Leitsatz (amtlich)

1. Sind an einer Personengesellschaft Personen beteiligt, die zusammen oder getrennt veranlagt werden können, und ist im Veranlagungsverfahren über ihre Zusammenveranlagung unanfechtbar entschieden worden, so ist die Zurechnung der Gewinnanteile an die Beteiligten in einem späteren einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahren (§ 215 AO) kein Umstand, der die Änderung der Zusammenveranlagung rechtfertigt.

2. Über die Zusammenveranlagung oder die getrennte Veranlagung wird nicht im einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahren, sondern im Veranlagungsverfahren entschieden.

 

Normenkette

EStG a.F. § 27; EStG § 52a; AO §§ 215, 128 Abs. 4

 

Tatbestand

Die steuerpflichtigen Eheleute (Steuerpflichtigen) und ihre im Streitjahr 1962 noch nicht 18 Jahre alten beiden Söhne sind Gesellschafter einer KG. Die Steuerpflichtigen reichten im November 1963 ihrem Wohnsitz-FA die Einkommensteuererklärungen ein. In den erklärten Gewinnen war die Summe der Gewinnanteile der Söhne je zur Hälfte enthalten. Zur selben Zeit ging beim Betriebs-FA die Gewinnerklärung der KG ein.

Ohne den Gewinnfeststellungsbescheid des Betriebs-FA abzuwarten, veranlagte das Wohnsitz-FA die Steuerpflichtigen entsprechend ihrem Antrag getrennt zur Einkommensteuer, aber zusammen mit ihren Söhnen. Diese Veranlagungen wurden am 20. März 1964 unanfechtbar. Das Betriebs-FA stellte die Gewinnanteile der Gesellschafter durch den vorläufigen Bescheid vom 4. September 1964 in der Weise fest, daß es, wie in den Vorjahren, den Gesamtgewinn auf die Steuerpflichtigen und ihre Söhne entsprechend ihrer Beteiligung an der KG aufgliederte. Die Höhe des einheitlich festgestellten Gewinns deckte sich mit dem vom Wohnsitz-FA bereits unanfechtbar veranlagten Gewinn. Das Wohnsitz-FA brauchte deshalb die unanfechtbaren Veranlagungen insoweit nicht zu ändern.

Die Steuerpflichtigen beantragten, sie für das Streitjahr 1962 von ihren beiden Söhnen getrennt zu veranlagen, nachdem das BVerfG durch die Enscheidung 1 BvL 16-25/62 vom 30. Juni 1964 (BVerfGE 18, 97, BStBl I 1964, 488) die Vorschrift des § 27 EStG über die Zusammenveranlagung von Eltern und Kindern für nichtig erklärt hatte. Sie beriefen sich auf das StÄndG vom 16. November 1964 (BGBl I 1964, 885, BStBl I 1964, 553) und das Urteil des BFH IV 357/54 U vom 10. November 1955 (BFH 61, 519, BStBl III 1955, 398). Sie führten aus, in entsprechender Anwendung des § 218 Abs. 4 AO seien die unanfechtbaren Veranlagungen der nachher ergangenen einheitlichen Gewinnfeststellung anzupassen und den Söhnen ihre Gewinnanteile gesondert zuzurechnen. Das Wohnsitz-FA lehnte den Antrag ab.

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das FG, das die Söhne der Steuerpflichtigen zum Verfahren beigeladen hatte, führte aus, § 218 Abs. 4 AO sei zwar über seinen Wortlaut hinaus auch anzuwenden, wenn die einheitliche Gewinnfeststellung erst nach der Veranlagung der Gesellschafter zur Einkommensteuer ergehe. Im Streitfall deckten sich aber die veranlagten Gewinne der Höhe nach mit den einheitlich festgestellten Gewinnen. Auch hinsichtlich der Zurechnung der Gewinne weiche der Feststellungsbescheid nicht von den Steuerbescheiden ab. Über die Zusammenveranlagung oder die getrennte Veranlagung entscheide nicht das Betriebs-FA im Feststellungsbescheid, sondern das Wohnsitz-FA bei der Veranlagung der Gesellschafter. Die Aufteilung des Gewinns der KG auf die beteiligten Gesellschafter habe nicht deren getrennte Veranlagung zur Folge. Der Tatbestand des § 218 Abs. 4 AO sei nicht erfüllt. Die Steuerpflichtigen könnten die getrennte Veranlagung nicht wegen der Nichtigkeit des § 27 EStG verlangen, da ihre Veranlagungen für das Streitjahr vor der Nichtigerklärung dieser Vorschrift unanfechtbar geworden seien.

Die Steuerpflichtigen rügen mit der Revision einen wesentlichen Verfahrensmangel und die Verletzung von Bundesrecht. Den wesentlichen Verfahrensmangel sehen sie darin, daß sich aus dem Tenor, dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen der Vorentscheidung nicht ergebe, daß das FG über die Anträge der beigeladenen Söhne förmlich entschieden habe. Bundesrecht sei dadurch verletzt, daß das FG die Zurechnung bestimmter Gewinnanteile im Feststellungsbescheid nicht als für das Veranlagungsverfahren verbindlich anerkannt habe. Der BFH habe in der Entscheidung VI 128/65 U vom 24. November 1965 (BFH 84, 365, BStBl III 1966, 131) den § 218 Abs. 4 AO erweiternd ausgelegt, während das FG die Vorschrift einschränkend auslege. Die Söhne hätten einen Anspruch auf getrennte Veranlagung ihrer Einkünfte 1962. Dieser Anspruch sei durch § 52a EStG 1965 nicht eingeschränkt worden, da die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorlägen. Ihre entsprechende Anwendung sei verfassungswidrig.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revison ist unbegründet.

Die Rüge, das FG habe über die Anträge der Beigeladenen nicht förmlich entschieden, geht fehl. Die Beigeladenen sind nach § 57 FGO am Verfahren beteiligt. Das FG hat sie als Beteiligte im Kopf des am 16. August 1966 ergangenen Urteils ausgewiesen. Durch die Urteilsformel wird die Klage abgewiesen. Diese Klageabweisung richtet sich gegen alle Beteiligten am Verfahren, also auch gegen die Beigeladenen. Den Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit sie Anträge gestellt haben (§ 135 Abs. 3 FGO). Die Söhne haben sich den Anträgen der Steuerpflichtigen angeschlossen. In der Urteilsformel wird über die Kosten der Beigeladenen entschieden. Im Sachverhalt des Urteils wird ausgeführt, die Söhne seien durch Beschluß zum Verfahren beigeladen worden; sie hätten ihr Einverständnis erklärt, daß ohne mündliche Verhandlung entschieden werde. In den Entscheidungsgründen wird bei der Erörterung der Rechtsfragen das Verhältnis der Steuerpflichtigen zu ihren Söhnen bei der Art der Veranlagung mehrfach behandelt. Da die Beigeladenen keine von den Steuerpflichtigen abweichenden Anträge gestellt haben, durfte das FG über die Anträge der Steuerpflichtigen und der Beigeladenen einheitlich entscheiden. Das Sachurteil bindet nach § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO in Verbindung mit § 57 Nr. 3 FGO auch die Beigeladenen als Beteiligte und wirkt ihnen gegenüber zu ihren Gunsten wie zu ihren Ungunsten. Eine besondere förmliche Entscheidung über die Anträge der Beigeladenen schreibt die FGO nicht vor.

Die Steuerpflichtigen wollen durch die entsprechende Anwendung des § 218 Abs. 4 AO erreichen, daß sie und ihre Söhne getrennt veranlagt werden. Nach § 218 Abs. 4 AO werden Steuerbescheide, die auf einem Feststellungsbescheid beruhen, von Amts wegen durch neue Bescheide ersetzt, wenn die in dem Feststellungsbescheid enthaltene Feststellung durch Entscheidung über den Rechtsbehelf oder aus anderen gesetzlichen Gründen geändert ist. Die an die Steuerpflichtigen ergangenen Steuerbescheide beruhen aber nicht auf einem Feststellungsbescheid. Der RFH und der BFH haben jedoch, wie das FG zutreffend ausführt, § 218 Abs. 4 AO auch für anwendbar angesehen, wenn entgegen dem regelmäßigen Verfahrensablauf die einheitliche Gewinnfeststellung erst nach der Unanfechtbarkeit der Einzelveranlagung der Beteiligten ergeht (RFH-Urteile VI A 1565/30 vom 26. August 1931, RFH 29, 297, und III A 357/33 vom 22. Februar 1934, RStBl 1934, 261; BFH-Urteile IV 357/54 U, a. a. O., und VI 210/63 U vom 6. November 1964, BFH 81, 147, BStBl III 1965, 52). Daß die Einzelveranlagungen bereits unanfechtbar abgeschlossen sind, bildet nach der Rechtsprechung kein Hindernis für eine nachfolgende einheitliche Gewinnfeststellung. Die Änderung der Einzelveranlagungen muß also auch nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Bescheide nach § 218 Abs. 4 AO zugelassen werden, ohne daß die Voraussetzungen des § 222 AO vorliegen, sofern die einheitliche Gewinnfeststellung der Einzelveranlagung entgegensteht (BFH-Urteil IV 357/54 U, a. a. O.).

Diese Auffassung ist allerdings nicht unbestritten (vgl. z. B. Leingärtner, Deutsches Steuerrecht, 1967, S. 591). Der Streitfall gibt dem Senat jedoch keinen Anlaß, zu dieser Frage abschließend Stellung zu nehmen, da in diesen Fällen § 218 Abs. 4 AO jedenfalls nur angewendet werden kann, wenn die einheitliche Feststellung des Gewinns etwas anderes ausweist als die Einzelveranlagung. Der Feststellungsbescheid des Betriebs-FA vom 4. September 1964 bestätigt jedoch die Einzelveranlagungen; die Höhe des Gesamtgewinns und die Höhe der den einzelnen Beteiligten zuzurechnenden Beträge sind unverändert geblieben.

Nach § 52a Abs. 4 EStG bleiben die vor dem 22. Juli 1964 unanfechtbar gewordenen Steuerbescheide von der Nichtigerklärung des bisherigen § 27 EStG unberührt. Eine ähnliche Rechtslage trat auf, als das BVerfG den § 26 EStG a. F. für nichtig erklärt hatte. Im Fall des BFH-Urteils I 44/59 U vom 19. Dezember 1959 (BFH 70, 247, BStBl III 1960, 91) war der einheitliche Gewinnfeststellungsbescheid, in dem die Gewinnanteile beider Ehegatten zusammemgefaßt waren, bereits vor dem 21. Februar 1957 rechtskräftig geworden, während der Einkommensteuerbescheid erst nachher unanfechtbar geworden wäre. Der BFH lehnte die Anwendung des § 218 AO ab, weil über die Frage, ob zusammenlebende Ehegatten gemäß § 26 EStG a. F. zusammen zu veranlagen waren, im Veranlagungsverfahren und nicht im einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahren zu entscheiden sei. Solange in der Einkommensteuerveranlagung noch nicht rechtskräftig über die Zusammenveranlagung entschieden war, hatte der BFH keine Bedenken, den unanfechtbar gewordenen Gewinnfeststellungsbescheid entsprechend dem Begehren der Steuerpflichtigen ergänzen zu lassen. Der BFH war der Auffassung, daß Ehegatten die Ergänzung des rechtskräftigen Feststellungsbescheids durch Zurechnung des Gewinnanteils auf beide Ehegatten aber nicht betreiben könnten, soweit sie am 20. Februar 1957 mit ihren Gewinnanteilen nach § 26 EStG a. F. bereits unanfechtbar zusammen zur Einkommensteuer veranlagt waren. In dem BFH-Urteil IV 284/59 U vom 3. August 1961 (BFH 73, 674, BStBl III 1961, 511) waren die als Gesellschafter an einer KG beteiligten Ehegatten noch vor dem 21. Februar 1957 nach § 26 EStG a. F. unanfechtbar zusammen veranlagt worden. Das Urteil sah die nachträgliche getrennte Feststellung der Gewinnanteile der Ehegatten im Jahre 1958 nicht als einen die getrennte Veranlagung der Ehegatten rechtfertigenden Umstand an. In diesem Urteil wurde ebenfalls entschieden, daß über die Voraussetzungen der Zusammenveranlagung nach § 26 EStG a. F. im Veranlagungsverfahren zu entscheiden sei.

Nach diesen Rechtsgrundsätzen, denen der Senat beitritt, hat das Wohnsitz-FA bei der Einkommensteuerveranlagung der Steuerpflichtigen nach den zur Zeit der Veranlagung geltenden Vorschriften entschieden, daß die beiden Söhne mit den Steuerpflichtigen zusammenzuveranlagen waren. Obwohl dem BVerfG bereits seit Mai 1962 die Frage vorlag, ob § 27 EStG 1951, 1953, 1955 und 1958 mit dem Grundgesetz vereinbar sei, ließen die Steuerpflichtigen ihre Veranlagungen rechtskräftig werden. Da die Rechtskraft noch vor dem 22. Juli 1964 eingetreten war, ist die nachträgliche einheitliche Gewinnfeststellung kein Umstand, der eine nachträgliche getrennte Veranlagung der Söhne rechtfertigt. § 218 Abs. 4 AO könnte nach § 52a Abs. 1 EStG nur angewendet werden, wenn der Feststellungsbescheid nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AO berichtigt worden wäre.

In dieser Behandlung des Streitfalles liegt keine einengende Auslegung des § 218 AO gegenüber seiner angeblich ausdehnenden Auslegung in der Entscheidung VI 128/65 U (a. a. O.). Im Streitfall wurde der Feststellungsbescheid weder berichtigt, noch weicht er sachlich von der Einzelveranlagung ab, so daß er keine Folgen auslösen konnte.

Zu der Rüge, die Anwendung des früheren § 27 EStG verletze den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG braucht nicht Stellung genommen zu werden. Der Senat hat bereits in seinen Vorlagebeschlüssen an das BVerfG dargelegt, daß er den § 27 EStG a. F. mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG für unvereinbar halte. Das BVerfG ist dem in seiner Entscheidung 1 BvL 16-25/62 vom 30. Juni 1964 (a. a. O.) unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 Abs. 1 GG beigetreten. Auf die Frage, ob auch aus Gründen der Steuergerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 27 EStG a. F. bestanden, brauchte das BVerfG nicht einzugehen. Die Frage kann für vor dem 22. Juli 1964 unanfechtbar gewordene Steuerbescheide wegen der die Gerichte bindenden Vorschrift des § 52a Abs. 4 EStG 1965 auch jetzt dahingestellt bleiben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67978

BStBl II 1968, 396

BFHE 1968, 406

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