Entscheidungsstichwort (Thema)

Kfz-Sachverständiger als Gewerbetreibender

 

Leitsatz (NV)

1. Ein als Kfz-Sachverständiger tätiger sog. Übergangsingenieur übt nur dann einen dem Ingenieurberuf ähnlichen Beruf aus, wenn seine praktische Tätigkeit, mit der er die erforderlichen mathematisch-technischen Kenntnisse nachgewiesen hat, den wesentlichen Teil seiner gesamten Berufstätigkeit ausmacht und ihr das Gepräge im Sinne des Katalogberufes gibt.

2. Die Einordnung eines Kfz-Sachverständigen als Gewerbetreibender ist verfassungrechtlich unbedenklich.

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der verstorbene Ehemann (E) der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) in den Streitjahren 1982 und 1983 als Kraftfahrzeugsachverständiger einen Gewerbebetrieb unterhalten oder Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit erzielt hat.

E schloß eine Kraftfahrzeuglehre mit Erfolg ab. Er arbeitete, unterbrochen durch Reichsarbeitsdienst, Wehrmacht und Kriegsgefangenschaft, im väterlichen Betrieb. Am 25. April 1951 legte er die Kfz-Meisterprüfung ab. Danach war er zunächst stellvertretender Betriebsleiter und Lehrlingsausbilder bei der Firma A in X. Ab dem 1. Juni 1956 war er als Kraftfahrzeugsachverständiger bei der . . .-Versicherung angestellt. Am 2. Mai 1966 machte er sich als Kraftfahrzeugsachverständiger selbständig und war daneben zwei Jahre lang als Fachlehrer an der städtischen Berufsschule in B tätig. Er führte die Berufsbezeichnung ,,Ingenieur". Mit Bescheid vom 23. Juni 1970 bescheinigte ihm der Regierungspräsident . . ., daß er aufgrund der Übergangsregelung in § 3 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz der Berufsbezeichnung ,,Ingenieur" vom 5. Mai 1970 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen - GVBl NW - 1970, 312) berechtigt sei, auch weiterhin die Berufsbezeichnung ,,Ingenieur" zu führen. Während der Streitjahre war E von der Industrie- und Handelskammer zum Sachverständigen für Kfz-Schäden und Kfz-Bewertung öffentlich-rechtlich bestellt und vereidigt worden.

Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) in den Vorjahren die erklärten Einkünfte zunächst als Einkünfte aus selbständiger Arbeit behandelt hatte, erfaßte er für die Streitjahre die aus der Tätigkeit des E als Kraftfahrzeugsachverständiger herrührenden Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb. Die Bescheide stehen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Mit dem Einspruch wurde geltend gemacht, E sei Ingenieur i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Er sei berechtigt, die Berufsbezeichnung ,,Ingenieur" zu führen. Seine konkrete Tätigkeit sei - zumindest gelegentlich - so gelagert, daß sie ohne den Kenntnisstand eines ausgebildeten Ingenieurs nicht ausgeübt werden könnte. Das ergebe sich aus dem Gutachten vom 6. Juli 1981. Das Gutachten vom 13. August 1981 betreffe die Verkehrssicherheit eines Fahrzeuges. Der Einspruch blieb erfolglos. Das FA ging dabei davon aus, Aufgabe des E sein gewesen, Schäden an verunfallten Kraftfahrzeugen gutachterlich festzustellen.

Mit der Klage verfocht die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie beantragte, ein Sachverständigengutachten dazu einzuholen, daß die beiden vorgelegten und vom E gefertigten Gutachten nur mit dem Kenntnisstand eines Ausbildungsingenieurs hätten erstellt werden können.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet zurück.

Mit der - vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Die Klägerin hat die geänderten Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 vom 3. September 1986 zum Gegenstand des Verfahrens erklärt. Sie beantragt, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer 1982 und 1983 unter Berücksichtigung eines Freibetrages gemäß § 18 Abs. 4 EStG in Höhe von 1 200 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Wie der erkennende Senat inzwischen im Anschluß an die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Juni 1980 I R 109/77 (BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118) und vom 1. Oktober 1986 I R 121/83 (BFHE 148, 140, BStBl II 1987, 116) entschieden hat, ist Ingenieur i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nur noch, wer das Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule, einer Fachhochschule, einer Ingenieurschule oder den Betriebsführerlehrgang an einer Bergschule abgeschlossen hat (§ 1 des Ingenieurgesetzes NordrheinWestfalen - IngG NW -). Daß ein Steuerpflichtiger die Berufsbezeichnung ,,Ingenieur" nur aufgrund der Übergangsregelung des Art. 3 Abs. 1 IngG NW führt, reicht nicht aus; vielmehr muß er auch schon vor Inkrafttreten des IngG NW die Tätigkeit eines Ingenieurs ausgeübt haben und seine Tätigkeit muß typisch für den Katalogberuf ,,Ingenieur" i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gewesen sein (BFH-Urteil vom 10. November 1988 IV R 63/86, BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198). Das setzt Erfahrungen und Kenntnisse in allen Kernbereichen des Ingenieurberufes voraus, die denen in den üblichen Ausbildungsgängen erworbenen vergleichbar sind (BFH in BFHE 148/140, BStBl II 1987, 116, und in BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198). Kernbereiche des Ingenieurberufes sind: Forschung, Lehre, Entwicklung, Versuchs- und Prüfungswesen, Projektierung, Berechnung, Konstruktion, Gestaltung, Fertigung und Betrieb, Vertrieb, Montage, Instandhaltung, Kundendienst, technische Betriebsverwaltung und Betriebsführung (BFH-Urteil vom 11. Juni 1985 VIII R 254/80, BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584, 586).

Obwohl auch der Übergangsingenieur die Berufsbezeichnung Ingenieur führt, führt die Beachtung der genannten Vorausssetzungen nicht zu einer Auslegung gegen den Wortlaut des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Entscheidend für das Begriffsbild des Ingenieurs in diesem Sinne ist, wie dies auch der Wortlaut ,,die selbständige Berufstätigkeit der . . . Ingenieure" ergibt und wie in BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198, 199 aufgeführt, nicht die Berufsbezeichnung, sondern die für den Ingenieurberuf typische Tätigkeit, d. h. die Beherrschung der Kernbereiche wie bei einem Ausbildungsingenieur.

2. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG übt eine freiberufliche Tätigkeit auch derjenige aus, der einen der Berufstätigkeit der Ingenieure ähnlichen Beruf ausübt. Nach der unter 1. angeführten Rechtsprechung setzt zwar auch ein der Berufstätigkeit der Ingenieure ähnlicher Beruf i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG grundsätzlich eine Ausbildung voraus, die mit der Berufsausbildung eines Ingenieurs vergleichbar ist. Ein ähnlicher Beruf kann aber auch dann vorliegen, wenn der Steuerpflichtige zwar eine Ausbildung, die mit der in den Ingenieurgesetzen der Länder vorgeschriebenen Ausbildung vergleichbar ist, nicht nachweisen kann, seine praktische Berufstätigkeit aber mathematisch-technische Kenntnisse voraussetzt, die üblicherweise nur durch eine Berufsausbildung als Ingenieur vermittelt werden. Der Steuerpflichtige muß also in einem solchen Fall die auf andere Weise, z. B. auch durch Selbststudium, erworbenen und denen eines Ingenieurs vergleichbaren mathematisch-technischen Kenntnisse anhand seiner Arbeiten in seiner praktischen Berufstätigkeit nachweisen können (BFH in BFHE 155, 109, 112, BStBl II 1989, 198, 199, 200).

Darüber hinaus muß die derart nachgewiesene qualifizierte Arbeit, um als ein einem der selbständigen Berufstätigkeit der Ingenieure ähnlicher Beruf erachtet werden zu können, den wesentlichen Teil der gesamten Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen ausmachen (BFH in BFHE 155, 109, 113, BStBl II 1989, 198, 200). D. h., die qualifizierte Arbeit muß dem ähnlichen Beruf das Gepräge im Sinne des Katalogberufs geben. Denn die zum Nachweis vorgelegten eigenen Arbeiten des Steuerpflichtigen müssen einen der Ingenieurtätigkeit vergleichbaren Schwierigkeitsgrad aufweisen und der Schwerpunkt der eigenen praktischen Tätigkeit muß in einem für den Ingenieurberuf wesentlichen oder typischen Bereich liegen (vgl. für einen dem Architektenberuf ähnlichen Beruf BFH-Urteil vom 22. Januar 1988 III R 43-44/85, BFHE 152, 345, 351, BStBl II 1988, 497, 499). Die Anerkennung einer ausgeübten Tätigkeit als ähnlicher Beruf setzt die Vergleichbarkeit mit der fachlichen Breite des Ingenieurberufs voraus (z. B. BFH-Urteile in BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118, 120, und vom 11. Juni 1985 VIII R 254/80, BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584, 586), so daß die ausgeübte Tätigkeit des Steuerpflichtigen nicht bloß einen kleinen Ausschnitt aus dem Ingenieurberuf erfassen darf (BFH-Urteile vom 27. Mai 1975 VIII R 199/73, BFHE 116, 30, 31, BStBl II 1975, 665; in BFHE 144, 62, 66, BStBl II 1985, 584, 586, und vom 27. Februar 1985 I R 26/82, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz ab 1975, § 18 Abs. 1, Rechtsspruch 24, BFH/NV 1986, 81).

3. Von diesen Grundsätzen ist auch das FG ausgegangen. Es hat es zu Recht nicht ausreichen lassen, daß E als sog. Übergangsingenieur die Berufsbezeichnung Ingenieur führen durfte. Dessen Tätigkeit war auch nicht - losgelöst von den berufsrechtlichen Vorschrifen des IngG NW - typisch für den Katalogberuf ,,Ingenieur" i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Er übte auch keine diesem Beruf ähnliche Tätigkeit aus (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG).

Nach den Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) besaß E keine Erfahrungen und Kenntnisse in allen Kernbereichen des Ingenieurberufs. Den entsprechenden Nachweis hat das FG auch nicht durch die Vorlage der beiden Gutachten vom 6. Juli und 13. August 1981 als erbracht angesehen. Die Rüge der Klägerin, das FG habe den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt (vgl. § 76 FGO), greift nicht durch. Das FG hat entscheidend darauf abgestellt, daß die Tätigkeit des E nicht die geforderte fachliche Breite wie der durch das Fachstudium geprägte Ingenieurberuf aufwies. Dabei hat das FG zugunsten der Klägerin als wahr unterstellt, daß die beiden vorgelegten Gutachten nur mit Kenntnisstand eines Ausbildungsingenieurs hätten erstellt werden können. Das FG brauchte daher seine eigene Sachkunde nicht darzulegen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß (wie die Klägerin dies ausdrückt) die Vorinstanz nicht mitgeteilt habe, worauf ,,ihre Überzeugung" beruhe und worin sie ,,den Kernbereich oder Schwerpunktbereich der Tätigkeit der Ingenieure" sehe. Denn das FG konnte sich für die Klageabweisung zum einen darauf stützen, daß E auch nach den Angaben der Klägerin im Einspruchsverfahren weit überwiegend Gutachten über Unfallschäden und die voraussichtlichen Kosten der Behebung erstellt hatte. Im übrigen hat das FG zu Recht ausgeführt, auch die Klägerin behaupte nicht, der Schwerpunkt der Tätigkeit des E habe entsprechend der beiden vorgelegten Gutachten im Bereich der Vermeidbarkeit von Unfällen (Geschwindigkeitsberechnung u. ä.) und der Verkehrssicherheit gelegen.

4. Dieses Ergebnis ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht verfassungsrechtlich bedenklich. Die Systemwidrigkeit stellt für sich allein keinen Verfassungsverstoß dar (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 16. Juni 1987 1 BvL 4/84 und 6/84, Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1988, 102, 105, und Beschluß vom 10. November 1981 1 BvL 18, 19/77, BVerfGE 59, 36, 49). Denn nach welchem System der Gesetzgeber eine Materie ordnen will, obliegt ebenso wie die Zweckmäßigkeit seiner freien Entscheidung. Erst recht darf er auf die Sachgesetzlichkeit einer Rechtsmaterie - hier Steuerrecht - abstellen und ist nicht gehalten, Ordnungsprinzipien aus einer anderen Rechtsmaterie - hier Berufsrecht - zu übernehmen. Der Gesetzgeber ist insoweit in seiner Gestaltung frei.

Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) liegt nicht vor. Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf das Urteil in BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118, 119, und den Beschluß des BVerfG vom 18. Januar 1979 1 BvR 531/77 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1979, 204). Der Gesetzgeber konnte hinsichtlich der Besserstellung der freien Berufe in gewerbesteuerrechtlicher Hinsicht berücksichtigen, daß die freiberuflich Schaffenden insgesamt gesehen zum Erwerb ihrer hohen und breit angelegten Qualifikation eine längere Ausbildungszeit auf sich nehmen mußten und in dieser Zeit zumeist keine Einkünfte hatten (BVerfG-Beschluß vom 25. Oktober 1977 1 BvR 15/75, BStBl II 1978, 125, 129).

Ein Übergangsingenieur wird auch nicht in seinen Grundrechten nach Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG verletzt. Zwar ist ein Übergangsingenieur, verglichen mit den ausgebildeten Ingenieuren in wettbewerblicher Hinsicht, in gewissem Umfang benachteiligt. Es ist aber nicht ersichtlich, daß diese Belastung der Übergangsingenieure in Anbetracht der langen Zeit der Ausbildung für Ingenieure, auf die Lebenszeit gesehen, wirklich von Gewicht ist und zu einer grundlegenden Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse führt (vgl. Beschluß des BVerfG in HFR 1979, 204).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416631

BFH/NV 1991, 359

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