Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Anfechtung eines neben einem Steuerbescheid ergangenen Zinsbescheids

 

Leitsatz (NV)

1. Ein gegen einen Steuerbescheid eingelegter Rechtsbehelf ist nicht ohne weiteres auch als gegen einen daneben ergangenen Zinsbescheid erhoben anzusehen. Die Anfechtung eines Steuerbescheids hat nicht gleichzeitig auch die Anfechtung des Zinsbescheids zum Inhalt, der den in dem Steuerbescheid festgesetzten Steuerbetrag betrifft.

2. Allerdings ist derjenige Rechtsbehelf als eingelegt anzusehen, der nach der Lage der Sache in Betracht kommt bzw. den Belangen des Steuerpflichtigen entspricht und mithin Erfolg versprechen kann. Dieser Auslegungsmaßstab kommt jedoch nur dann zum Zuge, wenn es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des wirklich Gewollten fehlt.

3. Die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist kein selbständiger Verwaltungsakt, sondern Bestandteil der Entscheidung über den Rechtsbehelf und daher vom Finanzgericht uneingeschränkt nachprüfbar.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 110, 235, 357

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Das Verfahren betrifft die Frage, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) die vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) festgesetzten Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1974 bis 1978 sowie zur Ergänzungsabgabe und zum Stabilitätszuschlag 1974 schuldet. Das FA händigte den unter dem Datum vom 8. Mai 1981 erlassenen Zinsbescheid am 11. Mai 1981 dem inländischen Zustellungsbevollmächtigten des Klägers aus - zugleich mit den Einkommensteuerbescheiden 1974 bis 1978 -. Am 20. Mai 1981 ging das Schreiben vom 16. Mai 1981 des Prozeßbevollmächtigten (P) des Klägers beim FA ein. Darin ist als Betreff angegeben: ,,Geänderte Einkommensteuerbescheide 1974 - 1978." Weiter heißt es, soweit hier von Bedeutung: ,,Namens und in Vollmacht des Herrn . . .

. . . lege ich hierdurch gegen die aufgrund Betriebsprüfung geänderten Einkommensteuerbescheide 1974, 1975, 1976, 1977 und 1978 Einspruch ein . . . Unter Bezugnahme auf § 361 Abs. 2 AO 1977 beantrage ich die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1974 - 1978 vorläufig in Höhe von mindestens 717 851 DM . . . Vordringlich beantrage ich zur Vermeidung eines neuen Verfahrens gem. § 69 Abs. 3 FGO die Aussetzung der Vollziehung der oben bezeichneten Einkommensteuernachzahlungen 1974 - 1978."

Mit Schreiben vom 26. Mai 1981 lehnte das FA zwar den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der genannten Einkommensteuerbescheide ab, setzte am 22. Juli 1981 (,,auf den Antrag vom 16. 05. 1981") aber die Vollziehung des genannten Zinsbescheids in voller Höhe (119 969 DM) aus. Unter dem Datum vom 13. November 1981 teilte das FA dem Prozeßbevollmächtigten mit, eine nochmalige Überprüfung des Akteninhalts habe ergeben, daß der Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zu Einkommensteuer und Nebenabgaben 1974 bis 1978 nicht angefochten worden sei. Hiergegen wandte sich P mit Schriftsatz vom 30. November 1981. Seiner Ansicht nach richtete sich der Einspruch vom 16. Mai 1981 objektiv und subjektiv gegen die gesamte geänderte Einkommensteuerveranlagung und damit auch gegen die Nebenabgaben und die festgesetzten Hinterziehungszinsen.

In der Einspruchsentscheidung vom 14. Dezember 1982 wies das FA ,,die Einsprüche vom 16. 05. 1981/30. 11. 1981 gegen die Einkommensteuerbescheide 1974 - 1978 und den Zinsbescheid vom 11. 05. 1981" als unbegründet zurück. Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen ist ausgeführt: ,,Die Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide 1974 - 1978 sind zulässig. Der Einspruch gegen den Zinsbescheid ist ebenfalls zulässig, da dem Ef Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist." Sachlich sei auch dem Einspruch gegen den Zinsbescheid der Erfolg zu versagen, weil Steuern vorsätzlich hinterzogen worden seien.

Die gegen die Einspruchsentscheidung erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab.

P habe sich in der mündlichen Verhandlung vom 6. November 1984 dahin geäußert, daß er die Gründe für das Fehlen des Zusatzes ,,einschließlich des Zinsbescheides" im Einspruchsschreiben nicht mehr mit Sicherheit angeben könne. Mit großer Wahrscheinlichkeit sei der Fehler aber entweder auf einen technischen Defekt des Diktiergerätes oder auf ein Versehen der Schreibkraft zurückzuführen. Abgesehen davon, daß diese Angaben nicht innerhalb der Frist des § 110 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geltend gemacht worden seien, seien sie nicht geeignet, die in Rede stehende Fristversäumung zu entschuldigen. Denn zum einen handele es sich bei ihnen um reine Mutmaßungen, die nicht belegt seien. Zum anderen spreche Form und Inhalt des Einspruchsschreibens gegen den behaupteten Ablauf. Aber auch wenn die betreffenden Vorgänge sich so abgespielt haben sollten, wie P angebe, so hätte er es zumindest zu vertreten, daß er den besagten Fehler bei der abschließenden Durchsicht und Abzeichnung des Einspruchsschreibens nicht bemerkt habe.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 89, 110, 171, 175 Nr. 2, 235, 239 und 357 AO 1977.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision war zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der den Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens bildende Zinsbescheid ist unanfechtbar (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Juli 1984 VII R 122/80, BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791). Der Bescheid wurde nicht rechtzeitig mit dem Einspruch angefochten.

Gegen den Zinsbescheid ist der Einspruch gegeben (§ 348 Abs. 1 Nr. 10 AO 1977). Die Einspruchsfrist von einem Monat (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) endete im Streitfall am 11. Juni 1981; denn der Zinsbescheid wurde am 11. Mai 1981 zugestellt (§ 108 AO 1977 i. V. m. § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Innerhalb dieser Frist hat der Kläger zwar Einspruch eingelegt, aber nur gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 1974 bis 1978 und nicht auch gegen den Bescheid über die Festsetzung der Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer 1974 bis 1978.

Der Einspruch des Klägers gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide kann nicht in einen Einspruch umgedeutet werden, der sich auch gegen den Zinsbescheid richtet. Der Kläger hat durch P, einen Rechtsanwalt, Einspruch gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide einlegen lassen. Der angefochtene Verwaltungsakt ist damit bezeichnet (§ 357 Abs. 3 Satz 1 AO 1977). Nach der Rechtsprechung ist zwar derjenige Rechtsbehelf als eingelegt anzusehen, der nach der Lage der Sache in Betracht kommt bzw. sachlich den Belangen des Steuerpflichtigen entspricht und mithin Erfolg versprechen kann (BFH-Urteil vom 11. September 1986 IV R 11/83, BFHE 147, 403, BStBl II 1987, 5, m. w. N.). Dieser Auslegungsmaßstab ist jedoch nur dann von Bedeutung, wenn es an einer eindeutigen zweifelsfreien Erklärung des wirklich Gewollten fehlt. Die Erklärung, mit der sich der Kläger gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide wendete, ist eindeutig; sie stammt von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe (§ 3 Nr. 2 des Steuerberatungsgesetzes - StBerG -).

Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, daß der Zinsbescheid in einer gewissen Abhängigkeit von dem Steuerbescheid steht. Selbst wenn man davon ausgeht, daß der Zinsbescheid insofern Folgebescheid (§ 182 Abs. 1 AO 1977) des Steuerbescheids als Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO 1977) ist, als in dem Steuerbescheid die Höhe der Steuer festgesetzt wird, von der die Zinsen berechnet werden, hätte dies nur zur Folge, daß die Höhe der Steuer, nach der die Zinsen zu berechnen sind, nur durch eine Anfechtung des Steuerbescheids und nicht auch durch eine Anfechtung des Zinsbescheides angegriffen werden könnte (§ 351 Abs. 2 AO 1977). Außerdem müßte bei einer Änderung des Steuerbescheids auch der Zinsbescheid geändert werden (§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß die Anfechtung eines Steuerbescheids gleichzeitig die Anfechtung des Zinsbescheides zum Inhalt hat, der den in dem Steuerbescheid festgesetzten Steuerbetrag betrifft.

Der Klageabweisung steht nicht entgegen, daß das FA dem Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hat. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde zu Unrecht gewährt. Der Kläger war nicht ohne Verschulden verhindert, die Einspruchsfrist einzuhalten (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten ist ihm gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 zuzurechnen. Der Senat folgt insoweit in vollem Umfang den Ausführungen des FG.

Die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist kein selbständiger Verwaltungsakt, sondern Bestandteil der Entscheidung über den Rechtsbehelf und daher vom FG uneingeschränkt nachprüfbar (BFH-Urteil vom 2. Oktober 1986 IV R 39/83, BFHE 147, 407, BStBl II 1987, 7, m. w. N.).

Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, daß das FA die Vollziehung des Zinsbescheides am 22. Juli 1981 ausgesetzt hat. Die Aussetzung der Vollziehung enthält keine Entscheidung über die Zulässigkeit des Einspruchs. Dies ergibt sich aus den Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung, die, soweit sie die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts betreffen, lediglich darauf abstellen, ob ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen (§ 361 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416105

BFH/NV 1989, 616

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