Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerfreie Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen

 

Leitsatz (NV)

Die Verschaffung eines Erbbaurechts ist nicht nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfrei, wenn sie nicht in Ausübung einer Verwertungsmöglichkeit i. S. von § 1 Abs. 2 GrEStG erfolgt.

 

Normenkette

UStG 1967 § 4 Nr. 9 Buchst. a; GrEStG § 1 Abs. 1 Nrn. 6-7; GrEStSWG ND 1966 § 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Umstritten ist die Steuerfreiheit von Umsätzen der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) im Bauträgergeschäft nach § 4 Nr. 9 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1967.

Durch privatschriftlichen Vertrag vom 24. Mai 1968 erhielt die Klägerin von den Eheleuten A den Alleinauftrag ,,zur Verpachtung bzw. zum Verkauf der Hälfte der sich nach Aufstellung des Bebauungsplanes ergebenden Bauflächen" auf Grundstücken in X. Da die Eheleute A das Eigentum an ihren Grundstücken nicht aufgeben wollten, räumten sie Erwerbern nur das jeweilige Erbbaurecht an den Grundstücken ein. Die Klägerin wählte die Erwerber aus. Allerdings war sie auch berechtigt, das Erbbaurecht für die gesamten oder für einen Teil der Baugrundstücke selbst zu erwerben. In den Erbbaurechtsverträgen verpflichteten sich die Erwerber, das betreffende Grundstück zu bebauen. Die Erwerber schlossen mit der Klägerin zuvor nach einheitlichem Muster Verträge über die Herstellung eines schlüsselfertigen Einfamilienhauses oder einer Eigentumswohnung gegen einen nach Baufortschritt zu zahlenden Festpreis. Sie verpflichteten sich in dem jeweiligen Bebauungsvertrag, mit den Eheleuten A einen Erbbaurechtsvertrag über die zu bebauende Parzelle abzuschließen.

Die Baugenehmigungen für die nach den Plänen des Ehemannes der Klägerin errichteten Gebäude wurden der Klägerin erteilt. Diese errichtete die Bauwerke entsprechend den Bebauungsverträgen.

Die Umsatzsteuerfestsetzungen für 1971 und 1972, in denen die streitbefangenen Umsätze nicht besteuert worden waren, ergingen zunächst vorläufig gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO). Auf Grund einer 1976 begonnenen Betriebsprüfung wurden in Umsatzsteueränderungsbescheiden für 1971 und 1972 vom 19. Oktober 1977 der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben und die Steuerfestsetzungen hinsichtlich der hier streitigen Umsätze für vorläufig erklärt (§ 165 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -), weil die Klägerin beim Finanzgericht (FG) einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung für 1969 gestellt hatte. Nachdem dieses FG im Oktober 1977 über den Aussetzungsantrag entschieden hatte, setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Außenprüfung fort und erließ die angefochtenen Steueränderungsbescheide (§ 165 Abs. 2 AO 1977), in denen die bezeichneten Umsätze besteuert wurden.

Nach Zurückweisung des Einspruchs hatte die Klage Erfolg. Das FG entschied, die Klägerin habe nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1967 steuerfreie Leistungen erbracht, da sie den Erwerbern jeweils ein Erbbaurecht am bebauten Grundstück verschafft habe. Sie habe umsatzsteuerrechtlich eine einheitliche Leistung ausgeführt, weil die Erwerber von den rechtlich verknüpften Verträgen gewußt und gebilligt hätten, daß der Klägerin die Grundstücke von den Eheleuten A fest überlassen worden seien und daß ihnen der Erwerb des Erbbaurechts nur deshalb eingeräumt worden sei, weil sie die Klägerin zuvor mit der Bebauung beauftragt hätten. Die Erbbaurechtsbestellung der Eheleute A sei, so führte das FG weiter aus, nach den Grundsätzen des Reihengeschäfts eine Leistung der Klägerin. Das Erbbaurecht sei auf Geheiß der Klägerin den von ihr benannten Berechtigten abredegemäß eingeräumt worden.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1967. Das FG, so führt das FA zur Begründung aus, habe verkannt, daß im Streitfall mehrere Leistungen von zwei Unternehmern erbracht worden seien. Die Eheleute A hätten den Erwerbern das Erbbaurecht eingeräumt und die Klägerin habe an sie Bauträgerleistungen ausgeführt. Beide Leistungen seien umsatzsteuerrechtlich selbständig ausgeführt worden, weil sie auf unabhängigen vertraglichen Grundlagen gegenüber den jeweils Verpflichteten (insbesondere den Eheleuten A) beruhten. Hinzu komme, daß die vertraglichen Verpflichtungen auch grunderwerbsteuerrechtlich nicht gebündelt werden könnten. Aus der Erbbaurechtsbestellung lasse sich nicht entnehmen, daß sie mit den Bauverträgen ,,stehen und fallen" sollten.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten. Sie meint, das FA habe die angefochtenen Änderungsbescheide (§ 165 Abs. 2 AO 1977) nicht erlassen dürfen, weil der Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 Abs. 1 AO 1977) nach der Außenprüfung nicht habe beigefügt werden dürfen und weil die Voraussetzungen für andere Änderungsbestimmungen (z. B. für § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) nicht erfüllt worden seien. In der Sache sei die Vorentscheidung richtig, weil sie, die Klägerin, die Grundstücke ,,an der Hand" gehabt und den Erwerbern den Anspruch auf den Erwerb des Erbauers verschafft habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Klägerin hat, was das FG verkannt hat, steuerpflichtige Leistungen ausgeführt.

1. Das FA war nicht gehindert, die vorläufigen Umsatzsteuerfestsetzungen für 1971 und 1972 durch die angefochtenen Änderungsbescheide vom 10. November 1978 gemäß § 165 Abs. 2 AO 1977 zu ändern. Die geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen waren nach einem ausdrücklichen Hinweis ,,hinsichtlich der steuerfreien Umsätze weiterhin gemäß § 165 Abs. 1 AO vorläufig". Der den geänderten Steuerfestsetzungen beigefügte Vorläufigkeitsvermerk (§ 120 Abs. 1, § 165 Abs. 1 AO 1977) war wirksam, denn der Umfang der Vorläufigkeit (§ 165 Abs. 1 Satz 3 AO 1977) war erkennbar auf die als steuerfrei beurteilten Umsätze durch Verschaffung von Erbbaurechten an bebauten Grundstücken der Eheleute A begrenzt.

Die fehlenden Angaben über den Grund der Vorläufigkeit (§ 165 Abs. 1 Satz 3 AO 1977) führten lediglich zur Rechtswidrigkeit der vorläufigen Steuerfestsetzungen (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. März 1991 IX R 282/87, BFH/NV 1991, 506, m. w. N.). Da die geänderten Steuerfestsetzungen nicht angefochten worden sind, können Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Vorläufigkeitsvermerks nicht mehr nachgeholt werden (BFH-Urteil vom 15. Juli 1987 X R 19/80, BFHE 150, 459, BStBl II 1987, 746).

2. Die Vorentscheidung muß aufgehoben werden, weil das FA die ursprünglichen Umsatzsteuerfestsetzungen für 1971 und 1972 zutreffend geändert hat; denn die Klägerin hat steuerpflichtige Umsätze ausgeführt. Die streitbefangenen Umsätze der Klägerin sind nicht nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1967 steuerfrei.

a) Nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1967 sind Umsätze steuerfrei, die unter das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) fallen.

Die Leistung der Klägerin, die nach den Feststellungen des FG nicht lediglich auf die Ausführung von Bauleistungen zur Errichtung eines Gebäudes (Werklieferungen i. S. von § 4 Abs. 4 Satz 2 UStG 1967), sondern auf die Verschaffung eines Erbbaurechts (vom Eigentümer) an einem von ihr zu bebauenden Grundstück gerichtet ist, ist nicht steuerfrei nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1967. Im Gegensatz zur Ansicht des FG hat die Klägerin keinen Erwerbsvorgang i. S. des § 1 GrEStG dadurch verwirklicht, daß sie in Ausübung einer Verwertungsmöglichkeit (an zu bestellenden Erbbaurechten) Erwerber zum Abschluß eines auf Begründung eines Erbbaurechts verpflichtenden Geschäfts zugelassen hat (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, 7, Abs. 2, § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG; vgl. Boruttau / Egly / Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, 12. Aufl., Vorb. Rn. 446, 451-459, 469, 472-476).

b) Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1940/1970 i. d. F. der Bekanntmachung vom 12. Juli 1970 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen - GVBl NW - 1970, 612, BStBl I 1970, 982) stehen Erbbaurechte den Grundstücken gleich. Ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Bestellung eines Erbbaurechts begründet, unterliegt somit der Grunderwerbsteuer (vgl. dazu BFH-Urteil vom 28. November 1967 II R 37/66, BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223). Ebenso unterliegen auch die in § 1 Abs. 1 Nr. 6, 7 GrEStG bezeichneten Geschäfte der Grunderwerbsteuer, wenn sie sich auf ein Erbbaurecht beziehen.

Die Klägerin hat (als Bauträgerin, Projektanbieterin, Initiatorin) aber keine von den Grundstückseigentümern eingeräumte Verwertungsbefugnis (§ 1 Abs. 2 GrEStG) erlangt, die es ihr ermöglicht hätte, den Erwerbern (Käufern) Angebote zum Erwerb des Erbbaurechts zu verschaffen (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, 7 GrEStG).

Die Verwertungsmöglichkeit i. S. von § 1 Abs. 2 GrEStG hätte die Klägerin gehabt, wenn sie bürgerlich-rechtlich berechtigt gewesen wäre, die Rechtsstellung der Grundstückseigentümer ihrem Wertgehalt nach auszuhöhlen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 2. Juli 1975 II R 49/74, BFHE 116, 413, BStBl II 1975, 863; vgl. dazu auch Boruttau / Egly / Sigloch, a. a. O., Vorb. Rn. 424 ff.). Eine solche Rechtsstellung der Klägerin käme allenfalls dann in Betracht, wenn sie von den Grundstückseigentümern ermächtigt gewesen wäre, Erwerber zur Bestellung von Erbbaurechten zuzulassen. Die privatschriftliche Vereinbarung zwischen der Klägerin und den Eheleuten A vom 24. Mai 1968, aus der das FG diese Rechtsstellung der Klägerin abgeleitet hat, enthält dafür jedoch keine Grundlage. Abgesehen davon, daß sie schon wegen der privatschriftlichen Form der nur von einem Ehegatten unterschriebenen Vereinbarung noch keine Rechtsmacht verlieh, ergibt sich eine Verwertungsmöglichkeit auch nicht aus dem Inhalt der Vereinbarung. Die dem Revisionsgericht mögliche Prüfung, ob das Tatsachengericht bei der Feststellung des Vertragsinhalts die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches) beachtet hat (vgl. dazu BFH-Urteil vom 6. Oktober 1988 V R 124/83, Umsatzsteuer-Rundschau 1989, 156 unter 1. c), ergibt, daß der erkennbare Wille der Grundstückseigentümer lediglich darauf gerichtet war, der Klägerin einen befristeten Auftrag zur Verpachtung bzw. zum Verkauf von Bauflächen zu erteilen. Dabei sollten Art des Verkaufs und Höhe des Preises einer späteren Regelung vorbehalten bleiben. Daraus ergibt sich für die Klägerin keine Rechtsstellung, die der bezeichneten Verwertungsmöglichkeit entspricht. Die Vorentscheidung ist aufzuheben.

c) Der Senat kann abschließend entscheiden. Es sind keine anderen Feststellungen vorhanden, die ergeben, daß die Klägerin von den Eigentümern eine Rechtsstellung erlangt hatte, die deren Befugnisse hinsichtlich ihres Grundstücks überlagerten (vgl. BFH-Urteil vom 21. Dezember 1988 II B 47/88, BFHE 155, 419, BStBl II 1989, 333, unter 3.). Das FG hat die Aussage, wonach die Klägerin das Erbbaurecht für die Baufläche ganz oder teilweise selbst hätte erwerben können, aus der Vereinbarung vom 24. Mai 1968 abgeleitet, ohne daß diese dafür einen Anhaltspunkt bietet. Die Klägerin hat den Grundstückseigentümern somit Erwerber zur Bestellung eines Erbbaurechts zugeführt, ohne damit einen der in § 1 Abs. 1 GrEStG bezeichneten Tatbestände zu verwirklichen. Ihre Leistungen unterliegen nicht dem GrEStG. Sie sind damit weder nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1967 noch nach einer anderen Bestimmung steuerfrei.

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 703

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