Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Unter welchen Voraussetzungen können Krankheitskosten bei Arbeitnehmern Werbungskosten sein?

Kosten, die durch eine Zuckerkrankheit entstehen, können in der Regel nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden, weil nicht nachzuweisen ist, inwieweit ihre Entstehung überwiegend mit der Berufstätigkeit zusammenhängt.

 

Normenkette

EStG § 9 S. 1, §§ 12, 33; LStDV § 20 Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

Der Bf., der Direktor einer GmbH ist, leidet seit dem Jahre 1952 an Diabetes. Er hat sich seither jährlich einer Kur unterzogen, um seine Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Die Krankheitskosten (Sanatoriumsaufenthalt, laufende ärztliche Betreuung, Diätaufwendungen), die der Bf. für das Jahr 1955 mit 1.730 DM angibt, hat das Finanzamt als Krankheitskosten nach § 33 EStG berücksichtigt. Nach Abzug der zumutbaren Eigenbelastung ergibt sich aber nur eine Ermäßigung des Einkommens um 20 DM. Das Finanzamt und das Finanzgericht haben das Begehren des Bf., die Krankheitskosten nicht als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 EStG, sondern als Werbungskosten im Sinne des § 9 Satz 1 EStG abzusetzen, abgelehnt.

Der Bf. rügt vor allem unrichtige Anwendung des § 9 EStG. Da die streitigen Kosten zur Erhaltung seiner Arbeitsfähigkeit und damit auch zur Erhaltung seiner Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit erforderlich gewesen seien, müßten sie als Werbungskosten abgesetzt werden, denn Werbungskosten seien nach § 9 Satz 1 EStG alle Aufwendungen zur Sicherung und Erhaltung der Einnahmen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Werbungskosten bei nichtselbständiger Arbeit sind, wie § 20 Abs. 2 Satz 2 LStDV in zutreffender Auslegung von §§ 9 und 12 EStG bestimmen, alle Aufwendungen eines Arbeitnehmers, die die Ausübung des Dienstes mit sich bringt, soweit sie nicht durch die allgemeine Lebenshaltung bedingt sind. Die Kosten der allgemeinen Lebenshaltung, wie Essen, Trinken, Kleidung, Wohnung usw., stehen zwar auch insofern in Beziehung zum Beruf, als der Steuerpflichtige ohne solche Aufwendungen seinen Beruf nicht ausüben kann. Das Gesetz will aber solche typische Kosten der Lebenshaltung, wie aus § 12 EStG zu entnehmen ist, nicht wie Betriebsausgaben (ß 4 Abs. 4 EStG) oder Werbungskosten (ß 9 EStG), die Aufwendungen zur Erzielung des Einkommens sind, bei der Ermittlung der Einkünfte abgesetzt wissen, sondern betrachtet sie als Ausgaben zur Verwendung des erzielten Einkommens, die allenfalls als Sonderausgaben nach § 10 EStG oder als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG die Höhe der Einkommensteuer beeinflussen können.

Für Ausgaben, die zugleich den Beruf und die private Lebenshaltung eines Steuerpflichtigen berühren, bestimmt § 12 Ziff. 1 Satz 2 EStG, daß nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar sind Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch wenn der Steuerpflichtige sie zur Förderung seines Berufs macht. Wenn solche Aufwendungen notfalls durch Schätzung zerlegt und klar und eindeutig zum Teil mit dem Beruf und zum Teil mit der privaten Lebenshaltung in Beziehung gesetzt werden können, so ist die Zerlegung zulässig und geboten. Ist das aber nicht möglich, so müssen die Ausgaben ganz als Kosten der Lebenshaltung behandelt werden, wie der Bundesfinanzhof bei ständiger Rechtsprechung ausgesprochen und die Bundesregierung in Anlehnung an die Rechtsprechung und auch durch Verwaltungsanweisung bestimmt hat (siehe Abschn. 117 Abs. 2 EStR 1960 und die dort angeführte Rechtsprechung.

Aufwendungen, die ein berufstätiger Steuerpflichtiger für seine Gesundheit macht, gehen wie die Ausgaben für Verpflegung, Wohnung, Erholung usw. gleichzeitig den privaten und beruflichen Lebensbereich des Steuerpflichtigen an und müssen deshalb nach der Regel des § 12 Ziff. 1 EStG den nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbaren Kosten der Lebenshaltung zugerechnet werden, sofern sie nicht - ganz oder teilweise - klar und eindeutig durch die berufliche Tätigkeit veranlaßt sind. Ein solcher Zusammenhang wird z. B. bei dem Mehraufwand für Verpflegung und Unterkunft auf Geschäfts- oder Dienstreisen angenommen (siehe Abschn. 119 Abs. 2 EStR 1960; ferner Urteil des Senats VI 26/61 U vom 19. Januar 1962, BStBl 1962 III S. 164). Für Kosten zur Abwendung von Krankheiten oder zur Wiederherstellung der geschädigten Gesundheit wird ein solcher Zusammenhang angenommen, wenn wie bei sogenannten typischen Berufskrankheiten nach den gesicherten Erfahrungen der Medizin und der Berufsgenossenschaften die Entstehung der Krankheit wesentlich durch den Beruf mit bedingt ist (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 303/53 U vom 14. Januar 1954, BStBl 1954 III S. 86, Slg. Bd. 58 S. 459). Die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs erkennt darüber hinaus die Krankheitskosten als Betriebsausgaben oder Werbungskosten an, wenn im einzelnen Fall der Zusammenhang zwischen dem Beruf und der Entstehung der Erkrankung offenkundig ist, besonders bei allen körperlichen Schäden, die der Steuerpflichtige bei der Ausübung seines Berufs oder auf dem Weg zur Arbeitsstätte durch Unfall erlitten hat (Urteile) des Bundesfinanzhofs IV 158/56 U vom 6. Juni 1957, BStBl 1957 III S. 286, Slg. Bd. 65 S. 136; IV 196/59 S vom 13. Oktober 1960, BStBl 1960 III S. 511, Slg. Bd. 71 S. 699). Der Senat tritt dieser Rechtsprechung bei.

Ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Entstehung der Krankheit ist im allgemeinen leicht festzustellen, wenn die Krankheit durch eine äußere Einwirkung, besonders durch einen Unfall, hervorgerufen worden ist. Bei inneren Leiden, die nicht typische Berufskrankheiten sind, ist aber ein solcher Zusammenhang oft schwer festzustellen. Eine innere Krankheit wird in ihrer Entstehung und ihrem Ablauf von mannigfachen Faktoren bestimmt. Wesentlich sind z. B. die Konstitution des Betroffenen, sein Alter und seine Lebenshaltung; auch die Art des Berufs und das Maß der beruflichen Belastung können zwar oft von Einfluß sein. Es ist aber nach den bisherigen Erkenntnissen der Medizin kaum möglich, den Einfluß der verschiedenen Faktoren so zuverlässig gegeneinander abzugrenzen, daß die Besteuerung daran anknüpfen könnte. Im allgemeinen muß man deshalb annehmen, daß bei inneren Erkrankungen, soweit sie nicht als typische Berufskrankheiten anerkannt werden, nicht eindeutig und klar abzugrenzen ist, wieweit ihre Entstehung ausschließlich oder überwiegend auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist.

Die Diabetes, an der der Bf. leidet, ist eine solche innere Krankheit, bei deren Entstehung und Ablauf gewiß oft auch die Art des Berufs und das Maß der beruflichen Beanspruchung eine Rolle spielen mögen. Daß darin aber nicht die wesentlichen Ursachen liegen, erkennt man daraus, daß nur ein verhältnismäßig kleiner Kreis der Berufstätigen von dieser Krankheit befallen wird und diese wiederum vorwiegend im fortgeschrittenen Alter und unter bestimmten konstitutionellen Voraussetzungen. Die Akten bieten keinen Anhalt, daß im Streitfall ausnahmsweise die Zuckerkrankheit des Bf. nicht vorwiegend anlagebedingt, sondern auf seinen Beruf zurückzuführen ist, so daß die Vorinstanzen mit Recht die Anwendung des § 9 EStG abgelehnt und die Aufwendungen des Bf. nur nach § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt haben.

Der Bf. beruft sich auch darauf, daß die Krankheitsbeihilfen, die die Behörden an ihre Beamten und Angestellten geben, steuerfrei bleiben. Er sieht eine Verletzung der steuerlichen Gleichbehandlung darin, wenn unter diesen Umständen bei ihm die Krankheitskosten nicht als Werbungskosten abgesetzt würden. Dieser Einwand greift aber nicht durch. Der Senat hat keine Veranlassung zu prüfen, aus welchen Gründen nach § 3 Ziff. 10 EStG der Gesetzgeber bestimmte Zuwendungen an Angehörige des öffentlichen Dienstes einkommensteuerfrei belassen habe. Denn selbst wenn durch diese Steuerbefreiung der Gleichheitsgrundsatz verletzt würde, weil bestimmte Bezüge nicht als Arbeitslohn erfaßt würden und die Befreiungsvorschrift darum verfassungswidrig und nichtig sein würde, so könnte der Bf. doch damit nicht erreichen, daß seine Krankheitskosten entgegen §§ 9 und 12 EStG als Werbungskosten abgesetzt würden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410381

BStBl III 1962, 235

BFHE 1962, 632

BFHE 74, 632

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