Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Bezüge von Arbeitnehmern für eine mehrjährige Tätigkeit sind nach § 34 Abs. 4 EStG 1950 zu versteuern, wenn für die Zahlung der Bezüge in einer Summe wirtschaftlich vernünftige Gründe vorlagen.

§ 34 Abs. 4 EStG 1950 ist auch im Lohnsteuerverfahren sinngemäß anzuwenden.

 

Normenkette

EStG § 34 Abs. 4, § 34/3, § 39; LStDV §§ 32, 46

 

Tatbestand

Die Beschwerdegegnerin (Bgin.) gewährte im Jahre 1952 10 Angestellten einmalige Sonderzuwendungen von je 5.000 DM, die sie damit begründete, daß die Angestellten sich beim Wiederaufbau des Betriebs in den Jahren 1949 bis 1951 in besonderer Weise eingesetzt hätten. Sie berechnete die Lohnsteuer auf die einmaligen Bezüge gemäß Abschn. 52 Abs. 3 Zff. 2 a der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1952, da sie die Zuwendungen als Sondervergütung für drei Jahre ansah. Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung nahm das Finanzamt die Bgin. wegen unrichtiger Berechnung der Lohnsteuer gemäß § 46 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) in Anspruch. Es behandelte dabei die einmaligen Bezüge als Arbeitslohn des Jahres 1952 und berechnete deshalb die Lohnsteuer gemäß Abschn. 52 Abs. 3 Ziff. 1 LStR 1952. Dabei ergab sich eine Lohnsteuernachforderung von 4.767,70 DM. Der Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht gab der Berufung statt. Es hielt die Lohnsteuerberechnung der Bgin. für zutreffend. Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des § 34 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 46 LStDV.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

Das Finanzgericht unterstellt ohne Begründung, daß § 34 Abs. 4 EStG auch im Lohnsteuerverfahren angewendet werden könne. Nach § 34 Abs. 4 EStG 1950 (ß 34 Abs. 3 EStG 1955) unterliegen Einkünfte, die eine Entlohnung für eine Tätigkeit sind, die sich über mehrere Jahre erstreckt, der Einkommensteuer zu den gewöhnlichen Steuersätzen. Zum Zweck der Einkommensteuerveranlagung können diese Einkünfte auf die Jahre verteilt werden, in deren Verlauf sie erzielt wurden und als Einkünfte eines jeden dieser Jahre angesehen werden, vorausgesetzt, daß die Gesamtverteilung drei Jahre nicht übersteigt.

Nach der Stellung der Vorschrift im Gesetz und nach ihrem Wortlaut gilt sie nur für das Veranlagungsverfahren; eine entsprechende Regelung für das Lohnsteuerverfahren fehlt. Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 EStG in Verbindung mit § 32 LStDV wird die Lohnsteuer nach der Höhe des Arbeitslohns im Lohnzahlungszeitraum auf Grund der dem Gesetz beigefügten Jahres-Lohnsteuertabelle berechnet. Lohnzahlungszeitraum ist der Zeitraum, für den der Arbeitslohn gezahlt wird (ß 33 Abs. 1 Satz 1 LStDV). Diese Steuerberechnung bereitet keine Schwierigkeiten bei den sogenannten laufenden Bezügen. Sie kann aber bei den sogenannten sonstigen, insbesondere einmaligen Bezügen, besonders wenn sie neben laufenden Bezügen gewährt werden, infolge des progressiven Tarifs zu ungerechtfertigten Steuerbelastungen führen. Bis zum 31. Dezember 1949 mußte der Arbeitgeber nach Abschn. 52 LStR 1948 solche sonstigen, insbesondere einmaligen Bezüge für die Berechnung der Lohnsteuer dem laufenden Arbeitslohn des letzten Lohnzahlungszeitraums zurechnen; er konnte sie aber auch, wenn es für den Arbeitnehmer günstiger war, in bestimmter Weise auf die Lohnzahlungszeiträume eines Jahres verteilen. Mit Wirkung ab 1. Januar 1952 ließ die Bundesregierung darüber hinaus zu (Abschn. 52 Abs. 3 Ziff. 2 LStR 1952), daß der Arbeitgeber bei Arbeitslohn für mehrjährige Tätigkeit (ß 34 Abs. 4 EStG 1950) mit Zustimmung des Finanzamts diesen Arbeitslohn statt auf ein Kalenderjahr, je nach den Verhältnissen, auf zwei oder drei Kalenderjahre verteilte. Es wäre zwar zweckmäßig, die für das Lohnsteuerverfahren bedeutsame Frage der Besteuerung der sonstigen, insbesondere einmaligen Bezüge im EStG und in den LStDV zu regeln. Der Senat hat aber keine Bedenken, im Wege der Auslegung die Art der Berechnung der Lohnsteuer auf sonstige, insbesondere einmalige Bezüge, wie sie in Abschn. 52 Abs. 3 bis 5 LStR 1952 vorgesehen ist, grundsätzlich als dem Gesetz entsprechend anzuerkennen. Die Höhe der Einkommensteuer darf nicht von der Form ihrer Erhebung abhängig sein; sie soll vielmehr nach dem Willen des Gesetzes bei der Einkommensteuerveranlagung und beim Steuerabzug vom Arbeitslohn im wesentlichen gleich sein. Die Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG auch im Lohnsteuerverfahren entspricht demnach grundsätzlich dem EStG.

Es ist allerdings nicht zu übersehen, daß die Steuerberechnung nach Abschn. 52 Abs. 3 Ziff. 2 LStR 1952 zu einer anderen Einkommensteuer (Lohnsteuer) führen kann als bei der Veranlagung. Bei der Veranlagung ist nämlich die Mehrsteuer für jedes Jahr, dem ein Teil des Bezugs zugerechnet wird, nach der Einkommensteuertabelle dieses Jahres zu berechnen und dann der Einkommensteuer im Jahr des Zuflusses zuzurechnen (vgl. Abschn. 221 Abs. 1 EStR 1951). Bei der Lohnsteuerberechnung soll dagegen grundsätzlich die Tabelle angewendet werden, die im Zeitpunkt des Zuflusses des Bezugs gilt; die Steuer, die sich bei Zurechnung eines Anteils des Bezugs für den Lohnzahlungszeitraum als Mehrsteuer ergibt, soll vervielfacht werden. Diese Berechnungsmethode wird im allgemeinen den Arbeitnehmern günstig sein, weil die Einkommensteuertarife seit der Währungsumstellung mehrfach gesenkt worden sind. Die dadurch möglicherweise eintretende Steuerminderung für Arbeitnehmer ist unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung rechtlich vertretbar. Ausnahmsweise kann diese Berechnungsweise den Arbeitnehmern aber auch ungünstig sein, z. B. wenn die laufenden Bezüge eines Arbeitnehmers im Laufe des mehrjährigen Zeitraums erheblich gestiegen sind. In solchen Fällen kann der Arbeitnehmer verlangen, daß die Lohnsteuer anders berechnet wird, z. B. in der Weise, daß die Mehrsteuer unter Anwendung der Jahreslohnsteuertabelle für die in Betracht kommenden Jahre ermittelt und der Lohnsteuer zugerechnet wird, die sich für den auf das Jahr des Zuflusses entfallenden Anteil des Sonderbezugs ergibt. An diese Fälle hat offenbar auch die Bundesregierung gedacht, wenn sie in Abschn. 52 Abs. 5 Ziff. 1 LStR 1952 die Anpassung der Lohnsteuer an die Steuer gestattet hat, die sich bei der Veranlagung ergeben würde. Dieses Verfahren ist schon deshalb zweckmäßig, um Anträge auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses (ß 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG) möglichst überflüssig zu machen.

In Abschn. 52 Abs. 3 Ziff. 2 Buchst. a) bis e) LStR werden die Fälle aufgezählt, in denen die Finanzämter die Sonderberechnung der Lohnsteuer auf zwei oder drei Jahre zulassen dürfen. Die Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG ist aber nicht, wie es nach der Fassung des Abschn. 52 Abs. 3 Ziff. 2 LStR scheinen könnte, eine Vergünstigung, die die Finanzämter etwa nach ihrem Ermessen gewähren oder versagen könnten. Die Steuerpflichtigen haben vielmehr, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, einen Rechtsanspruch auf die Anwendung dieser Vorschrift auch im Lohnsteuerverfahren. Ebenso ist die Aufzählung der Fälle, in denen eine Verteilung der Sonderbezüge auf mehrere Jahre möglich ist, für die Steuergericht nicht bindend. Liegen die Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 EStG vor, so müssen die Finanzämter die Sonderberechnung der Lohnsteuer gestatten, und zwar auch in Fällen, die in Abschn. 52 Abs. 3 Ziff. 2 LStR nicht aufgezählt sind.

Das Finanzgericht hat Bedenken, im Streitfall die einmaligen Vergütungen als zwangsläufige Zusammenballung eines mehrjährigen Arbeitslohns (Abschn. 52 Abs. 3 Ziff. 2 Buchst. a) anzuerkennen. Es kommt trotzdem zur Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG, weil es die Vorschrift weiter auslegt als die Verwaltung. Es beruft sich insbesondere auf Theis (Der Betrieb 1955 S. 344). Die Finanzbehörden wollen nach Abschn. 221 Abs. 3 Ziff. 2 EStR 1950 (Abschn. 200 Abs. 2 Ziff. 2 EStR 1955) § 34 Abs. 4 EStG bei nichtselbständiger Arbeit nur anwenden, wenn es sich um einmalige Vergütungen für eine mehrjährige Sondertätigkeit handelt, die von der laufenden Tätigkeit klar abgrenzbar ist, oder wenn es sich um Vergütungen für mehrere Jahre handelt, die sich aus einem zwingenden Grund in einem Jahr zusammenballen. Die Vorschrift soll nicht angewendet werden, wenn freiwillig und ohne ausreichende sachliche Voraussetzungen Zahlungen etwa mit der Begründung geleistet werden, die bisherigen Zahlungen seien ungenügend gewesen. Die Anweisungen in Abschn. 52 Abs. 3 Ziff. 2 Buchst. a) bis e) LStR decken sich damit.

Die Finanzverwaltung stützt ihre Auffassung auf die im einzelnen angeführte Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs zu § 34 Abs. 2 Ziff. 1 EStG 1934. Nach dieser Vorschrift waren Einkünfte, die eine Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit darstellten, als außergewöhnliche Einkünfte nach einem Sondertarif zu besteuern. Diese Bestimmung galt, bis sie durch das Kontrollratgesetz (KRG) Nr. 12 aufgehoben und statt dessen eine dem § 34 Abs. 4 EStG entsprechende Regelung eingeführt wurde. Der Reichsfinanzhof legte die Vorschrift des § 34 Abs. 2 Ziff. 1 EStG 1934 einengend aus, vor allem, um mißbräuchlichen Gestaltungen zur Steuerersparnis entgegentreten zu können. Allerdings wurden im Laufe der Jahre die Anforderungen in verschiedener Hinsicht gemildert. Vor allem wurde auf die Voraussetzung der abgrenzbaren Sondertätigkeit verzichtet und eine außerordentliche Einkunft schon dann angenommen, wenn ein wirtschaftlich zureichender Grund dafür vorlag, daß eine Vergütung für längere Zeit in einem Veranlagungszeitraum zusammengefaßt wurde (vgl. z. B. Urteil des Reichsfinanzhofs IV 109/40 vom 22. August 1940, Reichssteuerblatt - RStBl - 1940 S. 859). Es kann dahingestellt bleiben, welche Anforderungen im einzelnen von der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs schließlich noch gestellt wurden. Denn die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs zu § 34 Abs. 2 Ziff. 1 EStG 1934 kann jedenfalls nicht ohne weiteres auf § 34 Abs. 4 EStG übertragen werden, wie das Finanzgericht mit Recht annimmt. Denn nunmehr werden die Einkünfte für eine mehrjährige Tätigkeit nicht mehr als außerordentliche Einkünfte nach dem Sondertarif des § 34 Abs. 1 EStG (vgl. zu dessen Anwendung Abschn. 215 EStR 1950; Abschn. 198 EStR 1955) besteuert. Sie werden vielmehr, wie § 34 Abs. 4 Satz 1 EStG ausdrücklich betont, nach den gewöhnlichen, also progressiven Steuersätzen herangezogen. Sie können auf die Jahre, zu denen sie gehören, höchstens aber auf drei Jahre verteilt werden. Die Verteilung bewirkt, daß zwar für jedes Jahr, dem ein Teil der Einkünfte zugerechnet wird, die Tarifprogression zur Auswirkung kommt, daß sie aber im ganzen flacher ist, als wenn sich die Progression auf den gesamten Bezug im Jahr des Zuflusses auswirken würde. § 34 Abs. 4 EStG will also erreichen, daß die steuerliche Belastung bei Einkünften, die dem Steuerpflichtigen für eine mehrjährige Tätigkeit zufließen, möglichst nicht höher ist, als wenn ihm in jedem der mehreren Jahre ein Anteil zugeflossen wäre, allerdings mit der Einschränkung, daß die Verteilung höchstens auf drei Jahre zulässig ist. Die Milderung des Tarifs in § 34 Abs. 4 EStG war erforderlich, weil die Steuersätze nach dem Zusammenbruch derart überspannt waren, daß die volle Auswirkung der Progression nicht mehr vertretbar erschien.

Unter diesen Umständen würde es dem Gesetz nicht entsprechen, § 34 Abs. 4 EStG bei Arbeitnehmern weiterhin einengend auszulegen. Dazu kommt, daß die Regelung des § 34 Abs. 4 EStG weit weniger Spielraum für Mißbräuche läßt als die frühere Bestimmung des § 34 Abs. 2 Ziff. 1 EStG 1934, worauf Littmann (ESt-Recht, 5. Aufl., Anm. 13 zu § 34 EStG) zutreffend hinweist.

Ob der Bezug eines Arbeitnehmers eine Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit ist und zu welchen Jahren er wirtschaftlich mit einem Anteil gehört, muß im Einzelfall festgestellt werden. Solange der Arbeitnehmer nicht ausreichend dartut, daß es sich um eine Vergütung für mehrere Jahre handelt, kann angenommen werden, daß der Bezug mit dem Jahr zusammenhängt, in dem er ihm zufließt. Steht aber fest, daß die Vergütung eine mehrjährige Tätigkeit des Arbeitnehmers abgilt, so ist grundsätzlich § 34 Abs. 4 EStG anzuwenden. Es kommt dann nicht darauf an, ob sie für eine abgrenzbare Sondertätigkeit gezahlt wird oder ob es sich um eine zwangsläufige Zusammenballung von Einkünften handelt. Es genügt, wenn wirtschaftlich vernünftige Gründe für die Zahlung in einer Summe vorlagen. Die Finanzverwaltung geht übrigens von ähnlichen Grundsätzen aus, wenn sie z. B. bei Zuwendungen aus Anlaß von Arbeitnehmerjubiläen, sofern nicht alle Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 LStDV gegeben sind, ohne weiteres § 34 Abs. 4 EStG anwendet (vgl. Abschn. 52 Abs. 3 Ziff. 2 e LStR), obgleich es sich weder um Vergütungen für eine abgrenzbare Sondertätigkeit handelt noch um zwangsläufige Zusammenballung von Einkünften.

Im Streitfall hat das Finanzgericht einwandfrei festgestellt, daß die streitigen einmaligen Vergütungen im Jahre 1952 als nachträgliche Sonderzahlungen für die Jahre 1949 bis 1951 gedacht waren. Ferner hat es festgestellt, daß die Zahlungen aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen in das Jahr 1952 verlegt worden waren. In den Vorjahren hatte die Bgin. ihre flüssigen Mittel zur Beseitigung von Kriegsschäden und zu notwendigen Investitionen verwendet und hatte deshalb die Zahlungen an die Angestellten zurückgestellt. Für die Zahlung im Jahr 1952 wird auch von Einfluß gewesen sein, daß der Ertrag des Jahres 1951 besonders günstig war und die Bgin. dadurch die Möglichkeit hatte, die Leistungen ihrer Angestellten in den vorangegangenen Jahren durch einmalige Sondervergütungen abzugelten. Es widerspräche dem Zweck des § 34 Abs. 4 EStG, zu Ungunsten der Angestellten in solchen Fällen die Tarifprogression im Jahr des Zufließens uneingeschränkt zur Auswirkung kommen zu lassen.

Zu der Frage, ob das Finanzamt nicht gegen Treu und Glauben verstieß, wenn es die Bgin. in Anspruch nahm, obgleich diese bei der Steuerberechnung nach der ihr von Beamten des Finanzamts erteilten Auskunft verfahren war, braucht der Senat nicht Stellung zu nehmen, da, wie ausgeführt, die Steuerberechnung zutreffend war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408725

BStBl III 1957, 185

BFHE 1957, 496

BFHE 64, 496

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