Entscheidungsstichwort (Thema)

In 2001 erzielte Gewinne eines Betriebs gewerblicher Art ohne eigene Rechtspersönlichkeit keine Einkünfte aus Kapitalvermögen

 

Leitsatz (amtlich)

Gewinne eines Betriebes gewerblicher Art ohne eigene Rechtspersönlichkeit, die im ersten Wirtschaftsjahr der Anwendung des neuen Körperschaftsteuerrechts erzielt werden, führen nicht zu Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 i.d.F. des StSenkG vom 23. Oktober 2000.

 

Normenkette

EStG 1997 § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a, b, § 43 Abs. 1 Nr. 7c, § 43a Abs. 1 Nr. 6, § 52 Abs. 37a; KStG § 4; StSenkG

 

Verfahrensgang

FG Münster (Entscheidung vom 19.10.2005; Aktenzeichen 10 K 6838/03 Kap; EFG 2006, 192)

 

Tatbestand

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes 1997 i.d.F. des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz) vom 23. Oktober 2000 (BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428) --EStG 1997-- bereits für im Wirtschaftsjahr 2001 erzielte Gewinne eines Betriebes gewerblicher Art (BgA) anzuwenden ist und ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Stadt, führte in 2001 einen BgA "Bäder" ohne eigene Rechtspersönlichkeit i.S. des § 4 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG). Die Bilanz des BgA wies zum 31. Dezember 2001 einen Jahresüberschuss von 20 152 966,05 DM (10 304 047 €) aus.

Die Klägerin reichte im Dezember 2002 zunächst eine Kapitalertragsteueranmeldung ausgehend von Kapitalerträgen in Höhe von 10 304 047 € ein. Dementsprechend meldete sie Kapitalertragsteuer von 1 030 404 € und einen Solidaritätszuschlag von 56 672,24 € an. Im November 2004 reichte sie eine geänderte Kapitalertragsteueranmeldung über 927 389 € Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag von 51 006,42 € ein, welcher der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) zustimmte.

Die dagegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) Münster mit Urteil vom 19. Oktober 2005  10 K 6838/03 Kap ab. Das Urteil ist mit seinem Leitsatz in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 192 und mit seinen Gründen in Versorgungswirtschaft 2006, 256 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das Urteil des FG und die durch die Anmeldung vom 4. November 2004 bewirkte Kapitalertragsteuerfestsetzung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Revisionsverfahren beigetreten. Es hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Stattgabe der Klage.

I. Das FG hat die Klage zutreffend für zulässig erachtet. Der Einspruch der Klägerin enthielt zwar die Formulierung, dass er sich gegen die Kapitalertragsteueranmeldung 2001 richtet. Da eine derartige Kapitalertragsteueranmeldung aber nicht existiert und sich die Begründung inhaltlich auf die Kapitalertragsteueranmeldung Dezember 2002 bezog, kann der Einspruch nur so verstanden werden, dass er auch die letztere betraf: Angefochten werden sollte die Anmeldung Dezember 2002, diese allerdings bezogen auf den Gewinn des BgA aus 2001. So wurde er von den Beteiligten auch aufgefasst, unbeschadet dessen, dass sowohl die Einspruchsentscheidung als auch das Urteil des FG im Rubrum ebenfalls die Kapitalertragsteuer 2001 ausweisen; materiell betreffen sie jedoch die Kapitalertragsteuer für Dezember 2002. Es handelt sich insoweit lediglich um offensichtlich falsche Bezeichnungen, die im Revisionsverfahren durch den Senat richtiggestellt werden können.

II. Das FG hat aber zu Unrecht angenommen, dass § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 bereits auf den Gewinn des BgA "Bäder" des Jahres 2001 anzuwenden ist.

1. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen der durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte Gewinn eines nicht von der Körperschaftsteuer befreiten BgA i.S. des § 4 KStG ohne eigene Rechtspersönlichkeit, soweit er nicht den Rücklagen zugeführt wird (Satz 1). Die Auflösung der Rücklagen zu Zwecken außerhalb des BgA führt nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 2 EStG 1997 zu einem Gewinn i.S. des Satzes 1. Die juristische Person des öffentlichen Rechts unterliegt mit diesen Kapitaleinkünften einer Kapitalertragsteuer in Höhe von 10 v.H. (§ 43 Abs. 1 Nr. 7c i.V.m. § 43a Abs. 1 Nr. 6 EStG 1997).

Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es --anders als nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a EStG 1997-- nicht auf den tatsächlichen Zufluss oder die Verwendung des Gewinns an. Vielmehr führt der Gewinn des Wirtschaftsjahres, sofern er nicht den Rücklagen zugeführt wird, zu Einkünften der Trägerkörperschaft aus Kapitalvermögen. Die Vorschrift enthält eine Ausschüttungsfiktion (Kessler/Fritz/Gastl, Betriebs-Berater --BB-- 2002, 1512; Reich/Helios, BB 2001, 1442; Engelsing/Muth, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2003, 917), da aufgrund der fehlenden rechtlichen Selbständigkeit des BgA eine tatsächliche Gewinnausschüttung an die Trägerkörperschaft nicht erfolgen kann (BTDrucks 14/2683, S. 114, 115). Zweck der Vorschrift ist es, u.a. juristische Personen des öffentlichen Rechts mit ihren wirtschaftlichen Betätigungen aus rechtlich unselbständigen BgA im Ergebnis derselben Steuerbelastung zu unterziehen wie andere Steuersubjekte (BTDrucks 14/2683, S. 114).

2. Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 sind danach zwar im Streitfall erfüllt, denn die Klägerin hat den durch Betriebsvermögensvergleich ermittelten Gewinn des BgA "Bäder" des Wirtschaftsjahres 2001 nicht den Rücklagen zugeführt. Die Vorschrift ist jedoch im Streitfall noch nicht anwendbar. Nach § 52 Abs. 37a Satz 2 EStG 1997 ist § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 nämlich erstmals auf Gewinne anzuwenden, die nach Ablauf des ersten Wirtschaftsjahres des BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit erzielt werden, für das das Körperschaftsteuergesetz i.d.F. des Art. 3 des Steuersenkungsgesetzes erstmals anzuwenden ist. Hieraus folgt, dass Gewinne eines BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit, die im ersten Wirtschaftsjahr der Anwendung des neuen Körperschaftsteuerrechts erzielt werden, nicht zu Einkünften nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 führen.

a) Das neue Körperschaftsteuerrecht gilt in Fällen, in denen --wie hier-- das Wirtschaftsjahr mit dem Kalenderjahr übereinstimmt, erstmals für den Veranlagungszeitraum 2001. § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 ist demnach noch nicht auf Gewinne anzuwenden, die im Jahr 2001 erzielt wurden.

b) Der Gewinn der Trägerkörperschaft i.S. des 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 und der Gewinn des BgA werden, da BgA und Trägerkörperschaft rechtlich identisch sind, zeitgleich bezogen (gl.A. Wassermeyer in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz JB 5; a.A. Bayerisches Landesamt für Steuern, Verfügung vom 8. September 2005, Der Betrieb --DB-- 2005, 2217; Steffen, DStR 2000, 2025; Schiffers, BB 2003, 398, 403 f.; Engelsing/Muth, DStR 2003, 917, 920 f.; Seemann in Frotscher, EStG, 6. Aufl., § 20 Rz 148c; Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz 461; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz 335; Feyerabend in Erle/Sauter, KStG, 2. Aufl., § 20 EStG Rz 117). Ob der Gesetzgeber den Begriff "Gewinn" in § 52 Abs. 37a Satz 2 EStG 1997 aus Sicht des BgA oder der Trägerkörperschaft definiert, kann daher dahingestellt bleiben. Eine abweichende Beurteilung wäre nur dann möglich, wenn entweder § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 oder eine andere Vorschrift eine hiervon abweichende Zuflussfiktion enthielten. Dies ist jedoch nicht der Fall.

aa) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen der Gewinn des BgA, soweit er nicht den Rücklagen zugeführt wird. Die Vorschrift enthält eine Ausschüttungsfiktion, jedoch keine Aussage über den Zeitpunkt, in dem die Einkünfte erzielt werden. Zwar steht die Höhe des Gewinns des BgA erst mit Ablauf des Wirtschaftsjahres fest und kann erst danach entschieden werden, in welcher Höhe der Gewinn in eine Rücklage gestellt wird. Dies geschieht regelmäßig zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung (Bilanzfeststellung). Daraus folgt jedoch nicht, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen erst zu diesem Zeitpunkt als bezogen gelten. Insofern besteht kein Unterschied zu Bilanzwahlrechten, die erst mit Bilanzerstellung ausgeübt werden. Auch diese verändern rückwirkend die Höhe des Gewinns des abgelaufenen Wirtschaftsjahres, ändern an der zeitlichen Zuordnung des Gewinns jedoch nichts.

Das BMF weist zutreffend darauf hin, dass nach ständiger Senatsrechtsprechung die Vermögenssphären der Trägerkörperschaft und ihrer BgA entsprechend den Grundsätzen gegeneinander abzugrenzen sind, die im Verhältnis einer Kapitalgesellschaft zu ihrem Alleingesellschafter gelten (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 25. Januar 2005 I R 8/04, BFHE 209, 199, BStBl II 2006, 190, m.w.N.), und dass der Anspruch des Mehrheitsgesellschafters einer Kapitalgesellschaft auf den Gewinn der Gesellschaft nicht mit Ablauf des Wirtschaftsjahres der Gesellschaft, sondern erst mit dem Ausschüttungsbeschluss entsteht (BFH-Beschluss vom 7. August 2000 GrS 2/99, BFHE 192, 339, BStBl II 2000, 632). Diese parallele Betrachtung von Kapitalgesellschaften und ihren Mehrheitsgesellschaftern einerseits und Trägerkörperschaften und ihren BgA andererseits, die der Abgrenzung der steuerfreien Vermögenssphäre der Trägerkörperschaft von dem steuerlich relevanten Bereich des BgA dient, gilt jedoch nicht ausnahmslos. Vielmehr können aus dem Umstand, dass es sich in dem einen Fall um ein Rechtssubjekt, im anderen Fall dagegen um mehrere Rechtssubjekte handelt, abweichende Folgerungen hinsichtlich des Zeitpunkts der Erzielung von Einkünften gezogen werden. So gesehen bedarf es einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung, an der es aber in § 20 EStG 1997 fehlt.

bb) Auch § 44 Abs. 6 Satz 2 EStG 1997 enthält keine solche Fiktion über den Zeitpunkt des Zuflusses. Danach entsteht die Kapitalertragsteuer im Zeitpunkt der Bilanzerstellung, spätestens jedoch acht Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres. Geregelt wird damit ausschließlich die Entstehung der Steuer, nicht jedoch der Zeitpunkt des fiktiven Zuflusses der Kapitaleinkünfte. Im Übrigen erfordert § 44 Abs. 6 EStG 1997 einen Fall des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c EStG 1997, was wiederum Kapitalerträge nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 voraussetzt, die es --wie vorstehend dargelegt-- aber erst für Leistungen aus dem Gewinn eines BgA für 2002 gibt.

cc) Da weder § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 noch anderweitig der Zuflusszeitpunkt der Einkünfte bestimmt wird und sich weder aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens zu § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG 1997 noch zu dessen erstmaliger Anwendung ein hiervon abweichendes Verständnis des Gesetzgebers ableiten lässt, bezieht die Trägerkörperschaft die Einkünfte aus Kapitalvermögen zeitgleich mit den Einkünften aus Gewerbebetrieb ihres BgA.

c) Nach § 52 Abs. 37a Satz 2 EStG 1997 ist demnach bei kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr erstmals der vom BgA erzielte Gewinn des Jahres 2002 als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu versteuern. Dies führt zwar im Ergebnis zu einer zeitlich unterschiedlichen Erfassung der Gewinne eines BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit und derjenigen eines BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit. Denn nach § 52 Abs. 37a Satz 1 EStG 1997 ist § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a EStG 1997 erstmals auf Leistungen anzuwenden, die nach Ablauf des ersten Wirtschaftsjahres des BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit erzielt werden, für das das neue Körperschaftsteuerrecht gilt. Dies bedeutet, dass die Vorschrift bei kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr erstmals Leistungen erfasst, die der Trägerkörperschaft 2002 zufließen. Da --von Vorabausschüttungen abgesehen-- der Gewinn eines BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit der Trägerkörperschaft frühestens im Folgejahr zufließt, ist demnach bereits der im Jahr 2001 erzielte Gewinn eines BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit, sobald er der Trägerkörperschaft zufließt, von der Trägerkörperschaft als Kapitaleinkünfte zu versteuern. Diese unterschiedliche Behandlung gründet aber darin, dass es sich in dem einen Fall um zwei Steuersubjekte und in dem anderen um das nämliche Steuersubjekt handelt. Eine völlige Gleichbehandlung der Gewinne von BgA mit und ohne eigene Rechtspersönlichkeit ist schon deshalb nicht möglich, weil das Ausschüttungsverhalten eines BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit und damit das Entstehen von Einkünften aus Kapitalvermögen gesteuert werden kann, der Gewinn eines BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit dagegen der Trägerkörperschaft unmittelbar zufließt.

3. Das FG ist von anderen rechtlichen Grundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist daher aufzuheben und der Klage stattzugeben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1785649

BFH/NV 2007, 1988

BStBl II 2007, 841

BFHE 2008, 327

BFHE 218, 327

BB 2007, 1998

DB 2007, 2015

DStR 2007, 1573

DStRE 2007, 1213

DStZ 2007, 612

HFR 2007, 1124

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