Leitsatz (amtlich)

1. Die doppelte Berücksichtigung eines Freibetrages nach § 16 Abs.4 EStG ist in der Regel eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977.

2. Für die Beurteilung des Ablaufs der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs.2 AO 1977 bleibt der Bescheid, bei dessen Erlaß die offenbare Unrichtigkeit unterlaufen ist, auch dann alleiniger Anknüpfungspunkt für die Bemessung der Jahresfrist, wenn sich das Versehen in mehreren nachfolgenden Änderungsbescheiden (durch Übernahme) wiederholt hat.

3. Die Regelungen des § 171 Abs.2, Abs.3 und Abs.10 AO 1977 greifen dann nicht ein, wenn die darin vorgesehenen Mindestfristen ohnedies gewahrt sind.

4. Offenbare Unrichtigkeiten i.S. des § 129 AO 1977 sind auch dann keine Rechtsfehler i.S. des § 177 AO 1977, wenn sie unrichtige Steuerfestsetzungen zur Folge haben.

 

Orientierungssatz

1. Berichtigungen nach § 129 AO 1977 berühren, anders als die Änderungen gemäß § 172 ff. AO 1977, nicht den Regelungsbereich eines Verwaltungsakts, sondern nur sein äußeres Erscheinungsbild (vgl. Literatur; zur Parallelvorschrift des § 107 FGO auch BFH-Beschluß vom 14.10.1976 I B 16/76).

2. Wird zugleich mit einer Änderung oder Aufhebung nach § 177 AO 1977 eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 vorgenommen, so ist dies aus Gründen der Verfahrensvereinfachung als äußere Zusammenfassung zweier verschiedenartiger, gedanklicher Vorgänge solange unbeachtlich, als die --getrennt zu prüfenden-- unterschiedlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung oder Änderung einerseits und eine Berichtigung andererseits erfüllt sind.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 129, 172, 169 Abs. 1 Sätze 1-2, § 171 Abs. 2-3, 10, § 177 Abs. 2; EStG § 16 Abs. 4; AO 1977 §§ 172 ff.

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) machten in ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für 1977 u.a. Einkünfte des Klägers aus sieben verschiedenen Beteiligungen geltend. Hierzu zählte auch ein laufender Gewinn aus der Firma "A-GmbH & Co. KG" (im folgenden: "A-KG") in Höhe von 1 317 DM und ein dieselbe Beteiligung (im folgenden "Beteiligung Nr.1") betreffender Veräußerungsgewinn in Höhe von 23 295 DM. Von dem Veräußerungsgewinn zog der Kläger in einer Anlage zur Steuererklärung mit dem Hinweis "Anteil 25 % steuerfrei" 7 500 DM ab, so daß ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinnanteil von 15 795 DM verblieb.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--), bei dem diese Einkommensteuererklärung am 30.Januar 1979 eingegangen war, legte der Zusammenveranlagung der Kläger zur Einkommensteuer für 1977 in dem Bescheid vom 27.Juni 1980 einen "Veräußerungsgewinn A-KG" in Höhe von 15 795 DM zugrunde, den er --offenbar nach erneutem Abzug eines Freibetrags gemäß § 16 Abs.4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von 7 500 DM-- in Höhe von 8 295 DM gemäß § 34 Abs.2 EStG der Einkommensteuer unterwarf. Hierbei blieb es zunächst auch, als in der Folgezeit der Einkommensteuerbescheid wiederholt geändert wurde: im Bescheid vom 4.November 1980 nach einem Einspruch der Kläger, der die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (VuV) betraf, ebenso wie in den auf § 175 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheiden vom 30.Juni und 31.August 1983, die sich jeweils auf laufende Verluste aus anderen Beteiligungen (Nrn.2 bis 7) bezogen.

Als das FA schließlich wiederum --wegen entsprechender Mitteilungen zu anderen Beteiligungen-- Folgeänderungen für 1977 vornehmen mußte, setzte es in dem abermals auf § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977 gestützten Änderungsbescheid vom 8.Januar 1985 den (von den zugrunde liegenden Feststellungsbescheiden nicht betroffenen) Veräußerungsgewinn "A-KG" (Beteiligung Nr.1) nunmehr mit einem Betrag von 15 745 DM an.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) vertrat die Ansicht, das FA habe die Besteuerung des Veräußerungsgewinns richtigstellen dürfen. Die Befugnis hierzu folge sowohl aus § 177 AO 1977 als auch aus § 129 AO 1977, so daß das Verhältnis dieser beiden Vorschriften zueinander offengelassen werden könne. Die Festsetzungsverjährung für die Berichtigung nach § 129 AO 1977 stehe der Korrektur des Veräußerungsgewinns nicht entgegen. Die Festsetzungsfrist wäre zwar "normalerweise" am 31.Dezember 1983 abgelaufen, habe sich aber gemäß § 171 Abs.2 AO 1977 zunächst bis zum 31.Dezember 1984 und dann nochmals gemäß § 171 Abs.3 AO 1977 wegen des Einspruchs der Kläger gegen den Bescheid vom 27.Juni 1980 um die Zeit zwischen Bekanntgabe des ersten Steuerbescheids für das Streitjahr bis zur Unanfechtbarkeit des Änderungsbescheides vom 4.November 1980 verlängert, so daß am 8.Januar 1985 die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten gewesen sei.

Mit der (vom Bundesfinanzhof --BFH-- wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen) Revision rügen die Kläger Verletzung der §§ 169, 171 Abs.2 und Abs.3 sowie des § 177 Abs.2 AO 1977. Sie sind der Meinung, im Hinblick auf die in der zweimaligen Berücksichtigung des Freibetrages nach § 16 Abs.4 EStG liegende offenbare Unrichtigkeit und die Bekanntgabe des zuletzt geänderten Bescheids vom 31.August 1983 am 3.September 1983 sei die Festsetzungsfrist am 3.September 1984 abgelaufen. Zu einer Ablaufhemmung sei es nicht gekommen: nach § 171 Abs.3 AO 1977 schon deshalb nicht, weil über den Einspruch seinerzeit noch innerhalb der Festsetzungsverjährung entschieden worden sei, nach § 171 Abs.2 AO 1977 ebenfalls nicht, weil die Unrichtigkeit nicht die am 8.Januar 1985 noch möglichen Folgeänderungen betroffen habe. Nur hinsichtlich der Änderung von drei Grundlagenbescheiden sei die Verjährung zu diesem Zeitpunkt gemäß § 171 Abs.10 AO 1977 noch gehemmt gewesen, nicht aber hinsichtlich der Beteiligung des Klägers an der "A-KG", zu welcher der Grundlagenbescheid am 17.Januar 1979 ergangen sei.

Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung des FA vom 28.November 1985 aufzuheben und die Einkommensteuerschuld der Kläger in Abänderung des Bescheids vom 8.Januar 1985 auf 6 324 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie der Einspruchsentscheidung vom 28.November 1985 und zur Abänderung des Bescheids vom 8.Januar 1985 entsprechend dem Klagebegehren.

Das FA war zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids, am 8.Januar 1985, nicht mehr befugt, die fehlerhafte Erfassung des Veräußerungsgewinns bei der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer 1977 zu korrigieren.

1. Eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 ist wegen Ablaufs der Festsetzungsverjährungsfrist ausgeschlossen.

Gemäß § 169 Abs.1 Satz 1 AO 1977 sind eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Das gilt auch für die Berichtigung einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 AO 1977 (§ 169 Abs.1 Satz 2 AO 1977).

Die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs.2 Satz 1 Nr.2 AO 1977) begann im Streitfall gemäß § 170 Abs.2 Satz 1 Nr.1 AO 1977 mit Ablauf des Jahres 1979 (in dem die Steuererklärung eingereicht wurde) und endete mit dem 31.Dezember 1983.

a) Der Ablauf der Festsetzungsfrist wurde nicht nach § 171 Abs.2 AO 1977 gehemmt.

Nach dieser Vorschrift endet, wenn bei Erlaß eines Steuerbescheids eine offenbare Unrichtigkeit unterlaufen ist, die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe dieses Steuerbescheids.

Zwar ist die doppelte Berücksichtigung des Freibetrags nach § 16 Abs.4 EStG als offenbare Unrichtigkeit anzusehen, weil es sich um ein mechanisches Versehen handelt; nach Aktenlage kann jede Möglichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder unvollständiger Sachaufklärung bzw. fehlerhafter Tatsachenwürdigung ausgeschlossen werden (vgl. zu § 129 AO 1977 bzw. zu der entsprechenden Regelung des § 107 der Finanzgerichtsordnung --FGO--: u.a. BFH-Urteile vom 29.März 1985 VI R 140/81, BFHE 144, 118, 120, BStBl II 1985, 569; vom 18.August 1988 V R 194/83, BFHE 154, 274, BStBl II 1988, 932, und vom 27.März 1987 VI R 63/84, BFH/NV 1987, 480). Die Regelung des § 171 Abs.2 AO 1977 greift gleichwohl nicht ein: Die darin vorgesehene Rechtsfolge ist an die Bekanntgabe des Bescheides geknüpft, bei dessen Erlaß es zu der offenbaren Unrichtigkeit gekommen ist. In Fällen, in denen --wie hier-- ein Fehler nacheinander in mehreren Änderungsbescheiden (durch Übernahme) bloß wiederholt wird (wodurch sich der Charakter eines solchen Fehlers nicht ändert: BFH-Urteile in BFHE 144, 118, BStBl II 1985, 569, 571, und vom 10.September 1987 V R 69/84, BFHE 150, 509, BStBl II 1987, 834, 836), kommt es nur auf den ursprünglichen Bescheid an, der das Versehen erstmals enthielt. Das ergibt sich nicht nur aus dem Wortsinn, sondern entspricht auch dem Zweck der Vorschrift, den Fristablauf nur begrenzt hinauszuschieben. Sachlich soll diese Wirkung nur erreicht werden, soweit sich die Unrichtigkeit auswirkt, und zeitlich höchstens bis zu einem Jahr nach Bekanntgabe des ("dieses") Bescheides, der die Unrichtigkeit offenbar gemacht hat.

Entstanden ist der Fehler hier bei Erlaß des ersten Einkommensteuerbescheides vom 27.Juni 1980. Dieser Bescheid wurde am 30.Juni 1980 bekanntgegeben (§ 122 Abs.2 AO 1977 in der bis zum 31.Dezember 1986 geltenden Fassung), so daß die Festsetzungsfrist wegen des Hinderungsgrundes des § 171 Abs.2 AO 1977 nicht vor dem 30.Juni 1981 (einem Dienstag) hätte enden dürfen (vgl. zur Fristberechnung in solchen Fällen auch Bundesminister der Finanzen --BMF-- in BStBl I 1976, 576, 610, Nr.1 zu § 171). Da diese Frist aber ohnedies bis zum 31.Dezember 1983 bemessen war (siehe oben), konnte die fehlerhafte Behandlung des Freibetrags den Fristenlauf im Ergebnis nicht beeinflussen.

b) Nach § 171 Abs.3 AO 1977 ist die Festsetzungsfrist ebenfalls nicht hinausgeschoben worden. Danach läuft, wenn ein vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassener Steuerbescheid angefochten wird, die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist.

Das wegen der Einkünfte aus VuV schwebende Rechtsbehelfsverfahren ist durch den am 4.November 1980 zur Post gegebenen Änderungsbescheid abgeschlossen worden. Dieser Bescheid galt nach § 122 Abs.2 AO 1977 am 7.November 1980 als bekanntgegeben und ist (weil der 7.Dezember 1980 ein Sonntag war) am 8.Dezember 1980 unanfechtbar geworden (§§ 355, 108 Abs.1 und Abs.3 AO 1977).

Weil dieser Zeitpunkt vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist lag und auch dieser Hemmungstatbestand nur "hilfsweise" für den Fall Rechtswirkung erzielen soll, daß die Rechtsschutzverwirklichung sonst allein am Fristablauf scheitern würde, konnte auch die Anfechtung des Erstbescheides den regelmäßigen Ablauf der Festsetzungsfrist zum 31.Dezember 1983 nicht hinausschieben (vgl. dazu auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 171 AO 1977 Tz.9).

c) Auch § 171 Abs.10 AO 1977 hat den Fristenlauf hier nicht entscheidend beeinflußt. Nach dieser Vorschrift endet die Festsetzungsfrist, soweit ein für die Steuerfestsetzung bindender Grundlagenbescheid ergeht, nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe dieses Bescheids.

Die drei Feststellungsbescheide, die der letzten, hier streitigen Folgeänderung zugrunde liegen, haben sich nur insoweit auf die Festsetzungsfrist des Einkommensteuerbescheids 1977 ausgewirkt, als ihre Bindungswirkung reicht. Das entspricht dem systematischen Zusammenhang des § 171 Abs.10 AO 1977 mit § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977 und § 182 Abs.1 AO 1977 sowie dem begrenzten Zweck der Verjährungsvorschrift, dem für den Erlaß des Folgebescheids zuständigen FA Zeit für die Auswertung des Grundlagenbescheids zu verschaffen (vgl. BFH-Entscheidung vom 12.August 1987 II R 202/84, BFHE 150, 319, BStBl II 1988, 318).

Auch wenn man diesen Tatbestand der Ablaufhemmung nur auf einen bestimmten Betrag bezieht (so BFH, a.a.O.), sind die durch die letzten Grundlagenbescheide ausgelösten Folgeänderungen --betragsmäßige Erhöhung der laufenden Verluste-- rechtlich nicht geeignet, den Verjährungsablauf außerhalb dieses Regelungsbereiches zu beeinflussen und einen Rechtfertigungsgrund für weitere Änderungen zu bieten.

2. Auf § 177 Abs.2 AO 1977 kann die Korrektur des Veräußerungsgewinns ebenfalls nicht gestützt werden.

Danach sind, wenn die Voraussetzungen für die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides zugunsten des Steuerpflichtigen vorliegen, soweit die Änderung reicht, zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen solche Rechtsfehler zu berichtigen, die nicht Anlaß der Aufhebung oder Änderung sind. Diese Voraussetzungen sind hier deshalb nicht erfüllt, weil die doppelte Berücksichtigung des Freibetrages, die das FA anläßlich der Folgeänderung im angefochtenen Bescheid rückgängig gemacht hat, nicht als Rechtsfehler i.S. des § 177 AO 1977, sondern (wie zuvor dargelegt) als offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977 anzusehen ist.

a) Daß § 129 AO 1977 die Rechtsfolgen des § 177 Abs.2 AO 1977 nicht auslöst, folgt aus dem Wortsinn, dem systematischen Zusammenhang und dem Zweck der Regelung: Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 129 AO 1977 betreffen nicht "die Aufhebung und Änderung eines Steuerbescheids". Abgesehen davon, daß diese Korrekturvorschrift --im Gegensatz zu § 177 AO 1977-- nicht nur für Steuerbescheide, sondern für alle Steuerverwaltungsakte gilt, ist sie eine Berichtigungs-, keine Aufhebungs- oder Änderungsvorschrift. Darin liegt nicht nur ein sprachlicher, sondern auch ein systematisch begründeter sachlicher Unterschied: Während die §§ 172 ff. AO 1977 die Bestandskraft von Steuerbescheiden und deren Durchbrechung zum Gegenstand haben und zwingende Anordnungen hierzu treffen, läßt § 129 AO 1977 die Bestandskraft des Steuerverwaltungsakts unberücksichtigt und stellt die Korrektur in das Ermessen der Finanzbehörde.

b) Offenbare Unrichtigkeiten, welche die Finanzbehörde zur Berichtigung gemäß § 129 AO 1977 ermächtigen, sind begrifflich keine Rechtsfehler, die gemäß § 177 AO 1977 im Rahmen einer Änderung oder Aufhebung zu berücksichtigen sind. § 129 AO 1977 betrifft nur mechanische Versehen; die Anwendung dieser Korrekturvorschrift ist schon bei der bloßen Möglichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers, von Mängeln in der Sachaufklärung oder bei der Tatsachenwürdigung ausgeschlossen (siehe oben zu 1. a); demgegenüber sind Fehler in der Rechtsanwendung im Rahmen des § 177 AO 1977 gerade Tatbestandsvoraussetzung.

c) Ob das bedeutet, daß Berichtigungen nach § 129 AO 1977, anders als die Änderungen gemäß den §§ 172 ff. AO 1977, nicht den Regelungsbereich eines Verwaltungsakts, sondern nur sein äußeres Erscheinungsbild berühren (so vor allem Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15.Aufl. 1987, § 129 AO 1977 Anm.1; Schwarz/Frotscher, Kommentar zur Abgabenordnung, § 129 Tz.1 sowie § 177 Tz.1 c; vgl. zur Parallelvorschrift des § 107 FGO auch BFH-Beschluß vom 14.Oktober 1976 I B 16/76, BFHE 120, 145, BStBl II 1977, 38), kann unentschieden bleiben. Auch wenn man berücksichtigt, daß offenbare Unrichtigkeiten --wie der Streitfall deutlich macht-- unzutreffende Steuerfestsetzungen auslösen können (worauf vor allem Tipke/Kruse, a.a.O., § 129 AO 1977 Tz.4, vorletzter Absatz, und Woerner/Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 8.Aufl., 1988, S.17 hinweisen), ändert dies nichts daran, daß der Regelung des § 129 AO 1977 ein anderer Fehlerbegriff zugrunde liegt als derjenigen des § 177 AO 1977. Gesetzliche Kriterien für die Abgrenzung der Regelungsbereiche sind insoweit nicht die Folgen der Fehler, sondern die Art ihres Zustandekommens, d.h. die Qualität der Fehler: Ein Versehen i.S. des § 129 AO 1977 ist auch dann kein Rechtsfehler i.S. des § 177 AO 1977, wenn es zu einem unzutreffenden rechtlichen Ergebnis führt. Darum ist der Ansicht beizupflichten, die § 177 AO 1977 nicht für anwendbar hält, soweit es um die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten i.S. des § 129 AO 1977 geht (im Ergebnis ebenso: Kühn/Kutter/Hofmann, a.a.O., § 177 AO 1977 Tz.1; Koch/Förster, Kommentar zur Abgabenordnung, 3.Aufl. 1986, § 177 Tz.6; Schwarz/Frotscher, a.a.O., § 177 Tz.1 c; Woerner/Grube, a.a.O., S.25 und S.152/153; Knobloch, Kommunale Steuerzeitschrift 1981, 103, 108; Brandt-Pollmann, Betriebs-Berater --BB-- 1981, 1209, 1211 f., auch wenn dabei nicht immer mit hinreichender Deutlichkeit zwischen den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 AO 1977 und den dort angeordneten Rechtsfolgen unterschieden wird).

Die Gegenmeinung (Tipke/Kruse, a.a.O., § 177 AO 1977 Tz.1; Gröger/Schöll, Kommentar zur Abgabenordnung, 1988, § 177 Tz.3; Thiel, Der Betrieb --DB-- 1978, 1611; Kulla, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1980, 51; Niedersächsisches FG, Urteile vom 26.April 1979 VII 334/78, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1979, 475, und vom 20.Januar 1987 V 406/85, EFG 1987, 592) wird dem zuvor dargelegten Unterschied zwischen § 129 AO 1977 einerseits und den §§ 172 ff. AO 1977 andererseits nicht gerecht. Die Berufung auf § 172 Abs.1 Nr.2 Buchst.d 2.Halbsatz AO 1977 überzeugt nicht. Der ausdrückliche Ausschluß der §§ 130, 131 AO 1977 hat ohnedies nur klarstellende Bedeutung. Wenn § 129 AO 1977 in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich erwähnt ist, so besagt dies für sich allein gesehen nur, daß es einer Verdeutlichung insoweit nicht bedurfte - eben weil Berichtigungen nach § 129 AO 1977 unabhängig vom Eintritt der Bestandskraft (bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist) jederzeit möglich sind. Bestätigt wird dies dadurch, daß sich die Einbeziehung des § 129 AO 1977 in die Kompensationsregelung des § 177 AO 1977 zumindest als überflüssig erweist: Sämtliche hierdurch, für den Fall der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden eröffneten Saldierungsmöglichkeiten lassen sich auch im Rahmen des § 129 AO 1977 im Wege pflichtgemäßer Ermessensausübung erreichen (so auch Woerner/Grube, a.a.O., S.25).

Das Argument schließlich, die AO 1977 verwende die Begriffe "Aufhebung" und "Änderung" einerseits im Unterschied zur "Berichtigung" andererseits nicht einheitlich, mag zwar den Gegebenheiten entsprechen, trägt aber die Gegenmeinung ebenfalls nicht, weil die systematischen Unterschiede zwischen beiden Korrekturmöglichkeiten trotz solcher sprachlichen Ungenauigkeiten in der AO 1977 hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen (s.o.).

d) Wenn es in der Praxis trotz der verschiedenartigen Regelungsbereiche von § 129 AO 1977 einerseits und § 177 AO 1977 andererseits unbedenklich ist, daß zugleich mit einer Änderung oder Aufhebung nach § 177 AO 1977 eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 (mit der Folge einer Einbeziehung in die Steuerberechnung) vorgenommen wird, so ist das aus Gründen der Verfahrensvereinfachung als äußere Zusammenfassung zweier verschiedenartiger, gedanklicher Vorgänge solange unbeachtlich, als die --getrennt zu prüfenden-- unterschiedlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung oder Änderung einerseits und eine Berichtigung andererseits erfüllt sind.

Letzteres aber ist hier nicht der Fall, weil der Berichtigung nach § 129 AO 1977 der Ablauf der Festsetzungsverjährung entgegensteht (§ 169 Abs.1 Satz 2 AO 1977; vgl. oben zu 1.a).

II. Die Steuerschuld war entsprechend dem Klagebegehren auf 6 324 DM herabzusetzen (§ 126 Abs.3 Nr.1, § 121 i.V.m. § 46 Abs.1 Satz 2 und § 100 Abs.2 Satz 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 62505

BStBl II 1989, 531

BFHE 156, 59

BFHE 1989, 59

BB 1989, 1191-1191 (L1-4)

HFR 1989, 410 (LT)

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