Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer Berufsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Grundstücksvermietung ist anzunehmen, wenn ein Hausbesitzer Zimmer gegen Entgelt an Prostituierte überläßt, jedoch weder ein Bordell oder bordellartiger Betrieb im Sinne des § 180 Abs. 2 StGB noch eine vom Hausbesitzer geschaffene und unterhaltene Organisation zur Förderung der gewerbsmäßigen Unzucht der Bewohnerinnen feststellbar ist.

 

Normenkette

UStG § 4 Ziff. 10, § 4/12/a; StGB § 180 Abs. 2; BGB § 535

 

Tatbestand

Die Bfin. hat während der Jahre 1954 bis 1957 mehrere einfach möblierte Zimmer ihres Hauses in A., B.-Straße Nr. X, zum Preise von täglich 3 bis 5 DM an Prostituierte abgegeben. Die B.-Straße ist eine von der übrigen Stadt durch Eisentore mit Fußgängerschleusen abgegrenzte Straße, in der hauptsächlich Prostituierte wohnen. Die Benutzungsentgelte wurden über eine in der B.-Straße Nr. Y wohnende Frau eingezogen, die außerdem darüber zu wachen hatte, daß das Haus B.-Straße Nr. X saubergehalten wurde und daß sich neue Bewohnerinnen beim Einwohnermeldeamt und bei der Sittenpolizei meldeten.

Das Finanzamt zog die Bfin. mit den aus dem Hause B.-Straße Nr. X vereinnahmten Entgelten zur Umsatzsteuer heran. Es versagte ihr die Steuerbefreiung nach § 4 Ziff. 10 UStG, weil die Leistung der Bfin. im wesentlichen nicht in der überlassung von Räumen, sondern in der Gewährung von Gelegenheit zur Unzucht bestehe. Einspruch und Berufung blieben erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung die Anwendung der Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 10 UStG abgelehnt, wenn beim Zusammentreffen von Merkmalen eines Miet- oder Pachtvertrages und Merkmalen anderer Vertragsarten nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse die überlassung des Grundstücks oder Grundstücksteiles zum Gebrauche von anderen wesentlicheren Vertragsleistungen überdeckt wird. Das wäre der Fall, wenn in dem von den Prostituierten bewohnten Hause ein Bordell oder ein bordellartiger Betrieb im Sinne des § 180 Abs. 2 StGB unterhalten würde. Es ist nicht zweifelhaft, daß dann die überlassung der Zimmer an die Prostituierten nicht als Vermietung im bürgerlich-rechtlichen Sinne und damit auch im Sinne des § 4 Ziff. 10 UStG angesehen werden könnte, daß vielmehr ein Vertrag besonderer Art vorläge, dessen wesentlicher Inhalt in der Gewährung der Gelegenheit zur Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht im Rahmen einer zu diesem Zwecke geschaffenen Organisation bestünde.

Ein Vertrag besonderer Art ist aber auch dann anzunehmen, wenn - ohne daß sämtliche Merkmale eines Bordells oder bordellartigen Betriebs im Sinne des § 180 Abs. 2 StGB gegeben sind - eine organisierte räumliche Zusammenfassung der Prostituierten durch den Hausbesitzer festzustellen ist. Beschränkt sich der Hausbesitzer nicht auf die überlassung der Zimmer, sondern trifft er darüber hinaus Maßnahmen oder Einrichtungen, die eindeutig auf die Förderung der Unzucht seitens der Zimmerinsassinnen abzielen, so kann die Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 10 UStG keine Anwendung finden.

Die Vorinstanz hat den letztgenannten Fall als gegeben erachtet. Die in den Urteilsgründen getroffenen Feststellungen tatsächlicher Art vermögen jedoch dieses Ergebnis nicht zu rechtfertigen.

Es mag sein, daß die Prostituierten in der B.-Straße schon infolge der Zusammenballung von Dirnenunterkünften, der Abgrenzung der Straße durch Eisengitter und der dadurch erzielten weitgehenden Ausschließung aus dem bürgerlichen Leben der Stadt in einer gewissen Gemeinsamkeit ihrem unsittlichen Gewerbe nachgehen. Das kann aber nur zur Beleuchtung der Gesamtsituation dienen. Denn die B.-Straße ist als Dirnenquartier im wesentlichen durch Zufall, durch jahrzehntelange übung und durch Maßnahmen der Polizei entstanden. Von der Zurverfügungstellung einer Organisation durch die Hausbesitzer im Sinne einer "Leistung" nach § 1 Ziff. 1 UStG kann insoweit nicht gesprochen werden.

Auch die Bestellung einer Verwalterin, die für die tägliche oder wöchentliche Einziehung der Zimmerbenutzungsentgelte und für die Sauberkeit im Hause zu sorgen hatte, kann nicht als Maßnahme zur Förderung der Unzucht gewertet werden. Aufgaben dieser Art gehen über den üblichen Rahmen einer sonstigen Hausverwaltertätigkeit nicht hinaus. Eine Besonderheit besteht lediglich darin, daß die Verwalterin zu prüfen hatte, ob zuziehende Prostituierte bei der Sittenpolizei gemeldet waren. Diese Sonderaufgabe, die sich zwangsläufig aus der Aufnahme von Prostituierten im Hause der Bfin. ergab, vermag allein das Gesamtbild nicht derart zu beeinflussen, daß eine Organisation zur Förderung der von den Prostituierten betriebenen gewerbsmäßigen Unzucht durch die Bfin. festgestellt werden könnte.

Wenn die Vorinstanz, ohne in eine Beweisaufnahme eingetreten zu sein, trotz Bestreitens durch die Bfin. annimmt, daß die Verwalterin ähnlich weitgehende Aufgaben hatte, wie sie in anderen Steuerprozessen, die ebenfalls Zimmerüberlassungen an Prostituierte in der B.-Straße betrafen, zu Tage getreten sind, so ist hierin ein wesentlicher Verfahrensmangel zu erblicken. Dieselbe Kammer des Finanzgerichts hat in einem anderen Falle eine typische Betrachtungsweise ausdrücklich abgelehnt, weil die Tatbestände in der B.-Straße durchaus unterschiedlich lägen und das Finanzamt von seiner nach § 204 Abs. 1 AO bestehenden Ermittlungspflicht nicht befreit sei, wenn sich die Ermittlungen schwierig gestalteten. Auch die Rechtsmittelbehörden haben, soweit sie zur Nachprüfung tatsächlicher Verhältnisse berufen sind, ohne Rücksicht auf den Schwierigkeitsgrad der Ermittlungen den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (ß 243 AO).

Die Sache ist spruchreif. Einrichtungen und Maßnahmen, die in ihrer Gesamtheit eine vom Hauswirt zur Verfügung gestellte Organisation zur Förderung der gewerblichen Unzucht erkennen ließen, sind im Streitfalle nicht feststellbar. Das Haus B.-Straße Nr. X besitzt keine diesem Zwecke dienenden baulichen Einrichtungen (z. B. sogenannte Schleusen oder von der Straße unmittelbar zugängliche Zimmer). Die Verwalterin wohnt mehrere Häuser entfernt und ist daher nicht in der Lage, ständig für Ruhe und Ordnung zu sorgen, Streitigkeiten durch sofortiges Eingreifen zu schlichten und bei schweren Auseinandersetzungen unverzüglich die Polizei zu benachrichtigen. Sie verkauft einschlägige Waren weder an die Hausbewohnerinnen noch an ihre Besucher. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß sie die Prostituierten anhält, sich der laufenden Gesundheitskontrolle zu unterziehen. In den Fällen, in denen der Senat Verträge besonderer Art angenommen hat, war das Gesamtbild für die Hausbesitzer erheblich ungünstiger.

Da im Streitfalle eine Organisation der oben beschriebenen Art fehlte und erst recht kein Bordell oder bordellartiger Betrieb bestand, auch eine Beherbergung im Sinne des § 4 Ziff. 10 Satz 2 UStG nicht vorlag, weil die Prostituierten im Hause - zum Teil schon seit vielen Jahren - ihren festen Wohnsitz hatten, ist der Tatbestand der Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 10 Satz 1 UStG gegeben.

Auf die Rb. hin war daher die Bfin. von der Umsatzsteuer für die Jahre 1954 bis 1957 freizustellen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410188

BStBl III 1961, 526

BFHE 1962, 717

BFHE 73, 717

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