Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer Berufsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

überläßt ein Hausbesitzer Zimmer gegen Entgelt an Prostituierte, so liegt kein Mietvertrag, sondern ein Vertrag besonderer Art vor, wenn er durch Maßnahmen oder Einrichtungen eine Organisation schafft und unterhält, die die gewerbsmäßige Unzucht der Bewohnerinnen fördert.

 

Normenkette

UStG § 4 Ziff. 10, § 4/12/a; StGB § 180 Abs. 2; BGB § 535

 

Tatbestand

Der Bf. hat in zwei ihm gehörigen Häusern 10 bis 12 qm große, einfach möblierte Zimmer an Prostituierte abgegeben. Die Häuser liegen in A. in der B.-Straße, einer von der übrigen Stadt durch Eisentore mit Fußgängerschleusen abgegrenzten Straße, in der hauptsächlich Prostituierte wohnen. Der Preis betrug in den Jahren 1951 bis 1955 5,50 DM täglich. Er erhöhte sich bei Benutzung kleiner, von der Straße aus zugänglicher Räume im Erdgeschoß um 1 bis 2 DM. Hinzu kamen ein Lichtgeld von täglich 1 DM und ein Heizungsgeld von täglich 2 DM, das in den Sommermonaten wegfiel oder sich ermäßigte.

Das Finanzamt zog den Bf. mit den genannten Beträgen zur Umsatzsteuer heran. Es versagte ihm die Steuerbefreiung nach § 4 Ziff. 10 UStG, weil ein bordellartiger Betrieb vorliege und die Leistung des Bf. im wesentlichen nicht in der überlassung von Räumen, sondern in der Gewährung von Gelegenheiten zur Unzucht bestehe. Einspruch und Berufung blieben erfolglos. Das Finanzgericht begründete seine Entscheidung allerdings anders als das Finanzamt. Es nahm an, daß die wesentliche Leistung des Bf. in der Einrichtung einer Organisation bestehe, die den Prostituierten die ungestörte Ausübung der Unzucht in einer dieser Tätigkeit angepaßten Umgebung ermöglichte. Es bezog sich dabei auf das Ergebnis einer von dem Berichterstatter der Kammer durch Vernehmung der Verwalterinnen der beiden Häuser durchgeführten Beweisaufnahme.

 

Entscheidungsgründe

Auch der Rb. ist der Erfolg zu versagen.

Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung die Anwendung der Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 10 UStG abgelehnt, wenn beim Zusammentreffen von Merkmalen eines Miet- oder Pachtvertrages und Merkmalen anderer Vertragsarten nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse die überlassung des Grundstücks oder Grundstücksteiles zum Gebrauche von anderen wesentlicheren Vertragsleistungen überdeckt wird. Das wäre der Fall, wenn in den von den Prostituierten benutzten Häusern ein Bordell im Sinne des § 180 Abs. 2 des Strafgesetzbuches (StGB) betrieben würde. Nach der zu dieser Vorschrift ergangenen Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. 62 S. 341) sind Bordellhalter Personen, die aus dem Halten von wirtschaftlich von ihnen abhängigen Frauen zu dem Zwecke, sie zur Ausübung der Unzucht gegen Lohn zu benutzen, ein Erwerbsgeschäft machen (vgl. auch Dalcke, Strafrecht und Strafverfahren, 37. Aufl. 1961, § 180 Anm. 9 S. 223; Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 8. Aufl. 1958 Bd. 2, § 180 Anm. 5 S. 109 f.). Es kann nicht zweifelhaft sein, daß beim Vorliegen dieser Merkmale die überlassung der Zimmer an die Prostituierten nicht als Vermietung im bürgerlich-rechtlichen Sinne und damit im Sinne auch des § 4 Ziff. 10 UStG angesehen werden könnte, daß vielmehr als die wesentliche Leistung des Steuerpflichtigen den Frauen gegenüber die Gewährung der Gelegenheit zur Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht im Rahmen einer zu diesem Zwecke geschaffenen Organisation betrachtet werden müßte. Dasselbe müßte gelten, wenn ein bordellartiger Betrieb im Sinne des § 180 Abs. 2 StGB gegeben wäre. Einen solchen hat das Reichsgericht (Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. 62 S. 339) angenommen, wenn "der Haus- oder Wohnungsinhaber in einer nach außen erkennbaren Weise den mehreren sich bei ihm zum Zwecke des gewerbsmäßigen Unzuchttreibens an Ort und Stelle bereithaltenden Personen nicht nur vorübergehend und gelegentlich, sondern für eine gewisse Zeitdauer regelmäßig in irgendeiner Form zur Förderung des Unzuchttreibens behilflich und entweder selbst an den aus dem Unzuchttreiben erzielten Erträgnissen irgendwie beteiligt ist oder auch ohne solche Beteiligung gewohnheitsmäßig handelt". Für den Begriff des bordellartigen Betriebes ist nach Ansicht des Reichsgerichts (Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. 62 S. 339, Bd. 64 S. 110) ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis der Prostituierten zum Hausbesitzer nicht erforderlich. Es muß nur eine auf Förderung der Unzucht abzielende Einrichtung des Gesamtbetriebes (z. B. durch Dauerbeleuchtung des Treppenhauses und Offenlassen des Hauses auch zur Nachtzeit, Bestellung einer ständigen Aufsichtsperson) unter einer Art von Leitung seitens des Vermieters vorliegen (organisierte räumliche Zusammenfassung der Dirnen) - RG Deutsches Strafrecht 37 S. 205 und Dalcke a. a. O. -.

Die Vorinstanz hat es dahingestellt gelassen, ob im Streitfalle die begrifflichen Merkmale eines Bordells oder eines bordellartigen Betriebes erfüllt sind. Zur Prüfung der strafrechtlichen Voraussetzungen des § 180 StGB bestand - abgesehen davon, daß der Begriff des "bordellartigen Betriebes" im strafrechtlichen Schrifttum nicht unumstritten ist (vgl. Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch a. a. O. und Schönke-Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar, 10. Aufl. 1961, § 180 Anm. VI S. 758 f.) - schon deshalb kein Anlaß, weil schon eine organisierte räumliche Zusammenfassung der Prostituierten durch den Hausbesitzer zur Ablehnung eines Mietvertrages und zur Bejahung eines Vertrages besonderer Art führt. Beschränkt sich der Unternehmer nicht auf die überlassung der Zimmer, sondern trifft er darüber hinaus Maßnahmen oder Einrichtungen, die eindeutig auf die Förderung der Unzucht seitens der Zimmerinsassinnen abzielen, so kann die Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 10 UStG keine Anwendung finden.

Das Finanzgericht hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß der Bf. in seinen beiden Häusern in der B.-Straße eine erhebliche Anzahl auf die Förderung der Unzucht abzielender Einrichtungen und Maßnahmen getroffen hat (Bauweise und Ausstattung der Häuser als Dirnenunterkünfte, Einrichtung von kleinen Zimmern und Schleusen im Erdgeschoß mit Türen zur Straße, von denen aus die Prostituierten Männerbekanntschaften machten und die Besucher einlassen konnten, Beschriftung der Häuser mit Namen wie "..."; Bestellung von Hausverwalterinnen, die nur bei der Sitten- und Gesundheitspolizei ordnungsmäßig gemeldete Prostituierte aufnahmen, die sich - wenn auch in beschränktem Umfange - in die Beziehungen zwischen den Prostituierten und dem Gesundheitsamt einschalteten, die für Ordnung und Sauberkeit in den Zimmern und Ruhe im Hause sorgten, gelegentlich Streitigkeiten zwischen den Prostituierten und zwischen ihnen und ihren Besuchern schlichteten und bei schweren Auseinandersetzungen mittels eigenen Fernsprechers die Polizei benachrichtigten, und die den Bewohnerinnen Flaschenbier, alkoholfreie Getränke und zum Teil Gummischutzmittel verkauften und dergleichen mehr). Es ist dem Finanzgericht darin zuzustimmen, daß diese Einrichtungen und Maßnahmen in ihrer Gesamtheit eindeutig darauf abzielten, eine Organisation zu schaffen und zu unterhalten, die die gewerbsmäßige Unzucht seitens der Zimmerinsassinnen förderte.

Es ist nicht zu beanstanden, daß die Vorinstanz zur Beleuchtung des Gesamtbildes auf die Höhe der geforderten Entgelte, die nach den Erfahrungen des Senats in den Jahren 1951 bis 1955 erheblich über den sonst üblichen Mietpreisen einschließlich Nebenkosten lagen, und auf die teilweise tägliche Einkassierung der Gelder hingewiesen hat; denn das Finanzgericht hat ausdrücklich hervorgehoben, daß diese Umstände allein nicht ausgereicht hätten, ein Mietverhältnis im Sinne des § 4 Ziff. 10 UStG zu verneinen. Auch die weiteren Einwendungen des Bf. - die Art der Nutzung der Räumlichkeiten spiele bei der Frage der Vermietung keine Rolle, die Prostituierten hätten zu ihm in keinem Abhängigkeitsverhältnis gestanden, ein Salon zum Aussuchen der Prostituierten durch die Besucher sei nicht vorhanden gewesen, in der B.-Straße wohne nur die knappe Hälfte der polizeibekannten Dirnen der Stadt - sind unbeachtlich. Denn das Finanzgericht hat seine Entscheidung nicht auf gegenteilige Feststellungen, sondern allein auf die Zurverfügungstellung der oben beschriebenen Organisation durch den Bf. gestützt. Es kommt auch nicht darauf an, daß der Bf. seinen Verwalterinnen - wie in der Rechtsbeschwerdeschrift behauptet wird - keine besonderen, über eine allgemeine Hausverwaltung hinausgehenden Aufträge erteilt hat. Die Erfüllung der von den Zeuginnen C. und D. geschilderten Aufgaben ergab sich unter den obwaltenden Umständen von selbst und ist vom Bf. mindestens stillschweigend gebilligt worden. Im übrigen können neue Tatsachen im Rechtsbeschwerdeverfahren keine Berücksichtigung mehr finden.

Die Rb. war daher als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl III 1961, 525

BFHE 1962, 714

BFHE 73, 714

StRK, UStG:4/10 R 21

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