ist vielmehr, daß die Urteile das Ergebnis einer Prüfung der Verhältnisse sind, die bereits am Stichtag vorgelegen haben (vgl. auch BFH-Urteil vom 1. September 1961 III 15/60 U, BFHE 73, 624, BStBl III 1961, 493). Darin unterscheiden sich rechtliche Zweifel am Bestand einer Forderung von Zweifeln an ihrer wirtschaftlichen Durchsetzbarkeit. Die Verhältnisse, die zu wirtschaftlichen Zweifeln Anlaß geben, können sich zwischen dem Stichtag und der Vornahme der Feststellung bzw. Veranlagung ändern, die objektive Rechtslage im Regelfall nicht.

Lediglich in besonders gelagerten Fällen ist trotz der bei Erlaß des Feststellungs- oder Steuerbescheids bereits geklärten (Zivil-) Rechtslage einer am Stichtag vorhandenen rechtlichen Unsicherheit durch Ansatz eines niedrigeren Wertes Rechnung zu tragen. Der Wert ist dann nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit, mit dem sich die Forderung aus der Sicht vom Stichtag durchsetzen lassen wird, zu schätzen. Dabei sind Prozeßrisiko und Prozeßlage maßgebliche Anhaltspunkte. Solch ein Ausnahmefall ist bei einer Schadensersatzforderung angenommen worden, deren Bestehen erst nach zehnjähriger Prozeßdauer rechtskräftig feststand, nachdem zweimal der BGH befaßt war und die Instanzgerichte unterschiedlich entschieden hatten (so bezüglich einer Veranlagung zur Vermögensabgabe: BFH-Urteil in BFHE 93, 316, BStBl II 1968, 768).

2. Gemäß diesen Grundsätzen war im Streitfall die Revision des Klägers zurückzuweisen und der des FA stattzugeben. Für das Verlangen des Klägers, den Pflichtteilsanspruch wegen des Prozeßrisikos mit 0 DM anzusetzen, gibt es keine Rechtsgrundlage. Dagegen rügt das FA zu Recht, daß die Herabsetzung der Vermögensteuer durch das FG gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 BewG verstößt.

Bei Erlaß des angefochtenen Vermögensteuerbescheides war die Zivilrechtslage bereits geklärt und das Bestehen des Pflichtteilsanspruchs dem Grunde und der angesetzten Mindesthöhe nach rechtskräftig festgestellt. Diese Klärung der Rechts lage bezüglich des Bestehens und der Mindesthöhe der Forderung hatte das FA zu berücksichtigen. Die Verhältnisse am Stichtag waren durch diese Klärung aufgehellt. Bei eigenständiger Prüfung der Verhältnisse hätte sich dasselbe Ergebnis bereits zum Stichtag einstellen müssen.

Es liegt auch kein Ausnahmefall vor, bei dem trotz der inzwischen beseitigten Zweifel an der Forderung ein Bewertungsabschlag geboten ist. Im Gegenstz zu dem dem BFH-Urteil in BFHE 93, 316, BStBl II 1968, 768 zugrundeliegenden Sachverhalt war im Streitfall die Rechtslage bereits 1 Jahre nach dem maßgeblichen Stichtag geklärt, lag die erste Entscheidung schon sieben Wochen nach dem Stichtag vor und haben sämtliche Instanzen von Anfang an und in den verschiedenen Verfahren (Auskunft, Zahlung) stets denselben Rechtsstandpunkt vertreten. Daß es überhaupt zu der Vielzahl der Verfahren gekommen ist, lag nicht zuletzt an der Aufforderung des Erblassers zur Kompromißlosigkeit und damit zu einem Verhalten des Erben, das nicht vornehmlich an den Erfolgsaussichten ausgerichtet war.

Soweit den Steuerbehörden allgemein die Befugnis zugestanden worden ist, Kapitalforderungen auch dann noch mit einem niedrigeren Wert anzusetzen, wenn die Rechtslage bereits geklärt ist (so RFH-Urteil vom 26. November 1943 III 60/43, RStBl 1944, 147), wird daran nicht festgehalten.

Zutreffend hat das FA trotz Klärung der Zivilrechtslage die Steuer nicht endgültig, sondern vorläufig festgesetzt und eine Schätzung vorgenommen. Dies war geboten, weil es sich bei den ... DM um einen Mindestbetrag handelt, weitere Zahlungen zu erwarten sind und die Forderung auf ... DM aufgestockt worden ist.

3. Zu Unrecht beruft sich der Kläger darauf, daß der Pflichtteilsanspruch nicht als Kreditunterlage verwendbar gewesen sei. Die Sonderregelung des § 12 Abs. 1 BewG für Kapitalforderungen beruht in Abweichung von der allgemeinen Bewertungsvorschrift des § 9 Abs. 1 BewG, wonach der gemeine Wert zugrunde zu legen ist, auf der Erwägung, daß Kapitalforderungen nicht wie Waren zur Veräußerung bestimmt sind, sondern zur Verwertung durch Einziehung. Das Bestreben, eine Forderung als Kreditunterlage einzusetzen, stellt aber keine Form der Einziehung dar, sondern den Versuch, sie anderweitig nutzbar zu machen. Aus denselben Gründen ist auch das Merkmal der besonderen Umstände in § 12 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BewG nicht unter Rückgriff auf § 9 Abs. 2 BewG auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 3. März 1972 III R 30/71, BFHE 105, 282, BStBl II 1972, 516). Der Wert einer Kapitalforderung ist nicht über einen Marktwert -- und damit auch nicht über einen Wert als Sicherheit auf dem Kapitalmarkt -- zu bestimmen.

Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, wie zu entscheiden wäre, wenn er den Pflichtteilsanspruch nicht eingeklagt hätte, stellt sich im Streitfall ebensowenig wie die Frage, aus welchen Mitteln er die Vermögensteuer hätte zahlen sollen, wenn die Veranlagung vor Auszahlung des Pflichtteils durchgeführt worden wäre.

 

Fundstellen

Haufe-Index 422164

BFH/NV 1997, 550

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