Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Auch berufstätige Jugendliche können in ein mit staatlichen Mitteln gefördertes Jugendwohnheim "für Erziehungszwecke" aufgenommen werden.

Fortbildung im Sinne des § 4 Ziff. 13 UStG umfaßt nicht allein die berufliche, sondern auch die geistig-sittliche Fortbildung. Die Fortbildungszwecke berühren sich insofern mit den Erziehungszwecken und ergänzen sie.

 

Normenkette

UStG § 4 Ziff. 13; UStDB § 40; UStG § 4/23

 

Tatbestand

Der Bg. unterhält ein von ihm mit staatlichen Mitteln errichtetes und durch Zuschüsse aus dem Landesjugendplan gefördertes Jugendwohnheim. In diesem Heim hat er im Jahre 1953 42 Personen aufgenommen, sie beherbergt und beköstigt. Streitig ist im wesentlichen, ob er diese Personen "für Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke" aufgenommen hat und ob aus diesem Grunde die Entgelte für die gewährte Beherbergung und Beköstigung gemäß § 4 Ziff. 13 UStG steuerfrei sind. Das Finanzamt hat die Steuerfreiheit verneint, weil es sich bei den aufgenommenen Personen "um voll entlohnte Arbeitskräfte" gehandelt habe. Das Finanzgericht hingegen hat die Leistungen als steuerfrei angesehen. Die im Jahre 1953 im Jugendwohnheim untergebrachten Personen seien zwar fast alle berufstätig gewesen, gleichwohl aber "für Erziehungszwecke" aufgenommen worden, was im einzelnen aus den Bildungs- und Erziehungseinrichtungen des Jugendwohnheims und außerdem daraus zu erkennen sei, daß das Heim durch Zuschüsse aus dem Landesjugendplan gefördert werde. Der Arbeits- und Sozialminister des Landes X. habe das Jugendwohnheim des Bg. auch als ein solches im Sinne des Bundes- und Landesjugendplanes anerkannt, zu dessen Wesen die erzieherische Betreuung der aufgenommenen Jugendlichen durch eine pädagogische Fachkraft gehöre.

Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts die unrichtige Anwendung bestehenden Rechts und einen Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten. Er ist der Ansicht, § 4 Ziff. 13 UStG setze voraus, "daß die Aufnahme überwiegend zu Erziehungszwecken erfolgt". Daran fehle es im Streitfalle. Der in der Satzung des Bg. vorgesehenen Betreuung der aufgenommenen Personen komme zwar "eine gewisse erzieherische Bedeutung" zu, sie stelle jedoch "nicht den überwiegenden Zweck der Aufnahme in das Wohnheim dar". Auch "das Alter der Heiminsassen sowie der Umstand, daß es sich bei ihnen um vollerwerbstätige Personen" handele, sprächen gegen die Annahme, daß die Personen "zu Erziehungszwecken" aufgenommen worden seien. Da das Finanzgericht gleichwohl festgestellt habe, "die bei dem Bg. untergebrachten 18 bis 25 Jahre alten und voll berufstätigen Personen" seien "überwiegend zu Erziehungszwecken aufgenommen worden", beruhe seine Entscheidung auch auf einem Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung des Falles an das Finanzgericht.

Das Finanzgericht hat zutreffend bei dem größten Teil der vom Bg. erbrachten Leistungen die Voraussetzungen der Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 13 UStG in Verbindung mit § 40 UStDB für gegeben erachtet. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, wenn es das Tatbestandsmerkmal "für Erziehungszwecke bei sich aufnehmen" nicht eng ausgelegt hat, sondern davon ausgegangen ist, daß unter bestimmten Voraussetzungen auch Personen, die bereits berufstätig sind, "für Erziehungszwecke" aufgenommen werden können. Dies wird vor allem dann anzunehmen sein, wenn es sich - wie im Streitfalle - bei den aufgenommenen Personen zum größten Teil um noch junge, erziehbare und bildungsfähige Menschen im Alter bis zu 25 Jahren handelt. Bei ihnen muß die Erziehungsarbeit nicht notwendig damit enden, daß sie erwerbstätig werden. Das zeigt die Lebenserfahrung und das sich auf ihr aufbauende Bemühen des Staates, Jugendwohnheime für die werktätige Jugend, zu deren Wesen die Betreuung der Jugendlichen durch eigens pädagogisch dafür vorgebildete Heimleiter und - erzieher gehört, zu fördern (vgl. die vom Bundesminister des Innern erlassenen "Richtlinien für die Gewährung von Zuschüssen aus Mitteln des Bundesjugendplanes zur Erstellung von Jugendwohnheimen" vom 28. Mai 1953, Gemeinsames Ministerialblatt, herausgegeben vom Bundesministerium des Innern, S. 192). Daß der Bg. an den in seinem Jugendwohnheim aufgenommenen Jugendlichen eine Erziehungsarbeit leisten wollte und tatsächlich geleistet hat, hat das Finanzgericht zutreffend aus den von ihm festgestellten Tatsachen geschlossen, insbesondere auch daraus, daß dem Bg. Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln gewährt worden sind, die nur für solche Heime bestimmt sind, die der Erziehung Jugendlicher dienen. Der Vorsteher des Finanzamts behauptet indes, die Aufnahme der Jugendlichen sei nicht "überwiegend für Erziehungszwecke", sondern in erster Linie deshalb erfolgt, um ihnen eine familienähnliche Unterkunft zu bieten; aus diesem Grunde sei § 4 Ziff. 13 UStG nicht anwendbar. Ob diese im Widerspruch zu der Tatsachenfeststellung des Finanzgerichts stehende Behauptung zutrifft, kann dahingestellt bleiben, weil die an sie geknüpfte Rechtsansicht im Gesetz keine Stütze findet. Für die Anwendbarkeit der Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 13 UStG kommt es nicht darauf an, ob die Erziehungsmaßnahmen gegenüber Beherbergungs-, Beköstigungs- und üblichen Naturalleistungen überwiegen, sondern darauf, ob mehr Personen für begünstigte Zwecke als aus anderen Gründen aufgenommen werden, wobei weniger auf die Zahl der Personen als auf die Zahl der gewährten übernachtungen abzustellen ist. Nur wenn die erwähnten Pflegeleistungen ohne Zusammenhang mit Erziehung-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecken gewährt werden würden (zum Beispiel in Erholungsheimen), würden sie nicht gemäß § 4 Ziff. 13 UStG steuerfrei sein.

Hinzu kommt, daß die in § 4 Ziff. 13 UStG genannten Erziehungs- und Fortbildungszwecke nicht scharf voneinander zu trennen sind, sondern sich gegenseitig berühren und ergänzen. Der Begriff Fortbildungszwecke ist so auszulegen, daß er nicht allein die berufliche, sondern auch die geistige und sittliche Fortbildung umfaßt.

Der Hinweis des Vorstehers des Finanzamts auf die Entstehungsgeschichte des § 4 Ziff. 13 UStG führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Zwar ist richtig, daß die Vorschrift des § 2 Nr. 11 UStG 1926 - eines Vorläufers des heutigen § 4 Ziff. 13 UStG - zum Ziele hatte, solche "Personen zu entlasten, die gezwungen sind, ihre Kinder, oder Kinder, deren Erziehung ihnen obliegt, in Schulen aller Art ... oder in gewerblichen Unternehmen außerhalb ihres Wohnsitzes für den künftigen Beruf ausbilden zu lassen" (vgl. Popitz-Kloß-Grabower, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 3. Aufl., 1928, § 2 Nr. 11 Anm. III, S. 579). Jedoch geht die Vorschrift des § 4 Ziff. 13 UStG in ihrer heutigen Fassung - wie schon ihr Wortlaut zeigt - über dieses Ziel erheblich hinaus.

Die Befürchtung des Vorstehers des Finanzamts, eine Steuerbefreiung im vorliegenden Falle würde zu dem unbilligen Ergebnis führen, "daß Eltern mit mehreren Kindern, die im Familienkreis erzogen werden, nur umsatzsteuerbelastete Lieferungen und Leistungen erwerben ... , während ledige voll verdienende Jugendliche, die nur eine Unterkunft suchen, steuerbefreite Leistungen erhalten" könnten, ist schon deshalb nicht begründet, weil - wie das Finanzgericht festgestellt hat - der Bg. die Jugendlichen nicht nur, um ihnen eine Unterkunft zu bieten, sondern "für Erziehungszwecke" aufgenommen hat. Der Vorsteher des Finanzamts räumt selbst ein, daß das Vertragsverhältnis zwischen dem Bg. und den aufgenommenen Jugendlichen ein gemischtes war, bei dem die Betreuung überwog. Im übrigen stellt das Gesetz nicht darauf ab, ob von einzelnen Jugendlichen "die Erziehung ... als unumgänglich geduldet" oder freudig bejaht wird.

Die angefochtene Entscheidung ist jedoch aus folgendem Grunde aufzuheben: Aus der vom Bg. vorgelegten "Liste der im Jahre 1953 im Jugendwohnheim wohnhaft gewesenen Heiminsassen" geht hervor, daß von den insgesamt aufgenommenen 42 Personen sieben das 25. Lebensjahr bereits vollendet hatten oder im Laufe des Jahres vollendeten. Da bei Personen, die älter als 25 Jahre sind, die Erziehung in der Regel abgeschlossen sein wird, wäre die Gewährung von Beherbergung und Beköstigung insoweit nur dann steuerfrei, wenn der Bg. die genannten Personen "für Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke" bei sich aufgenommen hätte oder wenn sie aus besonderen Gründen noch als "für Erziehungszwecke" aufgenommen gelten könnten. Die vom Bg. vorgelegte Liste enthält bei der unter Nr. 42 aufgeführten Person den Vermerk: "hier erfolgte die Ausbildung zum Bau-Ing.". Hieraus kann vielleicht geschlossen werden, daß der Bg. diese Person "für Ausbildungszwecke" bei sich aufgenommen hatte. Bei den übrigen sechs Personen fehlen jegliche Feststellungen. Das Finanzgericht wird deshalb hinsichtlich dieser sieben Personen den Sachverhalt noch zu ergänzen und rechtlich zu würdigen haben. Hierbei ist der Begriff "Fortbildungszwecke" in dem oben dargelegten Sinne auszulegen, zumal da sich gerade bei den älteren Jugendlichen Erziehungs- und Fortbildungszwecke oft gegenseitig durchdringen und nicht scharf voneinander trennen lassen werden. Sollte sich auf Grund der Ermittlungen des Finanzgerichts ergeben, daß die sieben Personen nicht für einen der in § 4 Ziff. 13 UStG begünstigten Zwecke aufgenommen worden sind, so wären die Pflegeleistungen des Bg. insoweit nicht gemäß § 4 Ziff. 13 UStG steuerfrei. Auch die Befreiungsvorschrift des § 4 Ziff. 16 UStG würde auf sie nicht anwendbar sein, weil der Bg. nicht der freien Wohlfahrtspflege (ß 43 Abs. 2 Satz 1 UStDB, § 8 Abs. 2 der Gemeinnützigkeits-Verordnung, Urteile des Bundesfinanzhofs V 286/55 U vom 11. Juli 1956, BStBl 1956 III S. 258, Slg. Bd. 63 S. 161, und V 90/53 U vom 26. Juli 1956, BStBl 1956 III S. 261, Slg. Bd. 63 S. 169), sondern nur den Belangen eines engeren Kreises von Personen, den Mitgliedern des Vereins, dient (ß 17 Abs. 4, 5 des Steueranpassungsgesetzes, § 1 Abs. 2 der Satzung des Bg.). Ob der auf die Beherbergung entfallende Teil der Leistungen des Bg. gegenüber den erwähnten sieben Personen als Vermietung von Wohnräumen gemäß § 4 Ziff. 10 Satz 1 UStG steuerfrei oder als Beherbergung in einer Gaststätte gemäß § 4 Ziff. 10 Satz 2 UStG steuerpflichtig wäre, bedürfte dann jedoch noch näherer Aufklärung durch das Finanzgericht, insbesondere in der Richtung, ob der Bg. Wohn- oder Schlafräume zur vorübergehenden Beherbergung von Fremden bereithielt (ß 38 UStDB).

Die Sache wird deshalb an das Finanzgericht zurückverwiesen, damit es die noch erforderliche Feststellung treffe und sodann erneut entscheide.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409743

BStBl III 1960, 396

BFHE 1961, 393

BFHE 71, 393

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