Entscheidungsstichwort (Thema)

Zurückzuzahlende Vorsteuerbeträge nach § 15a Abs. 4 UStG 1980 als Werbungskosten - Geänderter Verwaltungsakt während des Revisionsverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

An das FA aufgrund einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß § 15a Abs.4 UStG 1980 zurückgezahlte Vorsteuerbeträge sind --entgegen Abschn.86 Abs.6 EStR 1990 und dem Schreiben des BMF vom 1.Dezember 1992 IV B 2 - S 2170 - 59/92, BStBl I 1993, 10-- auch dann als Werbungskosten nach § 9b Abs.2 EStG abziehbar, wenn der Vorsteuerabzug infolge der Veräußerung des Grundstücks berichtigt worden ist (Bestätigung des Urteils vom 17.März 1992 IX R 55/90, BFHE 167, 405, BStBl II 1993, 17).

 

Orientierungssatz

Hat sich während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt, über dessen Rechtmäßigkeit das FG entschieden hat, geändert, und ist der Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden, so ist auf die Revision des Klägers die Vorentscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Eine Zurückverweisung an das FG ist nicht geboten, wenn die Sache spruchreif ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 S. 1, § 9b Abs. 2; UStG 1980 § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 15a Abs. 4; EStR 1990 Abschn. 86 Abs. 6; FGO §§ 68, 121, 127, 123

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute, waren je zur Hälfte Miteigentümer eines im Jahr 1976 errichteten Ärztehauses. Sie vermieteten das Haus an eine Gemeinschaftspraxis, an der auch der Kläger beteiligt war. Die Kläger verzichteten gemäß § 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 auf die Umsatzsteuerfreiheit der Vermietungsumsätze nach § 4 Nr.12 Buchst.a UStG 1973. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfaßte die Vorsteuerbeträge, die er der Klägerin erstattete, bei dieser als Einnahmen im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Im Jahr 1981 verkaufte die Klägerin ihren Anteil am Ärztehaus. Sie zahlte im Streitjahr 1984 gemäß § 15a Abs.4 UStG 1980 Vorsteuerbeträge in Höhe von 9 105 DM zurück. In der Einkommensteuererklärung 1984 machten die Kläger diesen Betrag vergeblich als Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung geltend.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Rückzahlung von Vorsteuerbeträgen stehe in keinem Zusammenhang mehr mit der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger Verletzung des § 9b Abs.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das FG habe sich über den klaren Wortlaut dieser Vorschrift hinweggesetzt.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA einen Änderungsbescheid erlassen, in dem die gemäß Art.1 Nr.18 des Steueränderungsgesetzes 1991 erhöhten Kinderfreibeträge berücksichtigt sind. Die Kläger haben den Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens gemacht (§§ 68, 121, 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

 

Entscheidungsgründe

I. Auf die Revision der Kläger ist die Vorentscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil sich während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt, über dessen Rechtmäßigkeit das FG entschieden hat, geändert hat (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1.Februar 1989 II R 128/85, BFHE 155, 563, 564, BStBl II 1989, 348; vom 14.November 1990 II R 126/87, BFHE 163, 218, 220, BStBl II 1991, 556; Senatsurteil vom 31.März 1992 IX R 2/86, BFH/NV 1992, 759). Der während des Revisionsverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 10.Dezember 1991 ist verfahrensrechtlich ein neuer Verwaltungsakt (BFH in BFHE 163, 218, 220, BStBl II 1991, 556), der die Steuerfestsetzung der Höhe nach verändert hat. Da dem FG-Urteil noch der Einkommensteuerbescheid vom 16.April 1986 zugrunde liegt, ist es durch die während des Revisionsverfahrens geänderte Steuerfestsetzung des FA überholt.

II. Der Senat entscheidet nach den §§ 100, 121 FGO in der Sache selbst. Eine Zurückverweisung an das FG nach § 127 FGO ist nicht geboten, weil die Sache spruchreif ist (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1992, 759).

Die Klage ist begründet. Das FA und das FG haben die zurückgezahlten Vorsteuerbeträge unzutreffend nicht als nach § 9b Abs.2 EStG abziehbare Werbungskosten beurteilt.

1. Gemäß § 9b Abs.1 Satz 1 EStG gehört der Vorsteuerbetrag nach § 15 UStG 1980, soweit er bei der Umsatzsteuer abgezogen werden kann, nicht zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Wirtschaftsguts, auf dessen Anschaffung oder Herstellung er entfällt. Wird der Vorsteuerabzug nach § 15a UStG 1980 berichtigt, so sind gemäß § 9b Abs.2 EStG die Mehrbeträge als Betriebseinnahmen oder Einnahmen, die Minderbeträge als Betriebsausgaben oder Werbungskosten zu behandeln; die Anschaffungs- oder Herstellungskosten bleiben unberührt.

Die Frage, ob Vorsteuerbeträge, die wegen der Veräußerung eines zuvor umsatzsteuerpflichtig vermieteten Gebäudes zurückzuzahlen sind, nach § 9b Abs.2 EStG als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abgezogen werden können, hat der erkennende Senat bereits im Urteil vom 17.März 1992 IX R 55/90 (BFHE 167, 405, BStBl II 1993, 17) bejaht. An den Grundsätzen dieser Entscheidung hält der Senat fest. Danach kann § 9b Abs.2 EStG nicht einschränkend dahin ausgelegt werden, daß eine Rückzahlung von Vorsteuerbeträgen nach § 15a Abs.4 UStG 1980 infolge der Veräußerung eines Mietgrundstücks nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar ist. Nach seinem Wortlaut erfaßt § 9b Abs.2 EStG auch derartige Vorsteuerberichtigungsbeträge, auch wenn sie mit der nicht der Einkommensteuer unterliegenden Veräußerung zusammenhängen (entgegen Abschn.86 Abs.6 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- 1990 und Schreiben des Bundesministers der Finanzen --BMF-- vom 1.Dezember 1992 IV B 2 - S 2170 - 59/92, BStBl I 1993, 10).

2. a) Der eindeutige Wortlaut des § 9b Abs.2 EStG läßt die vom FA vertretene Einschränkung nicht zu. Aus der Gesetzesformulierung, derzufolge derartige Aufwendungen "als" Werbungskosten "zu behandeln" sind, kann nicht gefolgert werden, daß auch bei einem Werbungskostenabzug nach § 9b Abs.2 EStG die allgemeinen Voraussetzungen des § 9 Abs.1 Satz 1 EStG vorliegen müssen (a.A. Urteil des FG München vom 22.Januar 1991 13 K 3081/88, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1991, 606; Stuhrmann, Finanz-Rundschau --FR-- 1984, 171). In § 9b Abs.2 EStG wird nicht auf § 9 Abs.1 Satz 1 EStG verwiesen. Aus der vom Gesetzgeber gewählten Formulierung ist zu schließen, daß er den Abzug von Vorsteuerberichtigungsbeträgen als Werbungskosten auch dann zulassen wollte, wenn ein Abzug nach allgemeinen Grundsätzen nicht möglich wäre (vgl. Schüppen, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1991, 833).

b) Der Senat hält eine Einschränkung von § 9b Abs.2 EStG auch nicht im Wege der teleologischen Reduktion für zulässig. Der Zweck der Vorschrift gebietet es nicht, nach einer Veräußerung gemäß § 15a Abs.4 UStG 1980 zurückgezahlte Vorsteuerbeträge vom Werbungskostenabzug auszunehmen. Der Gesetzgeber hat § 9b Abs.2 EStG --nach dessen Entstehungsgeschichte zu urteilen-- ausdrücklich als Vereinfachungsregelung konzipiert (vgl. die amtliche Begründung BTDrucks V/2185, S.7). Um eine rückwirkende Korrektur von Bilanzansätzen und von bestandskräftigen Bescheiden zur Berücksichtigung der nachträglichen Erhöhung oder Verminderung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu vermeiden, wird aus Vereinfachungsgründen eine spätere Berichtigung des Vorsteuerabzugs erfolgswirksam behandelt. Damit bedurfte es keiner Regelung der Frage, ob die Vorsteuerberichtigung und damit die Änderung der AfA-Bemessungsgrundlage eine rückwirkende Änderung nach § 175 Abs.1 Nr.2 der Abgabenordnung (AO 1977) gebietet (vgl. hierzu B. Meyer, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1985, 195, 203).

3. a) Der Senat setzt sich mit der vorstehenden Auslegung von § 9b Abs.2 EStG nicht in Widerspruch zum Urteil des IV.Senats des BFH vom 26.März 1992 IV R 121/90 (BFHE 168, 419, BStBl II 1992, 1038). Der erkennende Senat geht eingangs --ebenso wie der IV.Senat-- davon aus, daß die strittigen Vorsteuerberichtigungsbeträge Veräußerungskosten sind. Im übrigen läßt der IV.Senat die hier zu entscheidende Streitfrage, ob Vorsteuerberichtigungsbeträge nach einer Veräußerung eines vermieteten Grundstücks als Werbungskosten abziehbar sind, ausdrücklich offen. Die Begründung des BMF in seinem sog. Nichtanwendungserlaß in BStBl I 1993, 10 geht daher fehl.

b) Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen Steuerpflichtigen, bei denen das veräußerte Wirtschaftsgut zu einem Betriebsvermögen gehört hatte, und solchen, die es im Rahmen der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung genutzt hatten, hält der Senat für nicht gegeben (a.A. B. Meyer, a.a.O., S.201 f.). Wenn bei den Gewinneinkünften der Abzug eines Vorsteuerberichtigungsbetrags als Betriebsausgabe dadurch kompensiert wird, daß der Veräußerungserlös sich infolge der voraufgegangenen Minderung des Buchwerts um die gemäß § 9b Abs.1 EStG als Betriebsausgaben abziehbaren Vorsteuerbeträge erhöht, während eine derartige Kompensation bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nicht stattfindet, so ist dies nicht eine Folge von § 9b Abs.2 EStG, sondern der unterschiedlichen Ermittlung der Gewinn- und der Überschußeinkünfte. Überschüsse aus der Veräußerung eines Grundstücks gehören nicht zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.

 

Fundstellen

BFH/NV 1993, 30

BStBl II 1993, 656

BFHE 170, 138

BFHE 1993, 138

BB 1993, 1639

BB 1993, 1639-1640 (LT)

DB 1993, 1015-1016 (LT)

DStR 1993, 648 (KT)

DStZ 1993, 379 (KT)

HFR 1993, 438 (LT)

StE 1993, 244 (K)

WPg 1993, 667-668 (S)

StRK, R. 6 (LT)

FR 1993, 398 (KT)

Information StW 1993, 333 (KT)

NJW 1993, 3351

NJW 1993, 3351-3352 (LT)

UVR 1993, 215 (K)

WiB 1994, 32 (LT)

WiR 1993, Nr 6, B 68 (S)

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