Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Zuverlässigkeit eines Steuerlagerinhabers

 

Leitsatz (NV)

1. Der Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens aufgrund einer Anfechtungsklage kann nur dann mit demjenigen eines anderen gerichtlichen Anfechtungsverfahrens übereinstimmen, wenn der Verwaltungsakt in beiden Verfahren identisch ist.

2. a) Bedenken gegen die steuerliche Zuverlässigkeit eines Steuerlagerinhabers kommen dann in Betracht, wenn die Befürchtung gerechtfertigt ist, der Lagerinhaber werde die ihm nach dem Steuerrecht obliegenden Pflichten künftig nicht erfüllen.

b) Ob die Befürchtung besteht, ist eine Frage tatsächlicher Art, über die das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung - insbesondere ohne Bindung an die vom HZA beim Erlaß der Widerrufsverfügung in der Gestalt der Einspruchsentscheidung gewonnene Überzeugung - zu entscheiden hat.

 

Normenkette

MinöStG § 9 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 110 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) unterhält seit dem 1. Januar 1973 ein von dem Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt - HZA -) bewilligtes Mineralölsteuerlager. Mit Verfügung vom 14. Dezember 1979 widerrief das HZA die Bewilligung mit der Begründung, gegen die steuerliche Zuverlässigkeit des Geschäftsführers und Alleingesellschafters V der Klägerin bestünden schwerwiegende Bedenken.

Nach erfolglosem Einspruch hob das Finanzgericht (FG) auf die Klage der Klägerin hin die Widerrufsverfügung und die Einspruchsentscheidung auf mit der Begründung: Das FG sei nicht an das Urteil des FG X gebunden, dessen Gegenstand die Widerrufsverfügung des HZA H sei. Die Rechtmäßigkeit sei nach der Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der Widerrufsverfügung zu beurteilen. Danach komme es nicht auf die Fassung des § 9 des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) an, die diese Vorschrift durch das Erste Gesetz zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes vom 4. August 1980 (BGBl I 1980, 1157) erhalten habe. Unter Beachtung der vorherigen Rechtslage müsse die Widerrufsverfügung aufgehoben werden, weil schwerwiegende Bedenken gegen die steuerliche Zuverlässigkeit des V nicht bestünden. Dazu sei erforderlich, daß Pflichtverletzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten seien oder den Pflichten, mit deren Verletzung zu rechnen sei, besondere Bedeutung zukomme. Das sei zu verneinen.

Von drei Vorfällen abgesehen, stütze das HZA seine Widerrufsverfügung auf Sachverhalte aus der Zeit, in der A Gesellschafter der Klägerin gewesen sei, oder auf Sachverhalte, die mit diesen zusammenhingen. Offenbar habe in den Jahren 1977 bis 1979 eine besondere Situation bestanden, die von einer mehr oder weniger starken Abhängigkeit der Klägerin von A geprägt gewesen sei. Diese Abhängigkeit habe sich auch auf das Verhalten des V ausgewirkt. Diese besondere Situation bestehe aber nicht mehr. Deshalb sei auch kein konkreter Anlaß zu der Annahme gegeben, die besondere Situation könne sich in absehbarer Zeit wiederholen.

Soweit die Widerrufsbegründung auf den Absatz steuerbegünstigten Mineralöls als Kraftstoff ohne Nachversteuerung gestützt sei, komme eine Pflichtverletzung des V nicht in Betracht. Das Ermittlungsverfahren gegen V sei eingestellt. Im übrigen sei umstritten, ob in jenem Fall die bedingte Steuerschuld - beim Erwerb des steuerbegünstigten Mineralöls - auf die Klägerin übergegangen und in ihrer Person unbedingt geworden sei. Wegen dieser Angelegenheit schwebe ein Rechtsstreit in der Revisionsinstanz beim Bundesfinanzhof (BFH).

Nichts anderes gelte für den Vorwurf, V stehe im Verdacht, Lohnsteuer hinterzogen zu haben. In dem Strafverfahren gegen V warte das Amtsgericht den Ausgang des Steuerverfahrens ab. Ob der Erlaß eines Darlehens lohnsteuerpflichtig sei, sei zweifelhaft. Die Angelegenheit sei in der Revisionsinstanz beim BFH anhängig. Vor dem Ende der Gerichtsverfahren könnten aus diesem Vorgang keine Rückschlüsse auf die steuerliche Zuverlässigkeit des V gezogen werden. Auch wenn das FG entgegen den vorstehenden Ausführungen annehme, daß Pflichtverletzungen der genannten Art zu befürchten seien, so komme diesen bei der Lage des Streitfalles keine besondere Bedeutung zu. Bei dieser Prognose lasse das FG sich davon leiten, daß V seit 1972 Geschäftsführer der Klägerin sei und daß in dieser Zeit die Mineralölsteuer stets - bis auf zwei längst bereinigte und deshalb unerhebliche Fälle - pünktlich angemeldet und auch stets pünktlich und vollständig entrichtet worden sei. Das sei auch in risikoreichen Zeiten geschehen, in denen die Lagerumsätze - von Monat zu Monat - zurückgegangen seien. Der Wechsel von Gesellschaftern und Geschäftspartnern sei ohne Einfluß auf die Entrichtung der Mineralölsteuern geblieben, und zwar auch in der Zeit, die das HZA wegen des Eintritts bestimmter Gesellschafter oder wegen der Zusammenarbeit mit bestimmten Firmen als besonders gefährlich angesehen habe. Die Behauptung des HZA, in Zeiten krisenhafter und schwieriger Umstände sei auf die Klägerin kein Verlaß, sei unverständlich.

Das HZA begründet seine Revision im wesentlichen wie folgt:

Für die Rechtmäßigkeit des Widerrufs sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung und damit die Frage maßgebend, ob das HZA in diesem Zeitpunkt von steuerlichen Bedenken gegen V habe ausgehen müssen und dürfen. Der BFH habe in dem Beschluß . . . entschieden, daß Bedenken gegen die steuerliche Zuverlässigkeit des V bestünden. Das Urteil des FG stehe im Widerspruch zu dieser Entscheidung. Der Auffassung des FG könne nicht gefolgt werden. Die Entscheidung des FG hinterlasse den Eindruck, daß nach seiner Meinung V jedenfalls nunmehr steuerlich zuverlässig sei. Das sei aber für die Rechtmäßigkeit der Widerrufsverfügung ohne Bedeutung.

Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Aufhebung der Widerrufsverfügung und der Einspruchsentscheidung durch das angefochtene Urteil des FG beruht nicht auf einem Rechtsfehler.

1. Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die Widerrufsverfügung und die Einspruchsentscheidung nicht schon aufgrund einer Bindung an das Urteil des FG X aufzuheben waren. Eine derartige Bindung käme nach § 110 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur dann in Betracht, wenn der Streitgegenstand in dem angefochtenen Urteil und derjenige in dem Urteil des FG X übereinstimmten. Das trifft jedoch schon deshalb nicht zu, weil Gegenstand des Urteils des FG X, wie das FG aufgezeigt hat, eine andere Widerrufsverfügung war.

Streitgegenstand ist bei Anfechtungsklagen die Rechtsbehauptung des Klägers, der angefochtene Verwaltungsakt sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten (vgl. Beschluß des BFH vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 8. Aufl., § 121 Rdnr. 10 c). Das bedeutet, daß der Streitgegenstand bei Anfechtungsklagen durch den im Einzelfall angefochtenen Verwaltungsakt bestimmt wird und daß der Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens aufgrund einer Anfechtungsklage nur dann mit demjenigen eines anderen gerichtlichen Anfechtungsverfahrens übereinstimmen kann, wenn der Verwaltungsakt in beiden Verfahren identisch ist.

2. Das FG ist im Ergebnis ohne Rechtsfehler zu der Entscheidung gelangt, daß nach den von ihm getroffenen Feststellungen die Widerrufsverfügung in der Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtswidrig ist.

a) Ob das zutrifft, ist allerdings entgegen der Auffassung des FG nach dem bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einspruch geltenden § 9 Abs. 1 MinöStG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes vom 4. August 1980 zu beurteilen.

Da die Widerrufsverfügung und die Einspruchsentscheidung, wie sich aus § 44 Abs. 2 FGO ergibt, für das finanzgerichtliche Verfahren grundsätzlich als Einheit zu behandeln sind, ist im Hinblick auf § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO zu entscheiden, ob die Widerrufsverfügung in der Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Das war bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einspruch davon abhängig, daß die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Sätze 2 und 4 MinöStG in der aufgezeigten Fassung erfüllt waren. Daraus folgt, daß die Widerrufsverfügung in der Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtswidrig ist, wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

b) Die Feststellungen des FG rechtfertigen die Entscheidung, daß die Widerrufsverfügung in der Gestalt der Einspruchsentscheidung auch bei Anwendung des § 9 Abs. 1 MinöStG in der aufgezeigten Fassung rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.

Die Rechtmäßigkeit der Widerrufsverfügung ist nach § 9 Abs. 1 Sätze 2 und 4 MinöStG davon abhängig, daß Bedenken gegen die steuerliche Zuverlässigkeit des Steuerlagerinhabers bestehen. Das trifft nach den Feststellungen des FG nicht zu.

Bedenken gegen die steuerliche Zuverlässigkeit eines Steuerlagerinhabers kommen dann in Betracht, wenn die Befürchtung gerechtfertigt ist, der Lagerinhaber werde die ihm nach dem Mineralölsteuerrecht obliegenden Pflichten künftig nicht erfüllen. Das ist daraus zu folgern, daß bei Gewähr der Erfüllung der genannten Pflichten grundsätzlich von der steuerlichen Zuverlässigkeit auszugehen ist (vgl. Urteil des Senats vom 7. Juli 1970 VII R 90/68, BFHE 99, 565).

Ob die Befürchtung besteht, ist eine Frage tatsächlicher Art, über die das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung - insbesondere ohne Bindung an die vom HZA beim Erlaß der Widerrufsverfügung in der Gestalt der Einspruchsentscheidung gewonnenen Überzeugung - zu entscheiden hatte (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Hat das FG diese Voraussetzungen bei seiner Überzeugungsbildung beachtet (vgl. dazu Urteil des Senats vom 24. März 1987 VII R 155/85, BFH/NV 1987, 560), ist der BFH als Revisionsgericht daran gebunden, da es sich um eine tatsächliche Feststellung i. S. des § 118 Abs. 2 FGO handelt.

Den Ausführungen des FG ist zu entnehmen, daß es zu der Überzeugung gelangt ist, eine Verletzung der Pflichten nach dem Mineralölsteuerrecht seitens der Klägerin sei für die Zukunft nicht zu befürchten. Das entnimmt der Senat insbesondere den Ausführungen des FG, daß Pflichtverletzungen bei der Lage des Streitfalles keine Bedeutung mehr zukomme und daß die Behauptung des HZA, in Zeiten krisenhafter und schwieriger Umstände sei auf die Klägerin kein Verlaß, unverständlich sei. Diese Ausführungen können nur dahin verstanden werden, daß das FG eine Grundlage, die die Befürchtung rechtfertigen könnte, die Klägerin werde künftig ihre mineralölsteuerrechtlichen Pflichten nicht erfüllen, nicht für gegeben gehalten hat und zu der Schlußfolgerung gelangt ist, Verstöße gegen mineralölsteuerrechtliche Pflichten seien künftig nicht zu befürchten. Für dieses Ergebnis sprechen im übrigen auch die Darlegungen des FG, die die Begründung der Widerrufsverfügung durch das HZA betreffen und in denen zum Ausdruck kommt, daß das FG Pflichtverletzungen seitens der Klägerin nicht für gegeben hält.

Dagegen spricht nicht, daß das FG bei seinen Erwägungen tatsächlicher Art von der rechtlichen Frage ausgegangen ist, ob ,,schwerwiegende" Bedenken gegen die steuerliche Zuverlässigkeit der Klägerin bestehen. Die Ausführungen, mit denen das FG diese Frage verneint hat, lassen - trotz der Ausrichtung auf die Frage, ob ,,schwerwiegende" Bedenken bestünden - erkennen, daß das FG zu dem Ergebnis gelangt ist, es bestünden keinerlei Bedenken gegen die steuerliche Zuverlässigkeit der Klägerin.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415432

BFH/NV 1988, 600

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