Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung: Begründung der Ermessensentscheidung

 

Leitsatz (NV)

1. Eine nicht begründete Ermessensentscheidung der Verwaltung ist im Regelfall rechtsfehlerhaft. Das gilt auch in Fällen, in denen ein Auswahlermessen auszuüben ist, weil mehrere Geschäftsführer als Haftende in Betracht kommen.

2. Von einer Vorprägung der Ermessensentscheidung durch die Verwirklichung des Haftungstatbestands in erschwerter Verschuldensform und einer daran anknüpfenden stillschweigend sachgerechten Ermessensausübung des FA kann nur dann ausgegangen werden, wenn das FA selbst bei seiner Entscheidung über den Haftungstatbestand von einem schweren Verschulden des Haftungsschuldners ausgegangen ist.

3. Das FG ist nicht befugt, eigene Ermessenserwägungen anzustellen und sie an die Stelle der (fehlenden) Ermessensausübung durch die Verwaltung zu setzen.

 

Normenkette

AO §§ 103, 109 Abs. 1, § 118 S. 1; FGO § 102

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und der österreichische Staatsangehörige P waren Gesellschafter einer GmbH, die einen . . .betrieb unterhielt. Beide waren jeweils einzelvertretungsbefugte Geschäftsführer und am Stammkapital der Gesellschaft (20 000 DM) je zur Hälfte beteiligt. Die GmbH stand seit Anfang 1973 wegen der Stundung von Steuerrückständen in ständigen Verhandlungen mit dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -), die der Kläger für sie führte. Ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH wurde vom zuständigen Amtsgericht durch Beschluß vom 17. Mai 1976 mangels einer den Kosten des Verfahrens entsprechenden Konkursmasse abgelehnt. Die GmbH ist inzwischen aufgelöst und von Amts wegen im Handelsregister gelöscht worden.

Das FA nahm den Kläger als Geschäftsführer durch Haftungsbescheid vom 30. Juni 1976 wegen angemeldeter, aber nicht an das FA abgeführter Lohnsteuern der GmbH für die Monate November 1975 bis Februar 1976 einschließlich aufgelaufener Säumniszuschläge gemäß §§ 103, 109 der Reichsabgabenordnung (AO), § 6 Abs. 3 des Steuersäumnisgesetzes (StSäumG) in Anspruch. Der Einspruch des Klägers wurde unter Herabsetzung der Haftungssumme im wesentlichen als unbegründet zurückgewiesen. Das FA führte in der Einspruchsentscheidung u. a. aus, für die Haftung nach § 109 AO genüge jedes schuldhafte Verhalten. Der Kläger hafte nach dieser Vorschrift, weil er die Steuerabzugsbeträge ,,schuldhaft" nicht an das FA abgeführt habe. Die Einspruchsentscheidung enthält keine Ausführungen zur Ermessensausübung des FA.

Mit der Klage machte der Kläger u. a. geltend, es sei ermessensfehlerhaft, daß das FA nur ihn, nicht aber auch den anderen Geschäftsführer der GmbH zur Haftung herangezogen habe. Er sei innerhalb der GmbH für den technischen Bereich, die Organisation an den Arbeitsstellen und die Kundenakquisition zuständig gewesen; der kaufmännische Bereich und die Überwachung der Buchhaltung hätten dagegen zu den Aufgaben des anderen Geschäftsführers gehört.

Das Finanzgericht (FG) beschränkte die Haftung des Klägers für den vom FA angenommenen Haftungszeitraum auf Steuerabzugsbeträge in Höhe von insgesamt 46 514 DM und wies die Klage im übrigen ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe den Haftungstatbestand der §§ 103, 109 AO erfüllt. Für den Fall, daß die Mittel der GmbH zur Zahlung der vollen Arbeitslöhne - einschließlich des Steueranteils - nicht ausgereicht hätten, ergebe sich seine schuldhafte Pflichtverletzung daraus, daß er die ausgezahlten Löhne nicht entsprechend gekürzt und das FA und die Arbeitnehmer nicht anteilig befriedigt habe.

Der Einwand, er sei im wesentlichen nur für den technischen Bereich der GmbH zuständig gewesen, befreie den Kläger nicht von der Haftung. Das Gericht gehe zwar von der behaupteten Aufgabenverteilung zwischen den GmbH-Geschäftsführern aus und sehe deshalb von der hierzu beantragten Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen ab. Das eigene Vorbringen und das tatsächliche Verhalten des Klägers zeige aber, daß die Trennung der Zuständigkeiten in einen kaufmännischen und einen technischen Bereich der GmbH nicht streng durchgeführt worden sei. Denn der Kläger habe sich auch ständig um die kaufmännischen und insbesondere um die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH gekümmert, wie sich aus seinen häufigen Schreiben an das FA, den von ihm geführten Stundungsverhandlungen und der Unterzeichnung von Forderungsabtretungen an das FA und Lohnsteuer-Anmeldungen ergebe. Wegen seiner Kenntnis von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten und den Steuerrückständen der GmbH sei der Kläger schließlich auch dann verpflichtet gewesen, für die Einbehaltung und Abführung der Steuerabzugsbeträge zu sorgen, wenn er ausschließlich technischer Geschäftsführer gewesen sein sollte.

Unter diesen Gesichtspunkten - Auftreten des Klägers in steuerlichen Angelegenheiten der GmbH - habe das FA sein Auswahlermessen hinsichtlich der Inanspruchnahme der beiden Geschäftsführer nicht fehlerhaft ausgeübt. Hinzu komme, daß der Geschäftsführer P Ausländer sei und im Ausland seinen Hauptwohnsitz habe, so daß ihm gegenüber eine Haftungsinanspruchnahme äußerst erschwert gewesen wäre.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das FG habe seine Verpflichtung zur Sachverhaltsermittlung (§ 76 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) verletzt, indem es die beantragte Beweisaufnahme zur Frage der Geschäftsverteilung zwischen den beiden GmbH-Geschäftsführern nicht durchgeführt habe. Es habe ferner zu Unrecht ein Verschulden des Klägers i. S. des § 109 AO angenommen. Diese Vorschrift setze Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus. Er - der Kläger - habe von einer Verpflichtung zur Kürzung der Löhne bei nicht ausreichenden Mitteln nichts gewußt. Die Nichtentrichtung der Lohnsteuer sei darauf zurückzuführen, daß die Bank, an die alle Außenstände der GmbH abgetreten gewesen seien, nach eigenem Gutdünken über die eingehenden Gelder, die seiner Verfügungsmöglichkeit entzogen gewesen seien, verfügt habe. Er habe aber aufgrund der hohen Außenstände davon ausgehen können, daß die Forderungen des FA beglichen würden.

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie des Haftungsbescheids in der Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

1. Das FG ist im Streitfall zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger als Geschäftsführer der GmbH mit der Nichtabführung der Steuerabzugsbeträge den Haftungstatbestand der §§ 103, 109 Abs. 1 AO erfüllt hat. Seine Ausführungen entsprechen insoweit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats. Der Senat nimmt deshalb, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die Urteilsbegründung des FG Bezug. Ergänzend verweist er zu den angesprochenen Rechtsfragen - a) Verpflichtung zur anteiligen Befriedigung des FA und der Arbeitnehmer im Wege der Kürzung der auszuzahlenden Löhne bei nicht ausreichenden Mitteln der GmbH, b) Verpflichtung eines jeden kaufmännischen Leiters eines Gewerbebetriebs, sich über die (steuer-) gesetzlichen Vorschriften zu informieren und diese zu beachten, c) Haftung nach § 109 AO auch bei leichter Fahrlässigkeit, d) keine Entlastung des Geschäftsführers bei Auswahl der geleisteten Zahlungen durch die kreditgebenden Banken - auf seinen Beschluß vom 17. Juli 1984 VII S 9/84 (BFH/NV 1986, 583, mit weiteren Rechtsprechungshinweisen) und e) hinsichtlich des Grundsatzes der Gesamtverantwortung bei der Bestellung mehrerer Geschäftsführer und interner Aufgabenverteilung innerhalb der GmbH auf seinen Beschluß vom 4. März 1986 VII S 33/85 (BFHE 146, 23, BStBl II 1986, 384, m. w. N.)

2. Der Senat vermag aber den Ausführungen des FG über die Ermessensentscheidung des FA nicht zu folgen. Im Streitfall war die GmbH während des Haftungszeitraums durch zwei Geschäftsführer gesetzlich vertreten. Es kommt deshalb neben der Haftung des Klägers auch eine solche des anderen Geschäftsführers in Betracht. Da dieser nach der Aufgabenverteilung innerhalb der GmbH in erster Linie für deren kaufmännischen Bereich zuständig war, hat auch er - unbeschadet einer schuldhaften Pflichtverletzung durch den Kläger - mit der Nichtabführung der Lohnsteuern den Haftungstatbestand der §§ 103, 109 Abs. 1 AO verwirklicht. Die beiden Geschäftsführer sind Gesamtschuldner, da sie nebeneinander für die verkürzten Steuerabzugsbeträge haften (§ 7 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -, § 44 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Das FA hat die Wahl, an welchen Gesamtschuldner es sich halten will, nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der durch Recht und Billigkeit gezogenen Grenzen zu treffen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Januar 1972 VI R 187/68, BFHE 104, 294, BStBl II 1972, 364, und vom 24. Oktober 1979 VII R 7/77, BFHE 129, 13, BStBl II 1980, 58). Das FG hat verkannt, daß der angefochtene Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung deshalb rechtswidrig sind, weil sie über die Ermessenserwägungen des FA keinen Aufschluß geben.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen bei Ausübung des Verwaltungsermessens die angestellten Erwägungen, die Abwägung des Für und Wider der sich gegenüberstehenden Belange, aus der Entscheidung erkennbar sein. Nur in Ausnahmefällen kann von der Begründung der Ermessensentscheidung abgesehen werden, und zwar im wesentlichen nur dann, soweit dem Betroffenen die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne schriftliche Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist (vgl. § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977, und Urteil vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493).

Der angefochtene Haftungsbescheid und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung enthalten keine Ausführungen des FA zur Frage der Ermessensausübung. Auf eine Begründung der Ermessensentscheidung hätte das FA allenfalls dann verzichten können, wenn diese Entscheidung durch die Rechtsentscheidung gewissermaßen vorgeprägt gewesen wäre, die Ermessenserwägung des FA also z. B. aus dem Maß des Verschuldens des Klägers als Haftungsschuldner, das aus der rechtlichen Begründung ersichtlich ist, mit einer jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit hätte abgelesen werden können (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508). Von einer Vorprägung der Ermessensentscheidung durch die Tatbestandsverwirklichung in erschwerter Verschuldensform und einer daran anknüpfenden stillschweigend sachgerechten Ermessensausübung des FA kann in Anwendung des vorstehend genannten BFH-Urteils nur dann ausgegangen werden, wenn das FA selbst bei seiner Entscheidung über den Haftungstatbestand von einem schweren Verschulden (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) des Haftungsschuldners ausgegangen ist. Im Streitfall hat aber das FA sowohl im Haftungsbescheid als auch in der Einspruchsentscheidung gegen den Kläger lediglich den Vorwurf ,,schuldhafter" Pflichtverletzung erhoben, ohne den Verschuldensvorwurf näher zu qualifizieren. In diesem Falle bedurfte es einer Darlegung der Ermessenserwägungen, um die Ermessensbetätigung der Verwaltung gemäß § 102 FGO richterlich überprüfen zu können. Das hat das FG nicht beachtet.

Da das FG nach § 102 FGO die Ermessensentscheidung des FA nur auf eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehlgebrauch hin zu überprüfen hat, ist es nicht befugt, eigene Ermessenserwägungen anzustellen und sie an die Stelle der (fehlenden) Ermessensausübung durch die Verwaltung zu setzen (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 102 Anm. 8). Es ist deshalb unerheblich, ob die in dem angefochtenen Urteil angestellten Erwägungen des FG zur Richtigkeit des Auswahlermessens - Auftreten des Klägers in steuerlichen Angelegenheiten der GmbH gegenüber dem FA, ausländische Staatsangehörigkeit und ausländischer Wohnsitz des anderen Geschäftsführers - die Ermessensentscheidung der Verwaltung, allein den Kläger in Anspruch zu nehmen, rechtfertigen könnten. Da in den Verwaltungsentscheidungen jegliche Ausführungen zum Auswahlermessen fehlen, kann nicht ausgeschlossen werden, daß das FA überhaupt keine Erwägungen zur Frage der Inanspruchnahme des anderen Geschäftsführers angestellt und damit für die Ermessensentscheidung wesentliche Umstände außer acht gelassen hat (Fall der Ermessensunterschreitung, vgl. Gräber, a. a. O., § 102 Anm. 6).

Wegen der fehlenden Begründung der Ermessensentscheidung waren sowohl der Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung als auch das Urteil des FG, das dieses Erfordernis verkannt hat, aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414852

BFH/NV 1987, 361

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