Leitsatz (amtlich)

Zur Schätzung von Einkünften mit Hilfe einer privaten Geldverbrauchsrechnung.

 

Normenkette

AO 1977 § 162

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind seit Juli 1972 miteinander verheiratet und werden seit 1972 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Sie lebten bereits vorher zusammen. Aus der Verbindung war 1967 eine Tochter hervorgegangen. Die erste Ehe des Klägers war im April 1972 geschieden worden; der Kläger wird für 1971 getrennt von seiner ersten Ehefrau veranlagt.

Der Kläger hatte erklärt, in den Jahren 1971 bis 1975 keine Erwerbstätigkeit ausgeübt und keine Einkünfte erzielt zu haben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) kam nach einer Steuerfahndungsprüfung zu dem Ergebnis, der Kläger habe aus Handelsvertretertätigkeit Gewinne erzielt, die anhand von Aufstellungen der Steuerfahndung über "verwendete Geldmittel" wie folgt geschätzt wurden:

1971 1972 1973 1974 1975

DM DM DM DM DM

Ausgaben - - - - -

zuzüglich Bankguthaben

am Jahresende - - - - -

abzüglich Bankguthaben

am Jahresanfang - - - - -

abzüglich Erbschaften

der Klägerin - - - - -

Gewinne - - - - -

abgerundet - - - - -

Gewinne nach Abzug

von Betriebsteuerrückstellungen - - - - -

Das FA erließ am 27. September 1977 entsprechende erstmalige Einkommensteuerbescheide für 1971 bis 1975. Die Einsprüche wurden zurückgewiesen.

Die Klage war im wesentlichen erfolglos. Das Finanzgericht (FG) legte dar: Der Kläger habe als selbständiger Handelsvertreter Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Dies werde zwar vom Kläger in Abrede gestellt. Auch seien die von der Steuerfahndung aufgefundenen Beweismittel, die für eine Handelsvertretertätigkeit sprächen, spärlich (Lebenslauf des Klägers, Durchschrift eines Bewerbungsschreibens vom 27. Mai 1976, Erklärungen der Kläger gegenüber dem Kreisjugendamt, Amtsgericht und FA). Es sei jedoch zu berücksichtigen, daß sich die Kläger allem Anschein nach auf die Fahndungsmaßnahmen eingestellt hätten. Der Kläger habe überdies 1971 ein aufwendiges Kraftfahrzeug (Kfz), Marke BMW, gekauft und sei damit bis Anfang November 1975 - offenbar beruflich - 78 500 km gefahren; es sei noch ein VW vorhanden gewesen. Die Einwendungen der Kläger gegen die Geldrechnung des FA gingen fehl. Der Kläger habe zu Beginn des Prüfungszeitraums lediglich ein Bankguthaben von 375 DM gehabt. Die Behauptung der Kläger, sie hätten bis zum 1. Januar 1971 102 000 DM angespart und in einem Bankschließfach deponiert gehabt, sei nicht glaubhaft. Der Kläger sei 1967/69 vermögenslos gewesen (eidesstattliche Versicherung 1967, Ratenzahlungsabkommen 1969) und habe bis zum 1. Januar 1971 kein Vermögen bilden können. Die Klägerin habe die ihr von ihren Eltern zugewandten Beträge verbraucht. In den Streitjahren habe sie keine Zuwendungen mehr von den Eltern erhalten. Es sei im Juni 1971 zu einem schwerwiegenden Zerwürfnis mit den Eltern gekommen, das zur Entziehung des Pflichtteils geführt habe. Es sei auch nicht glaubhaft, daß der Kläger in den Streitjahren nennenswerte Gewinne aus Skatspielen erzielt habe. Er habe es unterlassen, die Mitspieler zu benennen, denen er derart erhebliche Summen abgenommen haben wolle. Schließlich könne den Klägern nicht geglaubt werden, daß sie äußerst bescheiden gelebt und ihr Verbrauch unter dem statistischen Durchschnitt gelegen habe. Dem Kläger sei jedoch für 1971 ein Freibetrag von 1 200 DM nach § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für das Kind zu gewähren.

Die Kläger machen mit der Revision geltend: Das FG habe, dem FA folgend, eine Handelsvertretertätigkeit des Klägers fingiert. Der Kläger habe sein Möglichstes getan um nachzuweisen, daß er nicht gewerblich tätig geworden sei. Das FG habe die Beweislastverteilung verkannt und einen vom FA nicht nachgewiesenen Steueranspruch bestätigt. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises, die zu einer Beweislastumkehr führen könnten, seien nicht anwendbar. Sie, die Kläger, hätten spezifiziert dargelegt, wovon sie gelebt hätten. Dem angefochtenen Urteil sei deutlich moralische Entrüstung über ihre Lebensweise und ihr Verhalten anzumerken. Dadurch habe sich das FG möglicherweise den Weg zu einer objektiven Beurteilung verstellt. Die Schätzung berücksichtige nicht alle erheblichen Umstände.

Die Kläger beantragen, die Einkommensteuerbescheide für 1971 bis 1975 vom 27. September 1977, die Einspruchsentscheidung vom 3. April 1978 und das FG-Urteil aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das FG hat eine Handelsvertretertätigkeit des Klägers in den Streitjahren nicht fingiert, sondern festgestellt. Es war davon überzeugt, daß der Kläger diese Tätigkeit ausübte und aus ihr Gewinne erzielte. Das FG hat dabei nicht auf die Regeln des Anscheinsbeweises zurückgegriffen. Beweislastfragen spielten keine Rolle.

Das FG hat, als es seine Feststellung traf, nicht verkannt, daß bei der Wohnungsdurchsuchung keine handfesten Hinweise für eine gewerbliche Betätigung des Klägers - wie etwa Schriftverkehr, Rechnungen, Quittungen - aufgefunden wurden. Immerhin ergaben sich Anhaltspunkte für eine Handelsvertretertätigkeit aus einem vom Kläger gefertigten Lebenslauf, aus Erklärungen der Kläger gegenüber Behörden und aus Erklärungen der Klägerin in dem Pflichtteilsentziehungsprozeß. Der Kläger hatte sich Ende 1971, obwohl bereits ein VW vorhanden war, ein weiteres Kfz Marke BMW für ca. 29 000 DM angeschafft und mit diesem Fahrzeug bis Anfang November 1975 eine Fahrtleistung von 78 500 km erbracht. Den Umstand, daß keine konkreten Geschäftsunterlagen aufgefunden werden konnten, hat das FG damit erklärt, daß die Kläger eine Anzeige der Verwandtschaft der Klägerin vermuteten, das Erscheinen der Steuerfahndung erwarteten und sich hierauf einstellten. Das FG ist der Frage nachgegangen, ob die Kläger den von der Steuerfahndung ermittelten Verbrauch 1971 bis 1975 aus anderen Quellen bestritten haben könnten. Es hat die von den Klägern gegebene Darstellung für nicht glaubhaft gehalten, daß sie die verbrauchten Beträge bereits vor Beginn des Streitzeitraums angespart hatten und der Kläger erhebliche Gewinne aus Skatspielen erzielt habe.

Aufgrund dieser Überlegungen konnte das FG im Rahmen freier Überzeugungsbildung (§ 96 FGO) zu dem Ergebnis gelangen, daß der Kläger als Handelsvertreter tätig war. Der Senat hat nicht darüber zu befinden, ob das FG zu diesem Ergebnis kommen mußte. Eine Verletzung der Denkgesetze oder der Regeln der allgemeinen Lebenserfahrung ist nicht ersichtlich. Es ist auch nicht erkennbar, daß moralische Entrüstung über die Kläger die Würdigung des FG beinflußt hätte. Soweit das FG auf die Lebensweise der Kläger und das Verhalten der Klägerin gegenüber ihren Eltern eingegangen ist, war dies erforderlich, um die Behauptung der Kläger zu widerlegen, sie hätten erhebliche Beträge angespart und als Zuwendungen aus dem Elternhaus der Klägerin erhalten.

Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind mangels Buchführungsunterlagen zu schätzen (§ 162 AO 1977). Die Schätzungsmethode des FA, die das FG gebilligt hat, kann als private Geldverbrauchsrechnung gekennzeichnet werden, die, folgerichtig angewandt, geeignet ist, die Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb der Höhe nach mit ausreichender Sicherheit zu bestimmen. Da sich die Handelsvertretertätigkeit nicht in ihrem geschäftlichen Ablauf hat konkretisieren lassen, kann davon ausgegangen werden, daß sämtliche erzielten Provisionen nach Abzug der angefallenenen Betriebsausgaben (Gewinnbeträge in Geldrechnung) sogleich entnommen und privat verbraucht oder privat angelegt wurden. Umgekehrt läßt sich aus dem privaten Geldverbrauch und einer privaten Geldanlage darauf schließen, welche Gewinne erzielt wurden. Bei einer Verringerung der privaten Geldanlagen ist anzunehmen, daß der private Verbrauch teilweise mit diesen Mitteln und nur im übrigen aus Gewinnen bestritten wurde. Gleiches gilt für andere private Geldzuflüsse (Erbschaften, Schenkungen von dritter Seite usw.). Auch sie minderten den aus Gewinnen bestrittenen privaten Geldverbrauch.

Hiervon ausgehend ist es ohne Belang, daß die Steuerfahndung in ihrer Aufstellung für das Jahr 1972 Guthaben bei der Commerzbank unberücksichtigt ließ. Die Kläger hätten die private Geldverbrauchsrechnung für 1972 nur dann in Frage stellen können, wenn sie dargelegt hätten, daß die Konten bereits am 1. Januar 1972 bestanden. Es liegt im Wesen der privaten Geldverbrauchsrechnung, daß im Ergebnis nur der Jahreszuwachs bzw. die Jahresminderung aller Privatguthaben die Gewinnschätzung beeinflußt. Einzahlungen und Abhebungen während des Jahres bleiben unberücksichtigt, ebenso Guthaben, die während des Jahres begründet und aufgelöst werden. Der Kläger hat lediglich nachgewiesen, daß er am 8. März und 28. März 1972 Guthaben bei der Commerzbank von 2 517,38 DM und 12 975,47 DM unterhielt und auflöste. Er hat nicht dargelegt, daß die Konten schon am 1. Januar 1972 bestanden. Im übrigen würde eine Guthabenerhöhung zum 1. Januar 1972 sich zweischneidig auswirken, gewinnmindernd für 1972, aber gewinnerhöhend für 1971.

Dennoch muß die Vorentscheidung aufgehoben werden. Die Gewinnschätzung anhand des privaten Geldverbrauchs setzt voraus, daß unter den Ausgaben keine Betriebsausgaben erfaßt werden. Die auf den Privatbereich beschränkte Schätzungsmethode geht davon aus, daß die Betriebsausgaben bereits im betrieblichen Bereich berücksichtigt worden sind. Es bestehen Zweifel, ob die Ausgabenaufstellungen der Steuerfahndung ausschließlich Privatausgaben enthalten. Diese Aufstellungen führen beispielsweise die laufenden Aufwendungen für das BMW-Fahrzeug an. Von diesem Fahrzeug bemerkt das FG, es sei "offenbar überwiegend beruflich" genutzt worden. Das FG hat die hohe Fahrtleistung dieses Fahrzeugs, neben dem noch ein VW gefahren wurde, als Argument dafür verwandt, daß der Kläger als Handelsvertreter tätig war.

Das FG wird umfassend zu prüfen haben, ob die Aufstellungen Betriebsausgaben enthalten. Als Betriebsausgaben kämen außer Fahrzeugaufwendungen möglicherweise anteilige Telefonkosten oder Wohnungsaufwendungen in Betracht, falls die Handelsvertretertätigkeit von einer der Privatwohnungen aus betrieben worden sein sollte.

Schließlich sind für das BMW-Fahrzeug, falls es betrieblich genutzt worden sein sollte, Absetzungen für Abnutzung (AfA) nach § 7 EStG anzusetzen. Der private Geldverbrauch läßt, wie schon die Steuerfahndung zutreffend erkannt hat, nur auf Gewinne in Geldrechnung schließen; deshalb wurden zusätzlich Betriebsteuerrückstellungen gebildet. Auch die AfA sind Betriebsausgaben, die außerhalb der Geldrechnung stehen und zusätzlich zu berücksichtigen sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74243

BStBl II 1982, 369

BFHE 1981, 544

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