Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein geschiedener Ehegatte, der in einem Kalenderjahr nacheinander mit zwei Personen mindestens vier Monate verheiratet war und in diesem Zeitraum von diesen nicht dauernd getrennt gelebt hat, kann wählen, mit welchem von diesen Ehepartnern er zusammen veranlagt werden will.

Bei Ehegatten, von denen nur einer die der Lohnsteuer unterworfenen Einkünfte erzielt hat, entfällt die Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Ziff. 4 EStG, wenn dieser Ehegatte die Zusammenveranlagung mit dem einen, aber die getrennte Veranlagung mit dem anderen Ehegatten gewählt hat.

Die Rechtsgrundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs IV 669/54 U vom 15. März 1956 (BStBl 1956 III S. 163), daß die Ehegatten zusammen zu veranlagen sind, die zuletzt zusammengelebt haben, gelten nach der Neuregelung der Ehegattenbesteuerung im EStG 1958 (und später) nicht mehr.

 

Normenkette

EStG §§ 26, 46

 

Tatbestand

Die erste Ehe des Bg. wurde am 15. Juni 1962 nach § 32 des Ehegesetzes aufgehoben; seine frühere Ehefrau starb im Jahr darauf. Am 28. August 1962 heiratete der Bg. wieder. Er bezog im Streitjahr 1962 als Beamter ein Gehalt von 16.212 DM und als Geschäftsführer einer Wohnungsbaugesellschaft 1.920 DM. Seine erste Ehefrau hatte keine Einkünfte. Seine zweite Ehefrau bezog bis zur Eheschließung im Jahre 1962 ein Gehalt von 6.883 DM Nachdem das Finanzamt den Bg. zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung aufgefordert hatte, weil er Einkünfte aus mehreren Arbeitsverhältnissen bezogen hatte, verlangte der Bg. zunächst, ihn mit seiner früheren Ehefrau zusammen zu veranlagen. Als das Finanzamt ihn auf das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 669/54 U vom 15. März 1956 (BStBl 1956 III S. 163 Slg. Bd. 62 . 438) hingewiesen hatte, beantragten er und seine zweite Ehefrau die Zusammenveranlagung für sich. Sie setzten bei den Arbeitseinkünften der Ehefrau Werbungskosten wegen auswärtiger Beschäftigung von 3.538 DM und wegen Krankheitskosten des Bg. für die frühere Ehefrau 3.2o8 DM als außergewöhnliche Belastung ab.

Das Finanzamt erkannte die Werbungskosten nicht an, weil die zweite Ehefrau des Bg. vor der Eheschließung am Beschäftigungsort gewohnt habe, also nicht auswärts beschäftigt gewesen sei. Bei der Veranlagung ergab sich eine Einkommensteuer von 43 DM.

Mit der Sprungberufung machte der Bg. geltend, durch die zweite Eheschließung sei kein zusätzliches Familieneinkommen entstanden. Er beantragte erneut, ihn mit seiner früheren Ehefrau zusammen zu veranlagen. Das Finanzgericht gab mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 1965 S. 65 veröffentlichten Urteil der Berufung statt und führte aus: § 26 Abs. 1 EStG 1958 (und später) gebe den Ehegatten das Recht, zwischen getrennter Veranlagung und der Zusammenveranlagung zu wählen. Wenn auch im EStG kein Wahlrecht für den Fall vorgesehen sei, daß ein Steuerpflichtiger in einem Kalenderjahr mit mehreren Ehegatten zusammengelebt habe, so bestehe doch andererseits kein Grund, den Ehegatten in einem solchen Fall nicht zu gestatten, die für sie günstigste Besteuerungsart zu wählen. Wenn der Bundesfinanzhof im Urteil IV 669/54 U (a. a. O.) ausgesprochen habe, daß in einem solchen Fall aus Zweckmäßigkeitsgründen die zuletzt zusammenlebenden Ehegatten auch zusammen zu veranlagen seien, so sei doch zu beachten, daß dieses Urteil zu dem später für nichtig erklärten § 26 EStG 1951 ergangen sei; die vom Bundesfinanzhof betonten Zweckmäßigkeitsgründe könnten gegenüber dem § 26 EStG 1958 (und später) nicht durchschlagen. Der Bg. wolle nicht getrennt, sondern mit seiner früheren Ehefrau zusammen veranlagt werden. Da die frühere Ehefrau gestorben sei und eine Erklärung zur Zusammenveranlagung nicht abgeben könne, so reiche die alleinige Erklärung des Bg. aus. Werde aber der Bg. nicht mit seiner zweiten Ehefrau zusammen veranlagt, so komme eine Veranlagung überhaupt nicht in Betracht, da das zu versteuernde Einkommen des Bg. und seiner früheren Ehefrau zusammen unter 16.000 DM bleibe (ß 46 Abs. 2 Ziff. 2 a EStG).

Der Vorsteher des Finanzamts rügt unrichtige Rechtsanwendung und führt aus, aus § 26 EStG 1958 (und später) könne man kein Wahlrecht herleiten, mit welchem der mehreren Ehegatten in Fällen der vorliegenden Art ein Steuerpflichtiger zusammen zu veranlagen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Der Senat tritt dem Finanzgericht darin bei, daß die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs IV 669/54 U (a. a. O.) nach der Neuregelung der Ehegattenbesteuerung im EStG 1958 nicht mehr ohne weiteres angewendet werden können, weil das Urteil sich auf die wesentlich anders geartete Vorschrift des § 26 EStG 1951 bezog.

§ 26 Abs. 1 EStG 1958 (und später) gibt Ehegatten, die im Kalenderjahr mehr als vier Monate verheiratet waren und nicht dauernd getrennt lebten, ein Wahlrecht, ob sie mit ihrem eigenen Einkommen getrennt oder mit dem gemeinsamen Einkommen zusammen veranlagt werden wollen. Die Ehegatten werden in aller Regel die Zusammenveranlagung wählen, weil sie durch den dann anzuwendenden Splittingtarif des § 32 a Abs. 2 EStG im allgemeinen günstiger fahren. § 26 Abs. 2 Satz 1 gestattet allerdings jedem Ehegatten, die Zusammenveranlagung dadurch auszuschließen, daß er die getrennte Veranlagung beantragt. § 26 Abs. 3 EStG geht aber davon aus, daß die Ehegatten sich für die Zusammenveranlagung entschieden haben, wenn sie keine besondere Erklärung im Sinne des § 26 Abs. 2 EStG abgeben. Zur Klarstellung verlangt § 57 a EStDV 1958 noch, daß sie ihre gemeinsame Steuererklärung auch gemeinsam abgeben.

Mit Recht weist das Finanzgericht darauf hin, daß die Fälle, in denen ein Ehegatte in einem Kalenderjahr mit mehreren Personen mehr als vier Monate verheiratet war und von diesen nicht dauernd getrennt lebte, in § 26 Abs. 1 EStG nicht geregelt ist. Das Schweigen des Gesetzes dürfte darauf zurückzuführen sein, daß diese Frage nicht in den Gesichtskreis des Gesetzgebers getreten ist, also eine Lücke im Gesetz vorliegt. Man kann wohl nicht annehmen, daß der Gesetzgeber die Frage bewußt nicht geregelt habe, weil er sie durch das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 669/54 U (a. a. O.) für endgültig geklärt hielt. Denn bei der durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts veranlaßten grundlegenden Neuregelung der Ehegattenbesteuerung konnte der Gesetzgeber nicht davon ausgehen, daß bestimmte Auslegungen der alten Vorschriften ohne weiteres auch für die neuen Vorschriften gelten würden. Liegt aber eine Lücke im Gesetz vor, so muß sie von den Steuergerichten ausgefüllt werden, und zwar so, daß unter Würdigung der im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Vorstellungen und Wertungen die Lösung gesucht wird, die der Gesetzgeber wahrscheinlich gewählt hätte, wenn die Frage in seinen Gesichtskreis getreten wäre.

Unter diesem Aspekt hat der Senat in Betracht gezogen, daß der Gesetzgeber unter dem Einfluß der Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts den Eheleuten großzügig freigestellt hat, die Form ihrer Veranlagung zu bestimmen, ohne daß sie ihre Wahl dem Finanzamt gegenüber zu begründen brauchen; sie können sich bei ihrer Wahl in Freiheit von persönlichen überlegungen und dem zu erwartenden steuerlichen Vorteil bestimmen lassen. Der Wortlaut des § 26 Abs. 1 EStG schließt in Fällen der vorliegenden Art die den Steuerpflichtigen günstige Auslegung des Finanzgerichts nicht aus. Es treten bei der Auslegung, die das Finanzgericht gewählt hat, auch keine schwerwiegenden Nachteile ein, die den Gesetzgeber veranlaßt haben könnten, anzuordnen, die Zusammenveranlagung nur mit dem Ehegatten für zulässig zu erklären, mit dem der Steuerpflichtige am Ende des Kalenderjahres noch zusammenlebte. Die Frage, mit welchem der mehreren Ehegatten die Zusammenveranlagung zulässig ist, kann jeweils nur für ein übergangsjahr auftreten. Entscheidet sich der Ehegatte, der in dem Kalenderjahr mit mehreren Ehegatten zusammengelebt hat, für die Zusammenveranlagung mit einem von ihnen, so ist damit volle Klarheit geschaffen. Die Zusammenveranlagung mit dem anderen Ehegatten wird dadurch ausgeschlossen. Mit dem Ehegatten, mit dem er zusammen veranlagt werden will, kann er wiederum nur zusammen veranlagt werden, wenn dieser Ehegatte nicht widerspricht und getrennte Veranlagung verlangt. Unter diesen Umständen würde es nach der Auffassung des Senats nicht im Willen des Gesetzgebers liegen, in Fällen der vorliegenden Art dem Steuerpflichtigen das Recht zu nehmen, frei zu bestimmen, mit welchem der mehreren Ehegatten er zusammen veranlagt werden will.

Der Bg. - übrigens auch seine zweite Ehefrau - hat ausdrücklich erklärt, daß sie nicht zusammen, sondern getrennt veranlagt werden wollen. Damit scheiden die Einkünfte der zweiten Ehefrau für eine Zusammenveranlagung mit denen des Bg. aus. Die erste Ehefrau des Bg. kann, da sie tot ist, nicht erklären, ob sie getrennte Veranlagung beantragt. Das Finanzgericht hat angenommen, es genüge unter diesen Umständen, wenn der Bg. allein die Zusammenveranlagung mit seiner früheren Ehefrau verlange. Dem ist zuzustimmen. Grundsätzlich müssen zwar, wenn ein Ehegatte gestorben ist, dessen Erben entscheiden, ob eine Zusammenveranlagung vorgenommen werden soll (Urteil des Senats VI 175/63 U vom 15. Oktober 1964, BStBl 1965 III S. 86, Slg. Bd. 81 S. 236). Es ist bisher nicht festgestellt, wer die Erben der ersten Ehefrau sind. Einer solchen Feststellung bedarf es aber auch nicht. Denn da die verstorbene Ehefrau keine eigenen Einkünfte hatte, es also nur um die Besteuerung der eigenen Einkünfte des Bg. geht, wäre es ungerechtfertigt, den Erben der verstorbenen Ehefrau einen Einfluß auf die Besteuerung des früheren Ehemannes einzuräumen. überdies kann der Bg., nachdem er die Zusammenveranlagung mit seiner zweiten Ehefrau ausgeschlossen hat, überhaupt nicht veranlagt werden, da seine zu versteuernden Einkünfte im Streitjahr 1962 16.000 DM nicht überstiegen haben und ein Antrag der Erben seiner ersten Frau auf getrennte Veranlagung nicht gestellt ist.

Die vom Bg. geltend gemachten Krankheitskosten für seine erste Ehefrau (§§ 33 und 33 a EStG) können, weil der Bg. nicht veranlagt wird, nicht in diesem Verfahren berücksichtigt werden. Das Finanzgericht hat insoweit den Bg. zutreffend auf das Lohnsteuerverfahren verwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411683

BStBl III 1965, 611

BFHE 1966, 303

BFHE 83, 303

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