Leitsatz (amtlich)

Die Rechtsprechung zur Materialbeistellung kann auf Sachverhalte, bei denen der bearbeitende Unternehmer an der Beschaffung des gesamten Stoffes mitgewirkt hat, nicht ohne weiteres angewendet werden. Bei einem Schlächter, der Vieh im Namen seiner Auftraggeber einkauft und für diese schlachtet, können daher zwei getrennte sonstige Leistungen in Betracht kommen.

 

Normenkette

UStG § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2, 4; UStDB § 7 Abs. 1; UStG § 3 Abs. 8

 

Streitjahr(e)

1955

 

Tatbestand

Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige - Stpfl. -) kauft im eigenen Namen und für eigene Rechnung Lebendvieh, Fleisch und andere Tierprodukte und verkauft sie im eigenen Namen und für eigene Rechnung weiter. Er ist außerdem mit Lebendvieh als reiner Einkaufsagent tätig und führt reine Lohnschlachtungen durch. Er tritt aber auch für eine Reihe von Auftraggebern zugleich als Einkaufsagent und Lohnschlächter auf. Dabei handelte es sich im Jahre 1955 insbesondere um Aufträge der Firma X, Fleischwerke in A und der Firma I, Großschlächterei in B.

Streitig ist im Revisionsverfahren nur noch, ob der Stpfl. in den zuletzt genannten Fällen lediglich die Provision für den Einkauf und die Vergütungen für die Lohnschlachtungen einschließlich Unkostenersatz oder aber die von den Auftraggebern für den Bezug des Fleisches und der Nebenprodukte insgesamt aufgewendeten Beträge zu versteuern hat.

Der Stpfl. hat lediglich die Provision für den Einkauf und die Vergütungen für die Lohnschlachtungen der Umsatzsteuer unterworfen. Bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1958 kam der Prüfer zu der Auffassung, daß eine Werkleistung nicht angenommen werden könne und die Summe der Tierwerte mit 4 % der Umsatzsteuer unterliege. Das Finanzamt (FA) schloß sich der Auffassung des Prüfers an. Seiner Meinung nach war Gegenstand der Leistung des Stpfl. die Lieferung des geschlachteten Viehs in Hälften und Vierteln. Es zog deshalb den Stpfl. mit den diesen Lieferungen entsprechenden Entgelten zur Umsatzsteuer heran.

Mit der Berufung hatte der Stpfl. Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging in seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, daß die Rechtsprechung zur Materialbeistellung (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - V 117/53 S vom 30. Oktober 1953, BFH 58, 196; BStBl III 1953, 366; V 233/58 vom 16. März 1961, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Umsatzsteuergesetz, § 3 Abs. 1, Rechtspruch 51, und V 7/59 vom 13. April 1961, StRK, Umsatzsteuergesetz, § 3 Abs. 1, Rechtsspruch 52) nicht von dem entschiedenen Sachverhalt losgelöst und auf andere Sachverhalte übertragen werden könne. Das UStG erfasse die wirtschaftlichen Vorgänge, so wie sie abgelaufen seien. Ernsthafte zivilrechtliche Gestaltungen seien auch vom UStG zu berücksichtigen. Außerdem sei der klare Sinn und eindeutige Wortlaut des § 3 Abs. 2 UStG zu beachten. Die Mitwirkung bei der Beschaffung könne deshalb nicht ohne weiteres der Selbstbeschaffung gleichgestellt werden. Im vorliegenden Fall habe der Stpfl. von seinem Auftraggeber einen Einkaufsauftrag und einen Schlachtauftrag bekommen. Er habe im Namen und für Rechnung seiner Auftraggeber auf dem Markt eingekauft und dabei den ihm bekannten Anforderungen seiner Auftraggeber Rechnung getragen. Die Viehlieferer hätten gewußt, an wen sie das Vieh verkauft haben. Den gekauften Tieren seien auch die Marktzeichen der Auftraggeber aufgedrückt worden. Der Stpfl. habe außerdem keine Gefahr getragen. Die Schlachthofgebühren habe der Stpfl. im Namen seiner Auftraggeber einbezahlt und die Versicherungen in deren Namen abgeschlossen. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Schlachtung habe er den genauen Weisungen seiner Auftraggeber unterlegen. Die Firma X habe die Schlachtungen durch einen Angestellten überwachen lassen. Mit der Firma I sei der Stpfl. in ständiger telefonischer Verbindung gewesen, um Weisungen über den Zeitpunkt der Schlachtung und der Versendung entgegenzunehmen. Der Stpfl. habe in keinem Zeitpunkt über die lebenden Tiere oder über das daraus gewonnene Fleisch die Verfügungsmacht gehabt. Eine Fleischwarenfabrik könne sich auf verschiedene Weise das von ihr benötigte Fleisch beschaffen. Es komme darauf an, welchen Weg der Beschaffung sei ernsthaft gewollt habe. Einem Fleischgroßhändler sei es nicht verwehrt, die günstigen Gelegenheiten des Marktes wahrzunehmen. Die Auftraggeber hätten am Marktgeschehen selbst teilnehmen, günstige Einkaufsgelegenheiten selbst wahrnehmen und sich durch eine gleichbleibende Vergütung an den Stpfl. eine sichere Kalkulationsbasis schaffen wollen. Die ergangenen Entscheidungen des BFH beträfen einen anderen Sachverhalt.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rb. des Vorstehers des FA, die gemäß § 184 Abs. 2 Ziff. 1 FGO als Revision zu behandeln ist. Gerügt wird unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Die Ausführungen des FG stünden in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung. Der BFH habe wiederholt Werklieferungen angenommen, obgleich das Material im Namen und für Rechnung des Auftraggebers beschafft worden sei und unmittelbare Rechtsbeziehungen nur zwischen dem Lieferer und Empfänger entstanden seien. Das FG übersehe, daß in solchen Fällen die im Umsatzsteuerrecht gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise, die Annahme einer Werklieferung trotz entgegenstehender bürgerlich-rechtlicher Vereinbarungen erfordere. Die Rechtsprechung zur Materialbeistellung gelte nicht nur für die Bauwirtschaft. Das FG räume in seiner Begründung ein, daß es das wirtschaftliche Ziel der Auftraggeber des Stpfl. gewesen sei, Fleisch zu erhalten. Wenn es aber den Auftraggebern nur an der Lieferung des Fleisches gelegen habe, müsse die Art und Weise der Beschaffung unbeachtlich sein. Daß es den Auftraggebern von Anfang an auf die Lieferung von Fleisch angekommen sei, werde insbesondere dadurch bestätigt, daß der Einkaufsauftrag und der Schlachtauftrag gleichzeitig erteilt worden seien. Aus der tatsächlichen Abwicklung der Geschäfte ergebe sich somit, daß die Behauptung des Stpfl., seine Auftraggeber hätten Schlachtvieh erwerben wollen, unrichtig sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Gemäß § 3 Abs. 2 UStG ist die Leistung als Lieferung (Werklieferung) anzusehen, wenn der Unternehmer die Bearbeitung oder Verarbeitung eines Gegenstands übernommen hat und hierbei Stoffe verwendet, die er selbst beschafft hat, sofern es sich bei diesen Stoffen nicht nur um Zutaten oder sonstige Nebensachen handelt. Diese rechtliche Fiktion beruht darauf, daß die Leistung des Unternehmers, soweit es sich um den beschafften Stoff handelt, die Merkmale einer Lieferung und, soweit es sich um die Bearbeitung oder Verarbeitung des Stoffes handelt, die Merkmale einer Werkleistung enthält und die Gesamtvorgänge wirtschaftlich ein einheitliches Ganzes bilden. Die Leistung des Unternehmers besteht in der Lieferung des fertigen Gegenstands.

Diese Beurteilung gilt auch dann, wenn der Unternehmer nur einen Teil des Hauptstoffes beschafft und der Auftraggeber den anderen Teil zur Verfügung stellt. Auch in diesem Fall liegt eine Werklieferung vor. Es scheidet jedoch der Teil des Stoffes, den der Auftraggeber zur Herstellung des Gegenstandes zur Verfügung gestellt hat, aus dem Leistungsaustausch aus. Hinsichtlich dieses Teils des Stoffes liegt eine Materialbeistellung vor.

Die rechtliche Beurteilung dieser Vorgänge als einheitliche Leistung gibt zu Zweifeln keinen Anlaß, wenn der Unternehmer den Stoff im eigenen Namen beschafft. Meinungsverschiedenheiten bestehen jedoch in den Fällen, in denen der Unternehmer bei der Beschaffung des Stoffes als Einkaufsagent oder in anderer Weise eingeschaltet war. Der Senat hat dem Unternehmer in den Fällen, in denen er einen Teil des Hauptstoffes im eigenen Namen beschafft und an der Beschaffung des anderen Teils als Einkaufsagent oder in anderer Weise mitgewirkt hat, den gesamten Stoff zugerechnet und die Annahme einer Materialbeistellung abgelehnt. Es liegt in diesen Fällen schon mit Rücksicht auf den Teil des Stoffes, den der Unternehmer im eigenen Namen eingekauft hat, eine Werklieferung vor. Diese Werklieferung ist auf die Herstellung des ganzen Gegenstands gerichtet, da sich die Bearbeitung oder Verarbeitung auch auf den im Namen des Auftraggebers eingekauften Stoff erstreckt. Es kann sich deshalb bei der rechtlichen Beurteilung nur um den Umfang der Werklieferung handeln. Der Unternehmer hat in diesen Fällen alle Beschaffungshandlungen selbst vorgenommen. Der Auftraggeber hat an der Beschaffung des Stoffes nicht oder nur unmaßgeblich mitgewirkt. Es ist deshalb berechtigt, auch in diesen Fällen eine Lieferung des fertigen Gegenstands anzunehmen. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise läßt es nicht zu, den Gesamtvorgang in eine Werklieferung und eine Vermittlung aufzuspalten. Der Auftrag ist ebenfalls auf eine Lieferung des fertigen Gegenstands gerichtet.

Das FG hat es in dem vorliegenden Fall abgelehnt, diese zur Materialbeistellung ergangenen Grundsätze auf den hier gegebenen Sachverhalt anzuwenden. Es hat die Auffassung vertreten, daß diese Rechtsprechung nicht ohne weiteres auf andere Sachverhalte übertragen werden könne. Dieser Auffassung ist aus den folgenden Gründen zuzustimmen. Der gegebene Sachverhalt unterscheidet sich von den Fällen der Materialbeistellung, in denen der Unternehmer einen Teil des Stoffs im eigenen Namen und einen Teil im Namen des Auftraggebers beschafft, dadurch, daß der Stpfl. beim Einkauf des Viehs im Namen der Auftraggeber aufgetreten ist und dieses Vieh nicht im eigenen Namen eingekauft hat. Der Einkauf in fremdem Namen und das Schlachten der Tiere stellen aber für sich allein betrachtet Werkleistungen dar, bei denen es an einem Lieferungselement fehlt. Eine Werklieferung könnte deshalb nur dann angenommen werden, wenn ein wirtschaftliches Interesse der Auftraggeber an einem Erwerb der lebenden Tiere nicht bestehen würde und als wirtschaftlicher Inhalt des Gesamtvorgangs die Lieferung der geschlachteten Tiere anzusehen wäre. Ein solcher Fall lag der Entscheidung des Reichsfinanzhofs (RFH) V 164/41 vom 30. November 1944, Slg. Bd. 54 S. 152 (Siedlungswohnungen), zugrunde. Um einen ähnlichen Fall hat es sich in dem BFH-Urteil V 278/60 U vom 9. April 1964 (BFH 79, 261; BStBl III 1964, 325) - Förderbänder - gehandelt. Es konnte deshalb bei wirtschaftlicher Betrachtung des Vorgangs hinsichtlich des ganzen vom Werkunternehmer beschafften Stoffes eine Selbstbeschaffung im Sinne des § 3 Abs. 2 UStG angenommen werden. In dem vorliegenden Fall hat das FG das Vorhandensein eines wirtschaftlichen Interesses der Auftraggeber an den lebenden Tieren eingehen begründet. Es hat dabei insbesondere darauf hingewiesen, daß die Auftraggeber das Marktrisiko und die Gefahr für das Lebendvieh getragen haben, der Stpfl. nach den Weisungen der Auftraggeber eingekauft und geschlachtet hat und als Entgelt für den Einkauf lediglich eine Stückprovision und als Entgelt für das Schlachten ein Schlachtlohn vereinbart war. Es konnte nach diesen Feststellungen zu der Annahme kommen, daß die Auftraggeber Lebendvieh kaufen wollten und dieses schlachten ließen. Dann liegen aber zwei sonstige Leistungen vor, die nicht in eine einheitliche Werklieferung umgedeutet werden können. Es fehlt an einem Merkmal der Lieferung (vgl. dazu auch das BFH-Urteil V 160/60 S vom 30. Mai 1963, BFH 77, 82 - Tapeten; BStBl III 1963, 346). Der Einwand des FA, das FG habe eingeräumt, daß es das wirtschaftliche Ziel der Auftraggeber gewesen sei, Fleisch zu erhalten, ist unzutreffend. Das FG hat lediglich ausgeführt, daß dies "nur dem natürlichem Geschehensablauf" entspreche. Es wollte damit, wie sich aus den weiteren Ausführungen ergibt, zum Ausdruck bringen, daß es für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung nicht allein auf den äußeren Ablauf der Geschehnisse ankommt. Dieser Auffassung des FG ist zuzustimmen.

Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 425765

BFHE 1966, 560

BFHE 85, 560

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