Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulagenbegünstigung von Ausrüstungsgegenständen für Fischkutter der ehemaligen DDR-Fischereiflotte

 

Leitsatz (NV)

1. Im Investitionszulagenrecht ist bei der Beurteilung der Frage, ob ein Wirtschaftsgut trotz der Verbindung mit einem anderen seine selbständige Bewertbarkeit behalten hat, für eine Übergangszeit auf die in den neuen Bundesländern bestehende Verkehrsanschauung abzustellen, wenn diese von der Verkehrsanschauung in den alten Ländern abweicht.

2. Die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 (Drei-Tage-Frist) wird nicht widerlegt, wenn lediglich die Ablichtung einer Seite des Posteingangsbuchs vorgelegt wird, in dem nicht das Datum des Eingangs der Einspruchsentscheidung, sondern das der Eintragung vermerkt ist und überdies das Schriftbild der Eintragung vom einheitlichen Schriftbild der übrigen Eintragungen abweicht.

 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 2 Nr. 1, § 366 S. 2; FGO § 47; InvZulG 1991 § 2 S. 1

 

Tatbestand

Der in den neuen Bundesländern wohnhafte Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt ein Fischereiunternehmen. Er erwarb im Jahre 1991 (Streitjahr) einen gebrauchten Fischkutter der ehemaligen DDR-Flotte und modernisierte ihn anschließend. Zu diesem Zweck erwarb er im selben Jahr verschiedene mechanische und elektronische Geräte, die er in den Kutter einbauen ließ. Der Kläger beantragte für die Anschaffungskosten dieser Gegenstände die Gewährung einer Investitionszulage nach dem Investitionszulagengesetz (InvZulG) 1991. Im Revisionsverfahren geht es nur noch darum, ob dem Kläger Investitionszulage für die folgenden Gegenstände zusteht:

Autopilot,

Ruderlagenanzeiger,

Kompaß,

Navigator RS 5300,

Navigator RS 4000,

Plotter und

Echolot.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) lehnte den Antrag u. a. insoweit ab, als er die vorgenannten Wirtschaftsgüter betraf. Das FA war der Ansicht, die Gegenstände hätten durch den Einbau in den Fischkutter ihre selbständige Bewertbarkeit verloren und seien daher nicht mehr mögliches Objekt einer Förderung durch Investitionszulage. Das Einspruchsverfahren hatte keinen Erfolg. Das FA gab die Einspruchsentscheidung am 10. Dezember 1992 mit einfachem Brief zur Post.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner Klage, die am 15. Januar 1993 beim FA einging. Zum Nachweis der fristgerechten Klageerhebung legte der Klägervertreter im Laufe des Klageverfahrens die Ablichtung eines Auszugs aus dem Posteingangsbuch seiner Kanzlei vor, in dem die Einspruchsentscheidung in der Rubrik "Datum der Eintragung" mit dem 15. Dezember 1992 vermerkt ist. Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage für zulässig und gab ihr u. a. insoweit statt, als Investitionszulage für die genannten Gegenstände beantragt wurde. Es sah diese Gegenstände als weiterhin selbständig bewertbar und deshalb als zulagefähig an.

Gegen die Entscheidung des FG richtet sich die Revision des FA, mit der dieses eine Verletzung des § 2 InvZulG 1991 rügt.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als das FG für die Anschaffung eines Autopiloten, eines Ruderlagenanzeigers, eines Kompasses, eines Funknavigators, eines Satellitennavigators, eines Plotters und eines Echolotes eine Investitionszulage gewährt hat, weiter die Zulage auf 1777 DM festzusetzen und die Klage im übrigen abzuweisen.

Der Kläger hält die Revision für unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt hinsichtlich der im Revisionsantrag aufgeführten Wirtschaftsgüter zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat rechtsfehlerhaft die Zulässigkeit der Klage bejaht. Aus den vorliegenden Akten ist nicht zu ersehen, ob der Kläger die Klage rechtzeitig erhoben hat.

1. Nach § 47 Abs. 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat; sie wird durch Anbringung der Klage beim FA gewahrt (§ 47 Abs. 2 FGO). Die Einhaltung der Klagefrist ist als Sachurteilsvoraussetzung in der Revisionsinstanz auch ohne entsprechende Verfahrensrüge zu prüfen (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 24. September 1985 IX R 47/83, BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268). Die Frist beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, gilt gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) als am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post bekanntgegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; die Behörde hat im Zweifel den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Bestreitet der Empfänger, den Verwaltungsakt innerhalb der Drei-Tage-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 erhalten zu haben, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel gegen die Zugangsvermutung zu begründen. Das FG hat den Sachverhalt unter Berücksichtigung des Sachvortrags des Steuerpflichtigen aufzuklären und die festgestellten und unstreitigen Umstände im Wege freier Beweiswürdigung gegeneinander abzuwägen (BFH- Beschluß vom 20. August 1992 VI B 99/91, BFH/NV 1993, 75, m. w. N.).

Im Streitfall wurde die Einspruchsentscheidung am 10. Dezember 1992 mit einfachem Brief zur Post gegeben. Eine förmliche Zustellung war nicht erforderlich (§ 366 Satz 2 AO 1977 i. d. F. des Art. 24 des Steueränderungsgesetzes 1992 vom 25. Februar 1992, BGBl I 1992, 297). Die Rechtsbehelfsentscheidung gilt als am 13. Dezember 1992 bekanntgegeben, sofern die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 FGO eingreift. In diesem Fall ist die am 15. Januar 1993 (Freitag) beim FA eingegangene Klage verspätet erhoben worden. Das FG hat sich in dem angefochtenen Urteil nicht mit der Rechtzeitigkeit der Klageerhebung auseinandergesetzt. Es ging von einem Zugang der Einspruchsentscheidung am 15. Dezember 1992 aus. Möglicherweise war es der Ansicht, der Kläger habe durch die Vorlage der Ablichtung einer Seite aus dem Posteingangsbuch einen Zugang erst nach Ablauf der Drei-Tage-Frist glaubhaft gemacht und die Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 FGO widerlegt. Aus der Ablichtung geht jedoch nicht das Datum des Eingangs der Einspruchsentscheidung, sondern das der Eintragung hervor. Außerdem fällt auf, daß das Schriftbild dieser Eintragung vom einheitlichen Schriftbild der übrigen Eintragungen abweicht.

2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob die Klage rechtzeitig erhoben worden ist. Hierzu bietet sich an, die mit der Führung des Posteingangsbuchs betraute Person als Zeugin zu vernehmen. Weiterhin drängt sich die Vorlage dieses Buches auf.

Für den Fall, daß das FG nach einer Beweisaufnahme Zweifel am Zugang der Einspruchsentscheidung innerhalb der Drei-Tage-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 haben sollte und es die Klage als zulässig beurteilt, weist der Senat aus Gründen der Prozeßökonomie -- ohne Bindungswirkung gemäß § 126 Abs. 5 FGO -- auf folgendes hin:

a) Das FG hat zutreffend die Grundsätze dargelegt, nach denen die Frage zu entscheiden ist, ob ein Wirtschaftsgut, das mit einem anderen verbunden wird, auch nach der Verbindung seine selbständige Bewertbarkeit behält und damit mögliches Objekt einer Förderung durch Investitionszulage ist (vgl. Senatsurteile vom 28. September 1990 III R 178/86, BFHE 162, 177, BStBl II 1991, 187, sowie III R 77/89, BFHE 164, 156, BStBl II 1991, 361). Hiernach kommt es darauf an, ob das Wirtschaftsgut nach der Verkehrsanschauung in seiner Einzelheit von Bedeutung und bei einer Veräußerung greifbar ist. Die Verkehrsanschauung wird durch mehrere Kriterien bestimmt. Neben dem Zweck, den zwei oder mehrere bewegliche Sachen gemeinsam zu erfüllen haben, sind vor allem von Bedeutung: die Festigkeit einer etwaigen Verbindung (§ 93 des Bürgerlichen Gesetzbuches), der Zeitraum, auf den eine solche Verbindung angelegt ist sowie das äußere Erscheinungsbild. Ist letzteres dadurch bestimmt, daß die Gegenstände für sich allein betrachtet unvollständig erscheinen oder daß gar ein Gegenstand ohne den/die anderen ein negatives Gepräge hat, ist regelmäßig von einem einheitlichen Wirtschaftsgut auszugehen (Urteil in BFHE 164, 156, BStBl II 1991, 361; siehe aber auch das Senatsurteil in BFHE 162, 177, BStBl II 1991, 187).

b) Die Feststellung der Verkehrsanschauung obliegt dem FG als Tatsacheninstanz (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 118 Rz. 25; BFH-Urteil vom 30. April 1975 I R 152/73, BFHE 115, 504, BStBl II 1975, 626). Kommt das FG wie im ersten Rechtszug zu der Feststellung, daß sich die in den neuen Bundesländern vorherrschende Verkehrsanschauung über die technische Ausstattung von Fischkuttern von der in den alten Ländern bestehenden Anschauung unterschieden hat und daß deshalb bei der Beurteilung eines etwaigen negativen Gepräges im Sinne der unter 2. a wiedergegebenen Senatsrechtsprechung nicht "westliche" Maßstäbe angewandt werden dürfen, so ist die regionale, auf die neuen Bundesländer begrenzte Verkehrsanschauung bei der Beurteilung der selbständigen Bewertbarkeit der Wirtschaftsgüter zugrunde zu legen. Bei dem im Streitfall anzuwendenden InvZulG 1991 geht es -- abgesehen von der Einbeziehung des früheren Westteils von Berlin -- nur um Förderungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern. Angesichts dieser Beschränkung des Fördergebiets erscheint es als vertretbar, auf die in diesem Fördergebiet bestehende regionale Verkehrsanschauung abzustellen. Dabei ist davon auszugehen, daß die in der ehemaligen DDR vorherrschende Verkehrsanschauung, die sich auf der Grundlage des dort üblichen technischen Standards herausgebildet hatte, nach der Herstellung der deutschen Einheit noch für eine gewisse Zeit fortbestand. Für diese Übergangszeit -- jedenfalls noch für das Streitjahr 1991 -- ist daher im Investitionszulagenrecht eine regionale, auf die neuen Bundesländer begrenzte Verkehrsanschauung hinzunehmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421288

BFH/NV 1996, 850

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