Leitsatz (amtlich)

Die Ablehnung der Berichtigung von Eingangsabgabenbescheiden nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO ist dann nicht ermessensmißbräuchlich, wenn der Berichtigungsantrag erst in einem Zeltpunkt gestellt wird, in dem die für die Abgabenansprüche geltende Verjährungsfrist bereits abgelaufen ist.

 

Normenkette

AO §§ 94, 223-224

 

Tatbestand

Die Klägerin führt seit vielen Jahren Echtgoldprägefolien ein, die bis zum Jahre 1955 nach Tarifnr. 71.07 des Deutschen Zolltarifs – DZT – (Zollsatz 5 v. H.) abgefertigt wurden. Auf Grund einer der Klägerin am 22. März 1955 erteilten verbindlichen Zollauskunft wurden die Folien seitdem als „zubereitete Metallfarbe (Goldstaub, auf eine Kunststoffolie aufgedampft, mit Klebeschicht) nicht in Aufmachung für den Einzelverkauf” der Tarifnr. 32.12 DZT (Zollsatz 25 v. H.) zugewiesen, bei sämtlichen Einfuhren entsprechend abgefertigt; die festgesetzten Eingangsabgaben wurden gezahlt. Im Jahre 1961 wurde der Klägerin bekannt, daß die Goldschicht auf den Folien nicht mittels Aufdampfens von Goldstaub, sondern nach einem in den USA angewandten Verfahren auf elektrolytischem Wege aufgebracht wurde. In einer von der Klägerin auf Grund dieser Erkenntnisse im Dezember 1961 beantragten verbindlichen Zolltarifauskunft vom 26. Oktober 1962 wurden die Folien nunmehr wiederum, wie bereits vor 1955, der Tarifnr. 71.07-D DZT zugewiesen.

Das Zollamt (ZA) erstattete der Klägerin zunächst die sich aus der geänderten Tarifierung ergebenden Unterschiedsbeträge für die ab 2. Dezember 1961 erlassenen Zollbescheide, die die Klägerin angefochten hatte. Später bezog es in die Erstattung auch noch die in der Zeit vom 1. Januar 1961 bis Anfang Dezember 1961 erlassenen Bescheide, die unanfechtbar geworden waren, ein. Den weitergehenden Antrag der Klägerin, die sich aus der günstigeren Tarifierung (Tarifnr. 71.07-D) ergebenden Unterschiedsbeträge auch für die vor dem 1. Januar 1961 abgefertigten Einfuhren zu erstatten, lehnte das ZA dagegen ab. Es vertrat die Auffassung, die entsprechenden Zollbescheide könnten nicht mehr nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigt werden, weil sie wegen Nichteinlegung von Rechtsbehelfen unanfechtbar geworden und die festgesetzten Zoll- und Umsatzausgleichsteueransprüche verjährt seien (§ 144 AO). Damit scheide auch eine Erstattung aus.

Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg.

In der als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Die Berichtigung von Zollbescheiden nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO unterliege keiner zeitlichen Beschränkung und sei insbesondere unabhängig von der Verjährung vorzunehmen. Der Gesichtspunkt der Verjährung sei gemäß § 224 AO nur beachtlich bei Berichtigung von Steuerbescheiden zugunsten des Steuerpflichtigen nach vorangegangener Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde. Gerade aus dem Vorhandensein dieser, einen Sondertatbestand regelnden Gesetzesbestimmung ergebe sich, daß in dem anders gelagerten Fall des § 94 AO, in dem eine Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde nicht vorangegangen sei, die Verjährung außer Betracht bleiben müsse.

Die Berichtigung für die Zeit vor dem Jahre 1961 könne auch nicht um deswillen versagt werden, weil gegen die damals erlassenen Bescheide kein Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Dieser Umstand dürfe, wie in dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) VII 155/62 U vom 30. Juni 1964 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 80 S. 44 – BFH 80, 44 –, BStBl III 1964, 490) ausgeführt sei, dem Steuerpflichtigen bei Beurteilung von Berichtigungsanträgen dann nicht angelastet werden, wenn gegen die Einlegung von Rechtsbehelfen stichhaltige Bedenken bestanden hätten. Dies sei hier der Fall gewesen.

Hilfsweise werde das Berichtigungsbegehren auch auf § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG gestützt. Nach der vom BFH im Urteil VII 38/62 vom 16. Oktober 1962, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1963 S 81 (ZfZ 1963, 81) vertretenen Auffassung gebe diese Vorschrift die Möglichkeit, dem zu Unrecht Besteuerten ohne Rücksicht auf entgegenstehende Vorschriften des geltenden Rechts dann zu helfen, wenn das Fehlen eines Besteuerungsmerkmals erst längere Zeit nach eingetretener Unanfechtbarkeit eines Steuerbescheides festgestellt werde und der Steuerpflichtige gegen seine Inanspruchnahme mit den vorgesehenen Rechtsbehelfen nicht vorgehen konnte oder ihm dies nicht zugemutet werden konnte.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und das ZA zur Berichtigung des Zollbescheides vom 4. August 1955 durch Anwendung der Tarifnr. 71.01 zu verpflichten.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er hält daran fest, daß die Berichtigung nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO einer zeitlichen Begrenzung unterliege und deshalb nur bei den Bescheiden, die nicht verjährte Steueransprüche zum Gegenstand hätten, möglich sei. Das sei nur hinsichtlich der nach dem 1. Januar 1961, nicht aber der vorher abgefertigten Einfuhren der Fall. Da die vorher ergangenen Bescheide schon wegen Verjährung nicht mehr berichtigt werden könnten, sei es nicht ausschlaggebend, ob die Nichteinlegung von Rechtsbehelfen in der Zeit vor dem 1. Januar 1961 von der Klägerin zu vertreten gewesen sei oder nicht.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

§ 94 AO gibt, wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, dem Steuerpflichtigen keinen Rechtsanspruch auf Änderung eines Steuerbescheides, vielmehr liegt es im Ermessen der Zollbehörden, ob sie von dem ihnen in § 94 AO eingeräumten Recht Gebrauch machen. Sie haben dabei nach Recht und Billigkeit vorzugehen. Die Nachprüfung durch die Steuergerichte erstreckt sich nur darauf, ob die Verwaltung bei ihren Entscheidungen die der Ermessensausübung gesetzten Grenzen eingehalten und ob sie innerhalb dieser Grenzen Recht und Billigkeit beachtet hat.

Die Verwaltung hat die Berichtigung der vor dem 1. Januar 1961 erlassenen Zollbescheide abgelehnt, weil die diesen Bescheiden zugrunde liegenden Steueransprüche (bei Nichtentrichtung der Abgaben) gemäß §§ 144, 145 AO am 31. Dezember 1960 verjährt gewesen wären. Dabei hat die Verwaltung das Schreiben der Klägerin vom 13. Dezember 1962 als zeitlichen Ausgangspunkt für die Berechnung der Verjährungsfrist angenommen, obwohl dieses Schreiben an sich keimen Berichtigungsantrag enthält; es kann aber noch als solcher ausgelegt werden.

In der Sache selbst geht es darum, ob der Standpunkt der Verwaltung, die die begehrten Berichtigungen (§ 94 Abs. 1 Nr. 1 AO) abgelehnt hat, weil die für die Steueransprüche geltende Verjährungsfrist (§ 144 AO) abgelaufen sei, sachlich vertretbar ist. Der erkennende Senat hat diese Frage im Urteil VII 63/61 vom 14. März 1962, Steuerrechtsprechung in Karteiform (StRK), Reichsabgabenordnung, § 94, Rechtsspruch 31, in Übereinstimmung mit dem Urteil des V. Senats V z 175/55 vom 6. Februar 1958, ZfZ 1958, 181, StRK, Reichsabgabenordnung, § 94, Rechtsspruch 10, bejaht. Er hält an seinem Standpunkt fest.

Die von der Revision hiergegen erhobenen Einwendungen sind nicht begründet. Sie können nicht auf den Wortlaut des § 94 AO gestützt werden, da dieser über die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt rückwirkend die schlichte Änderung (§ 94 AO) möglich ist, keinen Aufschluß gibt. Der V. Senat hat sich in seinem Urteil V z 175/55 (a. a. O.) für die Anwendung der Verjährungsfrist bei Berichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen insbesondere deshalb ausgesprochen, weil auch im umgekehrten Falte, nämlich dem der Berichtigung zuungunsten des Steuerpflichtigen, der zu einer Nachforderung von Steuern führt, eine solche nach der ausdrücklichen Regelung des § 223 AO nur bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zulässig ist. Es erscheint nicht sinngerecht, das Gesetz so auszulegen, daß die Berichtigung zugunsten und diejenige zuungunsten des Steuerpflichtigen hinsichtlich des für die Rückwirkung maßgeblichen Zeitraumes voneinander abweichen. Dies würde bei Zöllen und Verbrauchsteuern dazu führen, daß Nachforderungen nur für das letzte Jahr, Erstattungen hingegen rückwirkend für praktisch unbegrenzte Zeit möglich wären. Wenn im Fall des § 224 AO, also bei Berichtigungen zugunsten des Steuerpflichtigen, auch eine Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde vorangegangen sein muß, so begründet dies für die hier einschlägige Frage der Auswirkungen für die Vergangenheit im tatsächlichen Ausgangspunkt keinen so wesentlichen Unterschied, daß damit eine in den Konsequenzen so weitgehende Ungleichheit bei Nachforderungen einerseits und Erstattungen andererseits zu rechtfertigen wäre. Der Steuerpflichtige wird durch die zeitlich begrenzte Rückwirkung bei Berichtigungen zu seinen Gunsten gegenüber der Verwaltung nicht benachteiligt, vielmehr nur gleichgestellt. Der Senat sieht daher keinen Anlaß, davon abzugehen, daß auch bei Berichtigungen zugunsten des Steuerpflichtigen die Berücksichtigung der Verjährungsfrist sachlich vertretbar ist.

Die zahlreichen und sehr ins einzelne gehenden Bedenken der Revision gegen dieses Ergebnis richten sich, jedenfalls in ihrem rechtlichen Kern, letzten Endes nicht nur gegen die Anwendung der Verjährungsfrist im Falle des § 94 AO, sondern in erster Linie gegen den von der Verjährung verfolgten Zweck überhaupt. Dieser besteht jedoch darin, daß im Interesse des Rechtsfriedens zurückliegende Tatsachen in vergangener Zeit aus verschiedenen Gründen nicht mehr aufgegriffen und zum Gegenstand erneuter Ermittlungen und Rechtsfindung gemacht werden sollen (vgl. hierzu für das Zivilrecht Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, Anm. 2 vor § 194). Gerade auf das Gegenteil aber läuft, wie der Streitfall zeigt, das Vorbringen der Revision hinaus. Bei folgerichtiger Anwendung der von der Revision vertretenen Rechtsansicht, daß die Berichtigung auch für die rückliegende Zeit unbeschränkt durchzuführen sei, hätte nämlich die Verwaltung in Ermittlungen darüber eintreten müssen, ob das elektrolytische Verfahren in den USA schon seit dem Jahre 1955 oder erst von einem späteren Zeitpunkt an angewandt wurde und gegebenenfalls dann, von welchem Zeitpunkt an. Daß das von der Klägerin eingeführte Endprodukt seit dem Jahre 1955 stets das gleiche gewesen ist, sagt nichts über die Art des Herstellungsvorgangs in diesem Zeitraum aus. Über das Herstellungsverfahren aber wäre, wie sich aus den Darlegungen der Klägerin ergibt, bei dem ausländischen Hersteller kein Aufschluß zu erhalten gewesen. Dies alles zeigt, daß die zeitliche Begrenzung von Änderungen nach § 94 AO nicht nur im Interesse der Rechtssicherheit, der sogar gegenüber dem Prinzip der Gerechtigkeit der Vorrang eingeräumt werden kann (vgl. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 678/57 vom 12. Dezember 1957, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 194 ff.), sondern auch praktisch geboten ist. Andernfalls wäre die Verwaltung gezwungen, in entfernte Vergangenheit zurückreichende und damit wesentlich erschwerte Ermittlungen vorzunehmen. Im Bereich der Eingangsabgaben kommt noch erschwerend hinzu, daß die eingeführte Ware in der Regel alsbald nach der Einfuhr weiterveräußert wird, was die Ermittlungen über die Art ihrer Beschaffenheit im Zeitpunkt der Einruhr mit einem zusätzlichen Unsicherheitsfaktor belastet. Der Senat sieht daher auch bei voller Würdigung des Sachverhalts im Streitfall keine Möglichkeit, von dem Grundsatz abzuweichen und eine Ausnahme zuzulassen.

Die Berichtigung der vor dem 1. Januar 1961 erlassenen Bescheide kann auch nicht auf Grund von § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG begehrt werden. Die dort geforderten Voraussetzungen, daß ein Merkmal, dessen Vorliegen das Gesetz für die Steuerschuld fordert, nachträglich weggefallen ist, liegen hier nicht vor. Auch eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG ist nicht möglich, da ein „besonders gelagerter Fall” im Sinne des Urteils des Reichsfinanzhofs III e 11/40 vom 24. Oktober 1940, RStBl 1940, 931) der eine solche Analogie allenfalls rechtfertigen könnte (vgl. das von der Revision zitierte Urteil des erkennenden Senats VII 38/62, a.a.O.), hier nicht gegeben ist.

Die von der Vorinstanz und der Revision weiter angesprochene Frage, ob die Klägerin in der Lage gewesen war, gegen die vor dem 1. Januar 1961 erlassenen Bescheide rechtzeitig Rechtsbehelfe einzulegen, kann auf sich beruhen. Es kommt nicht hierauf an, weil die Ermessensentscheidung der Verwaltung, mit der die Berichtigung dieser Bescheide abgelehnt wurde, wegen Verjährung der entsprechenden Steueransprüche aus den oben angeführten Gründen als mit Recht und Billigkeit vereinbar und daher im Ergebnis nicht zu beanstanden ist. Die Revision war deshalb als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 514597

BFHE 1969, 315

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