Leitsatz (amtlich)

1. Wird an eine Werkhalle in Spannbetonkonstruktion mit flachem Satteldach längsseitig eine weitere Werkhalle gleicher Bauausführung und Größe angebaut, so ist bei einem Überwiegen der auf eine bauliche Verbindung hinwirkenden Maßnahmen eine bauliche Verschachtelung zu einer mehrschiffigen Halle zu bejahen.

2. Für die Frage, ob dem einheitlichen Wirschaftsgut (mehrschiffige Werkhalle) die Altbau- oder Anbauteile das Gepräge geben, sind bei Fehlen von Besonderheiten die Größen- und Wertverhältnisse maßgebend.

 

Normenkette

UStG 1967 § 30

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der eine Fabrik für Kunststofferzeugnisse betreibt, errichtete in den Jahren 1968/69 auf seinem Betriebsgrundstück eine neue Werkhalle. Vor ihrer Errichtung war bereits ein sich aus mehreren Baukörpern unterschiedlicher Größe und Bauart bestehender Gebäudekomplex vorhanden. Er setzte sich aus drei größeren aneinandergebauten Gebäudeteilen (Bürogebäude, 10,5m lang, 15,7m breit; alte Werkhalle, 81 m lang, 15,7m breit; Lagerhalle, 30,5m lang, 10m breit) und mehreren kleineren Gebäudeteilen (4 Garagen, ein Kompressorraum, eine Fahrradunterstellhalle) zusammen.

Die neue Werkhalle, die eine Länge von 54,4m und eine Breite von 20,3m aufweist, wurde auf ihrer östlichen Längsseite an die westliche Längsseite der bereits vorhandenen alten Werkhalle (81m lang, 15,7m breit) angebaut. Ihre nördliche Giebelwand schließt mit der der alten Werkhalle ab. Die westliche Längsseite der neuen Halle steht wie die vorgenannten Giebelwände frei. Die südliche Giebelwand der neuen Halle ist an die 10m breite Lagerhalle angebaut. Auf der restlichen Breite von 5,7m steht die Giebelwand der neuen Halle über.

Die neue Werkhalle wurde wie die alte Werkhalle in Spannbetonkonstruktion mit flachem Satteldach errichtet. Das Dach wird an den Längsseiten von je 12 Stützpfeilern aus Stahlbeton (Stützabstand 5 m) getragen. Auf der nördlichen (freistehenden) Giebelseite befinden sich drei Giebelstützen, auf der südlichen Giebelseite, die auf 10 m Breite an die Lagerhalle angrenzt, steht eine Giebelstütze. Eigene Fundamente haben nur diese vier Giebelstützen und 11 Stützpfeiler auf der westlichen (freistehenden) Längsseite. Die Stützpfeiler auf der östlichen, nämlich der alten Werkhalle zugewandten Seite, sind als Pendelstützen auf bereits vorhandene Fundamente gestellt worden, und zwar unmittelbar neben die auf diesen Fundamenten mittig stehenden Stützpfeiler der alten Werkhalle. Der Raum zwischen den Pendelstützen wurde nicht ausgemauert. Auf der gemeinsamen Längsseite beider Hallen (54 m) wurde vielmehr die bisherige Außenmauer der alten Werkhalle auf einer Länge von 26,5m entfernt, so daß die alte und die neue Halle insoweit ineinander übergehen. Außerdem wurden noch zwei Durchlässe gebrochen. Die Mauer der an die südliche Giebelwand anschließenden Lagerhalle wurde mit einem 2 m breiten Durchgang in die neue Halle versehen.

Die drei vorbezeichneten Hallen sind dem Ablauf des Betriebsgeschehens entsprechend nutzungsmäßig aufeinander abgestimmt. Der Betriebsfluß mündet aus den an der Längs- und Giebelseite angrenzenden Hallen (alte Werkhalle, Lagerhalle) in die neue Werkhalle, die die Verpackung und den Versand aufgenommen hat. Durch die offenen Zwischenräume sind ca. 30 Transportförderbänder angelegt worden, auf denen Kartons in die neue Halle rollen. Außerdem saugen zwei Förderungsgebläse die fertigen Kunststofferzeugnisse über eine Rohrleitung in die neue Halle. Diese wurde an die vorhandene Strom-, Wasser- und Heizungsanlage angeschlossen.

Die neue Werkhalle umfaßt 34 v. H. des gesamten vorhandenen umbauten Raumes (in cbm). Nach dem Neuwert berechnet beträgt der Wertanteil 30,4 v. H. Nach dem Einschätzungsverzeichnis der Gebäudeversicherungsstelle betragen die Größenverhältnisse zwischen alter und neuer Halle 55 v. H. zu 45 v. H. und die Wertverhältnisse 58 v. H. zu 42 v. H. (auf Neuwertbasis).

Im Anschluß an eine Betriebsprüfung wurde der Kläger vom Beklagten und Revisionskläger (FA) durch Berichtigungsbescheid gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen der Zuführung der neuen Werkhalle zum Anlagevermögen zur Selbstverbrauchsteuer herangezogen. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FG hat der (erhobenen) Klage stattgegeben. Er führt aus: Die alte und die neue Werkhalle seien durch gemeinsame Fundamente auf einer Längsseite zu einer räumlich-baulichen Einheit - einer doppelschiffigen Halle - verbunden worden. Wegen der gemeinsamen Fundamente auf der einen Längsseite könne die neue Werkhalle nicht als selbständiges Bauwerk angesehen werden. Im übrigen sei die neue Werkhalle sowohl dem Gesamtgebäudekomplex als auch dem aus alter und neuer Halle bestehenden Hallenbau wertund größenmäßig untergeordnet. Ferner gebe die neue Werkhalle keinem dieser beiden Gebäudekomplexe das Gepräge.

Das FA rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die neuerrichtete Werkhalle sei trotz der bestehenden baulichen Verbindung mit der alten Werkhalle als selbständiges Gebäude und damit als selbständiges Wirtschaftsgut i. S. des § 30 des Umsatzsteuergesetzes - Mehrwertsteuer - (UStG 1967) anzusehen. Die bauliche Einheit könne nicht auf die nur auf einer Seite bestehenden gemeinsamen Fundamente gestützt werden. Es sei lebensfremd anzunehmen, daß die neue Halle beim Abriß der alten Halle in sich zusammenbrechen würde. Bei einem Abbruch der alten Halle bestünde kein Anlaß, auch die (gemeinsamen) Fundamente zu beseitigen, welche auf einer Seite die Standfestigkeit der neuen Halle garantierten. Bei dieser Sachlage könne die produktionstechnische Abstimmung beider Hallen die Annahme einer räumlichen Einheit nicht rechtfertigen. Eine derartige Abstimmung sei bei einem Fabrikkomplex mehr oder weniger immer gegeben. Wichtig sei, daß beide Hallen innerhalb des Unternehmens eine unterschiedliche Funktion erfüllten. Wenn man mit dem FG von einem einheitlichen Wirtschaftsgut (doppelschiffige Halle) ausgehe, könne gleichwohl keine nichtsteuerbare Erweiterungsinvestition angenommen werden. Zwar erreiche die neue Halle nur 42 v. H. des Gesamtneubauwerts von alter und neuer Halle; die neue Halle habe jedoch eine derartige Veränderung des Gesamtbildes mit sich gebracht, daß bei Zugrundelegung einer baulichen Einheit ein neues Wirtschaftsgut (eine doppelschiffige Halle) entstanden sei.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er trägt vor: Die bautechnischen Gegebenheiten, nämlich die Errichtung der Stützen auf den Fundamenten der alten Werkhalle und das Fehlen einer Wand zwischen beiden Hallen, seien für die Annahme eines Erweiterungsbaus entscheidend. Auf die theoretischen Überlegungen des FA zum Falle eines Abbruchs der alten Halle komme es nicht an. Durch den Erweiterungsbau sei aus einer einschiffigen eine zweischiffige Halle entstanden. Wegen der untergeordneten Wert- und Größenverhältnisse sei die Auffassung, daß sich die Wesensart verändert habe, nicht vertretbar.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 13. April 1972 V R 151/71, BFHE 105, 198, BStBl II 1972, 654; vom 23. März 1972 V R 104/71, BFHE 105, 409, BStBl II 1972, 681; vom 9. August 1973 V R 37/73, BFHE 110, 150, BStBl II 1973, 834 und vom 9. August 1973 V R 41/73, BFHE 110, 152, BStBl II 1973, 874) ist ein Neubau nicht als selbständiges, der Selbstverbrauchsteuer unterliegendes Wirtschaftsgut anzusehen, wenn er nach dem Gesamtbild der Verhältnisse mit dem schon vorhandenen Altbau eine Einheit bildet. Dies verlangt eine entsprechende bauliche und betriebliche Verflechtung von Alt- und Neubau, die in einer baulichen Verschachtelung und in einer aufeinander abgestimmten Nutzung der alten und neuen Gebäudeteile zum Ausdruck kommt.

Nach dem vom FG getroffenen und den Senat in tatsächlicher Hinsicht bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) ist die neue Werkhalle wie die bereits vorhandene Werkhalle in Spannbetonkonstruktion mit flachem Satteldach errichtet worden. Beide gleichen sich in der technischen und äußeren Bauausführung. Auf der nördlichen Giebelseite haben beide Hallen eine gemeinsame Fluchtlinie. Auf ihrer gesamten östlichen Längsseite von 54m ist die neue Halle an die (westliche) Längsseite der alten Halle angebaut worden. Die südliche Giebelseite stößt zum wesentlichen Teil, nämlich auf einer Breite von 10m, an die alte Lagerhalle an. Durch den Neubau ist also die bislang bestehende Baulücke zwischen der rechtwinklig zueinander stehenden alten Werkhalle und der Lagerhalle ausgefüllt worden.

Auf Grund der einzelnen Baumaßnahmen ist das FG im Ergebnis ohne Rechtsverstoß zu der Auffassung gelangt, daß die neue Halle nicht als selbständiges Wirtschaftsgut anzusehen ist. Für die Annahme einer baulichen Verschachtelung sprechen eine Reihe von Gründen, wie der Verzicht auf eine eigene Außenmauer auf der der alten Halle zugewandten Seite, die damit korrespondierende Beseitigung der bisherigen Außenmauer der alten Halle zu rd. 50 v. H. der gemeinsamen Längsseite sowie die beiden weiteren Durchbrüche in der restlichen Mauerwand, die Verbindung der beiden Satteldächer zu einem doppelschiffigen Satteldach, der Verzicht auf eine Außenmauer auf der südlichen, der Lagerhalle zugewandten Giebelfront verbunden mit einem 2m breiten Durchbruch in der Lagerhallenwand und der nur bautechnisch begründbare Verzicht auf zwei Giebelstützen (als Dachträger) auf der südlichen Giebelseite. In Anbetracht dieser Umstände und der auch den betriebstechnischen Gegebenheiten entsprechenden gemeinsamen und abgestimmten Nutzung der Hallen kommt der Tatsache, daß die (auf der gemeinsamen Längsseite der Hallen) neu errichteten Pendelstützen auf den bereits vorhandenen Fundamenten der alten Halle stehen, keine entscheidende Bedeutung zu. Diese bautechnische Besonderheit des vorliegenden Falles kann für sich genommen weder für eine bauliche Verschachtelung noch gegen diese ins Feld geführt werden.

Der Senat hat bereits im Urteil V R 151/71 im einzelnen dargelegt, daß bei Schaffung eines neuen Wirtschaftsgutes unter Einbeziehung eines vorhandenen Wirtschaftsgutes eine der Selbstverbrauchsteuer unterliegende Neuinvestition gegeben sein kann. Dies richtet sich danach, ob die Alt- oder Neuteile dem einheitlichen Wirtschaftsgut das Gepräge geben. Für den Regelfall sind die Größen- und Wertverhältnisse der Teile zueinander maßgeblich. Jedoch können Besonderheiten, die die Alt- oder Neuteile aufweisen, dem Gesamtkomplex trotz wert- und größenmäßiger Untergeordnetheit das Gepräge geben. Der Senat ist der Meinung, daß die vom FG nicht zuletzt auf Grund seiner Augenscheinseinnahme vertretene Bewertung, daß der Hallenanbau dem Gebäudekomplex nicht das Gepräge gebe, möglich ist. Dafür sprechen die Größen- und Wertverhältnisse nicht nur im Verhältnis zur alten Halle, sondern auch im Verhältnis zur Lagerhalle, die zumindest wegen der festgestellten baulichen Verbindungen in die Betrachtung einzubeziehen ist. Besonderheiten, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71299

BStBl II 1975, 342

BFHE 1975, 569

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