Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Einspruchs für Eheleute

 

Leitsatz (NV)

1. Wird gegen einen Steuerbescheid, der an mehrere Personen adressiert ist, von deren gemeinsamen Verfahrensbevollmächtigten Einspruch eingelegt und dabei zur Bezeichnung der Einspruchsführer die im wesentlichen gleiche Adressatenbezeichnung wie in dem angegriffenen Bescheid verwendet, so sind alle Adressaten des Bescheides als Einspruchsführer anzusehen, wenn sonst keine Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Einspruch nicht für alle eingelegt werden soll.

2. Ein Einkommensteuerbescheid kann sich bei verständiger Würdigung gegen beide zusammenveranlagte Eheleute richten, auch wenn er nach der Adressatenangabe "Herrn und Frau" nur den Vornamen und den Zunamen des Ehemannes nennt.

 

Normenkette

AO 1977 § 119 Abs. 1, § 357 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gab ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (1986) gemeinsam mit ihrem Ehemann beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) ab; sie machte ein Kind steuerlich geltend. Das FA veranlagte die Eheleute zusammen und adressierte seinen Bescheid in der Weise, daß es nach "Herrn und Frau" nur den Vornamen des Ehemannes und seinen Zunamen nannte. Der Bevollmächtigte der Eheleute, Steuerberater B, legte gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch ein und benannte als Einspruchsführer "Frau/Herr ... (es folgt der Vor- und Zuname des Ehemannes)". Das FA wies den auf die zu geringe Höhe des Kinderfreibetrages gestützten Einspruch zurück und richtete seine Einspruchsentscheidung an beide Eheleute unter Nennung ihrer Vornamen und ihres gemeinsamen Zunamens.

Die Klägerin und ihr Ehemann erhoben wegen des Kinderfreibetrages und mit der weiteren Begründung Klage, nur der Kläger habe gegen den Steuerbescheid Einspruch eingelegt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte aus: Soweit die Klägerin die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung begehre, weil sie an der Einspruchsführung nicht beteiligt gewesen sei, fehle es an der Darlegung oder Offenkundigkeit einer Beschwer und eines Rechtsschutzbedürfnisses. Es sei nicht erkennbar, wie sich die Klägerin durch die verwaltungsgebührenfreie Bestätigung eines von ihr gar nicht mehr anfechtbaren Bescheides belastet fühlen könne. Im übrigen sei die Klage unbegründet, weil den Klägern kein höherer als der in § 32 Abs. 6 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1986 vorgesehene Kinderfreibetrag zustehe.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 357 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Aufgrund der von ihrem Bevollmächtigten gewählten Bezeichnung des Einspruchsführers sei klar ersichtlich, daß der Einspruch lediglich im Namen ihres Ehemannes eingelegt worden sei. Es gebe hingegen keine Grundlage für die Auffassung des FG, daß ein vom Ehemann eingelegter Rechtsbehelf auch für die Ehefrau eingelegt werde. Es müsse klar und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht werden, daß der Rechtsbehelf auch für den anderen Ehegatten eingelegt werde. Das sei hier nicht der Fall. Im übrigen komme es -- entgegen der Ansicht des FG -- bei der Aufhebung der Einspruchsentscheidung auf eine Beschwer und ein Rechtsschutzbedürfnis nicht an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbegründung ihr Begehren ausdrücklich und wirksam darauf beschränkt, die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben, soweit sich diese gegen die Klägerin richtet; sie hat dementsprechend in ihrer Revisionsbegründung auch nicht gemäß § 120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Rechtsnorm benannt, die durch die Abweisung der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid verletzt sein könnte. Insoweit ist das Urteil des FG daher rechtskräftig geworden.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch die isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung. Dabei können nur solche Mängel geltend gemacht werden, die allein der Einspruchsentscheidung anhaften. Denn ob dem Einspruch aufgrund von Rechtsmängeln des Steuerbescheides stattzugeben war, kann nicht mehr geprüft werden, seitdem dieser Bescheid bestandskräftig geworden ist.

Das FG hat im Ergebnis mit Recht die Klage (auch) insoweit abgewiesen, als die Klägerin die Aufhebung der Einspruchsentscheidung begehrt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist allerdings eine Rechtsbehelfsentscheidung gegen einen Verfahrensbeteiligten, der keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, auf Klage aufzuheben (BFH- Urteile vom 3. August 1993 VIII R 82/91, BFHE 174, 24, BStBl II 1994, 561; vom 27. November 1984 VIII R 73/82, BFHE 143, 32, BStBl II 1985, 296; vom 1. August 1989 IX R 17/86, BFH/NV 1990, 94; vom 24. September 1985 IX R 22/85, BFH/NV 1986, 733, sowie für das Beschwerdeverfahren BFH-Urteil vom 27. Juni 1989 VIII R 357/83, BFH/NV 1990, 175). Die Einspruchsentscheidung ist jedoch vom FA zutreffend auch gegen die Klägerin gerichtet worden. Denn es fehlt nicht an einem Einspruch der Klägerin.

Wer in einem Verwaltungsverfahren für einen anderen wirksam eine Verfahrenshandlung vornehmen will, muß klar zum Ausdruck bringen, für wen er handelt. Dafür ist es jedoch nicht stets notwendig, den Vertretenen beim Namen zu nennen. Verfahrenshandlungen sind nach den für Willenserklärungen allgemein geltenden Grundsätzen auslegungsfähig; sie sind so auszulegen, daß das Ergebnis der Auslegung dem Willen und der Zielsetzung des Erklärenden bei verständiger Würdigung gerecht wird (BFH-Urteil vom 22. Juni 1988 X R 59/82 BFH/NV 1989, 184 m. w. N.). Wird gegen einen Steuerbescheid, der an mehrere Personen adressiert ist, von deren gemeinsamen Verfahrensbevollmächtigten Einspruch eingelegt und dabei zur Bezeichnung der Einspruchsführer die (im wesentlichen) gleiche Adressatenbezeichnung wie in dem angegriffenen Bescheid verwendet, so sind alle Adressaten des Bescheides als Einspruchsführer anzusehen, wenn sonst keine Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Einspruch nicht für alle eingelegt werden soll. Nach der Rechtsprechung des BFH (BFH- Urteile in BFHE 174, 24, BStBl II 1994, 561, und in BFHE 143, 32, BStBl II 1985, 296) muß zwar ein Einspruchsführer, der persönlich in eigenem Namen und zugleich für seinen Ehegatten Einspruch einlegen will, klar und unmißverständlich zum Ausdruck bringen, für diesen zu handeln; denn es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß ein von dem einen Ehegatten eingelegter Rechtsbehelf auch für den anderen eingelegt wird, und zwar selbst dann nicht, wenn die Eheleute eine gemeinsame Einkommensteuererklärung abgegeben haben. Bei einem von einem Steuerberater im Namen der von ihm vertretenen Adressaten eines Bescheides eingelegten Einspruch ist indes klar und unmißverständlich, daß Einspruch für sämtliche Adressaten erhoben wird, wenn sich nicht aus den Umständen oder einem ausdrücklichen Vorbehalt das Gegenteil ergibt.

Die Auffassung der Revision, die Klägerin habe keinen Einspruch eingelegt, wird diesen Auslegungsgrundsätzen nicht gerecht. Steuerberater B, der den Einspruch erhoben hat, war als gemeinsamer Verfahrensbevollmächtigter der Eheleute unter Vorlage schriftlicher Vollmachten im Veranlagungsverfahren aufgetreten. Der Einkommensteuerbescheid des FA richtete sich gegen die Klägerin und ihren Ehemann, obwohl er nach der Adressatenangabe "Herrn und Frau" nur den Vornamen und den Zunamen des Ehemannes nannte, der auch der Zuname der Klägerin ist. Bei verständiger Würdigung der Empfängerangabe in dem Bescheid konnte für die Klägerin kein Zweifel bestehen, daß durch den Bescheid auch sie neben ihrem Ehemann zur Einkommensteuer veranlagt werden sollte (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 31. Oktober 1989 VIII R 60/88, BFHE 160, 7, BStBl II 1990, 518, und das Urteil des Senats vom 9. August 1991 III R 169/90, BFH/NV 1992, 433). Die Einspruchschrift hat die Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten in dem Einkommensteuerbescheid im wesentlichen übernommen; sie unterscheidet sich nur darin, daß sie -- insoweit formularmäßig -- von "Frau/Herr" (statt von Herr und Frau) spricht. Die zur Begründung des Einspruchs vorgetragene Sachrüge -- nämlich daß der Kinderfreibetrag zu niedrig sei -- hat für die Veranlagung beider Eheleute die gleiche Bedeutung. Sonstige Anhaltspunkte, warum der von B erhobene Einspruch nur für den Ehemann und nicht auch für die Klägerin eingelegt werden sollte, bestanden nicht. Das Einspruchschreiben war vielmehr so zu verstehen, daß für beide Ehegatten Einspruch eingelegt werden sollte. Das FA mußte daher eine Einspruchsentscheidung auch gegenüber der Klägerin erlassen und das FG hat die dagegen erhobene Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Auf die Richtigkeit der Auffassung des FG, für eine isolierte Aufhebung der gegen die Klägerin ergangenen Einspruchsentscheidung fehle es an einer Beschwer und einem Rechtsschutzbedürfnis, kommt es mithin nicht mehr an.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 25 Abs. 2 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes 1994 (GKG) vom 24. Juni 1994 (BGBl I 1994, 1325). Der Senat bemißt den Streitwert gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG mit 1/10 der festgesetzten Steuer, da Ziel der Klägerin im Revisionsverfahren nicht die Beseitigung der Steuerforderung, sondern nur der von der Einspruchsentscheidung ausgehenden Beschwer war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420957

BFH/NV 1996, 521

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