Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Hat das Finanzamt mehrere Jahre hindurch auf Grund einer Vereinbarung mit dem Steuerpflichtigen einen Dauersachverhalt in einer rechtlich vertretbaren Weise steuerlich behandelt, so kann es seine rechtliche Beurteilung später nicht ohne wichtigen Grund zuungunsten des Steuerpflichtigen ändern, um dadurch eine zusätzliche Steuer erheben zu können.

 

Normenkette

EStG § 2 Abs. 3 Ziff. 4, § 19/1/1; LStDV § 2 Abs. 2

 

Tatbestand

Der im Streitjahr 1959 65 Jahre alte Steuerpflichtige (Stpfl.) ist Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH. Diese zahlte ihm zur Erfüllung einer Versorgungszusage im Streitjahr einen Betrag von 130.190,55 DM (= 117.120 DM Versicherungssumme + 13.070,55 DM Dividenden daraus). Nach der im Jahre 1952 gegebenen Versorgungszusage sollte der Stpfl. bei der Vollendung des 65. Lebensjahrs eine Kapitalabfindung von 117.120 DM oder eine entsprechende lebenslängliche Rente erhalten; wenn er vorher starb, sollte dieser Anspruch der Ehefrau zustehen. Für die Versorgungszusage hatte die GmbH bei einer Versicherungsgesellschaft eine Rückdeckung genommen. Die in den Jahren 1952 bis 1958 gezahlten Versicherungsprämien von jährlich 18.468,58 DM buchte die GmbH zunächst als Aufwand; den Anspruch aus der Rückdeckung aktivierte sie bis zum 31. Dezember 1957 mit dem Rückkaufswert; die Verpflichtung aus der Versorgungszusage gegenüber dem Stpfl. passivierte sie in gleicher Höhe. In der Bilanz zum 31. Dezember 1958 erschienen dann diese Posten nicht mehr.

Das Finanzamt (FA) behandelte die von der GmbH gezahlten Versicherungsprämien für die Jahre 1952 bis 1954 nicht als Arbeitslohn des Stpfl.; für die Jahre 1955 bis 1958 schlug es unter Hinweis auf das Urteil des Senats VI 3/56 U vom 12. Juli 1957 (BStBl 1957 III S. 289, Slg. Bd. 65 S. 147) die Versicherungsprämien den Einkünften des Stpfl. aus nichtselbständiger Arbeit zu. Bei der Veranlagung 1959 behandelte es den an den Stpfl. ausgekehrten Betrag von 130.190,55 DM als nachträglichen Arbeitslohn; gleichzeitig setzte es gemäß § 131 AO die für 1955 bis 1958 versteuerten Versicherungsprämien von insgesamt 72.936 DM von der gezahlten Versicherungssumme ab und rechnete den Rest von 57.254 DM dem Arbeitslohn des Stpfl. zu. Es führte aus, die jährlichen Prämien, die die GmbH in den Jahren 1952 bis 1958 an die Versicherungsgesellschaft gezahlt habe, könnten nicht als Arbeitslohn des Stpfl. erfaßt werden, weil es an einer ernsthaften Versorgungszusage gefehlt habe; der im Jahre 1952 bereits 58 Jahre alte Stpfl. habe nicht vorgehabt, die Geschäftsführung aus der Hand zu geben; die Rückdeckung habe nur der Sicherung eines künftigen Geldbedarfs der GmbH bei der Pensionierung oder der einmaligen Abfindung des Stpfl. gedient.

Der Stpfl. trug demgegenüber vor, es sei bereits früher mit dem FA verhandelt worden, das ihm auf die schriftliche Anfrage seines Bevollmächtigten vom 25. Mai 1959 Anfang November 1959 telefonisch und dann am 16. November 1959 schriftlich mitgeteilt habe, daß die Versicherungsprämien ab 1955 seinem Gehalt zuzurechnen seien. Das FA habe ihn auch entsprechend endgültig veranlagt. Nur die Veranlagung 1958 sei auf Weisung der Oberfinanzdirektion (OFD) vorläufig vorgenommen worden. Auch bei der Vermögensteuerveranlagung habe das FA ab 1. Januar 1957 den Vermögenswert der Versicherung bei seinem Privatvermögen erfaßt. Wenn das FA nunmehr den im Jahre 1959 ausgezahlten Betrag besteuere, so sei das wirtschaftlich eine nach dem Urteil des Senats VI 163/60 U vom 3. März 1961 (BStBl 1961 III S. 191, Slg. Bd. 72 S. 525) unzulässige Nachholung der in den Jahren 1952 bis 1954 unterlassenen Besteuerung der jährlichen Prämien.

Das Finanzgericht (FG) gab der Sprungberufung statt und führte aus: Nach der Entscheidung des Senats VI 162/60 U (a. a. O.) sei die Frage, ob Aufwendungen des Arbeitgebers zur Zukunftssicherung eines Arbeitnehmers gegenwärtig zufließender Arbeitslohn oder eine Maßnahme der Rückdeckung des Arbeitgebers seien, um sich die Mittel zur späteren Erfüllung seiner Versorgungszusage zu schaffen, in Zweifelsfällen nach den Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer zu beurteilen. über die Art des Versicherungsverhältnisses sei zwar für jedes Jahr selbständig zu entscheiden. Eine Entscheidung binde aber auch für die Zukunft, wenn ein Beteiligter mit Erfolg für eine bestimmte steuerrechtliche Behandlung gekämpft habe. Demgemäß könne das FA die an den Stpfl. gezahlte Versicherungssumme nicht zu dessen Arbeitslohn rechnen, nachdem es selbst für mehrere Jahre eine bestimmte Rechtsansicht durchgesetzt und die Versicherungsprämien dem Arbeitslohn zugeschlagen habe. Es trete mit seinem eigenen Verhalten in Widerspruch, wenn es willkürlich seine Rechtsauffassung jeweils so ändere, wie es ihm steuerlich gerade günstig sei. Unerheblich sei dabei, daß das FA die Veranlagung des Jahres 1958 für vorläufig erklärt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision, mit der der Vorsteher des FA unrichtige Anwendung der §§ 2 Abs. 3 Ziff. 4, 8, 11, 19 EStG in Verbindung mit § 2 LStDV rügt, ist unbegründet.

Zutreffend macht das FG die Entscheidung, ob der Betrag von 57.254 DM für den Stpfl. Arbeitslohn des Streitjahrs 1959 ist, vor allem davon abhängig, wie die GmbH ihre Aufwendungen zur Zukunftssicherung des Stpfl. in der Vergangenheit behandelt hat. Sind bereits die gezahlten Versicherungsprämien als Arbeitslohn eines Arbeitnehmers erfaßt worden, so sind die späteren Bezüge aus der Zukunftssicherung kein Arbeitslohn, weil sie auf den früheren Beitragsleistungen des Arbeitnehmers beruhen (§ 2 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV). Wenn dagegen die laufenden Prämien nicht als Arbeitslohn behandelt worden sind, so müssen die späteren Bezüge aus der Zukunftssicherung, gleichviel ob sie in Kapital- oder Rentenform gewährt werden, Arbeitslohn sein (Urteile des BFH VI 3/56 U, a. a. O.; VI 68/59 vom 7. Oktober 1960, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 11, Rechtsspruch 24; I 176/61 U vom 18. September 1962, BStBl 1963 III S. 98, Slg. Bd. 76 S. 276 mit Anmerkung in "Der Betrieb" 1963 S. 223; Hartz-Over, Lohnsteuer, Stichwort "Zukunftssicherung von Arbeitnehmern" unter Ziff. 1).

Hier hat das FA ab dem Jahre 1955 die von der GmbH gezahlten Versicherungsprämien als Arbeitslohn des Stpfl. behandelt.

Das FA meint, weil jeder Veranlagungszeitraum selbständig zu beurteilen sei, könne es an eine falsche Rechtsauffassung früherer Veranlagungszeiträume nicht gebunden sein. Es übersieht dabei aber, daß es hier um ein Dauerrechtsverhältnis geht, das sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und das grundsätzlich rechtlich nur einheitlich behandelt werden kann. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Versicherungsprämien in der Vergangenheit wirklich zu Recht dem Arbeitslohn des Stpfl. zugeschlagen worden sind. Denn rechtlich ist entscheidend, daß das FA ab dem Jahre 1955 in übereinstimmung mit dem Stpfl. und in voller Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse die Versicherungsprämien jahrelang dem Arbeitslohn zugerechnet hat. Solange keine wichtigen Gründe hervortreten, kann das FA von dieser Handhabung nicht abweichen, vor allem darf es seine Rechtsauffassung später nicht ändern, weil auch eine andere rechtliche Würdigung des Sachverhalts möglich und vertretbar war. Wenn auch das FA grundsätzlich für jeden Veranlagungszeitraum die Rechtslage neu zu prüfen hat, so darf es doch nicht bei Dauerrechtsverhältnissen jahrweise wechselnd die rechtliche Beurteilung ändern, die einmal festgelegt und rechtlich vertretbar ist. Diese Bindung, die aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit, des loyalen Verhaltens zwischen Steuerfiskus und Bürger sowie des Vertrauensschutzes herzuleiten ist, gilt in gleicher Weise auch für die Steuerpflichtigen. Kein Beteiligter, also weder das FA noch der Stpfl., kann ohne schwerwiegenden Grund die rechtliche Behandlung eines Dauerverhältnisses, auch wenn man über dessen rechtliche Beurteilung geteilter Meinung sein kann, beiseite schieben, nachdem man sich auf eine bestimmte Behandlung frei geeinigt hat und später längere Zeit auch tatsächlich danach verfahren ist. Die Beteiligten würden sonst illoyal handeln, weil sie sich mit ihrem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch setzen (vgl. Urteil des BFH I 25/61 U vom 28. Februar 1961, BStBl 1961 III S. 252, Slg. Bd. 72 S. 689). Hier liegt zwar, wie dem FA zuzugeben ist, keine ausdrückliche Zusage des FA über die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts in späteren Jahren vor. Die Rechtsprechung des BFH hat aber bereits wiederholt ausgesprochen, daß die Steuerbehörden einen Steuerpflichtigen, der Jahre hindurch aus einer bestimmten steuerlichen Gestaltung einen Vorteil gehabt hat, an seinem Verhalten festhalten dürfen, auch wenn sie sich später für ihn steuerlich ungünstig auswirkt (Urteile des BFH I 200/58 U vom 20. Januar 1959, BStBl 1959 III S. 192, Slg. Bd. 68 S. 500; VI 343/62 S vom 8. April 1964, BStBl 1964 III S. 271, Slg. Bd. 79 S. 107). Dieser Grundsatz wirkt in der Umkehrung aber auch zugunsten der Steuerpflichtigen, wenn sich eine für sie zunächst ungünstige Sachbehandlung nachträglich als günstig herausstellt (Vgl. Urteile des BFH I 22/62 U vom 8. Januar 1963, BStBl 1963 III S. 94, Slg. Bd. 76 S. 262; IV 188/62 U vom 15. Juni 1965, BStBl 1965 III S. 554, Slg. Bd. 83 S. 144).

Im Streitfall waren die Beteiligten ab 1955 einig, daß sie die Prämien zum Arbeitslohn des Stpfl. rechnen und die entsprechenden steuerlichen Folgen daraus ziehen wollten. Der Stpfl. hat diese Beträge denn auch entsprechend versteuert. Die vereinbarte rechtliche Beurteilung war nicht offensichtlich unrichtig, sondern bedeutete eine vertretbare Lösung für einen rechtlich zweifelhaften Dauertatbestand. Unter diesen Umständen konnte das FG ohne Rechtsverstoß annehmen, daß die Vereinbarung auch für das Streitjahr 1959 Geltung haben müsse und darum die streitigen 57.254 DM nicht als Arbeitslohn des Stpfl. erfaßt werden könnten. Es brauchte nicht zu prüfen, ob die früher vereinbarte Sachbehandlung mit der objektiven Rechtslage unbeschränkt vereinbar war. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung kann in Fällen der vorliegenden Art zurücktreten müssen, wenn andernfalls die Grundrechte der Steuerpflichtigen auf Vertrauensschutz und Rechtssicherheit erheblich beeinträchtigt würden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411994

BStBl III 1966, 486

BFHE 1966, 409

BFHE 85, 409

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