Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassungsstreit; Vertretung einer GbR nach Auflösung; Kostenentscheidung zu Lasten eines Gesellschafters

 

Leitsatz (NV)

1. Im Streit um die Vertretung einer GbR gilt diese auch im Revisionsverfahren als ordnungsgemäß vertreten.

2. Nach Auflösung kann ein Rechtsbehelf der GbR nur durch alle Gesellschafter gemeinschaftlich eingelegt werden.

3. Die Kosten des Verfahrens sind dem Gesellschafter aufzuerlegen, wenn seine behauptete Alleinvertretungsbefugnis nicht besteht.

4. Die Kostenentscheidung des FG kann in der Rechtsmittelinstanz auch zum Nachteil des Rechtsmittelführers geändert werden; das Verbot der reformatio in peius gilt insoweit nicht.

 

Normenkette

FGO § 58 Abs. 2, § 135 Abs. 1, § 143; ZPO § 56 Abs. 1; BGB §§ 709, 714, 730 Abs. 2 S. 2, § 744 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, betrieb ein . . . geschäft. Zum 31. Dezember 1980 wurde die Klägerin aufgelöst. Mit den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheiden für das II. bis IV. Quartal 1980 vom 21. September 1981 versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bezüglich . . . die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 i. V. m. der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.

Die Klage wurde namens der Klägerin erhoben. Der Prozeßbevollmächtigte legte eine auf ihn lautende Prozeßvollmacht des Gesellschafters A vor. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Klägerin als unbegründet ab, ohne festzustellen, wer die Klägerin im Rechtsstreit vertrat bzw. zu vertreten hatte (Umsatzsteuer-Rundschau - UR 1984, 81). Die - vom FGzugelassene - Revision wurde namens der Klägerin unter (erneuter) Vorlage einer Prozeßvollmacht des Gesellschafters A eingelegt. Auf die Anfrage der Geschäftsstelle des Senats, wer die Klägerin vertrete, antwortete der Prozeßbevollmächtigte, die Vertretung werde durch den Gesellschafter A wahrgenommen. Dieser habe sich mit dem Mitgesellschafter B mündlich geeinigt, daß er die Gesellschaft allein vertrete. Der Gesellschafter A bestätigte dies in einer schriftlichen Erklärung und fügte hinzu, er habe auf Grund seiner Befugnis zur alleinigen Geschäftsführung des Prozeßbevollmächtigten mit der Erhebung der Klage und der Einlegung der Revision beauftragt. Nach Hinweis der Geschäftsstelle auf die Regelung der Geschäftsführungsbefugnis nach Auflösung einer Gesellschaft (§ 730 Abs. 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) teilte der Prozeßbevollmächtigte mit, der Gesellschafter B verweigere aus persönlichen Gründen dem Gesellschafter A die Ermächtigung zur alleinigen Geschäftsführung nach Auflösung der Gesellschaft.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig.

Der Senat hat darüber zu befinden, ob die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit von den nach bürgerlichem Recht zu ihrer Vertretung berufenen Personen vertreten worden ist (§ 58 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Da die ordnungsgemäße Vertretung der Klägerin sowohl die Zulässigkeit der Revision als auch die Zulässigkeit der Klage betrifft, muß die Revision - sofern nicht andereZulässigkeitsvoraussetzungen fehlen - als zulässig erachtet werden, damit das Revisionsgericht die Frage der Zulässigkeit der Klage - unabhängig davon, ob die Frage bereits vor dem FG streitig war oder sich erst dem Revisionsgericht stellt - prüfen kann.

Die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist von der Rechtsprechung sowohl beim Streit um die Parteifähigkeit (Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 11. April 1957 VII ZR 280/56, BGHZ 24, 91/94; vom 21. Oktober 1985 II ZR 82/85, Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1986, 145, und vom 9. April 1986 IV b ZR 10/85, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht - NJW-RR - 1986, 1119) als auch beim Streit um die Prozeßfähigkeit (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Dezember 1971 III R 44 /68, BFHE 105, 230, BStBl II 1972, 541) bejaht worden (vgl. auch Rosenberg / Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., § 43 IV 2 - 5, § 44 IV 2; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 47. Aufl., § 56 Anm. 1 E b) aa), Grundz. § 511 Anm. 2 C b). Da § 56 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO - auf den § 58 Abs. 2 FGO verweist, die Prozeßvoraussetzungen der Parteifähigkeit, der Prozeßfähigkeit und der ordnungsgemäßen Vertretung gleichbehandelt, kann für die letztgenannte Prozeßvoraussetzung nichts anderes gelten. Für die Entscheidung über die Frage der Vertretung gilt daher die Klägerin als ordnungsgemäß vertreten (vgl. BFH-Urteile vom 18. Oktober 1967 I R 144-145/66, BFHE 90, 336, BStBl II 1968, 95; vom 2. Juli 1969 I R 190/67, BFHE 96, 335, BStBl II 1969, 656, und vom 22. Juni 1988 X R 37/82, BFH / NV 1989, 183; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 58 FGO Tz. 13).

2. Die Revision ist unbegründet.

Sie war zurückzuweisen mit der Maßgabe, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Die Vertretung der Klägerin allein durch den Gesellschafter A erfüllt nicht die Tatbestandsvoraussetzungen, die § 58 Abs. 2 Satz 1 FGO hinsichtlich des Handelns für nichtrechtsfähige Personenvereinigungen normiert. Nach dieser Vorschrift handeln für nichtrechtsfähige Personenvereingungen wie die Klägerin die nach bürgerlichem Recht dazu befugten Personen. Diese Prozeßvoraussetzung ist in jedem Stadium des Verfahrens zu prüfen.

Gemäß § 730 Abs. 2 Satz 2 BGB erlischt die einem Gesellschafter nach dem Gesellschaftsvertrag zustehende Befugnis zur Geschäftsführung mit der Auflösung der Gesellschaft, wenn sich nicht aus dem Vertrag ein anderes ergibt. Die Klage ist nach Auflösung der Klägerin erhoben worden. Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin wurde nicht schriftlich, sondern nur mündlich geschlossen. Eine von § 730 Abs. 2 Satz 2 BGB abweichende Vereinbarung ist weder vom FG festgestellt noch sonstwie ersichtlich. Der Prozeßbevollmächtigte hat vielmehr im Revisionsverfahren mitgeteilt, daß der Mitgesellschafter B die Ermächtigung des Gesellschafters A zur alleinigen Geschäftsführung verweigere. Die Geschäftsführung stand demnach gemäß § 730 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BGB von der Auflösung an allen Gesellschaftern gemeinschaftlich zu. Gemäß der Auslegungsregel des § 714 BGB konnte die Klägerin, die als Gesellschaft bürgerlichen Rechts auch nach Auflösung bis zur Abwicklung aller das Gesellschaftsverhältnis betreffenden Ansprüche und Verpflichtungen fortbestand (vgl. BFH-Urteile vom 24. März 1987 X R 28/80, BFHE 150, 293, BStBl II 1988, 316; vom 9. Dezember 1987 V B 61/85, BFH / NV 1988, 576) entsprechend der Gesamtgeschäftsführung nur durch alle Gesellschafter gemeinschaftlich Dritten gegenüber vertreten werden (vgl. auch BFH-Urteile vom 6. Oktober 1987 VIII R 330/83, BFH / NV 1988, 184; vom 22. Oktober 1986 II R 118/84 unter 3.; BFHE 148, 331, BStBl II 1987, 183).

Zwar kennt das bürgerliche Recht in Sonderfällen die Berechtigung eines Gesellschafters zum Handeln für die Gesellschaft. Ein solcher Sonderfall ist im Streitfall aber nicht gegeben.

Die im Gesellschaftsrecht entsprechend anwendbare Regelung über die Notgeschäftsführung gemäß § 744 Abs. 2 BGB umfaßt nur die Befugnis, Rechte der Gesellschaft im eigenen Namen geltend zu machen; Vertretungsmacht für die Gesellschaft ist damit nicht verbunden (Palandt-Thomas, Bürgerliches Gesetzbuch, 48. Aufl., § 709 Anm. 1 a; Münchner Kommentar - Ulmer, 2. Aufl., § 709 Rdnr. 21, §§ 744, 745 Rdn. 38). Im übrigen ist auch dann, wenn ein Gesellschafter unter Zurückstellung der Gesellschaftsinteressen im bewußten Zusammenwirken mit dem Schuldner sich weigert, eine Forderung der Gesellschaft geltend zu machen, dem anderen Gesellschafter nur das Recht zur Prozeßführung im eigenen Namen eingeräumt worden (vgl. BGH-Urteil vom 30. Oktober 1987 V ZR 174/85, WM 1988, 12; Urteil des Oberlandesgerichts - OLG - Zweibrücken vom 16. November 1972 6 U 94 /72, OLGZ 1973, 316). Da die Klage nicht im Namen des Gesellschafters A, sondern namens der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der Klägerin, erhoben worden ist, bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob auch die weiteren Voraussetzungen für ein Handeln des Gesellschafters (im eigenen Namen) gegeben wären.

3. Die Kosten des gesamten Verfahrens (§ 135 Abs. 1 FGO) waren dem Gesellschafter A aufzuerlegen. Dieser ist als alleinvertretungsberechtigter Vertreter aufgetreten und hat unter Berufung darauf die Prozeßführung veranlaßt. Eine Abweichung von dem BFH-Urteil in BFH / NV 1988, 184 ergibt sich nicht. In dieser Entscheidung wird ausgeführt, der (angebliche) Prozeßbevollmächtigte habe die Kosten allein zu tragen, wenn die Vollmacht des Mitgesellschafters einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts dem Gericht nicht vorgelegt werde. Dem Bevollmächtigten wird demnach auferlegt, das Risiko der Prüfung seiner ordnungsgemäßen Bevollmächtigung zu tragen. Im Streitfall hatte hingegen der Gesellschafter A eine Alleinvertretungsbefugnis geltend gemacht. Hätte sie bestanden, wäre die Bevollmächtigung des Prozeßbevollmächtigten wirksam gewesen.

Da die Kostenentscheidung von Amts wegen zu treffen ist, kann sie in der Rechtsmittelinstanz auch zum Nachteil des Rechtsmittelführers geändert werden. Das Verbot der reformatio in peius steht nicht entgegen (BFH-Urteile vom 23. Juni 1966 IV 424/62, BFHE 86, 561, BStBl III 1966, 594; vom 11. Januar 1980 VI R 11 /79, BFHE 129, 305, 310, BStBl II 1980, 229, 231; Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 143 Rz. 1). Dies gilt auch dann, wenn die Kosten einem Gesellschafter auferlegt werden, der - ohne alleinvertretungsbefugt zu sein - die Einlegung der Revision veranlaßt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416583

BFH/NV 1990, 386

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