Leitsatz (amtlich)

1. Zur Bedeutung der Gesetzesüberschrift für die Auslegung eines Gesetzes.

2. Die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 8 GrEStG NW für die Bestellung eines Erbbaurechts umfaßt nicht den mit der Bestellung verbundenen Übergang des Eigentums an einem auf dem Grundstück vorhandenen Gebäude.

2. § 4 Abs. 4 GrEStEigWoG ist nicht verfassungswidrig.

 

Normenkette

GrEStG NW § 3 Nr. 8; GrEStEigWoG § 4 Abs. 4

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

I.

Der Klägerin wurde im Oktober 1977 an einem mit einem Mietwohnhaus bebauten Grundstück ein Erbbaurecht bestellt, das 2077 endet. In dem Vertrag ist ausgeführt, daß nach § 3 Nr. 8 des seinerzeit in Nordrhein-Westfalen geltenden Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG NW) Grunderwerbsteuer nicht anfalle.

Das beklagte Finanzamt (FA) unterwarf den Erwerbsvorgang der Grunderwerbsteuer, wobei es als Bemessungsgrundlage die Summe aus Kaufpreis, kapitalisiertem Erbbauzins und Wert eines übernommenen Wegerechtes ansetzte. Zur geltend gemachten Steuerfreiheit wies das FA darauf hin, daß § 3 Nr. 8 GrEStG NW nach § 4 Abs. 4 des Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen vom 11. Juli 1977 - GrEStEigWoG - (BGBl I 1977, 1218) nicht mehr bei der Bestellung eines Erbbaurechts anzuwenden sei, wenn wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts ein Wohngebäude ist.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) durch dessen veröffentlichtes Urteil (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1982, 199) abgewiesen.

Mit der Revision beantragt die Klägerin, die Vorentscheidung aufzuheben und dem Klageantrag stattzugeben. Sie rügt Verletzung des § 3 Nr. 8 GrEStG NW und des § 4 Abs. 4 GrEStEigWoG und macht geltend, bei zutreffender Auslegung sei § 4 Abs. 4 GrEStEigWoG auf die Bestellung von Erbbaurechten an Grundstücken mit Mehrfamilienhäusern nicht anzuwenden.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet; sie wird daher zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Recht entschieden, daß der angefochtene Bescheid weder im Hinblick auf die Verweigerung von Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 8 GrEStG NW noch wegen der Steuerberechnung rechtswidrig ist.

1. Die Bestellung des Erbbaurechts für die Klägerin unterliegt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG NW der Grunderwerbsteuer. Nach der in erster Linie auf Grundstücke i. S. des bürgerlichen Rechts (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 GrEStG NW) zugeschnittenen Fassung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG NW unterliegt der Grunderwerbsteuer die Auflassung, wenn kein Rechtsgeschäft vorausgegangen ist, das den Anspruch auf Übereignung begründet. Den Grundstükken im Sinne des Grunderwerbsteuerrechts stehen Erbbaurechte gleich (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG NW). Dementsprechend hat der Senat in seinem Urteil vom 28. November 1967 II R 37/66 (BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223) entschieden, daß ein Rechtsgeschäft, welches den Anspruch auf Bestellung eines Erbbaurechts begründet, der Grunderwerbsteuer unterliegt, und daß Gegenstand eines solchen Rechtsvorganges auch ein bei der Bestellung eines Erbbaurechts schon vorhandenes Bauwerk ist, das gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über das Erbbaurecht (ErbbauVO) wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts wird. Nach der herrschenden Meinung im Schrifttum (vgl. Ingenstau, Kommentar zum Erbbaurecht, 5. Aufl., § 12 Tz. 13; Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 4, § 12 ErbbauVO, Tz. 6; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 42. Aufl., § 12 ErbbauVO Anm. 1; Staudinger/Ring, Bürgerliches Gesetzbuch, 12. Aufl., § 12 ErbbauVO, Tz. 11; a. A.: Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des Bundesgerichtshofes - BGB-RGRK -, 11. Aufl., § 12 ErbbauVO Anm. 2, und wohl auch Huber, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1952, 687 f.) geht mit der Anlegung des Erbbaugrundbuchs das Eigentum an dem auf dem Grundstück vorhandenen Gebäude auf den Erbbauberechtigten über.

Aus der Gleichsetzung von Grundstücken im Sinne des bürgerlichen Rechts mit Erbbaurechten (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG NW) folgt, daß nicht nur die Verpflichtung, ein Erbbaurecht zu bestellen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG NW), sondern, wenn keine entsprechende rechtsgeschäftliche Verpflichtung begründet worden ist, auch die Bestellung selbst wie eine Auflassung (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG NW) der Grunderwerbsteuer unterliegt (vgl. das zitierte Urteil in BFHE 91, 191, 195 f., BStBl II 1968, 223).

2. Die Bestellung des Erbbaurechts zugunsten der Klägerin und der mit der Bestellung verbundene Übergang des Eigentums an dem Wohngebäude auf die Klägerin sind nicht gemäß § 3 Nr. 8 GrEStG NW steuerfrei. Die zitierte Vorschrift bestimmt nach ihrem Wortlaut, daß u. a. die Bestellung eines Erbbaurechts von der Besteuerung ausgenommen ist. Entgegen der Annahme der Klägerin hatte die Vorschrift von Anfang an nicht die Bedeutung, daß auch der mit einer Erbbaurechtsbestellung verbundene Übergang des Eigentums an einem Gebäude steuerfrei gestellt worden sei.

a) Die Vorschrift des § 3 Nr. 8 GrEStG NW hat den Erwerb eines Erbbaurechts durch Bestellung insoweit niemals von der Grunderwerbsteuer befreit, als mit dem Erwerb des Erbbaurechts der Erwerb eines bereits vorhandenen Bauwerkes verbunden gewesen ist.

Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung (vgl. u. a. den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 9. August 1978 2 BvR 831/76, BVerfGE 49, 148, 156 ff.) ist § 3 Nr. 8 GrEStG NW dahin zu interpretieren, daß nur die Bestellung des - bloßen - Erbbaurechts, nicht aber der mit der Bestellung wegen § 12 Abs. 1 Satz 2 ErbbauVO verbundene Übergang des Eigentums an einem auf dem Grundstück vorhandenen Gebäude auf den Erbbauberechtigten (vgl. die Nachweise aus dem Schrifttum unter Nr. 1) von der Grunderwerbsteuer ausgenommen sein sollte. Eine Auslegung dagegen, wie sie von der Klägerin angestrebt wird, daß auch der Übergang des Gebäudes steuerfrei bliebe, wäre nicht systemgerecht und würde überdies den Gleichheitssatz (vgl. hierzu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 3 AO 1977 Rdnrn. 29 ff., mit weiteren Nachweisen) verletzen. Es ist deshalb die nach den geltenden Auslegungsregeln engere Auslegung zu wählen, um zu vermeiden, daß die Vorschrift nichtig ist (vgl. BVerfGE 49, 148, 157).

Von der Grunderwerbsteuer werden nicht nur die sich auf Gebäude beziehenden Rechtsvorgänge erfaßt, bei denen das Gebäude wesentlicher Bestandteil eines veräußerten Grundstücks ist und dementsprechend das rechtliche Schicksal des Grundstücks teilt. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG NW, wonach Gebäude auf fremdem Boden Grundstücken gleichstehen, sichergestellt, daß Grunderwerbsteuer grundsätzlich auch dann anfällt, wenn ausnahmsweise ein Gebäude ohne den entsprechenden Grund und Boden veräußert werden kann. Diese das Grunderwerbsteuerrecht bestimmende, auf ausnahmslose Erfassung von Gebäudeveräußerungen ausgerichtete Systematik würde durchbrochen, wenn im Falle der Bestellung eines Erbbaurechts ein Gebäude "veräußert" werden könnte, ohne daß dadurch Grunderwerbsteuer anfiele. Zugleich würde gegen den Gleichheitssatz verstoßen, weil wesentlich Gleiches willkürlich ungleich behandelt würde, falls zwar stets die Veräußerung eines Gebäudes auf fremdem Boden, nicht aber die einem solchen Vorgang weitgenend ähnliche Übertragung eines Gebäudes durch Bestellung eines Erbbaurechts zur Grunderwerbsteuer herangezogen würde.

Die einschränkende, aber systemgerechte Auslegung des § 3 Nr. 8 GrEStG NW durch den Senat findet eine zusätzliche Stütze in der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Bis zum Erlaß des urteils des Senats in BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223 stand keineswegs fest, daß wegen der seinerzeit überwiegend verneinten Steuerbarkeit der Bestellung eines Erbbaurechts auch der Eigentumsübergang an einem auf dem Grundstück vorhandenen Gebäude infolge der Erbbaurechtsbestellung gleichermaßen als nicht steuerbar angesehen werden könne; vielmehr wurde in Betracht gezogen, daß wegen des Eigentumsübergangs Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 bzw. Abs. 2 GrEStG NW anfallen könne (vgl. die Urteile des Senats vom 16. März 1960 II 190/58 U, BFHE 70, 630, BStBl III 1960, 234, und vom 30. März 1960 II 198/58 U, BFHE 71, 313, BStBl III 1960, 366; ferner Boruttau/Klein, Grunderwerbsteuergesetz, 8. Aufl., § 2 Rdnr. 49 a). Dementsprechend muß die Bedeutung der zitierten Entscheidung des Senats für die Frage der Steuerbarkeit der Erbbaurechtsbestellung einerseits und für die der steuerlichen Heranziehung wegen des Eigentumsübergangs an einem Gebäude infolge der Bestellung des Erbbaurechts andererseits unterschiedlich gesehen werden. Zum ersteren Problem war fortan höchstrichterlich klargestellt, daß sich die Bestellung eines Erbbaurechts nicht länger als nichtsteuerbar betrachten lasse. Gleiches läßt sich für die Frage der steuerlichen Erfassung des Eigentumsübergangs an einem Gebäude infolge der Erbbaurechtsbestellung nicht annehmen. In dieser Hinsicht hat lediglich in einer bis dahin noch nicht abschließend geklärten Frage die erforderliche Klärung stattgefunden. Es ist klargestellt worden, daß sich die Steuerbarkeit für den Übergang des Gebäudeeigentums nicht aus § 1 Abs. 1 Nr. 3 bzw. Abs. 2 GrEStG NW, sondern aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG NW ergebe.

Vor diesem Hintergrund ist die gesetzgeberische Maßnahme zu sehen, die zur Schaffung des § 3 Nr. 8 GrEStG NW geführt hat. Der parlamentarischen Beratung des entsprechenden Gesetzentwurfs (vgl. Sitzungsberichte, Landtag Nordrhein-Westfalen, 6. Wahlperiode, 73. Sitzung am 21. April 1970, Bd. 4 S. 3146 ff.) kann entnommen werden, daß es den am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten vor allem darum ging, den Rechtszustand vor Erlaß der Entscheidung in BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223 wieder herzustellen, die in ihren praktischen Auswirkungen nicht hingenommen werden sollte. Daß hierbei allein daran gedacht wurde, für die - bloße - Bestellung des Erbbaurechts zum Zustand der steuerlichen Nichterfassung zurückzukehren, und daß nicht etwa ins Auge gefaßt war, auch für den Übergang eines vorhandenen Gebäudes eine Ausnahme von der Besteuerung zu schaffen, läßt sich der Bemerkung des Ausschußberichterstatters entnehmen, es habe Einigkeit darüber bestanden, bei den später als § 3 Nr. 8 GrEStG NW in das Gesetz übernommenen Vorgängen handele es sich um ein Recht und nicht um eine Eigentumsübertragung.

Die Klägerin hätte demzufolge bei einer entsprechenden Erbbaurechtsbestellung vor dem Inkrafttreten des GrEStEigWoG Steuerfreiheit insoweit nicht in Anspruch nehmen können, als die Gegenleistung darauf entfallen wäre, daß der Klägerin mit der Bestellung des Erbbaurechts das Eigentum an dem Gebäude verschafft worden wäre.

b) Die zunächst noch vorhandene Steuerfreiheit für die Bestellung des bloßen Erbbaurechts ist insoweit weggefallen, als die Änderung des § 3 Nr. 8 GrEStG NW durch § 4 Abs. 4 GrEStEigWoG reicht. Diese am 15. Juli 1977 in Kraft getretene Vorschrift bestimmt, daß § 3 Nr. 8 GrEStG NW u. a. auf die Bestellung eines Erbbaurechts nicht mehr anzuwenden ist, wenn wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts ein Wohngebäude oder das Sondereigentum an einer bestimmten Wohnung ist. Die Vorschrift des § 4 Abs. 4 GrEStEigWoG ist entgegen der Annahme der Klägerin nicht dahin auszulegen, daß § 3 Nr. 8 GrEStG NW auch weiterhin für Sachverhalte galt, bei denen wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts ein Mehrfamilienhaus ist. Eine Auslegung der Vorschrift in diesem Sinne ist weder durch die Überschrift des GrEStEigWoG oder die desjenigen Gesetzes, als dessen Bestandteil das GrEStEigWoG erlassen worden ist, noch durch sonstige Gründe geboten.

aa) Das GrEStEigWoG ist nicht als selbständiges Gesetz verabschiedet, verkündet und in Kraft gesetzt worden, sondern als Art. 3 des Gesetzes über steuerliche Vergünstigung bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude vom 11. Juli 1977 (BGBl I 1977, 1213). Aus der Überschrift dieses Gesetzes kann nicht geschlossen werden, die Vorschrift des § 4 Abs. 4 GrEStEigWoG dürfe nicht in einer Weise ausgelegt werden, die steuerliche Nachteile mit sich bringe. Eine amtliche Gesetzesüberschrift wird zwar von der gesetzgebenden Körperschaft mitbeschlossen, gehört zum Gesetzesinhalt und hat die Aufgabe, auf den ersten Blick ersehen zu lassen, mit welcher Materie sich das betreffende Gesetz befaßt. Die Überschrift kann sogar zur Auslegung des Gesetzes herangezogen werden. Bei einem Widerspruch zwischen dem Wortlaut des Gesetzes und der Gesetzesüberschrift geht der Gesetzeswortlaut jedoch vor. Der Vorrang des Gesetzeswortlauts beruht nicht zuletzt auf der Einsicht, daß die an eine Gesetzesüberschrift zu stellende Anforderung, sie solle kennzeichnend und knapp sein, gewöhnlich einen Kompromiß zwischen Genauigkeit und Länge erfordert (vgl. Hanswerner Müller, Handbuch der Gesetzgebungstechnik, Köln u. a. O., 1963, S. 11 m. w. N.; Hans Schneider, Gesetzgebung, Ein Lehrbuch, Heidelberg, 1982, Rdnr. 312 = S. 175).

Die Klägerin kann demnach nicht mit Erfolg geltend machen, wegen der Überschrift des zitierten Gesetzes vom 11. Juli 1977 ("Gesetz über steuerliche Vergünstigungen ...") dürften keine steuerlichen Nachteile angeordnet werden, wozu die Klägerin u. a. auch Einschränkungen bisheriger steuerlicher Vergünstigungen rechnet. Es kann nicht die Rede davon sein, daß anderenfalls eine Täuschung des Bürgers durch die Gesetzesüberschrift über den wahren Inhalt des Gesetzes zugelassen würde. Für jeden Einsichtigen ist klar, daß heutzutage kaum noch ein Gesetz auf juristisches Neuland vorstößt und, ohne einen Vorläufer zu haben, einen neu aufgetauchten Rechtsstoff erstmals regelt. Vielmehr findet ein neues Gesetz regelmäßig bereits bestehende Vorschriften vor. Demzufolge ist es im allgemeinen unumgänglich, bereits vorhandene Vorschriften außer Kraft zu setzen, aufzuheben oder abzuändern, und zwar auch solche Vorschriften, die Vergünstigungen enthalten. Mithin kann ein Bürger vernünftigerweise nicht einmal dann erwarten, daß ein Gesetz, das sich nach seiner Überschrift mit der Einführung von steuerlichen Vergünstigungen befaßt, bestehende steuerliche Vergünstigungen nicht beseitigt oder einschränkt. Eine derartige Erwartung ist noch viel weniger angebracht, wenn die Gesetzesüberschrift - wie im vorliegenden Fall - noch nicht einmal auf die Schaffung neuer steuerlicher Vergünstigungen hinweist, sondern lediglich zum Ausdruck bringt, daß sich das Gesetz mit steuerlichen Vergünstigungen befasse, worunter begrifflich auch die Beseitigung oder Einschränkung bestehender steuerlicher Vergünstigungen fällt.

bb) Ebenso abzulehnen ist die Ansicht der Klägerin, wegen der Überschrift des GrEStEigWoG, in der lediglich Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser und Eigentumswohnungen angeführt sind, dürfe § 4 Abs. 4 GrEStEigWoG nicht dahin ausgelegt werden, daß die Einschränkung der bisherigen steuerlichen Vergünstigung auch Mehrfamilienhäuser betreffe. Auch insoweit gilt, daß wegen des erforderlichen Kompromisses zwischen Genauigkeit und Länge bei der Abfassung der Überschrift des GrEStEigWoG im Rahmen der Gesetzesauslegung nicht angenommen werden darf, das Gesetz könne keine Vorschriften enthalten, die andere als die in der Gesetzesüberschrift erwähnten Gebäude betreffen.

cc) Die Klägerin kann schließlich nicht mit Erfolg geltend machen, die Auslegung des § 4 Abs. 4 GrEStEigWoG durch das FA und das FG führe zu einem sie benachteiligenden Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Der aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) herzuleitende Grundsatz, daß Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist, wird dann verletzt, wenn ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung sich nicht finden läßt und demzufolge die gesetzliche Regelung als willkürlich bezeichnet werden muß (vgl. die Nachweise aus der Rechtsprechung des BVerfG bei Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 3 Anm. 10).

Es mag als befremdlich empfunden werden, wenn aufgrund der Regelung in § 4 Abs. 4 GrEStEigWoG für den Erwerb solcher Wohngebäude, die im übrigen nicht unter das GrEStEigWoG fallen und deshalb nicht an dessen Vergünstigungen teilhaben, die - teilweise - Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 8 GrEStG NW beseitigt wurde, ohne daß sie zugleich auch für nicht zu den Wohngebäuden gehörende Baulichkeiten fortgefallen wäre. Im Schrifttum ist hierwegen die Regelung des § 4 Abs. 4 GrEStEigWoG kritisiert worden (vgl. Boruttau/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl., Anh. Rdnr. 2031). Dennoch ist die Ansicht der Klägerin nicht gerechtfertigt, es liege eine den Gleichheitssatz verletzende willkürliche Regelung vor.

Es ist nämlich zu berücksichtigen, daß der Bundesgesetzgeber auf dem Gebiet der Grunderwerbsteuer eine vor allem durch die Vielzahl von steuerlichen Vergünstigungen zustande gekommene Rechtszersplitterung zu bereinigen hatte, deren Ausmaß verfassungsrechtlich nicht mehr unbedenklich war (vgl. Beschluß des BVerfG vom 16. März 1983 1 BvR 1077/80, NJW 1983, 1842). Angesichts dessen muß dem Gesetzgeber zugestanden werden, daß er die Bereinigung nicht sogleich bei der Erlangung der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis im Jahre 1970 herbeiführte und daß er andererseits nicht verpflichtet war, sämtliche Bereinigungsmaßnahmen bis zu der beim Erlaß des GrEStEigWoG im Sommer 1977 bereits vorgesehenen Reform des Grunderwerbsteuerrechts (vgl. Begründung des Bundesrats zum Bundesratsentwurf eines Grunderwerbsteuergesetzes, A. Allgemeine Begründung, II. Bisherige Aktivitäten zu einer Reform der Grunderwerbsteuer, BT-Drucks. 9/251) zurückzustellen, die schließlich mit dem Erlaß des GrEStG 1983 stattgefunden hat. Der Gesetzgeber war vielmehr befugt, bereits vor dem Zustandekommen der Reform seine gesetzgeberischen Maßnahmen in den Dienst der Bereinigung zu stellen, insbesondere Korrekturen an dem - rechtspolitisch nicht unbedenklichen (vgl. Boruttau/Egly/Sigloch, a. a. O.) - § 3 Nr. 8 GrEStG NW anzubringen. Eine Einschränkung der durch diese Vorschrift geschaffenen grunderwerbsteuerrechtlichen Vergünstigung war in Beziehung auf Wohngebäude vor allem auch im Hinblick darauf geboten, daß anderenfalls befürchtet werden mußte, in einem der Bundesländer, nämlich in Nordrhein-Westfalen, könnte versucht werden, durch entsprechende Sachverhaltsgestaltungen die durch das GrEStEigWoG angestrebte Vereinheitlichung und Begrenzung der grunderwerbsteuerrechtlichen Vergünstigungen für die in diesem Gesetz behandelten Erwerbsvorgänge zu umgehen.

Daß der Gesetzgeber beim Erlaß des GrEStEigWoG nicht auch die Anwendbarkeit des § 3 Nr. 8 GrEStG NW in anderen Fällen als denen mit Wohngebäuden und mit dem Sondereigentum an einer bestimmten Wohnung angepaßt hat, kann ihm nicht als Verstoß gegen den Gleichheitssatz angelastet werden. Das Verfassungsgebot, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, läßt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Dieser endet erst dort, wo eine ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist und mangels einleuchtender Gründe als willkürlich beurteilt werden muß. Dementsprechend ist es bei komplexen Sachverhalten - derartige Verhältnisse lagen wegen der Rechtszersplitterung auf dem Gebiet der Grunderwerbsteuer seinerzeit vor - vertretbar, daß dem Gesetzgeber zunächst eine angemessene Zeit zum Sammeln von Erfahrungen eingeräumt und daß ihm zugestanden wird, in diesem Stadium gröbere Typisierungen und Generalisierungen als gewöhnlich gelten zu lassen. Unter solchen Umständen geben die mit ihnen verbundenen Unzuträglichkeiten erst dann Anlaß zu verfassungsrechtlichen Beanstandungen, wenn der Gesetzgeber eine spätere Überprüfung und fortschreitende Differenzierung trotz ausreichenden Erfahrungsmaterials für eine sachgerechtere Lösung unterläßt (vgl. BVerfG-Beschluß vom 10. Mai 1972 1 BvR 286, 293, 295/65, BVerfGE 33, 171 ff., 189 f.; BVerfG-Urteil vom 22. Mai 1963 1 BvR 78/56, BVerf-GE 16, 147 ff., 187).

Angesichts der Beschränkung der Auswirkungen des § 4 Abs. 4 GrEStEigWoG durch die verfassungskonforme Auslegung des § 3 Nr. 8 GrEStG NW seitens des Senats und durch die Inkraftsetzung des neuen GrEStG 1983 am 1. Januar 1983 läßt sich der von der Klägerin geltend gemachte Verstoß gegen den Gleichheitssatz auch nicht auf den Gesichtspunkt stützen, der Gesetzgeber habe später eine sachgerechte Lösung unterlassen. Dies gilt hier um so mehr, als der Erwerbsvorgang, der den Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits darstellt, bereits im Jahre 1977 verwirklicht worden ist.

3. Die Berechnung der Grunderwerbsteuer unterliegt im Hinblick auf die §§ 10 Abs. 1 und 11 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG NW keinen rechtlichen Bedenken.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74938

BStBl II 1984, 327

BFHE 1984, 312

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