Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Frist des § 57 EStDV 1951 für die Anträge von Lohnsteuerpflichtigen auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses gemäß § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG 1951 endet mit dem Zeitpunkt, in dem der Großteil der Steuererklärungen eingegangen ist.

Bei Versäumung der Antragsfrist kann unter den Voraussetzungen der §§ 86 ff. AO Nachsicht gewährt werden.

 

Normenkette

EStG § 46 Abs. 1 Ziff. 4, § 46/2/8; EStDV § 57 Abs. 1, § 71/2

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) hat in den Jahren 1950 und 1951 ein Mietwohnhaus errichtet, das er und eine Mietpartei im Jahre 1951 bezogen haben. Er beantragte mit Schreiben vom 22. Dezember 1953 für die Jahre 1951 und 1952 Veranlagung gemäß § 46 Abs. 1 Ziff. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und bat um Gewährung der erhöhten Absetzungen für Abnutzung gemäß § 7 b EStG.

Das Finanzamt lehnte den Antrag auf Veranlagung ab, da er verspätet sei und Nachsichtsgründe nicht vorlägen. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht hob auf Berufung hin den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung auf. Es betrachtete die Fristbestimmung in § 57 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1951 - 1952 als rechtsungültig und hielt im übrigen ausreichende Nachsichtsgründe für gegeben. Unter Berücksichtigung der erhöhten Absetzungen für Abnutzung nach § 7 b EStG setzte es die Einkommensteuer 1951 und 1952 entsprechend niedriger fest.

Der Vorsteher des Finanzamts legte gegen dieses Urteil Rechtsbeschwerde ein. Es hielt an der Rechtsgültigkeit des § 57 Abs. 1 EStDV fest und verneinte das Vorliegen von Nachsichtsgründen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist im Ergebnis unbegründet.

Die Berücksichtigung der erhöhten Absetzungen für Abnutzung nach § 7 b EStG kann bei Lohnsteuerpflichtigen nur im Wege der Veranlagung erfolgen. Es liegt daher ein Tatbestand vor, der einen Antrag auf Veranlagung des Stpfl. wegen berechtigtem Interesse rechtfertigt. Nach § 57 Abs. 1 EStDV ist der Antrag auf Veranlagung bis zum Ablauf der Steuererklärungsfrist zu stellen.

Das Finanzgericht hat die Rechtsgültigkeit des § 57 Abs. 1 EStDV zu Unrecht verneint. Der erkennende Senat schließt sich der im Urteil IV 637/54 U vom 15. März 1956 (Slg. Bd. 62 S. 425, Bundessteuerblatt - BStBl - 1956 III S. 157) vertretenen Auffassung des IV. Senates über die Rechtsgültigkeit der Vorschrift an.

Dagegen hat das Finanzgericht zutreffend den rechtsmittelähnlichen Charakter des Antrages nach § 57 Abs. 1 EStDV bejaht und daraus unter Hinweis auf die Ausführungen des Urteils des Bundesfinanzhofs IV 77/51 U vom 11. Juli 1951 (Slg. Bd. 55 S. 405, BStBl 1951 III S. 161) gefolgert, daß grundsätzlich die Bestimmungen der §§ 86 ff. der Reichsabgabenordnung (AO) über die Gewährung von Nachsicht zum Zuge kommen. Als ausreichenden Nachsichtsgrund hat das Finanzgericht den unverschuldeten Rechtsirrtum des Stpfl. anerkannt. Es hat ausgeführt, daß der Grundsatz der Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit der Besteuerung nicht nur für 1952, sondern trotz Ablaufs der Jahresfrist des § 87 Abs. 5 AO auch für 1951 die Gewährung von Nachsicht rechtfertige.

Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Ausdehnung der Nachsicht über die Jahresfrist des § 87 Abs. 5 AO überhaupt möglich ist. Denn die Prüfung der Fristen ergibt, daß für den Antrag 1951 die Ausschlußfrist des § 87 Abs. 5 AO noch nicht abgelaufen war und daß für 1952 überhaupt keine Fristversäumnis vorliegt. Die durch öffentliche Bekanntmachungen festgesetzten Fristen waren für 1951 der 31. Juli 1952 und für 1952 der 15. Juli 1953. Diese Fristen sind von der Finanzverwaltung durch schriftliche oder mündliche Anordnungen weitgehend (für 1951 regelmäßig bis Ende Februar 1953) verlängert worden. Der Großteil der Steuererklärungen für 1951 war erst bis Anfang 1953, der Großteil der Steuererklärungen für 1952 bis Ende 1953 bei den Finanzämtern eingegangen. Bei der durch den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gebotenen großzügigen Auslegung müssen daher auch Anträge von Lohnsteuerpflichtigen auf Veranlagung nach § 46 EStG, die bis zu diesen Zeitpunkten eingegangen sind, noch als fristgerecht betrachtet werden. Im Streitfall muß dies für den Antrag für 1952 gelten, so daß insoweit keine Fristversäumnis vorliegt.

Der Antrag für 1951 liegt, wenn man in Anwendung der vorstehenden Grundsätze den Februar 1953 als Ende der Steuererklärungsfrist betrachtet, noch innerhalb der Jahresfrist des § 87 Abs. 5 AO. Die Gewährung von Nachsicht für die Versäumung der Antragsfrist ist daher möglich. Es liegt auch ein ausreichender Nachsichtsgrund vor. Die Unkenntnis über die rechtlichen Möglichkeiten des § 7 b EStG kann zwar als Irrtum über die materielle Rechtslage in der Regel keinen Nachsichtsgrund bilden (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V A 518/33 vom 26. Januar 1934 - Reichssteuerblatt 1934 S. 183 -), dagegen kann ein Rechtsirrtum über die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen, zum Beispiel der Irrtum über Beginn und Ende der Antragsfrist, die Gewährung von Nachsicht begründen, wenn er nicht auf Verschulden beruht. Ein Verschulden des Stpfl. dürfte aber im Streitfall zu verneinen sein, zumal bei der Prüfung kein allzu strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 77/51 U vom 11. Juli 1951 - Slg. Bd. 55 S. 405, BStBl 1951 III S. 161 -). Dies gilt vor allem bei steuerlich weniger erfahrenen Steuerpflichtigen.

Der Entscheidung des Finanzgerichts ist daher im Ergebnis beizutreten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408726

BStBl III 1957, 190

BFHE 1957, 509

BFHE 64, 509

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