Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendbarkeit von einkommensteuerrechtlichen Vorschriften bei der Ermittlung des körperschaftsteuerpflichtigen Einkommens bzw. Gewerbeertrags einer Kapitalgesellschaft - Definition: Betriebsaufgabe - Liquidationsgewinn als Aufgabegewinn - Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG als sachliche Steuerbefreiung

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 16 Abs.4 EStG enthält eine sachliche Steuerbefreiung für Veräußerungs- und Aufgabegewinne (Anschluß an BFH-Urteil vom 16.Dezember 1975 VIII R 147/71, BFHE 117, 557, BStBl II 1976, 360).

2. Ein Liquidationsgewinn ist einem Aufgabegewinn i.S. des § 16 Abs.3 EStG gleichzusetzen.

3. § 16 Abs.4 EStG ist auf Liquidationsgewinne einer Kapitalgesellschaft sowohl bei der Ermittlung des körperschaftsteuerpflichtigen Einkommens als auch bei der Ermittlung des Gewerbeertrags (§ 7 GewStG) anzuwenden.

 

Orientierungssatz

1. Abweichung von RFH-Urteil vom 21.5.1940 I 132/40 und BFH-Urteil vom 2.2.1972 I R 217/69.

2. Bei der Ermittlung des körperschaftsteuerpflichtigen Einkommens einer Kapitalgesellschaft kommen grundsätzlich alle einkommensteuerrechtlichen Vorschriften zur Anwendung, soweit sie nicht an natürliche Personen gebunden sind (vgl. Literatur).

3. Einkommensteuerrechtlich erfordert der Tatbestand der Betriebsaufgabe, daß alle wesentlichen Betriebsunterlagen "in einem einheitlichen Vorgang" veräußert oder entnommen werden (vgl. BFH-Rechtsprechung).

4. Gewinne aus der Veräußerung oder Aufgabe des ganzen Betriebs oder eines Teilbetriebs gehören bei Kapitalgesellschaften zum Gewerbeertrag (vgl. RFH-Rechtsprechung und BFH-Rechtsprechung).

5. Der der Gewerbesteuer zugrunde zu legende Gewerbeertrag entspricht, abgesehen von den gewerbesteuerlichen Zurechnungen und Abrechnungen, grundsätzlich dem Gewinn aus Gewerbebetrieb, der der Bemessung der Einkommensteuer zugrunde zu legen ist. Davon ist nur insoweit abzuweichen, als sich unmittelbar aus dem GewStG etwas anderes ergibt oder soweit die Vorschriften des Einkommensteuerrechts mit dem besonderen Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer nicht im Einklang stehen (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

KStG 1977 §§ 11, 8; EStG § 16 Abs. 3-4; GewStG § 7

 

Verfahrensgang

FG München (Entscheidung vom 11.12.1989; Aktenzeichen 15 K 3354/89)

 

Tatbestand

I. Streitig ist die Anwendbarkeit des § 16 Abs.4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei Liquidation einer GmbH.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH in Liquidation. Nach den Erläuterungen zur Bilanz auf den 31.Dezember 1987 erzielte sie im Jahre 1987 aus der Veräußerung ihres gesamten Anlagevermögens (Kraftfahrzeug, Betriebsausstattung) einen Erlös in Höhe von 53 000 DM. Dem Erlös standen Buchwerte in Höhe von 15 248 DM gegenüber. Die Klägerin erfaßte die Differenz von 37 752 DM in ihrer Gewinnermittlung für das Streitjahr 1987 als "Ertrag aus Anlageverkäufen". Der Gesamtgewinn der Klägerin betrug nach ihren Berechnungen 24 516 DM. Ausgehend von diesem Gesamtgewinn erklärte sie in ihrer Körperschaftsteuererklärung einen steuerlichen Verlust in Höhe von 12 444 DM. Dabei zog sie vom Gesamtgewinn von 24 516 DM darin enthaltene Körperschaftsteuererstattungen von 6 960 DM und einen Freibetrag von 30 000 DM gemäß § 16 Abs.4 EStG ab.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) lehnte die Anwendung der Freibetragsregelung des § 16 Abs.4 EStG ab, da die Vorschrift auf Liquidationsgewinne einer Kapitalgesellschaft nicht anwendbar sei.

Die Körperschaftsteuer wurde entsprechend dieser Rechtsauffassung aus einem Einkommen von 17 550 DM auf 9 828 DM festgesetzt. Den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1987 setzte das FA auf 875 DM fest. Gegen beide Bescheide legte die Klägerin Einspruch mit der Begründung ein, ihr stehe ein Freibetrag gemäß § 16 Abs.4 EStG zu.

Das Finanzgericht (FG) hat die nach erfolglosem Einspruchsverfahren eingelegte Klage als unbegründet abgewiesen. Die Vorschrift des § 16 Abs.4 EStG sei eine sachliche Steuerbefreiung, die nur auf natürliche Personen anwendbar sei.

Die Klägerin stützt ihre vom FG zugelassene Revision auf Verletzung des § 8 Abs.1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung vom 5.Juni 1989 aufzuheben und die Körperschaftsteuer 1987 und den Gewerbesteuermeßbetrag 1987 unter Berücksichtigung eines Freibetrages nach § 16 Abs.4 EStG festzusetzen.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Einspruchsentscheidung und zur Festsetzung der Körperschaftsteuer 1987 und des Gewerbesteuermeßbetrags 1987 auf jeweils 0 DM (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

A. Der im Steuerbilanzgewinn der Klägerin enthaltene Gewinn aus der Veräußerung ihres gesamten Anlagevermögens im Zusammenhang mit der Liquidation ist um den Freibetrag gemäß § 16 Abs.4 EStG zu kürzen.

1. Das körperschaftsteuerpflichtige Einkommen einer Kapitalgesellschaft bestimmt sich gemäß § 8 Abs.1 KStG 1977 nach den Vorschriften des EStG und des KStG. Es kommen grundsätzlich alle einkommensteuerrechtlichen Vorschriften zur Anwendung, soweit sie nicht an natürliche Personen gebunden sind (vgl. Gail/ Goutier/Grützner, Körperschaftsteuergesetz ―KStG 1977― Kommentar, § 8 Rz.4; Frotscher/Maas, Körperschaftsteuergesetz ―KStG 1977―, § 8 Rz.12; Greif/Schuhmann, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 8 Rz.10; Zenthöfer in Kläschen, Körperschaftsteuergesetz 1977, § 8 Rz.4).

Gemäß § 16 Abs.1, 2 und 4 EStG ist bei der Ermittlung des Gewinns aus der Veräußerung eines Gewerbebetriebs der Veräußerungsgewinn um einen Freibetrag in Höhe von 30 000 DM zu kürzen. Die Regelung gilt gemäß § 16 Abs.3 EStG auch für Gewinne aus der Aufgabe eines Gewerbebetriebs. Die Betriebsaufgabe gilt kraft gesetzlicher Fiktion als Veräußerung i.S. des § 16 Abs.1 EStG.

2. § 16 Abs.4 EStG enthält eine sachliche Steuerbefreiung der Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinne (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 16.Dezember 1975 VIII R 147/71, BFHE 117, 557, BStBl II 1976, 360). Der Zweck der Vorschrift besteht darin, bei geringen Veräußerungsgewinnen auftretende Härten durch Gewährung völliger Steuerbefreiung zu beseitigen (vgl. BFH in BFHE 117, 557, BStBl II 1976, 360; Strutz, Einkommensteuergesetz 1925, Kommentar, § 32 Anm.1 bis 3; Herrmann/ Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 16 EStG Anm.452; ebenso BTDrucks IV/3189 S.6).

3. Der im Streitfall erzielte Liquidationsgewinn ist einem Aufgabegewinn i.S. des § 16 Abs.3 EStG gleichzusetzen.

aa) Sowohl bei der Liquidation als auch bei der Betriebsaufgabe werden die stillen Reserven des Betriebsvermögens teils durch Veräußerung teils durch Überführung in das Privatvermögen realisiert (vgl. § 16 Abs.3 Sätze 2 und 3 EStG, § 11 Abs.2 KStG 1977; ebenso Felix/Streck, KStG, Körperschaftsteuergesetz 1977, 2.Aufl., § 8 Tz.18; Greif/Schuhmann, a.a.O., § 8 Tz.41).

bb) Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen eine allmähliche Abwicklung einer Kapitalgesellschaft nicht mehr als "Betriebsaufgabe" i.S. des § 16 Abs.3 EStG anzusehen ist. Einkommensteuerrechtlich erfordert der Tatbestand der Betriebsaufgabe, daß alle wesentlichen Betriebsunterlagen "in einem einheitlichen Vorgang" veräußert oder entnommen werden (BFH-Urteile vom 8.September 1976 I R 99/75, BFHE 120, 187, 190, BStBl II 1977, 66; vom 29.Oktober 1981 IV R 138/78, BFHE 134, 339, BStBl II 1982, 381; vom 21.November 1989 VIII R 19/85, Steuerrechtsprechung in Karteiform ―StRK―, Einkommensteuergesetz ab 1975, § 16 Abs.3, Rechtsspruch 27). Im Streitfall wurde nach den Feststellungen des FG das gesamte Anlagevermögen in der ersten Jahreshälfte 1987 kurz vor der Eintragung des Liquidationsbeschlusses im Handelsregister verkauft. Die Veräußerung erfolgte somit in einem wirtschaftlich einheitlichen Vorgang.

4. Die Anwendbarkeit des § 16 Abs.4 EStG auf Liquidationsgewinne einer Kapitalgesellschaft wird nicht durch § 11 KStG 1977 ausgeschlossen (gleicher Ansicht: Felix/Streck, a.a.O., § 8 Anm.18; Schuhmann in Greif/Schuhmann, a.a.o., § 8 Rz.41,§ 11 Rz.51; Zenthöfer in Kläschen, a.a.O., § 8 Rz.25; anderer Ansicht: Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 8 KStG, Grüne Blätter, Erläuterungen zu Abs.1, Abschn.I Nr.4; Gail/Goutier/Grützner, a.a.O., § 8 Rz.9). Das FA hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, daß § 11 KStG 1977 Sondervorschriften für die Besteuerung der Gewinne aus der Liquidation unbeschränkt steuerpflichtiger Kapitalgesellschaften, unbeschränkt steuerpflichtiger Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und unbeschränkt steuerpflichtiger Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit enthalte. Die Vorschriften enthalten jedoch keine dem § 16 Abs.4 EStG vorgehenden Spezialregelungen. Vielmehr ist § 11 KStG 1977 auf bestimmte Bereiche der Liquidationsbesteuerung beschränkt, die sich nicht mit § 16 Abs.4 EStG berühren.

a) § 11 Abs.1 KStG 1977 bestimmt, daß abweichend von den §§ 49 KStG 1977, 25 EStG nicht das Kalenderjahr Veranlagungs- und Gewinnermittlungszeitraum ist, sondern der Liquidationszeitraum. Damit ist nichts über die bei der Gewinnermittlung anzuwendenden Vorschriften ausgesagt, sondern lediglich über den für die Gewinnermittlung maßgebenden Zeitraum.

b) § 11 Abs.2 KStG 1977 enthält zwar eine Grundregel über die Ermittlung des Liquidationsgewinns. Diese Vorschrift ist für die Besteuerung von Liquidationsgewinnen Spezialnorm gegenüber der allgemein geltenden Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich gemäß § 4 Abs.1 EStG. § 11 Abs.2 KStG 1977 unterscheidet sich jedoch vom Vermögensvergleich gemäß § 4 Abs.1 EStG nur dadurch, daß an die Stelle des Betriebsvermögens am Schluß des vorangegangenen und des Betriebsvermögens am Ende des laufenden Wirtschaftsjahres das Abwicklungs-Anfangsvermögen und das Abwicklungs-Endvermögen tritt. Das ist ein Unterschied, der einerseits lediglich terminologisch und zum anderen durch den veränderten Besteuerungszeitraum bedingt ist.

Entscheidend ist, daß auf die Gewinnermittlung im übrigen die sonstigen, in erster Linie einkommensteuerrechtlichen Vorschriften anzuwenden sind (§ 11 Abs.6 KStG 1977).

B. Der Freibetrag gemäß § 16 Abs.4 EStG ist auch bei der Ermittlung des Gewerbeertrags gemäß § 7 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) zu berücksichtigen.

1. Der bei Aufgabe des Betriebs der Klägerin im Jahre 1987 entstandene Aufgabegewinn ist Bestandteil ihres Gewerbeertrags 1987. Gewinne aus der Veräußerung oder Aufgabe des ganzen Betriebes oder eines Teilbetriebes gehören bei Kapitalgesellschaften zum Gewerbeertrag (Urteile des Reichsfinanzhofs ―RFH― vom 5.März 1940 I 40/40, RFHE 48, 170, RStBl 1940, 476; vom 13.Januar 1942 I 261/41, RStBl 1942, 274; BFH-Urteil vom 18.November 1970 I R 116/69, BFHE 101, 112, BStBl II 1971, 182; ebenso Abschn.41 Abs.1 der Gewerbesteuer-Richtlinien ―GewStR― 1984).

2. Auf den Aufgabegewinn ist § 16 Abs.4 EStG anzuwenden.

a) Gemäß § 7 GewStG ist Gewerbeertrag der nach den Vorschriften des EStG und des KStG zu ermittelnde Gewinn aus Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge. Der der Gewerbesteuer zugrunde zu legende Gewerbeertrag entspricht somit, abgesehen von den gewerbesteuerlichen Zu- und Abrechnungen, grundsätzlich dem Gewinn aus Gewerbebetrieb, der der Bemessung der Einkommensteuer zugrunde zu legen ist (vgl. BFH-Urteil vom 12.Januar 1978 IV R 84/74, BFHE 124, 204, 207, BStBl II 1978, 267 m.w.N.). Davon ist nur insoweit abzuweichen, als sich unmittelbar aus dem GewStG etwas anderes ergibt oder soweit die Vorschriften des Einkommensteuerrechts mit dem besonderen Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer nicht in Einklang stehen (vgl. insoweit BFH-Urteile vom 11.Dezember 1956 I 194/56 U, BFHE 64, 275, BStBl III 1957, 105; vom 19.Dezember 1957 IV 666/55 U, BFHE 66, 548, BStBl III 1958, 210; vom 29.November 1960 I 73/59 U, BFHE 72, 135, BStBl III 1961, 51, und in BFHE 124, 204, 207, BStBl II 1978, 267).

Zu den danach maßgebenden Einkünften i.S. des § 2 Abs.1 Nr.2 EStG gehören nicht Einnahmen, die entweder unter keine Einkunftsart fallen oder aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschriften als steuerfrei behandelt werden (vgl. BFH-Urteil vom 14.Januar 1972 VI R 30/69, BFHE 104, 345, 348, BStBl II 1972, 341; BFH in BFHE 124, 204, BStBl II 1978, 267). Anwendbar sind damit aus dem Bereich der einkommen- und körperschaftsteuerrechtlichen Vorschriften auch die einkommensteuerrechtlichen Befreiungsvorschriften. Gehören Einnahmen nicht zur Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, so zählen sie auch nicht zum Gewerbeertrag des § 7 GewStG (vgl. BFH in BFHE 124, 204, BStBl II 1978, 267). Aus diesem Grunde unterliegen beispielsweise Entschädigungen gemäß § 3 Nr.8 EStG (vgl. BFH in BFHE 124, 204, BStBl II 1978, 267) oder ein nach § 3 Nr.66 EStG steuerfreier Sanierungsgewinn nicht der Gewerbesteuer (vgl. auch Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 1.Aufl., § 7 Rz.2).

b) § 16 Abs.4 EStG ist eine sachliche Steuerbefreiungsvorschrift. Der BFH hat im Urteil in BFHE 117, 557, 560, BStBl II 1976, 360 in teilweiser Abkehr von früherer Rechtsprechung entschieden, daß § 16 Abs.4 EStG keine tarifliche Regelung enthält, sondern eine sachliche Steuerbefreiung. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest (vgl. oben Abschn.II A Nr.2). Es besteht weder im GewStG selbst noch aus dem Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer ein Anlaß, die Vorschrift bei der Ermittlung des Gewerbeertrags nicht anzuwenden.

aa) Zwar haben RFH und BFH in früheren Entscheidungen die Auffassung vertreten, daß § 16 EStG bei der Gewerbebesteuerung generell nicht anwendbar sei (RFH-Urteil vom 21.Mai 1940 I 132/40, RStBl 1940, 667; Mrozek-Kartei, Gewerbesteuergesetz 1936, § 7, Rechtsspruch 30; BFH-Urteil vom 2.Februar 1972 I R 217/69, BFHE 105, 35, BStBl II 1972, 470).

Die Entscheidung des RFH beruhte jedoch auf der Auffassung, daß für Kapitalgesellschaften § 16 EStG durch § 15 KStG 1934 ersetzt sei. An dieser Auffassung hält der erkennende Senat nach den Ausführungen oben unter Abschn.II B nicht fest. Damit entfällt die Grundlage der Entscheidung des RFH.

Der BFH hat in der Entscheidung in BFHE 105, 35, 37, BStBl II 1972, 470 über den von einer Personengesellschaft erzielten Veräußerungsgewinn entschieden. Er hat die Anwendbarkeit des § 16 EStG verneint, da "der Zweck des § 16 EStG ausschließlich der einkommensteuerlichen Abgrenzung des (tarifbegünstigten) Veräußerungsgewinns gegenüber dem laufenden Gewinn" diene. Auf ganz anderen Erwägungen beruhe es dagegen, daß Gewinne aus der Veräußerung von Betrieben vom Gewerbeertrag ausgenommen seien. Beide Gründe greifen im Streitfall nicht. Der BFH ist in der Entscheidung in BFHE 117, 557, BStBl II 1976, 360 von der Auffassung abgerückt, daß es sich bei § 16 EStG um eine reine Tarifvorschrift handele. Er hat vielmehr den § 16 Abs.4 EStG als eine sachliche Befreiungsvorschrift qualifiziert. Die Nichtanwendbarkeit wegen der bereits aus anderen Gründen bestehenden Steuerfreiheit des Aufgabegewinns entfällt im Streitfall, da der Aufgabegewinn der Klägerin als Kapitalgesellschaft der Gewerbesteuer unterliegt. Entsprechend dieser Auffassung hat auch die Steuerverwaltung die Anwendbarkeit des § 16 Abs.1 Nr.1 erster Halbsatz, Nr.2 und 3 und Abs.3 EStG für die Gewerbesteuer nur für Veräußerungsgewinne natürlicher Personen oder von Personengesellschaften verneint (vgl. GewStR 1990, Abschn.40 Abs.1 Nr.1). Für Veräußerungsgewinne buchführungspflichtiger Körperschaften gilt diese Verwaltungsanweisung nicht (GewStR 1990, Abschn.41 Abs.1).

bb) Zweifel ergeben sich auch nicht aus dem Wortlaut des § 16 Abs.4 EStG. Zwar ist danach die Steuerbefreiung für die "Einkommensteuer" normiert. Hieraus ist jedoch nicht abzuleiten, daß die Vorschrift bei Steuerarten nicht anzuwenden ist, die die einkommensteuerlichen Ermittlungsvorschriften für anwendbar erklären (§ 8 Abs.1 KStG 1977, § 7 GewStG). Nach ―soweit ersichtlich― unbestrittener Auffassung sind die ebenso formulierten Steuerbefreiungen der §§ 14, 14a Abs.1 bis 3, 17 Abs.3 und 18 Abs.3 EStG auch im Bereich der Körperschaftsteuer anzuwenden (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 8 KStG, Erläuterungen zu Abs.1 Abschn.I Nr.4; Felix/Streck, a.a.O., § 8 Anm.16 bis 18; Kläschen, a.a.O., § 8 Rz.20; Abschn.26 Abs.3 der Körperschaftsteuer-Richtlinien ―KStR―). Für die zumindest inhaltlich mit § 8 KStG 1977 übereinstimmende Verweisung in § 7 GewStG gilt nichts anderes.

cc) Auch aus dem Charakter der Gewerbesteuer als Objektsteuer ergeben sich keine Gründe gegen die Anwendbarkeit des § 16 Abs.4 EStG. Die der Befreiungsvorschrift zugrunde liegende gesetzgeberische Absicht, Gewinne aus der Veräußerung kleinerer Betriebe zu entlasten und bei geringeren Veräußerungsgewinnen auftretende Härten zu beseitigen (vgl. Blümich/Stuhrmann, Einkommensteuergesetz/Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 16 EStG Rz.290) greift auch für die Belastung des Aufgabegewinns durch die Gewerbesteuer.

C. Die Sache ist entscheidungsreif. Der von der Klägerin erzielte Veräußerungsgewinn überstieg nicht den Betrag von 100 000 DM, so daß eine Kürzung des Freibetrages nicht in Betracht kommt (§ 16 Abs.4 Satz 3 EStG). Zieht man den Freibetrag von 30 000 DM von dem vom FG angenommenen körperschaftsteuerpflichtigen abgerundeten Einkommen von 17 550 DM und von dem im Urteil angenommenen Gewerbeertrag von ebenfalls 17 550 DM ab, so verbleibt kein steuerpflichtiges Einkommen und kein steuerpflichtiger Gewerbeertrag. Sowohl die Körperschaftsteuer als auch der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag sind auf 0 DM festzusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63541

BFH/NV 1992, 2

BStBl II 1992, 437

BFHE 165, 191

BFHE 1992, 191

BB 1991, 2358

BB 1992, 548

BB 1992, 548 (L)

DB 1991, 2519-2520 (LT)

DStR 1991, 1587 (KT)

HFR 1992, 128 (LT)

StE 1991, 399 (K)

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