Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Berechnung der Vorsteuer nach Durchschnittsätzen: Zulässigkeit des Widerrufs bzw. der Zurücknahme des Antrags bis zur formellen Bestandskraft des Bescheids, Antragstellung durch schlüssiges Verhalten, Rücknahme des Antrags durch Abgabe der Steuererklärung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Unternehmer kann einen Antrag, die abziehbaren Vorsteuerbeträge nach Durchschnittsätzen zu berechnen, (für die Vergangenheit) zurücknehmen oder (für die Zukunft) widerrufen.

2. Der Antrag kann dem FA gegenüber durch schlüssiges Verhalten gestellt werden. Entsprechendes gilt für dessen Rücknahme oder Widerruf.

3. Die Rücknahme eines Antrags auf Besteuerung nach Durchschnittsätzen ist nur bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung möglich. Unter Unanfechtbarkeit ist die formelle Bestandskraft der erstmaligen Steuerfestsetzung zu verstehen; auf deren Unabänderbarkeit kommt es nicht an.

 

Orientierungssatz

1. Im Streitfall: Schlüssige Rücknahme eines Antrags auf Vorsteuerabzug nach Durchschnittssätzen durch Abgabe einer --vom Steuerberater erstellten-- Steuererklärung, in der der Abzug der tatsächlich angefallenen Vorsteuern geltend gemacht wurde.

2. Auch eine Umsatzsteuerfestsetzung, die noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, kann unanfechtbar i.S. des § 23 Abs.3 Satz 3 UStG 1980 sein.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 164, 168; UStDV 1980 §§ 69-70; UStG 1980 § 23 Abs. 3 Sätze 1-4; UStR Abschn. 263 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Komponist und Kapellmeister, machte in seinen Umsatzsteuererklärungen bis einschließlich 1981 die nach einem allgemeinen Durchschnittsatz ermittelte Vorsteuer nach § 23 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) i.V.m. §§ 69, 70 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1980 geltend.

In seiner für das Streitjahr 1982 eingereichten Umsatzsteuererklärung, an deren Erstellung sein jetziger Prozeßbevollmächtigter mitgewirkt hatte, gab er dagegen die Summe der ihm (tatsächlich) in Rechnung gestellten Vorsteuerbeträge an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) stellte die errechnete Umsatzsteuer unverändert zum Soll und übersandte dem Kläger am 14. Juni 1984 die Abrechnung und die Zahlungsaufforderung.

In seinen Umsatzsteuererklärungen für die weiteren Streitjahre (1983 bis 1985) machte der Kläger wiederum Vorsteuerbeträge nach dem allgemeinen Durchschnittsatz geltend. Das FA ließ dagegen in den entsprechenden Umsatzsteuerbescheiden nur die --niedrigeren-- wirklich angefallenen Vorsteuerbeträge zum Abzug zu, und zwar mit der Begründung, daß die Umsatzsteuererklärung 1982 einen Widerruf des Antrags i.S. von § 23 Abs. 3 UStG 1980 enthalten habe.

Einen Antrag des Klägers vom 12. April 1985, die Steueranmeldung 1982 gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern, lehnte das FA ab.

Die Einsprüche hiergegen und gegen die Umsatzsteuerbescheide 1983 bis 1985 sowie die anschließende Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus, das FA habe zu Recht die Angabe der tatsächlich angefallenen Vorsteuerbeträge in der Umsatzsteuererklärung 1982 als Widerruf des Antrags auf Festsetzung der Vorsteuer nach Durchschnittsätzen gewürdigt und der Kläger sei für sämtliche Streitjahre an diesen Widerruf gebunden.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von § 23 UStG 1980. Zur Begründung macht er im wesentlichen geltend: Er habe mit der Umsatzsteuererklärung 1982 seinen Antrag auf Festsetzung der Vorsteuer nach Durchschnittsätzen nicht widerrufen wollen. Ihm habe das entsprechende Erklärungsbewußtsein gefehlt. Die Fiktion eines Widerrufs durch das FA müsse beseitigt werden können. Der von ihm erstrebte, in § 23 Abs. 3 UStG 1980 nicht geregelte "Widerruf des Widerrufs" müsse bis zur materiellen Bestandskraft des Bescheides möglich sein.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1982 bis 1985 mit der Maßgabe abzuändern, daß die nach Durchschnittsätzen ermittelten Vorsteuern berücksichtigt werden.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet.

1. Das FG hat --wie zuvor das FA-- die Angabe der tatsächlich angefallenen Vorsteuerbeträge in der Umsatzsteuererklärung 1982 als Widerruf des Antrags des Klägers auf Berechnung der Vorsteuerbeträge nach Durchschnittsätzen gewertet. Diese Würdigung des FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Nach § 23 Abs. 3 UStG 1980 kann der Unternehmer, bei dem die Voraussetzungen für eine Besteuerung nach Durchschnittsätzen i.S. des § 23 Abs. 1 UStG 1980 gegeben sind, beim FA bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung (§ 18 Abs. 3 und 4 UStG 1980) beantragen, nach den festgesetzten Durchschnittsätzen besteuert zu werden (Satz 1). Der Antrag kann nur mit Wirkung vom Beginn eines Kalenderjahres an widerrufen werden (Satz 2). Der Widerruf ist spätestens bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung des Kalenderjahres, für das er gelten soll, zu erklären (Satz 3). Eine erneute Besteuerung nach Durchschnittsätzen ist frühestens nach Ablauf von fünf Kalenderjahren zulässig (Satz 4).

Das Gesetz schreibt sowohl für den Antrag nach § 23 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 als auch für dessen Widerruf nach § 23 Abs. 3 Sätze 2 und 3 UStG 1980 keine besondere Form vor. Beide Erklärungen können deshalb dem FA gegenüber auch durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 1983 V R 21/78, nicht veröffentlicht --NV--, für die Wertung von Einsprüchen als Widerruf; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 23 Rz. 31, 36; Forgach in Schwarze/Reiß/ Kraeusel, Umsatzsteuergesetz, § 23 Rz. 53, 59).

b) Ob in der Abgabe einer Steuererklärung die Ausübung eines steuerrechtlichen Gestaltungsrechts gesehen werden kann, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Dezember 1985 V R 167/82, BFHE 145, 457, BStBl II 1986, 420, unter 1. b). Wie das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden hat, durfte das FA im Streitfall die Angabe der tatsächlich angefallenen Vorsteuerbeträge in der Umsatzsteuererklärung 1982 als (stillschweigenden) Widerruf i.S. des § 23 Abs. 3 Sätze 2 und 3 UStG 1980 werten (vgl. auch Stadie, a.a.O., § 23 Rz. 36; Forgach, a.a.O., § 23 Rz. 59). Da die unter Mitwirkung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers angefertigte Umsatzsteuererklärung 1982 in der Rubrik "abziehbare Vorsteuerbeträge" nicht mehr wie in den Steuererklärungen der Vorjahre den Zusatz "3 % v. 67724,-" (1980) bzw. "nach Durchschnittsätzen 3 % v. 85191 DM" (1981) enthielt, sondern dort nunmehr --wenn auch geringere-- Vorsteuerbeträge ohne einen erkennbaren Bezug zur Höhe der steuerpflichtigen Umsätze angegeben worden waren, konnte dies als Widerruf des Antrags auf Durchschnittsatzbesteuerung verstanden werden. Die Mitwirkung eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe bei der Anfertigung der Steuererklärung gab einen Anhalt dafür, daß insoweit kein Irrtum vorlag (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 145, 457, BStBl II 1986, 420, unter 1. b), zumal auch die --erklärungsgemäße-- Abrechnung des FA vom 14. Juni 1984 widerspruchslos hingenommen worden ist.

Die Würdigung des FG mit diesem Ergebnis ist möglich und entspricht den gesetzlichen Auslegungsregeln sowie den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen. Sie ist deshalb für den erkennenden Senat bindend; darauf, ob sie zwingend ist, kommt es nicht an (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 118 Rz. 17, m.w.N.).

Soweit der Kläger demgegenüber einwendet, er habe gar keine Widerrufserklärung abgeben wollen, ist dies rechtlich unerheblich. Da das Erklärungsbewußtsein kein notwendiger Bestandteil der Willenserklärung ist, kann schlüssiges Verhalten auch dann als Willenserklärung gewertet werden, wenn der Handelnde an die Möglichkeit einer solchen Wertung nicht gedacht hat, sofern er --wie im Streitfall-- bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen konnte, daß sein Verhalten als Willenserklärung aufgefaßt werden durfte und der Erklärungsempfänger es auch tatsächlich so verstanden hat (vgl. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 56. Aufl., § 133 Rz. 11, m.w.N.).

2. Das FG hat ferner zutreffend entschieden, daß der Kläger an seinen Widerruf --für sämtliche Streitjahre-- gebunden war.

Ein Antrag nach § 23 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 kann nicht nur gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 2 und 3 UStG 1980 --für die Zukunft-- widerrufen, sondern auch --insofern in § 23 Abs. 3 UStG 1980 nicht ausdrücklich geregelt, aber vom Gesetzgeber sinngemäß zugelassen-- für das Kalenderjahr, für das der Antrag nach § 23 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 gestellt worden ist, zurückgenommen werden, sofern die entsprechende Steuerfestsetzung (§ 18 Abs. 3 und 4 UStG 1980) noch nicht unanfechtbar ist (vgl. Sölch/ Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 23 Rz. 60; Stadie, a.a.O., Rz. 37; Forgach, a.a.O., Rz. 61; Abschn. 263 Abs. 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien).

Dabei kommt es entgegen der Ansicht des Klägers nicht auf die materielle, sondern auf die --im Streitfall nach den Feststellungen des FG eingetretene-- formelle Bestandskraft der Steuerfestsetzung für 1982 an. Davon ist der BFH in einem vergleichbaren Fall der Rücknahme einer Option zur Regelbesteuerung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG 1980 ausgegangen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 145, 457, BStBl II 1986, 420, unter 2. b). Dies gilt auch für die Rücknahme eines Antrags nach § 23 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 (vgl. Sölch/Ringleb/List, a.a.O., Rz. 59 f.; Stadie, a.a.O., Rz. 32, 37; Forgach, a.a.O., Rz. 54, 61). Da der Unternehmer gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 "bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung (§ 18 Abs. 3 und 4) beantragen" kann, nach den festgesetzten Durchschnittsätzen besteuert zu werden, wird durch die Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung zugleich das zeitliche Ende der Möglichkeit bestimmt, einen solchen Antrag zurückzunehmen. Eine Steuerfestsetzung ist unanfechtbar, wenn sie nicht oder nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen angefochten werden kann; auf die Unabänderbarkeit kommt es dabei nicht an (vgl. BFH-Urteil in BFHE 145, 457, BStBl II 1986, 420, unter 2. b). Deshalb können Steuerfestsetzungen unanfechtbar, also formell bestandskräftig, werden, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen (§ 164 AO 1977). Das gilt auch für Steueranmeldungen, die --wie im Streitfall-- einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen (§ 168 AO 1977) und daher wie diese änderbar sind.

Diese Auslegung wird durch den Klammerzusatz in § 23 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 "(§ 18 Abs. 3 und 4)" bestätigt. Der Hinweis (auch) auf die in § 18 Abs. 3 UStG 1980 geregelte --gemäß § 168 i.V.m. § 164 Abs. 2 AO 1977 kraft Gesetzes änderbare-- Steueranmeldung macht deutlich, daß es für die Unanfechtbarkeit i.S. des § 23 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 nicht auf die Änderbarkeit ankommen soll.

Entsprechendes gilt für die vom Kläger erstrebte Rücknahme seines (stillschweigenden) Widerrufs des Antrags auf Berechnung der Vorsteuerbeträge nach Durchschnittsätzen. Sie scheitert an der formellen Bestandskraft der Steuerfestsetzung für 1982.

Daraus folgt, daß der Kläger auch für die übrigen Streitjahre (1983 bis 1985) gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 UStG 1980 an seinen Widerruf gebunden war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66534

BFH/NV 1998, 803

BFH/NV 1998, 803-804 (Leitsatz und Gründe)

BStBl II 1998, 420

BFHE 185, 82

BFHE 1998, 82

BB 1998, 1043

BB 1998, 526

DB 1998, 503

DStRE 1998, 317

DStRE 1998, 317-319 (Leitsatz und Gründe)

DStZ 1998, 687

DStZ 1998, 687-688 (Leitsatz und Gründe)

HFR 1998, 395

StE 1998, 151

StRK, R.4 (Leitsatz und Gründe)

LEXinform-Nr. 0145271

GStB 1998, Beilage zu Nr 5 (Leitsatz)

UVR 1998, 322 (Leitsatz)

UStR 1998, 199-200 (Leitsatz und Gründe)

NWB-DokSt 1999, 381

stak 1998

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