Entscheidungsstichwort (Thema)

Einseitige Erledigungserklärung wegen des ursprünglichen ESt-Bescheides nach Bestandskraft des ebenfalls angefochtenen ESt-Änderungsbescheides

 

Leitsatz (NV)

1. Erklärt das Finanzamt nach Eintritt der Bestandskraft des Einkommensteueränderungsbescheides das Verfahren über den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für erledigt, wird die Revision des Finanzamtes nicht unzulässig. Die Erledigungserklärung stellt eine von der Zustimmung des Klägers unabhängige Form der Antragsänderung dar.

2. Mangels Erledigungserklärung des Klägers kann das Revisionsgericht jedoch nicht durch Beschluß nur noch über die Kosten entscheiden. Vielmehr ist die Vorentscheidung des Finanzgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Vorentscheidung ist durch den Wegfall des Rechtsschutzinteresses als Sachentscheidungsvoraussetzung für die Weiterverfolgung des ursprünglichen Sachantrages unrichtig geworden.

 

Normenkette

FGO §§ 68, 74, 138 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hatte im Rahmen des Lohnsteuer-Jahresausgleichs für 1985 Umzugskosten und bereits im Jahr 1980 gezahlte Unfallaufwendungen als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit geltend gemacht, deren Berücksichtigung der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) ablehnte. Im Klageverfahren machte der Kläger zusätzlich Rechtsanwaltskosten in Höhe von ... DM und Fahrtkosten, einschließlich Verpflegungsmehraufwendungen, in Höhe von ... DM geltend. Das Finanzgericht (FG) änderte mit Urteil vom 22. Februar 1989 den an den Kläger gerichteten Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid 1985 vom 21. August 1986 i. d. F. der Einspruchsentscheidung vom 30. September 1987 ab und setzte den Erstattungsbetrag auf ... DM fest.

Nach Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung durch das FG legte das FA gegen das Urteil des FG Revision ein. Unter dem 18. Mai 1989 erließ das FA für das Streitjahr 1985 einen Einkommensteuerbescheid, in welchem es die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit wie im Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid für 1985 ansetzte, jedoch darüber hinaus noch Einkünfte aus Kapitalvermögen berücksichtigte. Diesen Bescheid machte der Kläger nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Revisionsverfahrens. Auf Anregung des Bundesfinanzhofs (BFH) erließ das FA am 14. Juni 1991 für 1985 einen geänderten Einkommensteuerbescheid, durch den die Veranlagung hinsichtlich des Grundfreibetrages für vorläufig erklärt wurde. Hiergegen legte der Kläger erfolglos Einspruch ein. Der erkennende Senat setzte daraufhin das Revisionsverfahren mit Beschluß vom 16. September 1991 VIII R 92/89 aus.

Die erneute Klage wies das FG mit Urteil vom 25. März 1993 1 K 316/91 (Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1993, 648) in demselben Umfang wie im Verfahren gegen den Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid als unbegründet zurück. Auf die Revision des FA hob der erkennende Senat mit Urteil vom 13. Dezember 1994 VIII R 34/93 (BFHE 176, 564, BStBl II 1995, 457) die Entscheidung des FG auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Mit Urteil vom 25. Oktober 1995 wies das FG die Klage im zweiten Rechtsgang in vollem Umfang zurück. Die gegen dieses Urteil vom Kläger persönlich eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision verwarf der Senat mit Beschluß vom 15. Dezember 1995.

Nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens über den Einkommensteuer-Änderungsbescheid für 1985 vom 14. Juni 1991 erklärte das FA den Rechtsstreit betreffend den Einkommensteuerbescheid 1985 vom 18. Mai 1989 in der Hauptsache für erledigt und beantragte, dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Auf Anfrage der Geschäftsstelle des erkennenden Senats vom 24. Januar 1996 teilte der Kläger mit Schreiben vom 4. Februar 1996 mit, er halte an seinen zur Sache gemachten Ausführungen sowie Anträgen fest.

 

Entscheidungsgründe

Auf die zulässige Revision des FA war das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

1. Der Senat hat das vorliegende Revisionsverfahren nach der Begründung seines Aussetzungsbeschlusses vom 16. September 1991 erkennbar nur bis zum endgültigen Abschluß des vom Kläger gegen den Einkommensteuer-Änderungsbescheid für 1985 vom 14. Juni 1991 eingeleiteten Rechtsbehelfsverfahrens ausgesetzt. Nach dessen rechtskräftigem Abschluß endete die Aussetzung und das Verfahren war ohne weitere Aufhebung dieses Beschlusses vom Gericht aufzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 27. September 1990 I R 143/87, BFHE 162, 208, BStBl II 1991, 101, 102, m. w. N.; ferner BFH-Beschluß vom 11. Februar 1994 III B 127/93, BFHE 173, 14, BStBl II 1994, 656).

2. Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, weil der Einkommensteuerbescheid für 1985 vom 18. Mai 1989, der den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet, gegenstandslos geworden ist.

Mit Eintritt der Bestandskraft des Einkommensteuer-Änderungsbescheids für 1985 vom 14. Juni 1991 war eigentlich auch das Rechtsschutzbedürfnis für die vom FA mit dem Ziel der Abweisung der Klage in der Sache eingelegte Revision entfallen. Durch die Erledigungserklärung des FA wurde dessen Revision jedoch nicht unzulässig. Die Erledigungserklärung stellt eine von der Zustimmung des Klägers unabhängige Form der Antragsänderung dar (vgl. BFH- Urteil vom 17. Oktober 1990 I R 36/88, BFH/NV 1991, 835).

3. Mangels Erledigungserklärung des Klägers kann das Revisionsgericht jedoch nicht durch Beschluß nach § 138 Abs. 1 FGO nur noch über die Kosten entscheiden. Bei einseitiger Erledigungserklärung des FA als Revisionskläger und Aufrechterhaltung des Sachantrages seitens des Klägers ist die Vorentscheidung des FG durch Urteil aufzuheben und auf Abweisung der Klage mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 1 FGO zu erkennen (vgl. BFH-Beschluß vom 5. März 1979 GrS 3/78, BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378, 380; BFH-Urteile vom 29. Mai 1990 VII R 67/87, BFH/NV 1991, 175; in BFH/NV 1991, 835, 836, m. w. N.; vom 30. August 1994 IX R 19/92, BFH/NV 1995, 596). Die einseitige Erledigungserklärung des FA, welches gegen die -- teilweise -- zu seinem Nachteil ergangene Vorentscheidung Revision eingelegt hat, ändert nichts daran, daß der in der Vorinstanz gestellte Sachantrag des Klägers Gegenstand des Revisionsverfahrens unter Nachprüfung durch den BFH bleibt. Die Erledigungserklärung des FA enthält auch in der Revisionsinstanz lediglich eine Anregung zur Prüfung, ob noch ein Rechtsschutzinteresse für das aufrechterhaltene Klagebegehren besteht.

Ein derartiges Rechtsschutzinteresse ist indessen im Streitfall nicht mehr gegeben. Das FA hat an seiner Rechtsauffassung in dem für denselben Veranlagungszeitraum 1985 ergangenen und bestandskräftig gewordenen Einkommensteuer-Änderungsbescheid vom 14. Juni 1991 uneingeschränkt festgehalten. Für den auf Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 18. Mai 1989 und der Einspruchsentscheidung vom 30. September 1987 gerichteten Klageantrag bestand danach kein Rechtsschutzinteresse mehr (BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378, 380; ferner BFH-Beschluß vom 5. März 1979 GrS 4/78, BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375, 377). Wird während des Klage- bzw. Revisionsverfahrens eine Steuerfestsetzung für vorläufig erklärt, so handelt es sich um einen Änderungsbescheid, der nach ständiger Rechtsprechung den ursprünglichen Bescheid in seinen Regelungsgehalt mit aufnimmt. Solange der Änderungsbescheid Bestand hat, entfaltet der ursprüngliche Bescheid keine Wirkung. Er ist in dem Umfang, in dem er in den Änderungsbescheid aufgenommen worden ist, suspendiert und bleibt dies für die Dauer der Wirksamkeit des Änderungsbescheides (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 1994 III R 201/94, BFH/NV 1995, 982, 983, m. w. N. zur ständigen Rechtsprechung).

4. Die unrichtig gewordene Vorentscheidung war aufzuheben. Eine Unrichtigkeit kann noch während des Revisionsverfahrens durch Tatsachen eintreten, die den Fortgang des Verfahrens betreffen (BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378, 380). Eine solche Tatsache stellt die vom Revisionsgericht in jeder Lage des Verfahrens zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung des bestehenden Rechtsschutzinteresses dar (vgl. dazu BFH-Urteile vom 18. Dezember 1990 VIII R 134/86, BFHE 163, 438, BStBl II 1991, 882, 884; vom 22. November 1988 VIII R 90/84, BFHE 155, 250, BStBl II 1989, 326, 327). Fällt das Rechtsschutzinteresse während des Revisionsverfahrens weg, entfällt diese Sachentscheidungsvoraussetzung auch für die Klage.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421352

BFH/NV 1996, 776

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge