Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsteil als Teilbetrieb

 

Leitsatz (NV)

Ein Betriebsteil ist dann ein Teilbetrieb, wenn er nach dem Gesamtbild der Verhältnisse selbständig lebensfähig ist (hier: Tabakwarenverkauf über Automaten). Bei einem Wettbewerbsverbot von 5 Jahren kann im allgemeinen angenommen werden, daß der bisherige Geschäftsinhaber seine mit dem Teilbetrieb verbundene Tätigkeit aufgegeben und damit den Teilbetrieb tarifbegünstigt veräußert hat.

 

Normenkette

EStG § 16 Abs. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) -- eine GmbH & Co. KG, die einen Tabakwarengroßhandel betreibt -- hatte in den Jahren 1981 und 1982 die beiden Tabakwarengroßhandlungen H in A und I in B hinzuerworben. Der Tätigkeitsbereich beider Unternehmen lag weit vom Wirkungsbereich der Betriebsstätte der Klägerin in C entfernt. Von der Fa. H übernahm die Klägerin 374 Automaten mit den dazugehörigen Stellplätzen, den Kundenstamm der Wiederverkäufer und das Personal, bestehend aus einer Bürokraft, zwei Außendienstmitarbeitern, einem Automatenmonteur und dem bisherigen Inhaber der Firma, der für die Akquisition zuständig war. Außerdem trat sie in die Leasingverträge für die beiden Fahrzeuge ein und mietete von H die Büro-, Lager- und Werkstatträume.

Von der Fa. I, die eine Enklave im Tätigkeitsbereich der Fa. H darstellte, erwarb die Klägerin 87 Automaten mit den dazugehörigen Stellplätzen und den Kundenstamm der Wiederverkäufer. Die beiden erworbenen Unternehmen wurden sodann zusammengeführt und -- im Rahmen der in der Betriebsstätte der Klägerin erstellten Lohn- und Finanzbuchhaltung -- für beide eine gegenüber dem Hauptbetrieb gesonderte Ergebnisermittlung durchgeführt. Der zusammengefaßte Tätigkeitsbereich der Firmen I und H wurde von der Betriebsstätte in A aus betreut. Die Betriebsstätte hatte ein eigenes Bankkonto und eine eigene Kasse. Den Einkauf wickelte die Klägerin zentral von ihrer Betriebsstätte in C ab.

1984 verkaufte die Klägerin die hinzuerworbenen Unternehmensteile einschließlich der Rechte aus den Nutzungsverträgen mit der Verpflichtung, sich fünf Jahre lang des Wettbewerbs zu enthalten. Der Kaufpreis betrug 1 089 850 DM zuzüglich Umsatzsteuer, der Veräußerungsgewinn 864 757 DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) vertrat in dem angefochtenen Feststellungsbescheid für das Streitjahr 1984 die Ansicht, daß der Veräußerungsgewinn als laufender Gewinn zu erfassen sei. Die Klägerin meinte demgegenüber, daß es sich um eine Teilbetriebsveräußerung gehandelt habe und der Veräußerungsgewinn deshalb dem ermäßigten Steuersatz unterliege. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (§16 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --).

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Der Veräußerungsgewinn unterliegt dem ermäßigten Steuersatz nach §16 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 EStG.

1. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören auch Gewinne, die bei der Veräußerung eines Teilbetriebs erzielt werden (§16 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Einen solchen Teilbetrieb hat die Klägerin hier veräußert.

a) Nach der Rechtsprechung ist unter einem Teilbetrieb ein organisatorisch geschlossener, mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter Teil eines Gesamtbetriebs zu verstehen, der -- für sich betrachtet -- alle Merkmale eines Betriebs i.S. des EStG aufweist und als solcher lebensfähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 13. Februar 1996 VIII R 39/92, BFHE 180, 278, BStBl II 1996, 409, m.w.N.; Beschluß vom 7. Juli 1997 X B 239/96, BFH/NV 1998, 27, m.w.N.).

b) Ob ein Betriebsteil die für die Annahme eines Teilbetriebs erforderliche organisatorische Selbständigkeit besitzt, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse -- beim Veräußerer -- zu entscheiden.

aa) Bei dieser Gesamtwürdigung kommt den von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Abgrenzungsmerkmalen -- z.B. räumliche Trennung vom Hauptbetrieb, gesonderte Buchführung, eigenes Personal, eigene Verwaltung, selbständige Organisation, eigenes Anlagevermögen, ungleichartige betriebliche Tätigkeit, eigener Kundenstamm -- je nachdem, ob es sich um einen Fertigungs-, Handels- oder Dienstleistungsbetrieb handelt, unterschiedliches Gewicht zu (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 12. Februar 1992 XI R 21/90, BFH/NV 1992, 516; vom 29. April 1993 IV R 88/92, BFH/NV 1994, 694, jeweils m.w.N.). Sie brauchen auch nicht alle erfüllt zu sein; der Teilbetrieb erfordert nur eine gewisse Selbständigkeit gegenüber dem Hauptbetrieb (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 15. März 1984 IV R 189/81, BFHE 140, 563, BStBl II 1984, 486; vom 17. Januar 1991 IV R 12/89, BFHE 164, 24, BStBl II 1991, 566).

bb) Die Annahme einer gewissen Selbständigkeit setzt nach der Rechtsprechung des BFH bei Einzelhandelsfilialen allerdings voraus, daß das dort beschäftigte leitende Personal nicht nur die Waren zu dem von der Zentrale vorgeschriebenen Preis verkauft, sondern daß es auch beim Wareneinkauf und bei der Preisgestaltung mitwirkt. Andernfalls ist in der Regel davon auszugehen, daß es sich bei den Filialen um bloße Verkaufsstellen des Gesamtbetriebs handelt (BFH-Urteile vom 2. August 1978 I R 78/76, BFHE 126, 24, BStBl II 1979, 15; vom 12. September 1979 I R 146/76, BFHE 129, 62, BStBl II 1980, 51; vom 24. April 1980 IV R 61/77, BFHE 131, 220, BStBl II 1980, 690; in BFH/NV 1992, 516; in BFH/NV 1994, 694; Beschluß vom 2. April 1997 X B 269/96, BFH/NV 1997, 481). Für einen Großhandelsbetrieb gilt im Grundsatz nichts anderes (vgl. auch BFH in BFH/NV 1994, 694: allgemein für Handelsbetriebe).

cc) Der selbständige Wareneinkauf durch das Personal einer Filiale ist jedoch auch bei Handelsunternehmen kein Merkmal, dessen Fehlen stets zur Verneinung eines Teilbetriebs führt. Der BFH hat bereits in seinem Urteil in BFHE 129, 62, BStBl II 1980, 51 darauf hingewiesen, daß sich ein Teilbetrieb -- wie jedes Unternehmen -- einer zentralen Einkaufsorganisation bedienen kann. Das gilt auch im Verhältnis einer Filiale zu ihrem Hauptbetrieb. Der gemeinsame Warenbezug empfiehlt sich oft schon deshalb, weil die Höhe der Einkaufsrabatte nach der Höhe des Umsatzes gestaffelt ist. Das traf im Tabakwarenbereich auch für die übliche Zigarettenumsatzvergütung zu. Entscheidend ist unter diesen Umständen, ob die Filiale die benötigte Ware beim Hauptbetrieb wie bei einem sonstigen Lieferanten ordert. Das war hier der Fall. Art und Menge der zu beziehenden Ware bestimmten sich nach der jeweiligen Füllung der Automaten. Die Betreuung der Automaten oblag allein dem Personal der übernommenen Firmen.

Der Annahme eines Teilbetriebs steht im Streitfall auch nicht entgegen, daß dieses Personal bei der Preisgestaltung der Waren nicht mitwirken konnte. Eine solche Einflußnahme ist zwar regelmäßig zu fordern (vgl. BFH in BFHE 126, 24, BStBl II 1979, 15, unter 4. der Gründe; in BFHE 129, 62, BStBl II 1980, 51; in BFH/NV 1997, 481); aber auch die Bedeutung dieses Gesichtspunkts ist von der jeweiligen Art des Vertriebs (z.B. Einzelhandel mit großem Warensortiment oder Großhandel für Einzelprodukte) und der jeweiligen Branche abhängig. Bei Berücksichtigung der insoweit bestehenden unterschiedlichen Verhältnisse ist der Tabakwarengroßhandel mit Vertrieb der Ware über Automaten nicht mit dem üblichen Einzelhandel vergleichbar.

Die Gewinnspanne im Tabakwarenverkauf über Automaten wird im wesentlichen durch die optimale Betreuung der Automatenstandplätze bestimmt; über den Wareneinkauf kann der Geschäftserfolg, von den Einkaufsrabatten abgesehen, nicht wesentlich beeinflußt werden. Das FG hat dazu festgestellt, daß alle Händler, die Tabakwaren über Automaten vertreiben, direkt bei den wenigen Herstellern zu denselben Bedingungen einkaufen. Diese legen auch die Verkaufspreise fest. Die Preisgestaltung ist also für alle Großhändler gleich. An diese Feststellungen des FG ist der Senat gebunden (§118 Abs. 2 FGO).

dd) Damit ist für die Beurteilung der Frage, ob im Streitfall ein Teilbetrieb vorliegt, auf diejenigen Merkmale abzustellen, die auch für andere als für Handelsbetriebe eine gewisse Selbständigkeit indizieren. Insoweit bestehen gegen die Würdigung des FG keine Bedenken. Die Betriebsstätte in A ist nach ihrer Lage deutlich von der Hauptbetriebsstätte abgegrenzt, verfügte über einen eigenen Kundenstamm, über eigene Gebäude, über fachkundige Mitarbeiter, ein ausgebautes Automatennetz und die zur Betreuung erforderlichen Fahrzeuge; sie wies damit eine ausreichende eigene Organisation auf. Für sie wurde auch von Anfang an eine selbständige Ergebnisermittlung durchgeführt, die nur bei einer hinreichenden Trennung der Geschäftsvorfälle im Rahmen der Buchführung der Klägerin möglich war. Es ist unter diesen Umständen ohne Bedeutung, daß die Lohn- und Finanzbuchhaltung zusammengefaßt in der Hauptniederlassung erstellt wurde (vgl. zur Bedeutung einer fehlenden eigenen Buchführung für die Annahme eines Teilbetriebs z.B. BFH-Urteile in BFHE 140, 563, BStBl II 1984, 486; vom 24. August 1989 IV R 120/88, BFHE 158, 257, BStBl II 1990, 55, unter 2. b der Gründe).

Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß der Hauptbetrieb und die Betriebsstätte in A weitgehend dieselbe Tätigkeit ausgeübt haben. Die Ungleichartigkeit der Geschäftstätigkeit ist bei Handelsunternehmen, die im wesentlichen vom Kapitaleinsatz bestimmt werden, ein Abgrenzungsmerkmal von untergeordneter Bedeutung (vgl. z.B. BFH- Urteil vom 29. Oktober 1992 IV R 16/91, BFHE 169, 352, BStBl II 1993, 182); sein Gewicht liegt bei der Abgrenzung verschiedener Betriebsteile bei freiberuflicher Tätigkeit (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 6. März 1997 IV R 28/96, BFH/NV 1997, 746).

c) Der nach diesen Grundsätzen organisatorisch verselbständigte Geschäftsbereich der Klägerin war auch selbständig lebensfähig.

Diese Voraussetzung ist dann erfüllt, wenn ein Unternehmensteil seiner Struktur nach eine eigenständige betriebliche Tätigkeit ausüben kann (BFH in BFHE 180, 278, BStBl II 1996, 409, m.w.N.). Daß dies hinsichtlich der erworbenen Firmen H und I möglich ist, hat sich in der Zeit vor dem Erwerb der -- bis dahin selbständigen -- Betriebe durch die Klägerin gezeigt (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 23. November 1988 X R 1/86, BFHE 155, 521, BStBl II 1989, 376, unter I. 2. b, bb a.E. der Gründe). Der bisherige Inhaber der Fa. H hätte auch die Leitung seines früheren Unternehmens wieder übernehmen können; er war in seinem früheren Geschäftsbereich weiterhin für die Klägerin tätig.

Allerdings ist das Merkmal der selbständigen Lebensfähigkeit nach den Verhältnissen beim Veräußerer im Zeitpunkt des wirtschaftlichen Übergangs des veräußerten Unternehmensteils zu prüfen (BFH-Urteile vom 19. Februar 1976 IV R 179/72, BFHE 118, 323, BStBl II 1976, 415; vom 3. Oktober 1984 I R 119/81, BFHE 142, 433, BStBl II 1985, 245; in BFHE 180, 278, BStBl II 1996, 409). Es bestehen jedoch keine Bedenken gegen die Annahme, daß die Verhältnisse in der Zeit zwischen dem Erwerb und der Weiterveräußerung des Unternehmensteils unverändert geblieben sind. Dieser Zeitraum betrug nur zwei bzw. drei Jahre.

2. Die Klägerin hat nicht nur einen selbständig lebensfähigen Teilbetrieb (Betriebsvermögen, Nutzungsrechte, Personal) auf die Käuferin übertragen; sie hat auch die mit diesem Teilbetrieb verbundene Tätigkeit aufgegeben (zu dieser Voraussetzung einer Betriebsveräußerung i.S. von §16 EStG vgl. BFH-Urteile vom 12. Juni 1996 XI R 56, 57/95, BFHE 180, 436, BStBl II 1996, 527, m.w.N., und vom 9. Oktober 1996 XI R 71/95, BFHE 181, 452, BStBl II 1997, 236, m.w.N.). Sie hat sich in dem mit der Erwerberin geschlossenen Übernahmevertrag verpflichtet, sich im Tätigkeitsbereich der ehemaligen Firmen H und I fünf Jahre lang des Wettbewerbs zu enthalten. Das genügt für die Annahme einer Betriebsveräußerung sowohl hinsichtlich der sachlichen Einschränkung des Wirkungsbereichs der Klägerin (vgl. dazu BFH-Urteile vom 9. August 1989 X R 62/87, BFHE 158, 48, BStBl II 1989, 973, und vom 16. Dezember 1992 X R 52/90, BFHE 170, 363, BStBl II 1994, 838, unter 2. der Gründe, m.w.N.; in BFHE 180, 436, BStBl II 1996, 527) als auch hinsichtlich der zeitlichen Beendigung ihrer Tätigkeit (vgl. dazu u.a. BFH-Urteile vom 7. November 1985 IV R 44/83, BFHE 145, 522, BStBl II 1986, 335, und vom 29. Juni 1994 I R 105/93, BFH/NV 1995, 109, unter 1. a der Gründe, m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 67434

BFH/NV 1998, 1209

DStZ 2000, 135

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