Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Qualifizierung kartographischer Arbeiten bei Beschäftigung von Mitarbeitern - Einzelrichterregelung

 

Leitsatz (amtlich)

Stellt ein Kartograph farbige Reliefkarten her, die er Reiseunternehmen gegen Entgelt zur Nutzung überläßt, so ist seine Tätigkeit nicht bereits deshalb als gewerblich anzusehen, weil er die Karten zunächst ohne Auftrag erstellt hat und später nach den Wünschen der Abnehmer durch Mitarbeiter ergänzen läßt.

 

Orientierungssatz

NV: Ist die Vorentscheidung gemäß § 6 FGO vom Einzelrichter getroffen worden, kann eine auf § 119 Nr. 1 FGO gestützte Besetzungsrüge nur ausnahmsweise Erfolg haben, etwa dann, wenn sich der Einzelrichter selbst bestellt hat oder wenn ihm der Rechtsstreit statt durch Senatsbeschluß durch Verfügung des Vorsitzenden zugewiesen worden ist, oder wenn gegen § 6 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 FGO verstoßen wurde oder wenn sich die Übertragung auf den Einzelrichter aus sonstigen Gründen als "greifbar gesetzwidrig" erweist. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Einzelrichterregelung haben sich nicht durchgesetzt; die Erfassung bereits anhängiger Verfahren ist unschädlich.

 

Normenkette

FGO § 119 Nr. 1, § 6 Abs. 2, 3 S. 2; EStG § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Entscheidung vom 19.03.1993; Aktenzeichen 8 K 4416/91)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat nach der Mittleren Reife eine Ausbildung als Landkartenzeichner aufgenommen und sie mit der Gehilfenprüfung erfolgreich abgeschlossen. Er hat zunächst in den kartographischen Abteilungen zweier Verlage gearbeitet und sich dann selbständig gemacht. Im Laufe seiner selbständigen Tätigkeit hat er sich zunehmend Auftraggebern aus der Tourismus-Branche zugewandt.

Nach seiner eigenen Schilderung hat sich der Kläger besonders für die Technik und Ausführung von farbigen Reliefschummerungen interessiert, ein Zeichenverfahren, in dem die Geländeformen durch Abtönen plastisch herausgearbeitet werden. Auf diesem Gebiet hat er eine neue Technik unter Verwendung einer feindüsigen Spritzpistole angewandt. Nach seinen Angaben ist er einer der ganz wenigen Kartographen auf der Welt, die mit dieser Technik arbeiten.

Nach Abschluß der Erprobungsphase begann der Kläger, sich unter Verwendung der Spritzpistolentechnik ein eigenes Archiv geschummerter Reliefkarten von touristisch interessanten Gebieten anzulegen. Bei der Herstellung dieser Karten geht er von maßstabgerechten Grundkarten aus, in die lediglich die Gewässer eingezeichnet sind. Durch die farbige Reliefschummerung enthält die Karte dann zusätzlich die durch Täler, Berge und Ebenen gekennzeichnete Struktur der Erdoberfläche. Nach seinen Angaben erforderte die Eintragung der dem Landschaftsbild entsprechenden Schummerungen im Durchschnitt einen Zeitaufwand von zwei bis drei Monaten pro Karte. Mittlerweile hat der Kläger auf diese Weise etwa 90 Karten von touristischen Zielgebieten hergestellt, deren Gesamtwert er mit ... DM beziffert.

Nach Fertigstellung der auf eigene Initiative hergestellten Karten bot der Kläger verschiedenen Reiseveranstaltern an, für ihre Reisekataloge Kartenausschnitte in jeder gewünschten Größe zu fertigen und mit zusätzlichen Informationen (z.B. Ortsnamen) nach den Wünschen der Auftraggeber zu versehen. Für diese Tätigkeiten beschäftigt der Kläger zwei bis drei angestellte Kartographen. Der Kläger verkauft die Karten nicht an seine Abnehmer, sondern erteilt ihnen lediglich Lizenzen zur Benutzung für ein halbes Jahr (einen Saisonkatalog). Er unterscheidet bei seinen Leistungen zwischen "Neuerstellungen" (auf der Grundlage der vorhandenen Schummerungskarten erstmalig mit den vom Auftraggeber gewünschten Informationen versehenen Karten), "Korrekturen" (Ergänzungen und Veränderungen bereits "erstellter" Karten) und "Übernahmen" (Lizenzgebühren für die Weiterverwendung der für vorangegangene Halbjahre "erstellten" Karten).

Der Kläger hat seine Gewinne aus seiner selbständigen kartographischen Tätigkeit von Anfang an als freiberufliche Einkünfte gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erklärt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) folgte dem zunächst. Im Rahmen einer Außenprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, daß der Kläger nicht freiberuflich, sondern gewerblich tätig sei. Das FA schloß sich diesem Ergebnis an, erließ erstmals Gewerbesteuermeßbescheide für die Jahre 1985 bis 1988 und versagte den Freibetrag gemäß § 18 Abs. 4 EStG bei der Einkommensteuer. Hiergegen erhob der Kläger nach erfolglosen Einsprüchen Klage, mit der er, gestützt auf ein Privatgutachten, geltend machte, er sei ähnlich wie ein Diplomingenieur für Kartographie (FH) tätig und verfasse die von ihm erstellten Karten auf wissenschaftlicher Grundlage, indem er die in den Karten verwendeten Informationen einfühlsam bildlich umsetze. Die von ihm angewandte Schummerungstechnik führe auch zu individuellen Ergebnissen, die eine künstlerische Gestaltungshöhe erreichten.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es in der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 680 veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen aus:

Die betriebliche Tätigkeit des Klägers setze sich aus der nicht honorierten Herstellung von Kartenschummerungen und aus der Abwicklung zahlreicher handwerklich-kartographischer Einzelaufträge zusammen. Unterstelle man in Übereinstimmung mit dem vom Kläger vorgelegten Privatgutachten, daß die Herstellung der Schummerungskarten als freiberuflich anzusehen sei, so liege insgesamt gesehen eine gemischte Tätigkeit vor. Diese einheitliche Leistung sei durch gewerbliche Merkmale, nämlich die Arbeitsinhalte eines typischen Kartographiebetriebes, geprägt.

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision, die auf Verfahrensmängel und die Verletzung materiellen Rechts gestützt wird.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

++/ 1. Die Rüge der fehlerhaften Besetzung des FG ist unbegründet. Ist die Vorentscheidung gemäß § 6 FGO vom Einzelrichter getroffen worden, kann eine auf § 119 Nr. 1 FGO gestützte Besetzungsrüge nur ausnahmsweise Erfolg haben, so etwa dann, wenn sich der Einzelrichter selbst bestellt hat oder wenn ihm der Rechtsstreit statt durch Senatsbeschluß durch Verfügung des Vorsitzenden zugewiesen worden ist, oder wenn gegen § 6 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 FGO verstoßen wurde oder wenn sich die Übertragung auf den Einzelrichter aus sonstigen Gründen als "greifbar gesetzwidrig" erweist (Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Januar 1994 II R 69/93, BFH/NV 1994, 725). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Einzelrichterregelung haben sich nicht durchgesetzt (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, § 6 Rdnr.3; Greger in Zöller, Zivilprozeßordnung, Vor § 348 Rdnr.3); die Erfassung bereits anhängiger Verfahren ist unschädlich (BVerfG-Urteil vom 25. Juni 1968 2 BvR 251/63, BVerfGE 24, 33, 54). 2. /++

Das FG hat die Rechtsansicht vertreten, der Kläger habe die Ergebnisse seiner kartographischen Arbeiten, deren Freiberuflichkeit als solche es unterstellt hat, nur mittelbar in einem gewerblichen Betrieb verwertet. Dieser Gewerbebetrieb soll die Durchführung handwerklich-schematischer Kartenarbeiten für Reiseunternehmen zum Gegenstand gehabt haben. Diese Auffassung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Allerdings ist es möglich, daß das Ergebnis einer an sich freiberuflichen (z.B. ingenieurmäßigen, künstlerischen, schriftstellerischen oder wissenschaftlichen) Tätigkeit vom Steuerpflichtigen nicht unmittelbar verwertet, sondern einem von ihm betriebenen Gewerbebetrieb zur Verwertung überlassen wird (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 29. April 1993 IV R 61/92, BFH/NV 1994, 89). So hat der BFH angenommen, daß eine Erfindung notwendiges Betriebsvermögen eines vom Erfinder betriebenen Gewerbebetriebes sein kann (Senatsurteil vom 11. September 1969 IV R 160/67, BFHE 98, 144, BStBl II 1970, 317). Ferner hat der BFH angenommen, daß sich die Vervielfältigung und der Vertrieb eigener schriftstellerischer Erzeugnisse als gewerbliche Tätigkeit, nämlich als Verlagsbetrieb, darstellt (Urteile vom 11. Mai 1976 VIII R 111/71, BFHE 119, 253, BStBl II 1976, 641; vom 30. November 1978 IV R 15/73, BFHE 126, 461, BStBl II 1979, 236). Als weitere Beispiele einer gewerblichen Verwertung an sich freiberuflicher Arbeiten hat der Senat in seinem Urteil in BFHE 126, 461, BStBl II 1979, 236 die Fälle erwähnt, daß ein Apotheker aufgrund eigener Rezepturen Arzneimittel herstellt oder daß ein Bauunternehmer (Diplomingenieur) aufgrund eigener Pläne und statischer Berechnungen Häuser erstellt und veräußert. Im letztgenannten Urteil hat der Senat jedoch zugleich darauf hingewiesen, daß ein Erfinder, Apotheker oder Diplomingenieur zweifelsfrei freiberufliche Einkünfte erziele, wenn er seine Erfindungen, Rezepturen oder Pläne einem anderen gegen Entgelt überlasse.

b) Im Streitfall hat der Kläger seine kartographischen Arbeiten (Farbschummerungen) anderen, nämlich den Reiseunternehmen, gegen Entgelt (Lizenzgebühren) zur Nutzung überlassen. Er hat seine Arbeiten nicht etwa selbst vervielfältigt und verbreitet, demzufolge also kein Verlagsgeschäft betrieben (vgl. § 1 des Gesetzes über das Verlagsrecht --VerlG--). Daß er die Farbschummerungen nicht jeweils im Auftrag der einzelnen Abnehmer, sondern ohne konkrete Aufträge sozusagen auf Vorrat hergestellt hat, ist ohne Belang. Zutreffend weist der Kläger darauf hin, daß eine Vielzahl freiberuflicher Erzeugnisse nicht als Auftragswerke entstehen, wie etwa Werke der Belletristik, der Musik und der bildenden Kunst. Demgemäß hat der Senat entschieden, daß der Verkauf von Bildern auch dann noch zu Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit führt, wenn ein Künstler nach Einstellung der aktiven künstlerischen Tätigkeit nach und nach seine Bilder veräußert, oder sogar dann, wenn der Erbe des Künstlers auf diese Weise den Nachlaß verwertet (Senatsurteil vom 29. April 1993 IV R 16/92, BFHE 171, 385, BStBl II 1993, 716). Hieran kann für sich genommen auch der Umstand nichts ändern, daß das zunächst ohne Auftrag hergestellte Produkt freiberuflicher Tätigkeit, nachdem sich ein Interessent gefunden hat, nach dessen Wünschen weiterbearbeitet wird.

c) Es stellt sich somit allein die Frage, ob der Einsatz von Mitarbeitern der Gesamttätigkeit des Klägers ein gewerbliches Gepräge gegeben hat. Nach § 18 Abs. 1 Satz 3 EStG wird die freiberufliche Tätigkeit nicht allein deshalb zu einer gewerblichen, weil sich der Steuerpflichtige fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient; Voraussetzung ist, daß er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig ist. Als "fachlich vorgebildet" sind nicht nur solche Arbeitskräfte zu verstehen, die die berufliche Qualifikation des Betriebsinhabers besitzen (Senatsurteil vom 1. Februar 1990 IV R 140/88, BFHE 159, 535, BStBl II 1990, 507). Unterstellt man daher mit dem FG, daß der Kläger im Wege des Selbststudiums die Qualifikation eines Diplomingenieurs für Kartographie (FH) erlangt hat, so sind die angestellten Kartographen doch nicht zwangsläufig als Mitarbeiter "ohne Fachkenntnisse" anzusehen, mit der Folge, daß die Prüfung einer leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit durch den Kläger entfiele. Auf der anderen Seite kann davon ausgegangen werden, daß der Berufsträger sowohl leitend als auch eigenverantwortlich tätig ist, wenn die Mitarbeiter bei jedem einzelnen Auftrag nur Leistungen untergeordneter Art erbringen, die freiberuflichen Entwürfe des Berufsträgers also nur durch handwerklich-schematische Arbeiten ausführen. So hat der Senat angenommen, daß ein Gebrauchsgrafiker (vorausgesetzt, daß seine Tätigkeit als künstlerisch anzuerkennen ist), der die Entwürfe selbst fertigt und nur die auftragsfertige Ausführung seinen Mitarbeitern nach seinen Anweisungen überläßt, freiberuflich tätig ist (Urteil vom 25. Juli 1963 IV 204-205/59, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Einkommensteuergesetz bis 1974, § 18, Rechtsspruch 292). Ähnliches gilt für einen Architekten, der technische Zeichner beschäftigt (Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, bis zur 178. Lieferung, § 18 EStG Anm. 105). Nicht anders ist der Streitfall zu beurteilen, in dem die Mitarbeiter die Vorarbeiten des Klägers, deren Freiberuflichkeit das FG unterstellt hat, durch handwerklich-kartographische Arbeiten lediglich ergänzen. Ungeachtet der von den Mitarbeitern vorgenommenen Eintragungen wie Straßen- und Ortsnamen bleibt das Werk des Klägers, die farbige Reliefkarte, als wesentliches Element des Endprodukts erhalten. Es handelt sich mithin um ein augenfälliges Beispiel für einen Fall, in dem die Leistung des Unternehmens --wie von der Rechtsprechung als Kriterium für die Freiberuflichkeit gefordert (BFH-Urteil vom 25. Oktober 1963 IV 373/60 U, BFHE 77, 750, BStBl III 1963, 595)-- den Stempel der Persönlichkeit des Steuerpflichtigen trägt.

d) Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG hat lediglich unterstellt, daß die Tätigkeit des Klägers als solche freiberuflich sei. Es hat hierzu --aus seiner Sicht zu Recht-- jedoch keine Feststellungen getroffen. Diese Feststellungen werden im zweiten Rechtszug nachzuholen sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65467

BFH/NV 1995, 84

BStBl II 1995, 776

BFHE 178, 147

BFHE 1996, 147

BB 1995, 2102 (L)

DB 1995, 2200 (L)

DStR 1995, 1547-1548 (KT)

DStZ 1996, 183 (KT)

HFR 1995, 722 (LT)

StE 1995, 638 (K)

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