Entscheidungsstichwort (Thema)

College-Studium als Berufsausbildung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Berufsausbildung gehört auch der Besuch von Allgemeinwissen vermittelnden Schulen wie Grund-, Haupt- und Oberschulen sowie von Fach- und Hochschulen. Auch der Besuch eines Colleges in den USA kann zur Berufsausbildung zählen.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Dok.-Nr. 0145729; EFG 1998, 882)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Hinblick auf die Kindergeldberechtigung des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) darum, ob sich die Tochter (T) des Klägers während eines akademischen Jahres an einem amerikanischen College in Berufsausbildung befunden hat.

Die 1977 geborene T legte im Frühsommer 1996 das Abitur ab. Da T Architektur studieren wollte, wurde das Kindergeld vom Arbeitsamt -Familienkasse- (Beklagter und Revisionskläger ―Beklagter―) zunächst bis Oktober 1996 weiterbewilligt. Obwohl T bereits im Wintersemester 1996/97 mit dem Architekturstudium hätte beginnen können, nutzte sie die Möglichkeit, ein Jahr lang in den USA zu studieren. Sie besuchte ab August 1996 das Northampton Community College (N-College). Dort war sie als Vollzeitstudentin mit der Fachrichtung Innenarchitektur eingeschrieben und nahm nach einer Bescheinigung des N-Colleges an einem "Design-Programm" teil. Sie belegte neben allgemeinen Kursen auch spezielle Architekturklassen, die zur Erlangung des Abschlusses "associate degree" notwendig waren. Bei diesem Abschluß, der ein fortführendes Universitätsstudium ermöglicht, handelt es sich nicht um einen eigenständigen Berufsabschluß. Während in den USA ein Innenarchitekturstudium ohne diesen Abschluß nicht möglich ist, ist er im Inland weder für den Architekturberuf noch für einen darauf ausgerichteten Studiengang anerkannt. Seit Beginn des Wintersemesters 1997 studiert T an einer deutschen Universität Theaterwissenschaften.

Durch Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab November 1996 auf. Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, T habe sich während des Besuchs des N-Colleges in Berufsausbildung befunden. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es begründete sein in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 882 veröffentlichtes Urteil im wesentlichen wie folgt: Zur Berufsausbildung gehöre auch der Besuch von Allgemeinwissen vermittelnden Schulen wie Grund-, Haupt- und Oberschulen, ferner der Bereich von Fach- und Hochschulen. Ein College in den USA sei eine Einrichtung der Berufsausbildung. Der Umstand, daß die Ausbildung im Ausland stattgefunden habe, ändere daran ebensowenig wie die spätere Änderung des Berufsziels.

Mit der Revision macht der Beklagte geltend, der College-Besuch sei keine Berufsausbildung. Dies folge aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) a.F. (z.B. BSG-Urteile vom 22. November 1994 10 RKg 17/92, Monatsschrift für Deutsches Recht 1995, 395, und vom 23. August 1989 10 RKg 12/88, BSGE 65, 250, 251). Danach sei zur Annahme einer Berufsausbildung eine geregelte Ausbildungsmaßnahme erforderlich, die dazu dienen müsse, Kenntnisse und Fertigkeiten zu erlangen, welche die Ausübung eines gegen Entgelt auszuübenden und damit lebensunterhaltsdeckenden Berufes ermöglichten. Vorbereitende Maßnahmen im Ausland zur Aufnahme eines Hochschulstudiums gehörten nur dann zur Berufsausbildung, wenn sie für die Zulassung zum Studium zwingend notwendig seien oder auf das Studium angerechnet würden. Der College-Besuch der T, der keinen bestimmten beruflichen Abschluß zum Ziel gehabt habe, stelle weder ein eigenständiges Hochschulstudium noch eine anzurechnende bzw. zwingend notwendige Vorbereitungsmaßnahme für ein Hochschulstudium in Deutschland dar. Eine gesonderte Prüfung, ob Tätigkeiten dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten dienten, die für den angestrebten Beruf unverzichtbare Voraussetzung seien, sei nur dann geboten, wenn es ―anders als im vorliegenden Fall― für den angestrebten Beruf keinen allgemein anerkannten oder üblichen Ausbildungsweg gebe. Aus Gründen der Rechtseinheit könne § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht anders ausgelegt werden. Zwar sei eine rechtsfortbildende Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe unter Anpassung an geänderte gesellschaftliche, wirtschaftliche und supranationale Verhältnisse möglich, im vorliegenden Fall aber nicht geboten.

Der Beklagte beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 und § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.d.F. vom 11. November 1995 (Jahressteuergesetz ―JStG 1996―, BGBl I 1995, 1250) besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.

a) Das Tatbestandsmerkmal "für einen Beruf ausgebildet" wird vom Gesetz nicht näher umschrieben. Seit der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs durch das JStG 1996 folgt aus der Verweisung in § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG auf § 32 Abs. 4 EStG jedoch, daß im Rahmen der Kinderfreibetragsregelung und der Kindergeldberechtigung eine einheitliche Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals geboten ist. Auf die Rechtsprechung der Sozialgerichte zum BKGG a.F. kann dabei nur eingeschränkt zurückgegriffen werden, weil das Kindergeld seit der Neuregelung ―ebenso wie der Kinderfreibetrag― in erster Linie der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes bei den Eltern dient (§ 31 Satz 1 EStG). Nur soweit das Kindergeld dafür nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG). Dieser nachrangige Förderzweck vermag jedoch an der einheitlichen steuerrechtlichen Beurteilung des Kindergeldes (§ 31 Satz 3 EStG) nichts zu ändern.

Zur Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes wegen einer möglichen abweichenden Auffassung zu der vom Beklagten erwähnten Rechtsprechung des BSG besteht kein Anlaß. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes entscheidet nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl I, 661), wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs abweichen will. Die Abweichung in einer Rechtsfrage setzt eine unterschiedliche Beurteilung von Rechtsvorschriften oder Rechtsbegriffen voraus, die ihrem Wortlaut nach im wesentlichen und ihrem Regelungsgehalt nach gänzlich übereinstimmen und deshalb nach denselben Prinzipien auszulegen sind (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 12. März 1987 GmS-OGB 6/86, BGHZ 100, 277, 281). Daran fehlt es im vorliegenden Fall wegen der geänderten Zweckrichtung des Kindergeldes.

b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu § 32 EStG a.F. ist unter Berufsausbildung die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen (BFH-Urteil vom 11. Oktober 1984 VI R 69/83, BFHE 142, 140, BStBl II 1985, 91). In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (BFH-Urteil vom 23. April 1997 VI R 135/95, BFH/NV 1997, 655, m.w.N.). Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Dazu gehört jedenfalls der Besuch von Allgemeinwissen vermittelnden Schulen wie Grund-, Haupt- und Oberschulen, sowie von Fach- und Hochschulen (FG Düsseldorf, Urteil vom 18. September 1997 10 K 1201/97 Kg, EFG 1998, 103; Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., § 32 Rz. 38).

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze kann die Revision keinen Erfolg haben. Zu Recht hat das FG angenommen, daß sich T während ihrer College-Ausbildung in Berufsausbildung befand. Bei dem N-College handelt es sich nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG um eine Einrichtung der Berufsausbildung. Es kommt deshalb weder darauf an, ob die Ausbildungsmaßnahme für den angestrebten Beruf unverzichtbare Voraussetzung ist, noch darauf, ob sie auf ein deutsches Studium angerechnet wird. Anhaltspunkte dafür, daß T ihre College-Ausbildung nicht ernsthaft betrieben hat, bestehen nicht. Der von ihr belegte Studiengang zielt auf einen fachlich anerkannten Abschluß ("associate degree") ab, der nach den Feststellungen des FG zudem nötig war, um in den USA an einer Universität Architektur studieren zu können. Das FG hat es ferner zu Recht für unerheblich gehalten, daß die Ausbildung im Ausland stattfand. Eine Beschränkung auf Ausbildungsgänge im Inland ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Unerheblich ist schließlich auch, daß T ihr Berufsziel geändert hat und seit Beginn des Wintersemesters 1997/98 in Deutschland Theaterwissenschaften studiert. Auch eine vorzeitig beendete Berufsausbildung ist Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 55719

BFH/NV 1999, 1682

BStBl II 1999, 705

BFHE 189, 95

BFHE 2000, 95

BB 1999, 1913

DB 1999, 1886

DStRE 1999, 747

HFR 1999, 902

StE 1999, 561

FR 1999, 1130

LEXinform-Nr. 0552115

NJW 1999, 3511

NWB 1999, 3375

FamRZ 2000, 537

NJWE-FER 1999, 309

NWB-DokSt 2000, 256

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