Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit eines an zusammenveranlagte Ehegatten gerichteten Einkommensteuerbescheids; Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters

 

Leitsatz (NV)

1. Im Streitfall kann offenbleiben, ob ein im Rahmen einer Einkommensteuer-Zusammenveranlagung an "Herrn und Frau ... (Nachname; Vorname der Ehefrau)" gerichteter Bescheid der Ehefrau gegenüber wirksam ist, wenn der Ehemann bereits verstorben war (vgl. BFH-Urteil vom 24. April 1986 IV R 82/84, BFHE 146, 358, BStBl II 1986, 545).

2. Der Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB ist nicht um die Aufwendungen für den (teilweisen) Neuerwerb des Versicherungsbestandes durch die Erbin des Handelsvertreters zu mindern.

 

Normenkette

AO 1977 § 119 Abs. 1, §§ 169, 170 Abs. 2, § 173 Abs. 1, § 370 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 5 Abs. 1; HGB § 89b

 

Verfahrensgang

FG des Saarlandes

 

Tatbestand

Der Erblasser -- der Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen und Revisionsklägerinnen -- (Klägerinnen) war am ... Dezember 1979 verstorben. Er hatte seine Tochter, die Klägerin zu 2, zur Erbin eingesetzt. Zu Lebzeiten hatte er eine Versicherungsagentur --zuletzt eine Generalagentur für die ... AG (AG) -- betrieben. Die Steuererklärung für 1979 ging am 29. September 1980 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) ein. Sie war nur von der Klägerin zu 1 unterschrieben worden. Der Einkommensteuerbescheid 1979 vom 20. November 1981 war an "Herrn und Frau Nachname Berta" gerichtet.

Bei einer 1985/86 durchgeführten Außenprüfung, die den von der Klägerin zu 2 übernommenen Betrieb betraf, wurde festgestellt, daß die AG ihr als Erbin im Dezember 1980 185 000 DM gezahlt hatte. Der Zahlung, deren Grundlage Ausgleichsansprüche nach § 89 b des Handelsgesetzbuches (HGB) waren, waren Verhandlungen mit der AG vorausgegangen. Mit Schreiben vom 28. März 1980 hatte die AG bestätigt, daß die Klägerin zu 2 Ausgleichsansprüche geltend gemacht habe, und darauf hingewiesen, daß mit dem Tod des Erblassers der Agenturvertrag erloschen sei. Im Juni 1980 teilte die AG der Klägerin zu 2 mit, daß der volle Ausgleichswert rd. 388 000 DM betrage. In einer mit "Feststellung von Ausgleichsansprüchen nach § 89 b HGB" überschriebenen Urkunde vom 18. November 1980 bestätigten die AG und die Klägerin zu 2 ihr Einvernehmen, daß diese die Generalagentur weiterführe, jedoch einen Teil des Versicherungsbestandes an die Gesellschaft zurückgegeben werde. Aus diesem Teil gebührten der Klägerin zu 2 Ausgleichsansprüche in Höhe von 188 391 DM, die noch auf 185 000 DM herabgesetzt wurden. Der verbleibende Bestand werde ab 1. Januar 1981 durch neuen Vertrag übergeben; Ausgleichsansprüche daraus entstünden von diesem Zeitpunkt an. Die Klägerin zu 2 behandelte die Zahlung als außerbetriebliche Einnahme. Das FA erfaßte die Ausgleichszahlung für das Jahr 1980 bei der Klägerin zu 2 und erließ unter dem 3. Dezember 1986 einen auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheid. Im Einspruchsverfahren kam das FA zu der Auffassung, daß der Anspruch bereits mit dem Tode des Erblassers entstanden sei und änderte unter dem 25. April 1990 den Steuerbescheid 1979 vom 20. November 1981 für den Erblasser und dessen Witwe, die Klägerin zu 1, gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 174 Abs. 4 AO 1977. Der Bescheid wurde den Klägerinnen in gesonderten Ausfertigungen bekanntgegeben. Der Ausgleichsanspruch wurde mit 388 000 DM berücksichtigt. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 596, 613 veröffentlicht.

Mit der Revision rügen die Klägerinnen Verletzung formellen und materiellen Rechts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts hat keinen Erfolg.

a) Entgegen der Auffassung der Klägerinnen hat das FG nicht das rechtliche Gehör verletzt (§ 119 Nr. 3 FGO) und keine Überraschungsentscheidung getroffen.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfaßt die Erörterung des gesamten Prozeßstoffs. Den Beteiligten muß Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Stützt das Gericht seine Entscheidung auf einen Punkt, dem die Beteiligten erkennbar keine Bedeutung beigemessen haben, bedarf es eines Hinweises seitens des Gerichts. Eine umfassende rechtliche Erörterung ist nicht erforderlich, ebensowenig eine Erörterung, die auf eine Vorwegnahme der Beweiserhebung oder des Urteils hinausläuft (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., 1993, § 96 Rz. 32 f.). Das Recht auf rechtliches Gehör schützt nicht davor, daß das Gericht bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zum Nachteil eines Beteiligten entscheidet und daß der jeweilige Beteiligte dieses Ergebnis nicht erwartet hat. Indes ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gegeben, wenn das FG sein Urteil auf einen (tatsächlichen) Gesichtspunkt stützt, der zuvor im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren und im Klageverfahren nicht mehr streitig gewesen ist, ohne den Beteiligten zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 7. März 1995 XI R 82/93, BFH/NV 1995, 990). Im Streitfall haben sich die Klägerinnen auch zur Frage einer Steuerhinterziehung geäußert (vgl. S. 6 des angefochtenen Urteils) und vorgetragen, daß der subjektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung nicht vorliege, da die Klägerin zu 2 bis zum Tode ihres Vaters Hausfrau gewesen sei und nicht habe erkennen können, daß es sich bei dem Ausgleichsanspruch um ein aktivierungspflichtiges Wirtschaftsgut gehandelt habe. Das FG hat diesen Vortrag zur Kenntnis genommen und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Die Äußerung des FG, daß der Streitfall vorrangig Rechtsfragen aufweise, war nicht so zu verstehen, daß Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen ohne jede Bedeutung sein würden. Das FG hat lediglich zum Ausdruck gebracht, daß seiner Auffassung nach die Beurteilung der Rechtsfragen im Vordergrund stünden und -- incidenter -- daß weitere (im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu treffende) Sachverhaltsfeststellungen nicht erforderlich seien.

Dementsprechend war das FG auch nicht gehalten, trotz des Verzichts auf mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO) eine mündliche Verhandlung anzuberaumen; das FG hat -- wie dargelegt -- das Recht auf Gehör nicht verletzt (vgl. BFH-Urteil vom 7. März 1995 XI R 82/93, NV).

b) Das FG hat seine Entscheidung auf das Gesamtergebnis des Verfahrens gestützt. Das FG brauchte die von der Klägerin zu 2 dem Betriebsprüfer gegenüber abgegebene Äußerung, selbstverständlich aus der Erbschaft Geld bekommen zu haben, in seiner Urteilsbegründung nicht ausdrücklich zu erwähnen. Diese Äußerung war für die Frage der Verwirklichung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung ohne besondere Bedeutung.

c) Das FG hat seine Sachaufklärungspflicht nicht verletzt (dazu vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 115 FGO, Tz. 66). Nach den gegebenen Verhältnissen war eine weitere Sachaufklärung nicht notwendig. Insbesondere konnte das FG den (objektiven und subjektiven) Tatbestand der Steuerhinterziehung auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts selbst beurteilen. Die persönliche Anhörung der Klägerin zu 2 war nicht erforderlich.

2. Das FA war zum Erlaß des Bescheides vom 25. April 1990 berechtigt.

a) Der vorhergehende Bescheid vom 20. November 1981 war an "Herrn und Frau Nachname Berta" gerichtet. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob im Hinblick auf eine unzureichende Bezeichnung des Steuerschuldners dieser Bescheid gegenüber der Klägerin zu 1 wirksam geworden ist (dazu vgl. § 119 Abs. 1, § 124 Abs. 1 AO 1977; ferner BFH-Urteil vom 24. April 1986 IV R 82/84, BFHE 146, 358, BStBl II 1986, 545). War der Bescheid unwirksam, konnte der Bescheid vom 25. April 1990 als Erstbescheid ergehen. War der Bescheid hingegen wirksam, war das FA berechtigt, den Bescheid vom 25. April 1990 gegenüber der Klägerin zu 1 als auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gestützten Änderungsbescheid zu erlassen. Dem FA war erst im Zuge der Außenprüfung -- also nachträglich -- bekanntgeworden, daß die Klägerin zu 2 einen Ausgleichsanspruch erworben hatte. Die Grundsätze von Treu und Glauben standen einer Änderung nicht entgegen. Hat der Steuerpflichtige -- hier die Klägerin zu 1 -- eindeutige Erklärungen abgegeben, kann das FA von deren Richtigkeit ausgehen, ohne besondere Ermittlungen anstellen zu müssen (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 173 AO 1977, Tz. 28 b).

b) Die Festsetzungsfrist war nicht abgelaufen. Sie begann -- frühestens -- mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wurde (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977), also mit Ablauf des Jahres 1980. Der Senat kann offenlassen, ob -- so das FG -- der Fristbeginn von einer ordnungsgemäß unterschriebenen Steuererklärung abhängt oder ob auch eine unvollständige und nicht -- oder in den Fällen der Zusammenveranlagung nicht von beiden Steuerschuldnern -- unterschriebene Steuererklärung ausreicht (so Tipke/Kruse, a.a.O., § 170 AO 1977, Tz. 2 b).

c) Die Festsetzungsfrist betrug gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 zehn Jahre und endete damit -- frühestens -- mit Ablauf des Jahres 1990. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die auf der Ausgleichsforderung beruhende Steuer hinterzogen wurde. Die Klägerin zu 2 hat das FA pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977). Die Klägerin zu 2 war in ihrer Eigenschaft als Gesamtrechtsnachfolgerin ihres Vaters gemäß § 149 Abs. 2 AO 1977 verpflichtet, eine Steuererklärung abzugeben. Der Klägerin zu 2 war ohne weiteres erkennbar, daß der Ausgleichsanspruch mit der gewerblichen Tätigkeit ihres Vaters zusammenhing und eine Besteuerung in Betracht kam. Die Klägerin zu 1 kann sich nicht gemäß § 169 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 entlasten. Auch sie hat durch die Tat einen Vermögensvorteil (dazu BFH-Urteil vom 31. Januar 1989 VII R 77/86, BFHE 156, 30, BStBl II 1989, 442) erlangt. Durch die Nichtfestsetzung der entsprechenden Steuer wurde im Hinblick auf ihre gesamtschuldnerische Verpflichtung ihre Vermögenslage verbessert.

d) Auch gegenüber der Klägerin zu 2 war das FA berechtigt, den Bescheid vom 25. April 1990 zu erlassen. Gegenüber der Klägerin zu 2 ist dieser Bescheid als Erstbescheid anzusehen. Der Bescheid vom 20. November 1981 war nicht an sie gerichtet. Die Festsetzungsfrist war nicht abgelaufen (s. oben). Ob die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO 1977 gegeben sind, kann dahinstehen.

3. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist das angefochtene Urteil ebenfalls nicht zu beanstanden. Der auf § 89 b HGB beruhende Ausgleichsanspruch war zum ... Dezember 1979 (dem Todestag des Erblassers) gemäß § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes zu aktivieren (vgl. BFH-Urteil vom 9. Februar 1983 I R 94/79, BFHE 137, 355, BStBl II 1983, 271; Schmidt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., 1995, § 5 Rz. 270 "Ausgleichsanspruch"). Nach den vom FG getroffenen Feststellungen hat die AG für die Übernahme des gesamten Versicherungsbestandes des Erblassers eine Ausgleichszahlung von 388 000 DM gewährt. Die Klägerin zu 2 hat ihrerseits einen Betrag von 203 000 DM für die Rückübertragung eines Teils des Versicherungsbestandes aufgewendet. Die AG hat ausdrücklich betont, daß der verbleibende Versicherungsbestand ab 1. Januar 1981 durch neuen Vertrag übergeben werde und daß Ausgleichsansprüche daraus von diesem Zeitpunkt an entstünden. Nach diesen -- den Senat bindenden -- Feststellungen betrug der Ausgleichsanspruch 388 000 DM; der tatsächlichen Zahlung der AG von nur 185 000 DM liegt danach die Verrechnung der beiden selbständigen Ansprüche zugrunde. Die Auffassung der Klägerinnen, daß die Klägerin zu 2 nur einen Versicherungsbestand im Wert von 185 000 DM zurückübertragen habe, beruht auf einer unzulässigen Verbindung beider Vorgänge. Schließlich ist nicht zu beanstanden, daß der Ausgleichsanspruch zum Bilanzstichtag 30. Dezember 1979 aktiviert wurde. Maßgeblich sind die am Bilanzstichtag vorliegenden Verhältnisse nach dem Erkenntnisstand des sorgfältigen Kaufmanns bei Bilanzaufstellung (vgl. BFH-Urteil vom 23. Mai 1984 I R 266/81, BFHE 141, 261, BStBl II 1984, 723; Schmidt, a.a.O., § 5 Rz. 81). Bereits im Schreiben vom 20. Juni 1980 hatte die AG den Wert der Ausgleichsforderung mit 388 000 DM beziffert.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420901

BFH/NV 1996, 312

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