Leitsatz (amtlich)

Aufwendungen für den Besuch allgemeinbildender Schulen sind stets Ausbildungskosten. Sie gehören auch dann nicht zu den als Werbungskosten berücksichtigungsfähigen Fortbildungskosten, wenn sie von einem Arbeitnehmer gemacht werden, der schon im Beruf steht.

 

Normenkette

EStG 1969 § 9 Abs. 1 S. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 9, § 12 Nr. 1 S. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) ist nach Grundschul- und Handelsschulausbildung sowie anschließender kaufmännischer Lehre seit dem Jahre 1963 als kaufmännische Angestellte tätig. Nach einer Bescheinigung ihres Arbeitgebers übt sie eine sekretariatsähnliche Tätigkeit aus und soll als Sekretärin für einen der leitenden Angestellten eingesetzt werden, wofür der Arbeitgeber eine gute Allgemeinbildung und Fremdsprachenkenntnisse voraussetzt.

Ihr Antrag, Fahrtkosten zum Besuch eines Abendgymnasiums in Höhe von 1 856 DM mit dem Ziel der Ablegung der Reifeprüfung als Werbungskosten zu berücksichtigen, lehnte das FA ab. Es sah die Ausgaben als Berufsausbildungskosten an und berücksichtigte Sonderausgaben in Höhe von 900 DM gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG 1969 (§ 20a Abs. 2 Nr. 9 LStDV 1969). Der Einspruch blieb erfolglos.

Die Klage wurde abgewiesen. Das FG führte aus: Bildungsaufwendungen seien - und zwar als Fortbildungskosten - nur dann abzugsfähig, wenn sie dem Fortkommen, der Leistungsfähigkeit und der besseren Verdienstmöglichkeit des Steuerpflichtigen innerhalb des bisher ausgeübten Berufs dienten. Fortbildung stehe begrifflich in einem engen sachlichen Zusammenhang mit der bereits ausgeübten beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen und diene der Vertiefung seines spezifisch beruflichen Wissens. Bildungsaufwendungen, die ihrer Art und Stellung nach zum planmäßigen Bildungsgang vor Eintritt in das Berufsleben gehörten, seien nach § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG nicht abzugsfähige Ausbildungskosten. Das gelte auch dann, wenn der Erwerb der Allgemeinbildung erst im Anschluß an eine bereits mehrjährige Berufstätigkeit erfolge. Es handele sich dann lediglich um eine nachgeholte Ausbildung mit der Folge, daß die hierdurch verursachten Kosten steuerlich nicht anders als anfängliche Ausbildungskosten zu behandeln seien. Dem stehe nicht entgegen, daß die von der Steuerpflichtigen erstrebte bessere Allgemeinbildung ihr auch bei der derzeitigen sekretariatsähnlichen Tätigkeit nützlich sein könne. Daß eine gute Allgemeinbildung der Berufsausübung nütze, gelte nicht nur für den Beruf der Steuerpflichtigen oder für die Funktion einer Sekretärin, sondern in demselben Maße auch für andere Berufe. Es fehle daher der unmittelbare und spezifische Zusammenhang mit dem bisherigen Beruf.

Mit der Revision rügt die Steuerpflichtige Verletzung des geltenden Rechts. Sie beantragt, die Fahrtkosten als Werbungskosten anzuerkennen. Zur Begründung wird geltend gemacht: Das FG berücksichtige bei seiner Entscheidung weder die in den letzten Jahren eingetretene allgemeine berufliche Fortbildungstendenz noch die dieser Veränderung Rechnung tragenden jüngeren Entscheidungsgrundsätze des BFH. Nach höchstrichterlicher Auffassung handele es sich eindeutig um Berufsfortbildung, wenn eine Gerichtsreferendarin die Weiterbildung zur Assessorin betreibe (BFH-Urteil VI 72/65 vom 25. November 1966, BFH 88, 162, BStBl III 1967, 340) oder - im vorliegenden Fall - eine Sekretärin die Weiterbildung zur Chefsekretärin auf sich nehme. In dem einen wie in dem anderen Falle sei vor der Weiterbildung eine abgeschlossene berufliche Situation eingetreten. In beiden Fällen begnüge sich nach einer Zeit der Berufstätigkeit die Arbeitnehmerin nicht mehr mit dem erreichten Status. Sie wolle sich höher qualifizieren, um ihre gegenwärtigen Einkünfte zu verbessern und die zukünftigen zu sichern. Es werde nicht verkannt, daß es auch heute noch den "klassischen" Berufsweg gebe. Die heutigen Schulverhältnisse ließen aber auch einem recht umfangreichen Personenkreis Entwicklungsmöglichkeiten offen, der nicht zugleich "in einem Zuge" das Berufsziel erreichen könne. Viele, wie auch im vorliegenden Fall sie selbst, müßten zuvor aus eigenen Einkünften eine gewisse finanzielle Basis schaffen, um auch die Kosten für ihre berufliche Weiterbildung aufbringen zu können. Bereits jetzt forderten viele Firmen von einer Sekretärin eine gute Allgemeinbildung. Bei einer Entspannung des Arbeitsmarktes würden diese Anforderungen obligatorisch werden. Schon aus diesem Grunde müsse sich eine Sekretärin (also auch sie in ihrer derzeitigen Position) zur Sicherung der derzeitigen Einkünfte darauf einstellen und das Abitur anstreben. Für eine Chefsekretärin sei dies doppelt unerläßlich.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Werbungskosten sind alle Aufwendungen, die durch den Beruf als Arbeitnehmer veranlaßt sind, soweit die Kosten nicht Kosten der Lebenshaltung im Sinne von § 12 Nr. 1 EStG sind, wie der Senat im Urteil VI 79/60 S vom 2. März 1962 (BFH 74, 513, BStBl III 1962, 192) ausgeführt hat. Kosten der Ausbildung für einen Beruf sind grundsätzlich Kosten der privaten Lebensführung im Sinne von § 12 Nr. 1 EStG, die das Einkommen - sieht man von § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG 1969 ab - nicht mindern dürfen (vgl. u. a. BFH-Urteile VI 110/62 U vom 24. August 1962, BFH 75, 606, BStBl III 1962, 488, und VI 45/63 U vom 28. Juni 1963, BFH 77, 313, BStBl III 1963, 435). Ausgaben des Steuerpflichtigen zur Fortbildung in seinem bereits ausgeübten Beruf sind dagegen Werbungskosten im Sinne von § 9 EStG, weil sie der Erhaltung und regelmäßig auch der Erhöhung der Einnahmen aus dem Beruf dienen.

Die Abgrenzung von Ausbildungs- und Fortbildungskosten ist oft schwierig. Mit ihr hat sich eine ganze Anzahl von BFH-Urteilen befaßt. Dabei hat der BFH wiederholt darauf hingewiesen, daß es auch im öffentlichen Interesse liege, das Streben nach Verbesserung der Berufsleistung zu fördern und deshalb den steuerlichen Begriff "Fortbildungskosten" nicht zu eng zu fassen (so zuletzt im Urteil VI R 75/66 vom 5. Oktober 1966, BFH 87, 521, BStBl III 1967, 230). Grundsätzlich steht es den Arbeitnehmern frei, welche Ausgaben sie für ihre Fortbildung machen wollen, sofern die Ausgaben nicht ausschließlich oder überwiegend auch die Lebenshaltung berühren.

Wenn hiernach auch der Begriff der Fortbildungskosten nicht eng zu fassen ist, so dürfen doch die grundsätzlichen Grenzen zwischen Ausbildung und Fortbildung nicht verwischt werden. Zur Berufsausbildung gehören sowohl der Besuch allgemeinbildender Schulen, der - meist mit einer zusätzlichen Fachausbildung - Grundlage für die Ausübung der verschiedensten Berufe ist, als auch die auf die Erlernung eines bestimmten Berufs gerichteten Maßnahmen, d. h. die Schaffung der Voraussetzungen für die Ausübung eines bestimmten Berufs. Zur Berufsfortbildung gehören Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, die Kenntnisse und Fähigkeiten in dem bereits ausgeübten Beruf zu erweitern oder zu vertiefen.

Die Rechtsprechung des BFH auf diesem Gebiet bietet in Anbetracht der Schwierigkeit und Vielseitigkeit der Materie kein völlig einheitliches Bild und hat sich in manchen Punkten im Laufe der Jahre geändert, insbesondere soweit dies durch eine Entwicklung der Verhältnisse bedingt war. Es sei insbesondere auf die Beurteilung des Hochschulstudiums als Ausbildung im Urteil IV R 266/66 vom 16. März 1967 (BFH 89, 511, BStBl III 1967, 723 in teilweiser Abweichung von den Grundsätzen des Urteils VI 5/65 vom 25. Januar 1966, BFH 84, 543, BStBl III 1966, 198) und auf die Beurteilung der Aufwendungen der Referendare für die zweite Staatsprüfung als Fortbildungskosten im Urteil VI 72/65 (a. a. O.) in Abweichung von der früheren ständigen Rechtsprechung im Urteil VI 162/59 U vom 4. August 1961 (BFH 74, 9, BStBl III 1962, 5) hingewiesen. Allen Fällen in denen der BFH Fortbildungskosten angenommen hat, ist aber gemeinsam, daß es sich um die Teilnahme an Veranstaltungen handelt, die berufsbezogen sind und objektiv mit der ausgeübten Tätigkeit zusammenhängen, also spezifische Berufskenntnisse vermitteln. Aus der Vielzahl der Urteile sei auf das schon erwähnte Urteil VI 72/65 (a. a. O.) betreffend Aufwendungen der Referendare für die zweite Staatsprüfung und das Urteil VI R 75/66 (a. a. O.) betreffend Aufwendungen eines Steuerassistenten für die Teilnahme an einem Steuerrechtslehrgang und das Urteil VI R 135/67 vom 18. August 1967 (BFH 90, 40, BStBl III 1967, 792) betreffend Aufwendungen für die Teilnahme eines Verwaltungsangestellten an Lehrgängen zur Vorbereitung auf die Inspektorprüfung hingewiesen.

An dieser Berufsbezogenheit fehlt es bei dem Besuch allgemeinbildender Schulen; denn die hier erworbenen Kenntnisse dienen nicht der Vermittlung spezifischer Berufskenntnisse, sondern schaffen die Grundlage für die Ausübung der verschiedensten Berufe. Dabei kann es aus Gründen der Gleichbehandlung keinen Unterschied machen, ob die allgemeinbildende Schule vor dem Eintritt in das Berufsleben oder während der Ausübung eines Berufs besucht wird.

Der Senat hat bereits im Urteil VI 156/61 vom 17. August 1962 (StRK, Einkommensteuergesetz, § 9 Sätze 1 und 2, Rechtsspruch 215) entschieden, daß Aufwendungen zur Ablegung der Reifeprüfung zu den nicht abzugsfähigen Ausbildungskosten gehören. Auch in diesem Fall handelte es sich um die Nachholung des Abiturs durch einen bereits im Beruf stehenden Steuerpflichtigen. Hier wurde der Zusammenhang mit der bisherigen Berufstätigkeit verneint, weil das Abitur die Voraussetzung für eine nachträgliche Aufnahme eines Hochschulstudiums schaffen sollte. Die dargelegten Grundsätze gelten aber ebenso, wenn der Steuerpflichtige, der sich auf die Reifeprüfung vorbereitet, in dem von ihm ausgeübten Beruf verbleiben will.

Der Ansicht der Steuerpflichtigen, bei einer Sekretärin sei die Ablegung einer Reifeprüfung anders zu beurteilen als bei den Angehörigen anderer Berufe, kann nicht gefolgt werden. Das FG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß eine gute Allgemeinbildung Voraussetzung für die erfolgreiche Ausübung jedes gehobenen Berufes ist. Eine Verbesserung der Allgemeinbildung durch Ablegung der Reifeprüfung ist nicht nur für das berufliche Fortkommen einer Sekretärin nützlich, sondern ebenso für das berufliche Fortkommen der Angehörigen zahlreicher anderer Berufe. Dadurch wird die Verbesserung der Allgemeinbildung aber nicht zur Berufsfortbildung, weil es eben an der hierfür zu verlangenden Berufsbezogenheit fehlt und durch die Verbesserung der Allgemeinbildung nicht spezifische Berufskenntnisse vermittelt werden.

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG 1969 können Ausbildungskosten in bestimmtem Umfang als Sonderausgaben berücksichtigt werden. Das ist im Streitfall auch geschehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413086

BStBl II 1972, 242

BFHE 1972, 220

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