Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ehegatten sind bei getrennter Veranlagung gemäß § 32 a Satz 1 EStG 1957 in die Steuerklasse I nur dann einzuordnen, wenn beide Ehegatten eigene Einkünfte gehabt haben.

 

Normenkette

EStG §§ 26a, 32a/1, § 46 Abs. 1 Ziff. 4, § 46/2/7

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist selbständiger Tanzlehrer. In den Vorinstanzen ging der Streit um die Höhe der Betriebsausgaben. Dieser Punkt ist nicht mehr streitig, nachdem das Finanzgericht insoweit dem Antrag des Bf. teilweise stattgegeben hat.

Der Bf. war im Streitjahr 1954 kinderlos verheiratet; inzwischen ist er geschieden. Das Finanzamt hatte ihn gemäß § 26 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1953 mit seiner früheren Ehefrau zusammen veranlagt. Nachdem im Laufe des Berufungsverfahrens durch das Gesetz zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (Bundesgesetzblatt I S. 848, Bundessteuerblatt - BStBl - I S. 352) die Ehegattenbesteuerung für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1957 neu geregelt worden war, wies das Finanzgericht mit Schreiben vom 11. November 1957 den Bf. auf diese änderung hin und bemerkte zugleich, daß nach § 26 e EStG 1957 Ehegatten nur zusammen veranlagt würden, wenn beide es beantragten. Der Bf. teilte mit, daß er keinen Antrag stelle. Als ihn das Finanzgericht darauf hinwies, daß nun die Möglichkeit einer Verböserung durch Anwendung der Steuerklasse I bestehe, antwortete der Bf., daß er einen Antrag seiner Ehefrau nicht beibringen könne, da er inzwischen geschieden sei.

Das Finanzgericht stellte für 1954 ein Einkommen von 12.761 DM fest und veranlagte den Bf. nach Steuerklasse I. Es führte aus, der Bf. und seine Ehefrau seien nach § 26 EStG n. F. getrennt zu veranlagen, da nicht beide Ehegatten die Zusammenveranlagung beantragt hätten.

Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der Bf. die Anwendung der Steuerklasse II. Er weist darauf hin, daß nur er, nicht auch seine geschiedene Ehefrau, Einkommen bezogen habe. Unter diesen Umständen würde es nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, ihm die Steuerklasse II zu versagen. Im übrigen habe seine geschiedene Ehefrau nachträglich im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens den Antrag auf Zusammenveranlagung gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

Unstreitig hat die geschiedene Ehefrau im Streitjahr 1954 keine eigenen Einkünfte gehabt; das von beiden Ehegatten erzielte Einkommen ist nur dem Bf. zugerechnet worden. Nach § 26 Abs. 1 EStG 1957 werden Ehegatten grundsätzlich getrennt veranlagt. Bei der getrennten Veranlagung werden jedem Ehegatten seine eigenen Einkünfte zugerechnet (ß 26 a Abs. 1 Satz 1 EStG 1957). § 32 a Satz 1 EStG 1957 bestimmt, daß Ehegatten, die nach § 26 a EStG getrennt veranlagt werden, in die Steuerklasse I fallen. Der Senat faßt diese Vorschrift so auf, daß Ehegatten in Steuerklasse I fallen, wenn sie tatsächlich eigene Einkünfte gehabt haben und nicht die Zusammenveranlagung beantragen. Für diese Auslegung spricht die Bezugnahme auf die Vorschrift des § 26 a EStG 1957, in der ausdrücklich von einer getrennten Veranlagung der Ehegatten mit den "von ihnen bezogenen Einkünften" die Rede ist. Diese Auslegung entspricht wohl auch dem Zweck des § 32 a Satz 1 EStG 1957. Diese Vorschrift beruht auf der Erwägung, daß Ehegatten, die mit ihren Einkünften selbständig wie Unverheiratete veranlagt werden, den Vorteil haben, daß sich bei ihnen die bei Zusammenrechnung der Einkünfte eintretende Tarifprogression nicht auswirkt (vgl. das Urteil des Senats VI 90/58 U vom 8. August 1958, BStBl 1958 III S. 418). Nehmen die Ehegatten diesen ihnen im Gesetz gebotenen Vorteil in Anspruch und lassen sie sich also wie Unverheiratete behandeln, so müssen sie nach dem Sinn des Gesetzes auch hinsichtlich der Steuerklasse wie Unverheiratete behandelt werden. Hat einer der Ehegatten aber gar keine Einkünfte, und kann er infolgedessen dadurch, daß er keine Zusammenveranlagung beantragt, die Höhe der Einkünfte und die Höhe der Einkommensteuer nicht beeinflussen, so liegt es wohl nicht im Sinn des § 32 a Satz 1 EStG 1957, den anderen Ehegatten, der allein das Familieneinkommen erzielt hat und damit der vollen Tarifprogression unterliegt, in die Steuerklasse I einzuordnen. § 32 a Satz 1 EStG 1957 kann deshalb nur Anwendung finden, wenn beide Ehegatten eigene Einkünfte gehabt haben und nicht zusammen veranlagt werden. Auf die Höhe dieser Einkünfte kommt es dabei nicht an. Denn wenn ein Ehegatte dadurch, daß er keine Zusammenveranlagung beantragt, verhindert, daß seine eigenen, wenn auch geringen Einkünfte nicht mit denen des anderen Ehegatten zusammengerechnet werden, so beeinflußt er die Höhe der Einkommensteuer durch die Milderung der Tarifprogression. Dann sind nach Sinn und Zweck des § 32 a Satz 1 EStG 1957 beide Ehegatten in die Steuerklasse I einzuordnen.

Von ähnlichen Erwägungen geht offenbar auch die Finanzverwaltung in Abschn. 216 a Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien 1956/1957 aus. Nach § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1957 muß ein Arbeitnehmer von Amts wegen veranlagt werden, wenn sein Ehegatte nach § 26 a EStG getrennt veranlagt wird. Die Finanzverwaltung ist der Auffassung, daß § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1957 aber nur anzuwenden sei, wenn eine getrennte Veranlagung des Ehegatten des Arbeitnehmers durchgeführt werde, wobei es sich allerdings auch um eine Freiveranlagung handeln könne. Vgl. auch Finanzgericht Nürnberg in seiner Entscheidung III 290/57 vom 30. Oktober 1957 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1958 S. 126).

Da die Vorinstanzen die Vorschrift des § 32 a Satz 1 EStG 1957 anders ausgelegt haben, müssen die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung des Finanzamts aufgehoben werden. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, das unter Berücksichtigung der Ausführungen des Finanzgerichts hinsichtlich der Betriebsausgaben des Bf. dessen Einkommen anderweit zu berechnen und sodann nach Steuerklasse II zu versteuern hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409201

BStBl III 1958, 468

BFHE 1959, 507

BFHE 67, 507

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