Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Ergänzung von Rechnungen durch den Empfänger; ,,Zuleitung" der Gutschrift erfordert körperliche Übergabe

 

Leitsatz (NV)

1. Der Verzicht auf mündliche Verhandlung ist grundsätzlich nicht widerruflich.

2. Werden Rechnungen ohne einen gesonderten Steuerausweis erteilt, so ist der Empfänger nicht mit umsatzsteuerrechtlicher Wirkung befugt, die Rechnungen insoweit zu ergänzen und die aus den Bruttobeträgen herausgerechneten Steuerbeträge als Vorsteuern geltend zu machen; dies gilt auch dann, wenn der Rechnungsaussteller der ,,Ergänzung" zugestimmt hat.

3. Eine Gutschrift setzt - wie eine Rechnung - voraus, daß sie grundsätzlich vollständig von einem Aussteller stammt.

4. Die ,,Zuleitung" einer Gutschrift muß grundsätzlich zu einer (körperlichen) Übergabe der Gutschrift an den Leistenden führen.

 

Normenkette

UStG 1973 § 14 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1; Erste UStDV § 5 Abs. 2 Nr. 3, 4 (UStG 1980 § 14 Abs. 5 Nr. 3, 4); FGO § 90 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Inhaber eines Schlachtereibetriebs. Er bezieht das Schlachtvieh von Landwirten und Viehhändlern. Streitig ist, ob die ,,Rechnungen" über die Viehlieferungen zum Vorsteuerabzug berechtigen.

Dieselbe Rechtsfrage war zwischen denselben Verfahrensbeteiligten beim Bundesfinanzhofs (BFH) bereits im Verfahren V R 139/79 zu entscheiden. Dieser Rechtsstreit betraf die Streitjahre 1972 bis 1975. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) hatte in dem früheren Verfahren den Vorsteuerabzug hinsichtlich von Schlachtvieheinkäufen versagt, bei denen der Kläger zu den Viehhändlern P und S in Geschäftsbeziehungen gestanden war. Nach dem seinerzeit festgestellten Sachverhalt hatte P über die Viehlieferungen Abrechnungen ausgestellt, die aber keinen gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer enthielten. Der Kläger hat aus Bruttorechnungspreisen unter Zugrundelegung des für landwirtschaftliche Betriebe maßgeblichen Steuersatzes (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1973) die Umsatzsteuer herausgerechnet und als abziehbare Vorsteuer geltend gemacht. Der Viehhändler S hatte dagegen keine Abrechnungen angefertigt. Dafür hat der Kläger Abrechnungen, die von ihm als ,,Gutschriften" bezeichnet wurden, mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer erstellt (ebenfalls unter Anwendung des sich für landwirtschaftliche Betriebe ergebenden Steuersatzes) und diese Umsatzsteuern als abziehbare Vorsteuerbeträge behandelt. FA, Finanzgericht (FG) und der erkennende Senat sind dem nicht gefolgt. Der Senat hat mit Beschluß vom 28. April 1983 V R 139/79 (BFHE 138, 267, BStBl II 1983, 525) entschieden, daß sich der zur Abrechnung über den Leistungsaustausch Verpflichtete im Abrechnungsverfahren dritter Personen, grundsätzlich aber nicht seines am Leistungsaustausch beteiligten Geschäftspartners bedienen dürfe. Regelmäßig sei der Verkäufer (oder sein Beauftragter) im Besitz der Abrechnungsunterlagen und damit zur Abrechnung über den Leistungsaustausch berufen und verpflichtet. Die Verkäufer hätten dem Kläger aber solche die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 erfüllende Abrechnungen nicht erteilt.

Im vorliegenden Rechtsstreit ist die Umsatzbesteuerung des Klägers betreffend die Jahre 1976 und 1977 streitig. Wiederum geht es lediglich um Viehlieferungen seitens der Händler P und S. Die ,,Rechnungen" des P enthielten erneut keinen Umsatzsteuerausweis. Über die Viehlieferungen des S wurden lediglich vom Kläger selbst Abrechnungen (,,Gutschriften") mit Ausweis der für Lieferungen von Landwirten festgesetzen Umsatzsteuer erstellt.

Die vom Kläger geltend gemachten Vorsteuern wurden deshalb vom FA um folgende Beträge gekürzt:

1976 1977

DM DM

Firma P 30 255,95 12 788,81

Firma S 18 585,36 3 700,69

Summe 48 811,31 16 489,50.

Der gegen die entsprechenden Umsatzsteuerbescheide 1976 und 1977 eingelegte Einspruch des Klägers blieb erfolglos. Das FG wies die Klage ab.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er meint, zu Unrecht habe das FG die angebotenen Zeugen nicht gehört. Er habe, was sich auch aus dem FG-Urteil ergebe, Beweis angetreten dafür, daß in Gegenwart und mit dem ausdrücklichen Willen des Zulieferers das Abrechnungspapier zwischen den Vertragspartnern ausgefüllt worden sei. Das FG habe es als fraglich hingestellt, ob er das Einverständnis von P und S zur Gutschriftenabrechnung gehabt habe. Das FG habe auch festgestellt, er habe die Rechnungen nachträglich geändert, ohne das ausdrückliche Einverständnis der Lieferanten zu haben. Dagegen habe er im finanzgerichtlichen Verfahren Beweis dafür angeboten, daß die Papiere in ihrer Endfassung dem Willen der Lieferanten entsprochen hätten.

Es komme nicht darauf an, ob es sich bei den Belegen um Rechnungen oder Gutschriften handele.

Bei Rechnungen sei es zulässig, daß sie der Rechnungsempfänger als Erfüllungsgehilfe des Ausstellers um diejenigen Teile ergänze, die er beim Schlachtvorgang hinsichtlich Qualität und Gewicht objektiviere. Dem Beschluß in BFHE 138, 267, BStBl II 1983, 525 könne nicht zugestimmt werden. Zivilrechtlich gebe es keine Zweifel, daß sich der Lieferant bei der Rechnungserteilung eines Erfüllungsgehilfen bedienen dürfe. Das gelte insbesondere, wenn - wie hier - erst der Erfüllungsgehilfe (Belieferte) die Qualität und das Gewicht genau feststellen könne. Die im FG-Urteil richtig wiedergegebenen Ucancen der Abrechnung zwischen Viehlieferant und Viehverkäufer dürften nicht unberücksichtigt bleiben. Die Berechtigung, mit Hilfe von Gutschriften abzurechnen, folge aus dem Gesetz.

Der Kläger beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuerschuld für 1976 um 48 811,31 DM und für 1977 um 16 489,50 DM zu mindern.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Nachdem das FA und der Kläger (letzterer mit Schriftsatz vom 4. Dezember 1984) auf mündliche Verhandlung verzichtet hatten, beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 8. Mai 1985 den Erlaß eines Vorbescheides.

 

Entscheidungsgründe

1. Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil. Beide Verfahrensbeteiligte haben wirksam auf mündliche Verhandlung verzichtet. Zwar hat der Kläger nach seiner Verzichtserklärung den Erlaß eines Vorbescheides beantragt. Der Verzicht ist aber grundsätzlich nicht widerruflich (vgl. BFH-Urteil vom 4. April 1974 V R 161/72, BFHE 112, 316, BStBl II 1974, 532). Ob der Verzicht ausnahmsweise widerrufen werden kann, wenn sich die Prozeßlage nach Abgabe der Verzichtserklärung wesentlich geändert hat (so z. B. Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 90 Anm. 14, m. w. N.), braucht im vorliegenden Rechtsstreit nicht entschieden zu werden; denn eine Veränderung der Prozeßlage zwischen den beiden Erklärungen des Klägers vom 4. Dezember 1984 und vom 8. Mai 1985 ist nicht erkennbar und vom Kläger auch nicht behauptet worden.

Es besteht keine Veranlassung, trotz des wirksamen Verzichts der Verfahrensbeteiligten, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen oder durch Vorbescheid zu entscheiden.

2. Die Revision ist nicht begründet.

a) Zu den Lieferungen seitens P

Der vom Kläger begehrte Vorsteuerabzug setzt gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 u. a. voraus, daß der leistende Unternehmer die auf die steuerpflichtige Leistung entfallende Umsatzsteuer dem Leistungsempfänger gesondert in Rechnung stellt. Diese Voraussetzungen sind im Falle der Lieferungen seitens P nicht erfüllt, weil das FG festgestellt hat, daß P dem Kläger Umsatzsteuer nicht gesondert in Rechnung stellte.

Das FG hat zwar festgestellt, daß P dem Kläger auf förmlichen Vordrucken des P (Anschrift, Telefon und Bankverbindungen des P waren aufgedruckt) ,,Rechnungen" erteilte, die auch von P ausgefüllt (Namen der Landwirte, die gelieferten Tiere, deren Gewicht, der Preis je Kilogramm Lebendgewicht, der Einzelpreis pro Tier und der Gesamtpreis waren von P angegeben) worden waren; P sei als Aussteller dieser Rechnungen in Erscheinung getreten. Das FG hat aber weiter festgestellt, daß die von P so ausgestellten Rechnungen keinen gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer enthielten. Vielmehr hat der Kläger selbst aus den von P eingesetzten Bruttorechnungsbeträgen die jeweils für ihn günstigsten Steuern herausgerechnet, in den ,,Rechnungen" des P diese Steuern ergänzt und als Vorsteuern geltend gemacht. Damit wurde dem Kläger die Umsatzsteuer aber nicht von einem anderen Unternehmer gesondert in Rechnung gestellt.

Der Kläger konnte von sich aus den Inhalt der ihm von P erteilten Rechnungen nicht mit rechtlicher Wirkung für den Abrechnenden oder für den Abrechnungsempfänger verändern (ebenso schon BFH-Urteil vom 27. September 1979 V R 78/73, BFHE 129, 92, BStBl II 1980, 228 unter 2.). Eine andere Beurteilung würde zu Unklarheiten über die Person des Rechnungsausstellers führen; sie würde vor allem die sich aus § 14 Abs. 2 und 3 UStG 1973 ergebenden Verantwortlichkeiten verwischen.

Hieran ändert nichts der Einwand des Klägers, er habe die Rechnungen mit Zustimmung des P ergänzt; damit sei die Rechnung im Ergebnis vollständig von P ausgefüllt worden. Selbst wenn die Zustimmung des P insoweit vorgelegen hätte - was (mit dem FG) als wahr unterstellt werden kann, so daß das FG die insoweit benannten Zeugen nicht zu vernehmen brauchte -, wäre das Abrechnungspapier von verschiedenen Personen ausgefüllt. Es bliebe für den Betrachter der ,,Rechnungen" unklar, wer die Ergänzungen angebracht hat und ob sie - falls sie von einer anderen Person als dem Rechnungsaussteller stammen - von diesem gebilligt wurden.

Der Senat braucht nicht darauf einzugehen, ob und ggf. in welchem Umfang der Abrechnungslast auch durch Gutschrift entsprochen werden kann. Denn die Ergänzungen der Rechnungen des P durch den Kläger führten nicht zu Gutschriften durch den Kläger. Eine Gutschrift setzt vielmehr - wie eine Rechnung - voraus, daß sie grundsätzlich vollständig von einem Aussteller stammt. Dies ist bei den Abrechnungen der Lieferungen des P nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt aber nicht der Fall.

b) Zu den Lieferungen seitens S

Auch insoweit hat das FG zutreffend den vom Kläger begehrten Vorsteuerabzug versagt, obwohl die Belege vollständig vom Kläger als ,,Gutschriften" erteilt worden waren.

§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 erfaßt nur das in § 14 Abs. 1 UStG 1973 geregelte Abrechnungsverfahren. In Erweiterung der gesetzlichen Regelung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 wurde durch § 5 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) - 1. UStDV - auch die Inrechnungstellung von Umsatzsteuer durch Eigenbeleg (Gutschrift) des Leistungsempfängers anerkannt. Damit sollte eine - sich aus der zivilrechtlichen Abrechnungslast des Leistungsempfängers ergebende - Regelungslücke bei § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 geschlossen werden. Der BFH hat zwar § 5 der 1. UStDV mangels gesetzlicher Ermächtigung für rechtsungültig erklärt (Urteil vom 17. Mai 1979 V R 112/74, BFHE 128, 115, BStBl II 1979, 657). Er hat in nachfolgenden Entscheidungen gleichwohl geprüft, ob die in § 5 der 1. UStDV geregelten Voraussetzungen für den Zugang zum Vorsteuerabzug unter dem Gesichtspunkt einer notwendigen sachlichen Milderungsregelung erfüllt waren (vgl. Urteil vom 4. März 1982 V R 107/79, BFHE 135, 118, BStBl II 1982, 309).

Im Streitfall entsprechen die Gutschriften nicht den Anforderungen des § 5 der 1. UStDV und rechtfertigen schon deshalb nicht den Abzug der Vorsteuern, die in ihnen ausgewiesen sind. Denn nach den insoweit nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des FG ist den Erfordernissen des § 5 Abs. 2 Nr. 3 und 4 der 1. UStDV nicht Rechnung getragen. Insbesondere sind die Gutschriften S nicht ,,zugeleitet" worden, selbst wenn sie inhaltlich seinem Willen entsprachen. Denn die Zuleitung muß grundsätzlich zu einer (körperlichen) Übergabe der Gutschrift an den Leistenden führen (vgl. Sölch / Ringleb / List, Umsatzsteuergesetz, 4. Aufl., § 14 Anm. 93; Bunjes / Geist, Umsatzsteuergesetz, 2. Aufl., § 14 Anm. 29). Eine Übergabe in diesem Sinn hat der Kläger indessen nicht einmal behauptet. Da es folglich nicht darauf ankommt, ob S mit dem Erstellen der Gutschriften durch den Kläger einverstanden war und ihren Inhalt billigte, brauchte das FG die vom Kläger insoweit benannten Zeugen nicht zu hören.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415495

BFH/NV 1988, 812

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