Entscheidungsstichwort (Thema)

Empfangsbekenntnis eines nicht bevollmächtigten Rechtsanwalts; gesellschaftsteuerpflichtige Zahlung eines Auseinandersetzungsguthabens durch den verbleibenden Kommanditisten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Will das FG ein Urteil dem bestellten Prozeßbevollmächtigten zustellen und wird das Empfangsbekenntnis im Sinne des § 5 Abs.2 VwZG von einem anderen Rechtsanwalt unterschrieben, so ist das Urteil gegenüber dem bestellten Prozeßbevollmächtigten jedenfalls dann nicht rechtswirksam zugestellt, wenn dieser dem tatsächlichen Empfänger keine Vollmacht zur Entgegennahme des Urteils erteilt hat.

2. Scheidet ein Gesellschafter aus einer GmbH & Co. KG aus und übernimmt es ein verbleibender Kommanditist, das Auseinandersetzungsguthaben an den ausscheidenden Gesellschafter zu zahlen, so befreit der Kommanditist die GmbH & Co. KG freiwillig von einer Verbindlichkeit. Hierin liegt eine gemäß § 2 Abs.1 Nr.4 Buchst.a KVStG gesellschaftsteuerpflichtige Leistung.

 

Orientierungssatz

1. Wird das Urteil des FG nicht bzw. nicht ordnungsgemäß zugestellt, beginnt weder die Revisionsfrist noch die Revisionsbegründungsfrist zu laufen (vgl. BFH-Urteil vom 13.1.1987 VII R 147/84).

2. Bei einer KG richtet sich der Abfindungsanspruch gemäß § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB des ausscheidenden Gesellschafters gegen die KG als eigenständiges Rechtssubjekt; §§ 161 Abs. 2, 105 Abs. 2, 124 HGB (vgl. BGH-Urteil vom 15.5.1972 II ZR 144/69).

 

Normenkette

VwZG § 5 Abs. 2; KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a; BGB § 738 Abs. 1 S. 2; VwZG § 2; FGO § 120 Abs. 1 S. 1; HGB § 161 Abs. 2, § 105 Abs. 2, § 124

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Gesamtrechtsnachfolgerin der S GmbH & Co. KG, die durch Gesellschaftsvertrag vom 19.Dezember 1978 im Inland errichtet worden war. Persönlich haftende Gesellschafterin war die S-GmbH. Kommanditisten waren S und die SI-GmbH. Die Kommanditeinlagen waren erbracht. Eine Nachschußpflicht der Kommanditisten war nicht vereinbart. Nach §§ 15 und 16 des Gesellschaftsvertrages sollte die S GmbH & Co. KG im Falle des Todes von S unter Ausschluß seiner Erben fortgesetzt werden. Der Gesellschaftsvertrag enthielt keine Bestimmung darüber, wer das Auseinandersetzungsguthaben des S an dessen Erben auszuzahlen hatte.

S verstarb am 27.März 1981. Die S GmbH & Co. KG wurde von den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt. Am 8./11.September 1982 einigten sich die Erben des S und die SI-GmbH darüber, daß das Auseinandersetzungsguthaben der Erben 4,5 Mio DM betragen und von der SI-GmbH an die Erben in drei gleichen Jahresraten gezahlt werden sollte. Die SI-GmbH erfüllte diese Vereinbarung.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sah in der Übernahme der Auseinandersetzungsschuld durch die SI-GmbH eine gemäß § 2 Abs.1 Nr.4 Buchst.a des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG 1972) gesellschaftsteuerpflichtige Leistung. Er setzte durch Bescheid vom 2.März 1984 die Gesellschaftsteuer mit 1 v.H. von 4,5 Mio DM = 45 000 DM fest.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Die Klägerin ließ sich vor dem Finanzgericht (FG) von dem Rechtsanwalt A vertreten. Die Zustellung des FG-Urteils ist deshalb an den Rechtsanwalt A als Prozeßbevollmächtigten der Klägerin gerichtet. Das Empfangsbekenntnis über die Zustellung (§ 5 des Verwaltungszustellungsgesetzes --VwZG--) wurde jedoch von dem Rechtsanwalt B am 9.März 1989 unterschrieben. B legte am 7.April 1989 als neuer Prozeßbevollmächtigter der Klägerin die vom FG zugelassene Revision ein. Eine Revisionsbegründung wurde erst am 28.Juni 1989, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist, abgegeben. Die Klägerin rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil des Niedersächsischen FG vom 24.November 1988 und den Bescheid des FA vom 2.März 1984 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

II. A. Die Revision ist zulässig. Sie wurde insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet.

1. Nach § 120 Abs.1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision (hier:) innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem FG einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Daraus folgt, daß weder die Revisions- noch die Revisionsbegründungsfrist zu laufen beginnt, wenn das Urteil nicht bzw. nicht ordnungsgemäß zugestellt wird (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13.Januar 1987 VII R 147, 148, 150/84, BFHE 148, 542, BStBl II 1987, 272). Gemäß § 53 Abs.2 FGO ist ein Urteil nach den Vorschriften des VwZG zuzustellen. Danach ist zwar auch die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis gesetzlich möglich (§ 5 Abs.2 VwZG). Zu fordern ist jedoch, daß das zuzustellende Urteil dem Prozeßbevollmächtigten übermittelt wird, der im Zeitpunkt der Zustellung als solcher bestellt war (§ 62 Abs.1 Satz 1 FGO). Will das FG das Urteil dem bestellten Prozeßbevollmächtigten zustellen und wird das Empfangsbekenntnis von einem anderen Rechtsanwalt unterschrieben, so ist das Urteil gegenüber dem bestellten Prozeßbevollmächtigten jedenfalls dann nicht rechtswirksam zugestellt, wenn dieser dem tatsächlichen Empfänger keine Vollmacht zur Entgegennahme des Urteils erteilt hatte. In einem solchen Fall genügt die Übermittlung des Urteils nicht den gesetzlichen Voraussetzungen des § 5 Abs.2 VwZG.

2. So liegen die Voraussetzungen auch im Streitfall. Die Klägerin hatte den Rechtsanwalt A zu ihrem Prozeßbevollmächtigten bestellt. Deshalb mußte das FG diesem das Urteil vom 24.November 1988 zustellen. Die Zustellung wurde auch an A gerichtet. Das Urteil wurde jedoch tatsächlich dem Rechtsanwalt B übermittelt. B unterschrieb auch das Empfangsbekenntnis. Dies genügt als Zustellung gegenüber A nicht. Dazu kann dahinstehen, ob B im Innenverhältnis zur Klägerin zur Entgegennahme des Urteils bevollmächtigt war. Das FG wollte das Urteil nur dem A zustellen. Eine Zustellung an B war vom FG nicht gewollt. Die Voraussetzungen des § 5 Abs.2 VwZG sind deshalb mit der Folge nicht erfüllt, daß weder die Revisions- noch die Revisionsbegründungsfrist zu laufen begann. Die Revision konnte dennoch eingelegt werden. Sie wurde am 28.Juni 1989 fristgerecht begründet.

B. Die Revision ist aber unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 FGO).

1. Nach § 2 Abs.1 Nr.4 Buchst.a KVStG 1972 unterliegen Zuschüsse, die der Gesellschafter seiner inländischen Kapitalgesellschaft freiwillig leistet, der Gesellschaftsteuer. Dazu regelt § 5 KVStG 1972, was unter einer inländischen Kapitalgesellschaft zu verstehen ist. Aus § 6 KVStG 1972 ergibt sich, wer im Sinne des Gesetzes Gesellschafter der Kapitalgesellschaft ist.

Zu diesen Tatbestandsmerkmalen hat das FG in einer den erkennenden Senat bindenden Weise (§ 118 Abs.2 FGO) festgestellt, daß die S GmbH & Co. KG in der Zeit vom 27.März 1981 bis zum 11.September 1982 eine GmbH & Co. KG mit dem Ort der Geschäftsleitung in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) war. Die S-GmbH war Komplementärin der S GmbH & Co. KG; die SI-GmbH war Kommanditistin. Damit war die S GmbH & Co. KG inländische Kapitalgesellschaft im Sinne des § 5 Abs.2 Nr.3 i.V.m. Abs.3 Nr.1 KVStG 1972. Die SI-GmbH war deren Gesellschafterin im Sinne des § 6 Abs.2 i.V.m. Abs.1 Nr.1 KVStG 1972.

2. Nach den weiteren tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat ebenfalls gebunden ist (§ 118 Abs.2 FGO), bestand der vom FA angenommene Zuschuß in dem Betrag von 4,5 Mio DM, den die SI-GmBH an die Erben des aus der S GmbH & Co. KG ausgeschiedenen S in drei Jahresraten zahlte. Da jeder Geldleistung die Eignung zukommt, Zuschuß im Sinne des § 2 Abs.1 Nr.4 Buchst.a KVStG 1972 sein zu können (vgl. BFH-Urteile vom 29.Juli 1981 II R 4/78, BFHE 134, 361, BStBl II 1982, 72; vom 23.November 1988 I R 222/84, BFH/NV 1989, 458; vom 9.August 1989 I R 147/85, BFHE 158, 129, BStBl II 1989, 983), hängt die Gesellschaftsteuerpflicht der Zahlung letztlich allein davon ab, ob die SI-GmbH mit ihr eine eigene Verbindlichkeit oder aber eine solche auch der S GmbH & Co. KG erfüllte. Dazu ist das FG zutreffend davon ausgegangen, daß die SI-GmbH eine Verbindlichkeit der S GmbH & Co. KG erfüllte.

3. Nach § 738 Abs.1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sind die "übrigen Gesellschafter" im Sinne des Satzes 1 verpflichtet, dem ausscheidenden Gesellschafter dasjenige zu zahlen, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst würde. Diese Gesetzesformulierung scheint für die Auffassung der Klägerin zu sprechen, die "übrigen Gesellschafter" als die Personen zu verstehen, gegen die sich der Abfindungsanspruch des ausscheidenden Gesellschafters richtet. Die Rechtsfrage ist jedoch auf dem Hintergrund des Theorienstreites um das Wesen der Gesamthand zu sehen (vgl. dazu: Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1986, S.151 ff.; Flume, Die Personengesellschaft, S.50 ff.; Ulmer, Rückbesinnung als Fortschritt?, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht --ZGR-- 1984, 313). Der Theorienstreit betrifft die Rechtsfrage, ob die Gesamthand selbst Rechtssubjekt oder nur ein gebundenes Sondervermögen der gesamthänderisch verbundenen Gesellschafter ist. Diejenigen, die die Gesamthand als eigenes Rechtssubjekt verstehen, interpretieren § 738 Abs.1 Satz 2 BGB dahin, daß sich der Abfindungsanspruch des ausscheidenden Gesellschafters unmittelbar gegen die Gesellschaft richtet und der Gesetzeswortlaut insoweit ungenau ist (vgl. Flume, a.a.O., S.173). Aber auch diejenigen, die die Gesamthand als ein gebundenes Sondervermögen der Gesellschafter verstehen, behandeln den Anspruch gemäß § 738 Abs.1 Satz 2 BGB als gegen "die übrigen Gesellschafter" in ihrer Verbindung als Gesellschaft gerichtet (vgl. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970, S.319, 102 ff.). Nach letzterer Auffassung steht das Vermögen der Personengesellschaft für den Gesellschaftszweck zur Verfügung. Die Zweckbindung wird dadurch erreicht, daß die Gesellschafter nur in ihrer Zusammenfassung als organisierte Vermögensgemeinschaft über die Gegenstände des Vermögens verfügen können. Entsprechend richtet sich aber auch der Anspruch nach § 738 Abs.1 Satz 2 BGB gegen die Gesellschafter als organisierte Vermögensgemeinschaft.

Der Senat kann unentschieden lassen, welcher der beiden Auffassungen er sich anschließt, weil sich nach beiden Auffassungen eine Verbindlichkeit ergibt, die aus dem Gesellschaftsvermögen zu erfüllen ist und damit das Gesellschaftsvermögen mindert. Für den Streitfall kommt hinzu, daß auf die S GmbH & Co. KG § 161 Abs.2 i.V.m. § 124 des Handelsgesetzbuches (HGB) anzuwenden ist. § 124 HGB bestimmt aber, daß die offene Handelsgesellschaft selbst Rechtsträger ist. Wegen § 161 Abs.2 HGB gilt dies für die S GmbH & Co. KG entsprechend. Dann aber bedeutet die in §§ 161 Abs.2 und 105 Abs.2 HGB enthaltene Verweisung auf § 738 Abs.1 Satz 2 BGB, daß sich bei einer KG der Abfindungsanspruch gemäß § 738 Abs.1 Satz 2 BGB des ausscheidenden Gesellschafters gegen die KG als eigenständiges Rechtssubjekt richtet. Diese Auffassung hat auch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 15.Mai 1972 II ZR 144/69 (Wertpapier-Mitteilungen 1972, 1399) vertreten.

4. Richtete sich der Abfindungsanspruch der Erben des S gegen die S GmbH & Co. KG, so minderte er ab dem 27.März 1981 als Verbindlichkeit deren Vermögen. Dadurch, daß die SI-GmbH den gegen die S GmbH & Co. KG sich richtenden Anspruch erfüllte, befreite sie letztere von der Verbindlichkeit. Damit erhöhte sich das Vermögen der S GmbH & Co. KG wegen des Wegfalls der Verbindlichkeit. Hierin liegt eine nach § 2 Abs.1 Nr.4 Buchst.a KVStG 1972 steuerpflichtige Leistung.

5. Die SI-GmbH leistete den Zuschuß im Sinne des § 2 Abs.1 Nr.4 Buchst.a KVStG 1972 auch freiwillig, weil sie rechtlich nicht verpflichtet war, den Anspruch aus eigenem Vermögen zu erfüllen. Gleichzeitig war die Leistung geeignet, den Wert des Kommanditanteils (§ 6 Abs.1 Nr.1 KVStG 1972) der SI-GmbH zu erhöhen. Der Wegfall der Verbindlichkeit führte nämlich zu einer Erhöhung des Vermögens der S GmbH & Co. KG um 4,5 Mio DM.

6. Das FA hat die Gesellschaftsteuer auch der Höhe nach zutreffend von 4,5 Mio DM bemessen (§ 8 Nr.2 KVStG 1972). Insoweit kommt es nur darauf an, welchen Wert die Zahlung der 4,5 Mio DM für die S GmbH & Co. KG hatte (vgl. BFH-Urteil vom 18.Oktober 1989 I R 25/85, BFHE 158, 471, BStBl II 1990, 225). Für die S GmbH & Co. KG lag aber der Wert der Leistung in dem Wegfall der Verbindlichkeit in Höhe von 4,5 Mio DM.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63488

BFH/NV 1990, 60

BStBl II 1990, 791

BFHE 160, 338

BFHE 1991, 338

BB 1990, 1616

BB 1990, 1616-1617 (LT)

DB 1990, 1701-1702 (LT)

HFR 1990, 560 (LT)

StE 1990, 271 (K)

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