Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Berufsausbildung wird durch die Einberufung zum Wehrdienst unterbrochen, wenn der Wehrdienstpflichtige sein vorgestecktes Berufsziel nicht erreicht hat, es aber noch ernstlich anstrebt. 2. Nach der Einberufung eines Sohnes zum Wehrdienst steht den Eltern ein Kinderfreibetrag zu, wenn sie die Ausbildungskosten vor der Einberufung in einer Zeit, die zur eigentlichen Berufsausbildung rechnet, im wesentlichen getragen haben. Wenn der Sohn vor der Einberufung zur überbrückung eine Zeitlang gegen Entgelt gearbeitet hat, so ist diese Zeit außer Betracht zu lassen. Soweit in Abschn. 45 Abs. 6 LStR 1960 (Abschn. 180 EStR 1960) eine andere Rechtsauslegung enthalten ist, tritt der Senat ihr nicht bei.

 

Normenkette

EStG § 32/2/2/a/aa; LStDV § 18a/1/1/b

 

Tatbestand

Der im Jahre 1939 geborene Sohn des Bf. will Elektroingenieur werden. Nach Abschluß seiner Lehre vom 1. Juni 1956 bis 30. November 1959 ließ ihn der Bf. bei einer staatlichen Ingenieurschule zum Studium vormerken. Das zum Studium erforderliche Vorpraktikum leistete der Sohn in der Zeit vom 1. Januar 1960 bis 30. Juni 1960 ab; in dieser Zeit erhielt er eine Praktikantenvergütung von 110 DM monatlich. In der Zeit vom 1. Juli bis 30. September 1960 verdiente er als Monteur 400 DM monatlich. Am 3. Oktober 1960 wurde er zum Wehrdienst einberufen.

Das Finanzgericht lehnte unter Berufung auf Abschn. 45 Abs. 6 Sätze 2-4 LStR 1960 für 1961 die vom Bf. gemäß § 32 Abs. 2 Ziff. 2 a Buchst. bb EStG 1960 (ß 18 a Abs. 1 Ziff. 1 b LStDV 1960) beantragte Kinderermäßigung ab, weil der Sohn in den letzten vier Monaten vor der Einberufung durchschnittlich 330 DM monatlich verdient habe. Der Bf. als Vater habe daher vor der Einberufung die Kosten für den Unterhalt und die Berufsausbildung des Sohnes nicht im wesentlichen getragen.

Der Bf. meint dagegen, es könne nicht auf den Arbeitsverdienst des Sohnes in den letzten vier Monaten vor der Einberufung abgestellt werden. Die Verwaltungsanweisung in Abschn. 45 Abs. 6 Sätze 2 bis 4 LStR 1960, die die Kinderermäßigung davon abhängig mache, ob der Steuerpflichtige den Unterhalt entweder im letzten Monat oder wenigstens vier Monate vor der Einberufung seines Sohnes überwiegend getragen habe, widerspreche dem Gesetz.

Der Bundesminister der Finanzen, der auf Ersuchen des Senats dem Verfahren gemäß § 287 Ziff. 2 AO beigetreten ist, nimmt eine Unterbrechung der Berufsausbildung durch die Einberufung zur Wehrmacht auch in den Fällen an, in denen der Sohn vor der Einberufung vorübergehend in einem nicht durch die Berufsausbildung geforderten Arbeitsverhältnis gegen vollen Lohn gestanden hat. Der Bundesminister der Finanzen will deshalb Zeiten einer vorgeschriebenen praktischen Ausbildung gegen volles Arbeitsentgelt oder Zeiten einer übergangsbeschäftigung als in die Ausbildungszeit eingebettete besondere Zeiten behandeln. Er hält es also für die Gewährung des Kinderfreibetrages für ausreichend, daß der Steuerpflichtige - abgesehen von diesen besonderen Zeiten - vor der Einberufung die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung im wesentlichen getragen hat. An der abweichenden Auffassung in Abschn. 45 Abs. 6 LStR 1960 hält der Bundesminister der Finanzen, wie er erklärt hat, nicht mehr fest.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Steuerpflichtigen ist begründet.

Nach § 32 Abs. 2 Ziff. 2 a Buchst. bb EStG 1960 (ß 18 a Abs. 1 Ziff. 1 b LStDV 1960) werden dem Steuerpflichtigen Kinderfreibeträge auf Antrag gewährt für Kinder, die im Veranlagungszeitraum mindestens vier Monate das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet und während dieser Zeit Wehrdienst (Ersatzdienst) geleistet haben, wenn die Berufsausbildung durch die Einberufung zum Wehrdienst unterbrochen worden ist und der Steuerpflichtige vor der Einberufung die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung im wesentlichen getragen hat. In der Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber noch ernstlich darauf vorbereitet. übt jemand längere Zeit eine entgeltliche Tätigkeit aus, die zur Erreichung seines Berufszieles nicht erforderlich ist, so hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, ob man annehmen muß, daß durch die Tätigkeit die Berufsausbildung nur unterbrochen wird oder ob man daraus schließen kann, daß das bisherige Berufsziel aufgegeben worden ist. Im Streitfall hat der Sohn des Steuerpflichtigen nur kurze Zeit, um die Zwischenzeit bis zur Einberufung zum Wehrdienst zu überbrücken, als Monteur gearbeitet. Darin kann man nur eine Unterbrechung seiner Berufsausbildung sehen, nicht etwa eine Aufgabe seines bisherigen Berufsziels. Seine Berufsausbildung wurde daher erst durch die Einberufung zum Wehrdienst unterbrochen.

Für die Beurteilung, ob ein Steuerpflichtiger die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung im wesentlichen getragen hat, sind die erwähnten Sonderzeiten, die nicht zur eigentlichen Berufsausbildung zählen, außer Betracht zu lassen. Würde man solche in die Ausbildungszeit eingelagerte Sonderzeiten als für die Gewährung eines Kinderfreibetrags schädlich ansehen, so würde man die Eltern benachteiligen, deren Söhne strebsam sind und den Eltern durch Mitarbeit die Ausbildungslast erleichtern.

Für diese Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte der Bestimmung. Im Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1958 hatte die Bundesregierung mit Rücksicht auf die Ableistung des Wehrdienstes als Erweiterung des Kinderfreibetrages für Kinder bis zu 25 Jahren vorgeschlagen: "Die Altersgrenze von 25 Jahren wird um die Zeit hinausgeschoben, während der vor Vollendung des 25. Lebensjahres Wehrdienst (Ersatzdienst) geleistet worden ist" (Bundestagsdrucksache Nr. 260 3. Wahlperiode; Begründung zum Gesetzesentwurf S. 57). Die jetzige Fassung geht auf einen Beschluß des Finanzausschusses zurück (Drucksache Nr. 448 S. 11 und Drucksache Nr. 472), der befürwortete, "daß die Kinderermäßigung für ein Kind, dessen Berufsausbildung durch die Einberufung zum Wehrdienst unterbrochen wird, für die Zeit des Wehrdienstes weiter gewährt wird". Daraus ergibt sich, was auch nach dem Wortlaut und Sinnzusammenhang klar ist, als Zweck der Vorschrift, Eltern, die durch die Einberufung des Sohnes zum Wehrdienst einen Kinderfreibetrag verlieren würden, den sie vorher gehabt haben und nach der Entlassung des Sohnes aus dem Wehrdienst voraussichtlich auch wieder bekommen werden, auch während der Wehrdienstzeit des Sohnes den Kinderfreibetrag zu erhalten. Soweit dem Abschn. 45 Abs. 6 LStR 1960 (Abschn. 180 EStR 1960) eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, tritt der Senat ihr nicht bei.

Das Gesetz fordert nicht, daß den Eltern schon vor der Einberufung des Sohnes ein Kinderfreibetrag zustand, weil sie im Einberufungsjahr bereits vier Monate die Kosten getragen hatten. Es genügt, daß ohne die Einberufung die Eltern die Kosten der Ausbildung weiter getragen haben würden. Die Wehrdienstzeit ist also insoweit wie die Berufsausbildungszeit selbst zu behandeln. Ein Kinderfreibetrag ist darum zu gewähren, wenn z. B. der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum einen Monat vor der Einberufung des Sohnes die Kosten der Berufsausbildung im wesentlichen getragen und der Sohn dann mindestens weitere drei Monate im Veranlagungszeitraum Wehrdienst geleistet hat.

Im Streitfall sind danach die Voraussetzungen für die Kinderermäßigung gegeben. Die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben. Die Sache wird zur Berechnung des zu erstattenden Lohnsteuerbetrages an das Finanzamt zurückverwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410473

BStBl III 1962, 340

BFHE 1963, 199

BFHE 75, 199

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