Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Begründetheit einer Verfahrensrüge

 

Leitsatz (NV)

Eine Verfahrensrüge ist unbegründet, wenn die behauptete Tatsache, das FG habe näher gekennzeichnetes schriftliches und rechtserhebliches Vorbringen übergangen, sich nicht feststellen läßt.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hatte gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1975 erlassen, der ausweislich der Akten am 2. Januar 1979 zur Post gegeben worden war. Am 8. Februar 1979 ging der Einspruch der Klägerin beim FA ein. Das FA verwarf den Einspruch wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Das Finanzgericht (FG) hat die von der Klägerin erhobene Klage abgewiesen. Die einen Monat betragende Einspruchsfrist, die am 5. Januar 1979 zu laufen begonnen habe, sei bei Eingang des Einspruchs am 8. Februar 1979 schon verstrichen gewesen.

Gegen die Entscheidung des FG wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie rügt Verletzung formellen Rechts. Das FG habe rechtserhebliches Vorbringen nicht berücksichtigt. Ihr damaliger Prozeßbevollmächtiger, der Steuerbevollmächtigte A, habe während des finanzgerichtlichen Verfahrens mit Schriftsatz vom 21. November 1980 vorgetragen, der angefochtene Einkommensteuerbescheid sei der Klägerin erst am 9. Januar 1979 zugegangen. Das ergebe sich aus der Stellungnahme der Klägerin in einem Schreiben an ihren damaligen Prozeßbevollmächtigten, das dem an das Gericht gerichteten Schriftsatz vom 21. November 1980 beigefügt gewesen sei. In Anlage 6 in Verbindung mit Anlage 3 der genannten Stellungnahme der Klägerin habe diese beanstandet, daß sowohl Bescheide vom 28. Dezember 1978 als auch solche vom 2. Januar 1979 in einem einzigen Umschlag vom FA versandt worden seien. Der Einkommensteuerbescheid 1975 sei ihr erst am 9. Januar 1979 zugegangen.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.

Auf das Schreiben des Vorsitzenden des Senats, in der dem Schriftsatz des damaligen Prozeßbevollmächtigten vom 21. November 1980 beigefügten Stellungnahme der Klägerin - Bemerkungen zum Steuerfahndungsbericht - seien Ausführungen über den Zugang des angefochtenen Steuerbescheids nicht enthalten, ließ die Klägerin durch ihren jetzigen Prozeßbevollmächtigten wie folgt antworten: Ihr Prozeßbevollmächtigter erster Instanz A, habe versichert, daß seiner Klagebegründung vom 21. November 1980 die Stellungnahme der Klägerin zu den einzelnen Steuerbescheiden (Anlagen 1 bis 17) beigelegen hätten und dem FG übersandt worden seien. Es handle sich um die Anlagen zu einem Anschreiben der Klägerin vom 8. Oktober 1980. Es sei höchst unwahrscheinlich, daß der damalige Prozeßbevollmächtigte A nur die Stellungnahme der Klägerin zum Steuerfahndungsbericht, die sie 1 3/4 Jahre vor der Klageerhebung gefertigt habe, und nicht auch die weitere Stellungnahme zum Zugang der Steuerbescheide dem FG eingereicht habe. Die Bemerkungen der Klägerin zum Steuerfahndungsbericht seien schon lange vorher in einem Schreiben des damaligen Prozeßbevollmächtigten an das FA X ausgewertet worden. Es sei auch denkbar, daß die Stellungnahme der Klägerin innerhalb der Akten des FG verlegt worden sei. Die Klägerin habe mehrere Prozesse vor dem FG geführt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch.

Mit ihrer Rüge, das FG habe rechtserhebliches Vorbringen, das in den Akten enthalten gewesen sei, nicht berücksichtigt, macht die Klägerin einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend. Hiernach hat das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten. Nach der Behauptung der Klägerin hat das FG ihr Vorbringen aus Anlagen zum Schriftsatz vom 21. November 1980 (der Klagebegründung) übergangen, aus dem sich ergeben soll, daß die Einspruchsfrist später zu laufen begonnen habe und daß ihr Einspruch noch innerhalb der Einspruchsfrist dem FA zugegangen sei.

Ein derartiges Vorbringen läßt sich aber den Anlagen zum Schriftsatz vom 21. November 1980 nicht entnehmen. Diesem Schriftsatz war, wie unter dem Eingangsstempel des FG handschriftlich vermerkt ist, eine ,,Heftleiste" beigefügt. In dem Schriftsatz sind die darin enthaltenen Anlagen unter der Unterschrift des damaligen Prozeßbevollmächtigten näher wie folgt bezeichnet: ,,Steufa-Bericht vom 17. 9. 1978 in Fotokopie, Stellungnahme der Steuerpflichtigen nebst Kontoauszug, Schreiben von Rechtsanwalt B in Fotokopie." Die umfangreiche Stellungnahme der Klägerin, die nicht datiert ist, befaßt sich ausschließlich mit dem Inhalt des Steuerfahndungsberichts und nicht mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der aufgrund der Steuerfahndung ergangenen Einkommensteuerbescheide. Die außerdem in dem Hefter enthaltenen Anlagen - Schreiben des Rechtsanwalts B vom 21. Dezember 1979 sowie der Kontoauszug - betreffen nicht das Streitjahr 1975 und den für dieses Jahr ergangenen Einkommensteuerbescheid.

In Anbetracht der genauen Bezeichnung der mit dem Schriftsatz vom 21. November 1980 in einem Hefter eingereichten Anlagen lassen sich diese Schriftstücke genau identifizieren. Der erkennende Senat vermag daher nicht die Überzeugung zu gewinnen, daß mit diesem Schriftsatz außerdem noch weitere Schriftstücke oder an Stelle des genannten Hefters ein weiterer Hefter - der mit einem Anschreiben an ihren damaligen Prozeßbevollmächtigten A vom 8. Oktober 1980 versehene Hefter - mit eingereicht worden sind. Daran ändert auch nichts, daß der jetzige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin in dem Schriftsatz vom 19. August 1985 ausführt, der frührer Prozeßbevollmächtigte A habe nach Rücksprache nochmals versichert, daß die Bemerkungen der Klägerin zum Zugang der Steuerbescheide zusammen mit der Klagebegründung vom 21. November 1980 dem FG eingereicht worden seien, und es sei unwahrscheinlich, daß der damalige Prozeßbevollmächtigte diese Bemerkungen nicht dem FG weitergegeben habe.

Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, die Akten weiterhin dahin zu untersuchen, ob der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte bei einer anderen Gelegenheit oder zusammen mit einem anderen Schriftsatz die Bemerkungen der Klägerin zum Zugang des geänderten Steuerbescheids 1975 dem FG eingereicht hat. Werden mit der Revision Verfahrensmängel gerügt, müssen die Tatsachen genau bezeichnet werden, die den Mangel ergeben (§ 120 Abs. 2 FGO). Bei der Rüge, es sei schriftsätzliches Vorbringen übersehen worden, müssen die Aktenteile genau bezeichnet werden, aus denen sich die behaupteten Sachverhalte ergeben sollen.

Es kann auch dahingestellt bleiben, ob das FG die mit Schriftsatz vom 21. November 1980 eingereichte ,,Heftleiste" in der die Einkommensteuersache 1975 betreffenden Prozeßakte oder in einer anderen - die Klägerin hat mehrere Prozesse geführt - Akte aufbewahrt hat. Die Heftleiste hat zwar bei der Aktenübersendung durch das FG an den Bundesfinanzhof (BFH) den FG-Akten nicht beigelegen; auf Anforderung der Geschäftsstelle des Senats ist sie dem Senat sofort vorgelegt worden und konnte leicht und einwandfrei als das Aktenstück identifiziert werden, das mit dem Schriftsatz vom 21. November 1980 dem FG eingereicht worden ist.

Die mit der Verfahrensrüge behauptete Tatsache, das FG habe näher gekennzeichnetes schriftliches und rechtserhebliches Vorbringen übergangen, läßt sich demnach nicht feststellen. Die Beweislast für die Tatsachen, auf die eine Verfahrensrüge gestützt wird, trägt der, der sie vorbringt (BFH-Urteil vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, 193, BStBl II 1975, 489, 493). Das ist hier die Klägerin.

Da die Revision nur auf einen Verfahrensmangel gestützt worden ist, ist nur über den geltend gemachten Verfahrensmangel zu entscheiden, da zugleich eine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache oder Divergenz - nicht vorliegt (§ 118 Abs. 3 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414175

BFH/NV 1986, 288

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