Entscheidungsstichwort (Thema)

Kürzung des Vorwegabzugs bei geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern

 

Leitsatz (NV)

1. Der pauschalierte Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung kann eine Leistung zur Zukunftssicherung geringfügig beschäftigter Arbeitnehmer sein, die zur Kürzung des Vorwegabzugs führt. Die Kürzung erfolgt nicht, wenn eine Ermittlung von Zuschlägen an Entgeltpunkten unterbleibt, weil der Arbeitnehmer einer der in § 76b Abs. 4 SGB VI genannten versicherungsfreien Personengruppen (Bezieher einer Vollrente wegen Alters, Versorgungsbezieher, Beschäftigte ab Vollendung des 65. Lebensjahres, Fälle der Beitragserstattung) angehört.

2. Die verhältnismäßig geringfügige Kürzung des Vorwegabzugs bei  geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern verstößt nicht gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dies gilt auch dann, wenn die Einkünfte aus der geringfügigen Beschäftigung im Einzelfall von der für sie bestehenden Steuerbefreiung ausgenommen sind.

 

Normenkette

EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 Buchst. a, § 3 Nrn. 39, 62 S. 1; SGB IV § 8 Abs. 1 Nr. 1; SGB V § 249b; SGB VI § 5 Abs. 4 Nr. 1, § 76b Abs. 4, § 172 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Urteil vom 05.01.2006; Aktenzeichen 1 K 1114/02; EFG 2006, 560)

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden als Ehegatten für das Streitjahr 2000 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Die Klägerin erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Zudem war sie bei dem als Handelsvertreter gleichfalls gewerblich tätigen Kläger mit einem Arbeitslohn von monatlich 630 DM geringfügig beschäftigt. Aufgrund dieses Arbeitsverhältnisses entrichtete der Kläger in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber pauschalierte Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) vertrat die Auffassung, dass diese Beiträge zu den nach § 3 Nr. 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfreien Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers gehörten. Er kürzte daher den gemeinsamen Vorwegabzug der Kläger nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG (in der bis zum Veranlagungszeitraum 2004 geltenden Fassung --a.F.--) um 1 209 DM (das sind 16 v.H. des Arbeitslohns der Klägerin). Der Einspruch, mit dem die Kläger geltend machten, dass der Klägerin aus den Zahlungen des Arbeitgebers letztlich kein Vorteil erwachsen sei, blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 560 veröffentlichten Gründen stattgegeben.

Mit der Revision macht das FA geltend, aus den vom Arbeitgeber gezahlten Pauschalbeiträgen könnten sich Auswirkungen auf die für einen Anspruch auf Rentenzahlung zu erfüllenden Wartezeiten ergeben. Zudem werde bei der Rentenberechnung ein Zuschlag an Entgeltpunkten berücksichtigt, der zu einem --wenn auch nur geringen-- Leistungsanspruch führe. Die Höhe der erworbenen Ansprüche sei nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung indessen unerheblich.

Das FA beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Ob der Vorwegabzug im Hinblick auf den Arbeitslohn der Klägerin aus dem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis zu kürzen ist, kann anhand der im ersten Rechtsgang getroffenen Feststellungen nicht abschließend entschieden werden.

1. Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG a.F. steht zusammenveranlagten Ehegatten für so genannte Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 EStG) als Höchstbetrag ein Vorwegabzug von 12 000 DM (im Streitjahr; später: 6 136 €) zu. Der Vorwegabzug ist gemäß Satz 2 Buchst. a dieser Vorschrift um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 19 EStG --ohne Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 2 EStG-- zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden; gleiches gilt, wenn der Steuerpflichtige --im Streitfall nicht einschlägig-- zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört. Nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG sind Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers steuerfrei, soweit der Arbeitgeber dazu nach sozialversicherungsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften oder nach einer auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung verpflichtet ist.

2. Liegen --wie im Streitfall-- die Voraussetzungen für eine geringfügige Beschäftigung i.S. des § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV), hier i.d.F. des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 388, BStBl I 1999, 302) vor, so hat der Arbeitgeber nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften (§ 249b Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch --SGB V-- und § 172 Abs. 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch --SGB VI--) einen Beitrag sowohl zur Krankenversicherung als auch zur Rentenversicherung aufzubringen. Derartige Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung aufgrund gesetzlicher Verpflichtung sind im Prinzip Leistungen zur Zukunftssicherung, da sie der Absicherung für den Fall der Krankheit, des Unfalls, der Invalidität, des Alters oder des Todes dienen (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung --LStDV--; vgl. Schmidt/Heinicke, EStG, 25. Aufl., § 3 Stichwort "Zukunftssicherungsleistungen (§ 3 Nr. 62)").

Zur Kürzung des Sonderausgaben-Vorwegabzugs führen die Beiträge allerdings nur dann, wenn sie zugleich auch "für" die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers erbracht werden. Das ist der Fall, wenn die Beitragsleistungen dem Beschäftigten wenigstens dem Grunde nach einen Anspruch auf Absicherung für den Fall vermitteln, dass das mit ihnen versicherte Risiko zukünftig eintritt, oder wenn die Beitragsleistungen dazu führen, dass sich ein bereits bestehender Versicherungsanspruch des Beschäftigten erhöht (vgl. Senatsurteil vom 31. Mai 2006 X R 6/06, BFH/NV 2006, 2239). Hingegen ist der Vorwegabzug nicht zu kürzen, wenn bei Entrichtung der Arbeitgeberbeiträge von vornherein feststeht, dass die Zahlungen dem Steuerpflichtigen nicht werden zugute kommen können, weil sich das versicherte Risiko in seiner Person nicht realisieren kann (vgl. zur Arbeitslosenversicherung: Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. März 2003 XI R 31/01, BFHE 203, 33, BStBl II 2004, 6; zur Rentenversicherung: BFH-Urteil vom 14. Dezember 2005 XI R 25/04, BFH/NV 2006, 1073 --jeweils den Arbeitgeberbeitrag bei der Beschäftigung von Versorgungsempfängern betreffend--).

Handelt es sich nach diesen Maßstäben bei den vom Arbeitgeber erbrachten Zahlungen dem Grunde nach um Zukunftssicherungsleistungen für den Steuerpflichtigen, so ist die Höhe der Beitragsleistungen für den Umfang der Kürzung des Vorwegabzugs ohne Bedeutung (vgl. BFH-Urteile vom 16. Oktober 2002 XI R 61/00, BFHE 200, 540, BStBl II 2003, 183, und XI R 71/00, BFHE 200, 544, BStBl II 2003, 343, sowie in BFHE 203, 33, BStBl II 2004, 6).

3. Der erkennende Senat tritt dem FG darin bei, dass es sich bei dem pauschalen Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung (§ 249b Satz 1 SGB V) nicht um eine Leistung "für die Zukunftssicherung" der Klägerin i.S. des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG a.F. i.V.m. § 3 Nr. 62 EStG gehandelt hat, weil einem geringfügig Beschäftigten aus derartigen Beitragszahlungen keine zusätzlichen Leistungsansprüche erwachsen können (vgl. im Einzelnen Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2239, zu II.2.a der Gründe, m.w.N.).

4. Nicht zutreffend ist hingegen die Annahme des FG, ein geringfügig Beschäftigter könne einen eigenen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausschließlich durch Verzicht auf die Rentenversicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB VI und Zahlung eines entsprechenden eigenen Versicherungsbeitrags erwerben.

a) Nach § 172 Abs. 3 Satz 1 SGB VI trägt der Arbeitgeber für einen geringfügig Beschäftigten i.S. des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV einen Beitragsanteil zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 12 v.H. (im Streitjahr; jetzt: 15 v.H.) des Arbeitsentgelts, wenn der Beschäftigte in dieser Beschäftigung versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit ist oder wenn der Beschäftigte nach § 5 Abs. 4 SGB VI versicherungsfrei ist. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI bestimmt, dass Personen, die --wie im Streitfall die Klägerin-- eine geringfügige Beschäftigung i.S. des § 8 Abs. 1 SGB IV ausüben, in dieser Beschäftigung versicherungsfrei sind.

b) Die aufgrund der geringfügigen Beschäftigung zu erbringenden Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung begründen für diesen Beschäftigtenkreis regelmäßig einen zusätzlichen Versicherungsanspruch. Denn nach § 76b Abs. 1 SGB VI werden für Arbeitsentgelt aus geringfügiger Beschäftigung, für das der Arbeitgeber einen Beitragsanteil nach § 172 Abs. 3 SGB VI getragen hat, so genannte Zuschläge an Entgeltpunkten ermittelt. Über § 52 Abs. 2 SGB VI werden diese Zuschläge an Entgeltpunkten zudem in Beitragsmonate umgerechnet, die auf die für den Rentenbezug erforderliche Wartezeit angerechnet werden. Damit stehen den pauschalen Beitragszahlungen zur Rentenversicherung nach dem Verständnis des Gesetzgebers beitragsäquivalente Rentenleistungen gegenüber (vgl. BTDrucks 14/441, S. 1 f.).

c) Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ermittlung von Zuschlägen an Entgeltpunkten vor, so stellt der Beitragsanteil des Arbeitgebers nach § 172 Abs. 3 SGB VI eine Leistung für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers i.S. des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG a.F. dar (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2239, zu II.2.b der Gründe).

Die damit verbundene Kürzung des Vorwegabzugs führt nicht zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Entgegen der Auffassung des FG gilt dies auch in Fällen, in denen die Einkünfte aus der geringfügigen Beschäftigung --wie im Streitfall-- wegen des Zusammentreffens mit anderen positiven Einkünften von der sonst für sie bestehenden Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 39 EStG (in der bis zum Veranlagungszeitraum 2002 geltenden Fassung --a.F.--) ausgenommen sind.

d) Der Vorwegabzug ist eingeführt worden, um insbesondere selbständig Tätigen einen Ausgleich dafür zu bieten, dass sie die Kosten ihrer Zukunftssicherung allein aufbringen müssen (vgl. BTDrucks 3/2573, S. 17, 21; BTDrucks 8/292, S. 21). Diesen Zweck erreicht das Gesetz, indem der Vorwegabzug zunächst zwar allen Steuerpflichtigen gewährt, sodann in einem zweiten Schritt aber im Wege einer generalisierenden Regelung um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gekürzt wird, wenn für die Zukunftssicherung Leistungen i.S. des § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden sind (vgl. BFH-Urteile in BFHE 200, 540, BStBl II 2003, 183; in BFHE 200, 544, BStBl II 2003, 343). Der Umfang der Kürzung bestimmt sich mithin nach der Höhe des Arbeitsentgelts.

Diese Regelung trägt der verminderten steuerlichen Belastbarkeit eines nur geringfügig beschäftigten Arbeitnehmers in ausreichendem Maße Rechnung. Die geringe Höhe der Einnahmen führt --wie auch der Streitfall zeigt-- nur zu einer verhältnismäßig geringfügigen Kürzung des Vorwegabzugs. Einer vollständigen Freistellung der Einnahmen aus geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen von der Anwendung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG a.F. bedarf es insoweit nicht. Für eine Beschränkung der Freistellung auf solche Fälle, in denen die Einnahmen wegen des Zusammentreffens mit anderen positiven Einnahmen des Arbeitnehmers von der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 39 EStG a.F. nicht erfasst werden, bietet der Wortlaut des Gesetzes zudem keine Handhabe.

e) Bei der Einbeziehung des nach § 172 Abs. 3 SGB VI zu leistenden Beitragsanteils des Arbeitgebers in die Zukunftssicherungsleistungen nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG a.F. i.V.m. § 3 Nr. 62 EStG ist allerdings zu beachten, dass die Ermittlung von Zuschlägen an Entgeltpunkten nach § 76b Abs. 1 SGB VI in bestimmten Fallgruppen zu unterbleiben hat. Dies gilt namentlich bei geringfügig Beschäftigten, die als Bezieher einer Vollrente wegen Alters, als Versorgungsbezieher, wegen Vollendung des 65. Lebensjahres oder wegen einer Beitragserstattung versicherungsfrei sind (§ 76b Abs. 4 SGB VI). Angehörige dieses Personenkreises sind von der Begünstigung ausgeschlossen, weil sie entweder ihr Versicherungsleben bereits abgeschlossen oder keine Möglichkeit mehr haben, noch einen eigenen Rentenanspruch zu begründen (BTDrucks 14/441, S. 33). Für sie entstehen aus den pauschal geleisteten Rentenversicherungsbeiträgen des Arbeitgebers keine zusätzlichen Ansprüche, so dass in diesen Fallgruppen von einer Kürzung des Vorwegabzugs abzusehen ist (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2239).

5. Die Vorinstanz hat zu der Frage, ob hinsichtlich der Klägerin die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ermittlung eines Zuschlags an Entgeltpunkten vorlagen, keine Feststellungen getroffen. Deshalb kann der Senat nicht entscheiden, ob die Schlussfolgerung des FG, die Klägerin habe aufgrund der Zahlungen des Arbeitgebers an den Rentenversicherungsträger keine eigenen Ansprüche erworben, zutreffend ist. Die erforderlichen Feststellungen werden im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein. Die Sache geht daher zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an das FG zurück (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1684051

BFH/NV 2007, 432

HFR 2007, 328

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