Leitsatz (amtlich)

1. Zur Abgrenzung von Einfamilienhäusern und gemischtgenutzten Grundstücken bei freiberuflicher Mitbenutzung.

2. Ein Wohngrundstück wird in seiner Eigenart als Einfamilienhaus nicht dadurch wesentlich beeinträchtigt, daß die freiberuflich genutzten Räume baulich von der Wohnung getrennt sind und eine gewisse Selbständigkeit innerhalb eines äußerlich einheitlich erscheinenden Gebäudes aufweisen.

3. Soweit das Grundstück in seinem äußeren Erscheinungsbild sich als Einfamilienhaus darstellt, kommt der inneren Gestaltung nur nachrangige Bedeutung zu.

 

Normenkette

BewG 1965 § 75 Abs. 4, 5 Sätze 1, 4

 

Verfahrensgang

FG München (Entscheidung vom 30.03.1981; Aktenzeichen IV 59/78)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob ein Gebäude, das eine Wohnung und eine Arztpraxis umfaßt, als Einfamilienhaus oder als gemischtgenutztes Grundstück zu bewerten ist.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eigentümer eines 1 905 qm großen Grundstücks. Sie haben darauf ein zweigeschossiges Wohngebäude mit einem im rechten Winkel anschließenden eingeschossigen Anbau errichtet. Dieser wird als Arztpraxis genutzt. Am äußeren Ende des Anbaus steht eine Doppelgarage für die beiden beruflich genutzten PKW.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hat das Grundstück zum 1.Januar 1966 nach altem Recht (Bewertungsgesetz --BewG-- 1934) als gemischtgenutztes Grundstück bewertet.

Auf den 1.Januar 1974 führte das FA nach neuem Recht (BewG 1965) eine Wert- und Artfortschreibung durch und stellte als Grundstücksart "Einfamilienhaus" fest.

Der Einspruch hiergegen, mit dem die Kläger die Bewertung als gemischtgenutztes Grundstück begehrten, war erfolglos.

Die Klage, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgten, führte zum Erfolg.

Zur Begründung (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1982, 8) führte das Finanzgericht (FG) im wesentlichen aus: Unter Grundstücken, die zu gewerblichen oder öffentlichen --freiberuflichen (§ 96 BewG)-- Zwecken mitbenutzt werden und bei denen die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt werde (§ 75 Abs.5 Satz 4 BewG), seien zunächst solche bebaute Grundstücke zu verstehen, die nach ihrer baulichen Gesamtkonzeption und Gestaltung ein Bauwerk aufwiesen, das nur eine Wohnung enthalte. Eine Mitbenutzung i.S. des § 75 Abs.5 Satz 4 BewG zu gewerblichen oder öffentlichen Zwecken liege im Regelfall dann vor, wenn einzelne Räume innerhalb dieses abgeschlossenen Wohngebäudes von der genannten Nutzung zu anderen als Wohnzwecken erfaßt würden. Eine derartige bauliche Gestaltung sei im Streitfall nicht gegeben. Ausweislich der Planskizze sei das Bauwerk der Kläger in zwei zwar aneinandergrenzenden, aber baulich getrennten und grundsätzlich unabhängigen Bauteilen aufgeführt. Beide Bauteile besäßen selbständige Zugänge von außen. Daß ein weiterer Zugang über den Windfang des Wohnteils in den Praxisanbau führe, falle nicht ins Gewicht. Soweit sich aus den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2.Juli 1976 III R 54/75 (BFHE 119, 294, BStBl II 1976, 640), vom 23.September 1977 III R 18/77 (BFHE 124, 73, BStBl II 1978, 188) etwas anderes ergebe, könne es dem nicht folgen. Ob das gesamte Bauwerk auf einem Grundstück äußerlich das "Gepräge" eines Einfamilienhauses oder einen "Wohncharakter" habe, seien Umstände, auf die § 75 BewG grundsätzlich nicht abstelle.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 75 Abs.4 und Abs.5 BewG und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Nach § 75 Abs.5 Satz 1 BewG sind Einfamilienhäuser Wohngrundstücke, die nur eine Wohnung enthalten. Das streitbefangene Grundstück enthält nur eine Wohnung.

Ohne Rechtsirrtum ist das FG davon ausgegangen, daß die freiberuflich genutzten Räume nicht als zweite Wohnung i.S. des § 75 Abs.6 Satz 1 BewG anzusehen sind. Es konnte dabei auch offenlassen, ob die freiberuflich genutzten Räume hinsichtlich der baulichen Merkmale und der Ausstattung die Voraussetzungen des bewertungsrechtlichen Wohnbegriffs erfüllen oder erst durch Umbaumaßnahmen zu einer zweiten Wohnung gestaltet werden könnten. Entscheidend ist, daß diese Räume zum maßgeblichen Bewertungsstichtag (1.Januar 1974) nicht Wohnzwecken dienten (vgl. BFH-Urteil vom 22.Februar 1985 III R 78/81, BFHE 142, 570, BStBl II 1985, 284, dem sich der Senat anschließt).

2. Eine Bewertung als gemischtgenutztes Grundstück könnte nur dann in Betracht kommen, wenn die freiberufliche Mitbenutzung die Eigenart des Grundstücks als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigte (§ 75 Abs.5 Satz 4 BewG).

a) Ob die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird, hängt vom Umfang der freiberuflichen Nutzung, dem äußeren Erscheinungsbild des Grundstücks und der inneren Gestaltung des Gebäudes ab (vgl. BFH-Urteil vom 6.Juli 1979 III R 77/77, BFHE 128, 397, BStBl II 1979, 726). Die freiberufliche Mitbenutzung beeinträchtigt in der Regel die Eigenart eines Grundstücks als Einfamilienhaus weniger stark als eine Mitbenutzung zu gewerblichen Zwecken. Denn dem allgemeinen Vorstellungsbild widerspricht es regelmäßig nicht, daß ein Arzt, ein Rechtsanwalt, ein Steuerberater usw. seine Praxis bzw. sein Büro in einem Einfamilienhaus unterhält. Daher wird eine freiberufliche Nutzung aus räumlicher Sicht in der Regel nur dann der Beurteilung als Einfamilienhaus entgegenstehen, wenn sie den Umfang der Nutzung zu Wohnzwecken erreicht oder übersteigt (vgl. BFH-Urteil vom 23.September 1977 III R 18/77, BFHE 124, 73, BStBl II 1978, 188, m.w.N.). Der räumliche Umfang ist allerdings kein ausschließliches Beurteilungsmerkmal, sondern nur ein Kriterium, das im Zusammenhang mit weiteren Merkmalen von Bedeutung ist. Soweit das Grundstück in seinem äußeren Erscheinungsbild sich als Einfamilienhaus darstellt, kommt der inneren Gestaltung des Gebäudes nur eine nachrangige Bedeutung zu. Der Umstand, daß die freiberuflich genutzten Räume baulich von der Wohnung getrennt sind und eine gewisse Selbständigkeit innerhalb eines äußerlich einheitlich erscheinenden Gebäudes aufweisen, führt allein nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Einfamilienhauscharakters. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des III.Senats im Urteil vom 2.Juli 1976 III R 54/75 (BFHE 119, 294, BStBl II 1976, 640) an. In diesem Zusammenhang ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, ob Wohnungen und Praxisräume miteinander verbunden sind. Wesentlich ist vielmehr, daß sich nur eine Wohnung in dem Grundstück befindet, wobei sich die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken entgegen der Auffassung des FG nicht auf die vorhandene Wohnung, sondern auf das Grundstück insgesamt bezieht. Der Senat stützt seine Auffassung auf den Gesetzeswortlaut des § 75 Abs.5 Satz 4 BewG. Danach kommt es darauf an, ob durch die freiberufliche Nutzung weiterer, nicht zur Wohnung gehörender Räume die Eigenart des Grundstücks als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird.

3. Die Vorentscheidung ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen und war deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif, weil das FG aus seiner Sicht zu Recht keine tatsächlichen Feststellungen zum äußeren Erscheinungsbild des Grundstücks getroffen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60838

BStBl II 1986, 172

BFHE 145, 232

BFHE 1986, 232

BB 1986, 516-517 (ST)

DB 1986, 1657-1657 (ST)

DStR 1986, 166-166 (ST)

HFR 1986, 173-173 (ST)

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