Leitsatz (amtlich)

1. Der Gemeindedirektor, der auf Grund des Gesetzes betreffend die Oldenburgische Landesbrandkasse vom 6. August 1938 (Oldenburgisches Gesetzblatt 1938 S. 565) Mitglied der Schätzungskommission ist, bezieht aus dieser Tätigkeit keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

2. In der Frage, wann ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Haupt- und der Nebentätigkeit eines Arbeitnehmers vorliegt, tritt der erkennende Senat der Auffassung des IV. Senats in der Entscheidung IV R 126/70 vom 25. November 1971 (BFH 103, 570, BStBl II 1972, 212) bei.

 

Normenkette

EStG § 19; LStDV § 1 Abs. 3

 

Tatbestand

Der inzwischen verstorbene Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger) war in den Streitjahren 1960 bis 1964 als Gemeindedirektor einer Gemeinde in Oldenburg und als Mitglied einer Schätzungskommission für die Oldenburgische Landesbrandkasse (OLBK) tätig. Die OLBK ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Sie betreibt im niedersächsischen Verwaltungsbezirk Oldenburg die Gebäude-Feuerversicherung als Zwangs- und Monopolversicherer. Die Schätzungskommission stellt innerhalb der Gemeinde die Gebäudeversicherungswerte fest. Der Steuerpflichtige wirkte in dieser Kommission als Gemeindedirektor nach § 28 des Gesetzes betreffend die Oldenburgische Landesbrandkasse vom 6. August 1938 (Oldenburgisches Gesetzblatt 1938 S. 565) mit beratender Stimme mit. Er hatte über das Verhandlungsergebnis ein Protokoll für die Landesbrandkasse anzufertigen und den Eigentümern der Gebäude die von der Kommission ermittelten Schätzungswerte mitzuteilen. Die Gebühren, die die Eigentümer nach der Gebührenordnung der OLBK auf ein Sonderkonto der Gemeinde zahlten, teilten die Mitglieder der Kommission unter sich auf. Der Steuerpflichtige erhielt in den Streitjahren jährlich etwa zwischen 1 200 DM und 2 000 DM.

Der Revisionskläger (FA) sah diese Zahlungen als lohnsteuerpflichtig an und erließ einen Nachforderungsbescheid. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das FG hob auf die Klage des Steuerpflichtigen den Lohnsteuernachforderungsbescheid auf. Es führte aus, der Steuerpflichtige sei nicht nach Art eines Arbeitnehmers in den Betrieb des Versicherungsunternehmens eingegliedert gewesen. Er habe die Vergütungen auch nicht aus dem Arbeitsverhältnis mit der Gemeinde bezogen. Die Gemeinden seien allerdings nach den Vorschriften des Gesetzes vom 6. August 1938 zur Mitwirkung bei der Feuerversicherung weitgehend verpflichtet. Der Steuerpflichtige habe wie die anderen Schätzer seine Arbeit in eigener Verantwortung gegenüber dem Versicherungsunternehmen geleistet und sei deshalb ebenso wie sie selbständig tätig gewesen. Abweichend von dem Urteil des BFH VI 264/57 U vom 16. Mai 1958 (BFH 67, 83, BStBl III 1958, 304) sei es unerheblich, daß der Steuerpflichtige als Gemeindedirektor zur Übernahme der Tätigkeit verpflichtet gewesen sei.

Mit der Revision rügt das FA, daß das FG zu Unrecht von einer selbständigen Tätigkeit des Steuerpflichtigen ausgegangen sei. Der Steuerpflichtige sei als Gemeindedirektor zur Übernahme des Amtes in der Schätzungskommission verpflichtet gewesen. In den Fällen, in denen die Haupt- und die Nebentätigkeit unmittelbar zusammenhingen, könne die Art der Nebentätigkeit nicht gesondert beurteilt werden. Sei die Nebentätigkeit nur wegen er ausgeübten Haupttätigkeit übertragen worden, so sei sie als Hilfstätigkeit anzusehen mit der Folge, daß die Einkünfte daraus wie die aus der Haupttätigkeit zu beurteilen seien. Insoweit habe der BFH die "Abfärbetheorie" auch in der neueren Rechtsprechung nicht aufgegeben. Im Streitfall sei mit der Amtsstellung des Steuerpflichtigen die Mitwirkung in der Schätzungskommission verbunden gewesen. Bei der Tätigkeit der Kommission habe es sich wegen der gesetzlich bestimmten Mitwirkungspflicht der Gemeinden um eine Angelegenheit der Gemeinde gehandelt, die der Gemeindedirektor in seiner Eigenschaft als höchster Verwaltungsbeamter wahrgenommen habe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision hat keinen Erfolg.

Einkünfte, die ein Arbeitnehmer neben seinen Haupteinkünften aus nichtselbständiger Arbeit bezieht, sind seit dem Urteil des BFH VI 183/59 S vom 24. November 1961 (BFH 74, 97, BStBl III 1962, 37) hinsichtlich ihrer Einkunftsart grundsätzlich selbständig, d. h. unabhängig von den durch die hauptberufliche Tätigkeit erworbenen Einkünften zu beurteilen. Für die Beurteilung ist das Rechtsverhältnis maßgebend, das dem Bezug der Nebeneinkünfte zugrunde liegt (BFH-Urteil VI R 83/66 vom 19. Januar 1968, BFH 91, 308, BStBl II 1968, 309). Dabei ist es unerheblich, wem gegenüber das Rechtsverhältnis besteht, durch das der Arbeitnehmer die Nebeneinkünfte erzielt. Ein Arbeitnehmer kann nicht nur für Dritte, sondern auch für seinen Arbeitgeber Leistungen außerhalb seines Dienstverhältnisses erbringen (BFH-Urteile IV 405/53 U vom 7. Oktober 1954, BFH 60, 45, BStBl III 1955, 17, und IV R 126/70 vom 25. November 1971, BFH 103, 570, BStBl II 1972, 212).

Ist der Arbeitgeber des Steuerpflichtigen an dem Rechtsverhältnis beteiligt, so liegt es allerdings nahe, anzunehmen, daß der Bezug der Nebeneinkünfte mit dem bereits bestehenden Dienstverhältnis zusammenhängt und daß die Nebeneinkünfte deshalb der Einkunftsart der hauptberuflichen Tätigkeit zuzurechnen sind. Diese "steuerliche Parallelbeurteilung" (so BFH-Urteil VI 183/59 S, a. a. O.) hat der BFH jedoch auf die Fälle beschränkt, in denen zwischen der Nebentätigkeit und der Ausübung der hauptberuflichen nichtselbständigen Arbeit ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Ein derartiger Zusammenhang ist nach der Entscheidung des BFH IV R 126/70 (a. a. O.) im allgemeinen gegeben, wenn dem Arbeitnehmer aus seinem Dienstverhältnis Nebenpflichten obliegen, die zwar im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich vorgesehen sind, deren Erfüllung der Arbeitgeber aber nach der tatsächlichen Gestaltung des Dienstverhältnisses und nach der Verkehrsauffassung erwarten darf. Als Nebenpflichten aus dem Dienstverhältnis sind jedoch nur solche Pflichten anzusehen, die in einer unmittelbaren sachlichen Beziehung zu der nichtselbständig ausgeübten Tätigkeit stehen, auch wenn der Arbeitgeber die zusätzlichen Leistungen besonders vergütet. Die Ausübung der Nebenpflichten muß der Weisung und der Kontrolle des Dienstherren unterliegen. Liegt ein unmittelbarer Zusammenhang in diesem Sinne zwischen der Haupt- und der Nebentätigkeit des Arbeitnehmers nicht vor, so ist für eine "Parallelbeurteilung" kein Raum.

Die Vorentscheidung entspricht diesen Grundsätzen. Daß das FG das Rechtsverhältnis zwischen den Mitgliedern der Schätzungskommission und der Landesbrandkasse nicht als Arbeitsverhältnis angesehen hat, ist eine mögliche Würdigung. Sie beruht auf der unangefochtenen Feststellung, daß die Landesbrandkasse den Schätzern nur allgemeine Anweisungen über die Durchführung der Schätzungsarbeit gegeben, die Schätzer aber weder in einer Betriebstätte beschäftigt noch ihre Arbeit überwacht hat. Die Schätzungskommission ist kein Organ der Brandkasse. Die Brandkasse beantragt nur die Bestellung der Mitglieder und stimmt ihrer Bestellung durch die Gemeinde zu (§ 27 Abs. 1 des Gesetzes vom 6. August 1938). Die Schätzer sind weder in den Organismus der Brandkasse eingegliedert, noch sind sie verpflichtet, ihren Weisungen zu folgen. Das FG hat daraus zutreffend geschlossen, daß auch für den Steuerpflichtigen nichts anderes gelten könne.

Diese Folgerung schloß jedoch nicht aus, daß hinsichtlich der Tätigkeit des Steuerpflichtigen in der Schätzungskommission nur zwischen ihm und der Gemeindeverwaltung, die ihn als Gemeindedirektor beschäftigte, ein Rechtsverhältnis bestand und daß unter Umständen diese Nebentätigkeit mit seiner Haupttätigkeit unmittelbar zusammenhing. Für diese Möglichkeit sprach, daß die Gemeinden nach den Feststellungen des FG durch das Gesetz vom 6. August 1938 weitgehend zur Mitwirkung bei der Feuerversicherung verpflichtet worden sind (§§ 21, 23, 24 des Gesetzes) und daß der Hauptgemeindebeamte oder bei seiner Verhinderung ein von ihm bestimmtes Mitglied der Gemeindeverwaltung kraft Gesetzes an der Schätzungskommission teilzunehmen hat (§ 28 des Gesetzes). Das FG hat denn auch in einer früheren Entscheidung wegen der Lohnsteuerhaftung der Gemeinde die Ansicht vertreten, daß der Steuerpflichtige für die Brandkasse aus seiner Dienstpflicht gegenüber der Gemeinde tätig sei und deshalb als Kommissionsmitglied Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen habe.

Für den Streitfall hat das FG diese Auffassung mit der Begründung aufgegeben, daß der Steuerpflichtige seine Leistungen ausschließlich für die Brandkasse zu erbringen gehabt habe, da seine Verpflichtungen nach dem Gesetz vom 6. August 1938 nur gegenüber der Landesbrandkasse bestanden hätten, von der er auch die Vergütung für seine Tätigkeit erhalten habe. Dem steht die Entscheidung des BFH VI 264/57 U (a. a. O.) nicht entgegen, wie das FG und das FA meinen. Der Sachverhalt dieser Entscheidung unterscheidet sich vom Streitfall insofern, als die Einziehung von Geldern zum gemeindlichen Aufgabenbereich des Rendanten gehörte und die Gemeinde sich mit der Erhebung der Feuerversicherungsbeiträge eine zusätzliche Einnahmequelle erschlossen hatte, indem sie den größeren Teil der Hebegebühren für sich behielt. Der Dienstherr des Rendanten hatte also ein eigenes Interesse, die Beiträge durch eigene Bedienstete zu erheben. Die Einziehung der Versicherungsbeiträge durch den Rendanten stand als eine untergeordnete Tätigkeit in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Haupttätigkeit als Amtsrentmeister. Auf Grund des Dienstverhältnisses und seiner dienstlichen Funktion erfüllte er gegenüber seinem Dienstherrn eine Nebenpflicht, für die er durch einen geringen Anteil an den Hebegebühren honoriert wurde.

Im Streitfall bestand nach Lage der Sache ein derartiger unmittelbarer Zusammenhang der Tätigkeit des Steuerpflichtigen als Gemeindedirektor mit der Tätigkeit als Mitglied der Schätzungskommission nicht. Es ist dem FA zwar zuzugeben, daß sich der Steuerpflichtige der gesetzlich auferlegten Mitwirkungspflicht in der Kommission nicht entziehen konnte. Dieser ausschließlich personelle Zusammenhang rechtfertigt jedoch nicht den Schluß des FA, daß durch die Mitwirkung des Gemeindedirektors die Tätigkeit in der Kommission zu einer Verwaltungsangelegenheit der Gemeinde geworden sei. Die Feststellungen des FG, daß der Gemeinderat als Dienstvorgesetzter des Steuerpflichtigen hinsichtlich dieser Tätigkeit weder Weisungs- noch Kontrollrechte besaß, daß vielmehr die dem Steuerpflichtigen gesetzlich obliegenden Verpflichtungen als Kommissionsmitglied nur gegenüber der Landesbrandkasse bestanden und daß die Vergütungen von der Landesbrandkasse nicht für Rechnung der Gemeinde gezahlt wurden, hat das FA nicht widerlegen können. Diese Feststellungen tragen die Folgerung, daß die Gemeinde kein eigenes sachliches oder wirtschaftliches Interesse daran hatte, den Gemeindedirektor in seiner Funktion als Leiter der Gemeindeverwaltung in der Schätzungskommission mitwirken zu lassen. Das FG hat deshalb sowohl ein besonderes Rechtsverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und der Gemeinde als auch einen unmittelbaren Zusammenhang seiner Tätigkeit in der Schätzungskommission mit dem Aufgabengebiet als Gemeindedirektor mit Recht verneint.

 

Fundstellen

Haufe-Index 425936

BStBl II 1972, 460

BFHE 1972, 539

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge