Leitsatz (amtlich)

Offenbare Unrichtigkeit eines Gewerbesteuermeßbescheides liegt nicht vor, wenn das FA bei der Berechnung des Gewerbeertrags einen Fehler des Betriebsprüfers übernahm, der nicht von dem Gewinn aus Gewerbebetrieb, sondern von dem bereits um einen Verlustabzug geminderten körperschaftsteuerpflichtigen Einkommen ausgegangen war.

 

Normenkette

AO § 92 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist im Gewerbesteuermeßbetrags-Verfahren für den Erhebungszeitraum 1965, ob das FA den Meßbescheid wegen offenbarer Unrichtigkeit (§ 92 Abs. 2 AO) abändern durfte.

Die Klägerin, eine GmbH, wurde für die Jahre 1964 und 1965 zunächst erklärungsgemäß vorläufig zur Körperschaftsteuer veranlagt. Auch die Festsetzung der Gewerbesteuermeßbeträge nach dem Gewerbeertrag geschah vorläufig. Auf Grund des Ergebnisses einer Betriebsprüfung erließ das FA Berichtigungsbescheide gemäß § 222 AO. Dabei übernahm es ohne Änderungen die Besteuerungsmerkmale aus den in dem Betriebsprüfungsbericht enthaltenen Zusammenstellungen des Prüfers. Diese enthielten indessen einen Fehler. Für den Veranlagungszeitraum 1964 ergaben sich ein abzugsfähiger Verlust gemäß § 10d EStG von 329 328 DM und ein Gewerbeverlust gemäß § 10a GewStG von 172 219 DM. Bei der Körperschaftsteuerveranlagung 1965 (Streitjahr) belief sich nach Berücksichtigung des Verlustabzugs ("Verlustvortrag") in Höhe von 329 328 DM das steuerpflichtige Einkommen auf 512 050 DM. Bei der Berechnung des Steuermeßbetrages nach dem Gewerbeertrag 1965 legte der Prüfer irrtümlich das - bereits um den körperschaftsteuerrechtlichen Verlustabzug (329 328 DM) gekürzte - Einkommen der GmbH von 512 050 DM zugrunde und gewährte - insoweit zutreffend - den Abzug des Gewerbeverlustes 1964 in Höhe von 172 219 DM.

Nachdem das FA erkannt hatte, daß in dem Gewerbesteuermeßbescheid 1965 vom 2. September 1968 der Gewinn aus Gewerbebetrieb zu Unrecht um den körperschaftsteuerlichen Verlust in Höhe von 329 328 DM gekürzt war, berichtigte es durch Bescheid vom 29. Oktober 1968, den es auf § 92 Abs. 2 AO stützte, den Gewerbeertrag entsprechend.

Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Das FG gab ihrer Klage statt. Es führte aus, daß eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 92 Abs. 2 AO nicht vorliege. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift sei ausgeschlossen, wenn auch nur die Möglichkeit eines Rechtsirrtums bestehe. Es sei im Streitfall durchaus möglich, daß der Betriebsprüfer und der Veranlagungsbeamte den Unterschied zwischen gewerblichem Gewinn und körperschaftsteuerpflichtigem Einkommen verkannt oder sich nicht klargemacht hätten. Dann aber liege eine unrichtige Rechtsanwendung vor. Unerheblich sei die Tatsache, daß der Klägerin bei der Schlußbesprechung Steuererhöhungen bei der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer angekündigt worden seien und daß der Betriebsprüfer in seiner Mehr- und Wenigerrechnung eine Gewerbesteuerrückstellung für das Streitjahr berücksichtigt habe. Denn es komme nicht darauf an, daß der Fehler des FA dem Steuerpflichtigen erkennbar gewesen sei. Entscheidend sei vielmehr, ob aus den Steuerakten eindeutig hervorgehe, daß der Veranlagungsbeamte die Weichen für die zutreffende Steuerberechnung rechtlich richtig gestellt habe (Urteil des BFH VI R 85/67 vom 8. Dezember 1967, BFH 90, 468, BStBl II 1968, 191). Im Streitfall seien aber zumindest Zweifel daran nicht auszuschließen, ob dem Beamten ausschließlich ein rein mechanisches oder formales Versehen unterlaufen sein könne. Die Möglichkeit eines Rechtsirrtums oder einer unrichtigen Rechtsanwendung liege nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit.

In seiner Revision rügt das FA unrichtige Auslegung und Anwendung des § 92 Abs. 2 AO. Das FG hätte prüfen müssen, ob den Bearbeitern nach dem Akteninhalt klargewesen sei, in welcher Weise der für die Gewerbesteuer maßgebliche gewerbliche Gewinn oder Verlust zu ermitteln gewesen wäre und ob sie den richtigen Weg hätten gehen wollen. Den Bearbeitern seien die hier maßgebenden Unterschiede geläufig gewesen. Ein Rechtsirrtum des Inhalts, daß die Bearbeiter den Verlust zweimal hätten berücksichtigen wollen, nämlich zunächst bei der Errechnung des für die Gewerbesteuer maßgeblichen Gewinns und nochmals bei der Errechnung des maßgeblichen Gewerbeertrags, sei als ausgeschlossen anzusehen. Den Bearbeitern sei ein offensichtliches Versehen unterlaufen. Das ergebe sich auch daraus, daß der Veranlagungsbeamte bei der früheren Veranlagung wie auch sonst richtig verfahren sei. Daß die Bearbeiter einen höheren Gewerbesteuermeßbetrag als bisher hätten ansetzen wollen, zeige sich vor allem darin, daß eine Rückstellung für Gewerbesteuernachzahlungen in Höhe von 25 000 DM bei der Errechnung des Bilanzgewinns 1965 gebildet worden sei.

Die Klägerin beantragt die Abweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet.

1. Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß als offenbare Unrichtigkeiten im Sinn des § 92 Abs. 2 AO (n. F.) nur mechanische Versehen in Betracht kommen, zu denen Rechenfehler, Fehler beim Ablesen der Steuertabelle oder Übertragungsfehler gehören (vgl. z. B. BFH-Urteil VI R 5/66 vom 10. Februar 1967, BFH 88, 155, BStBl III 1967, 348). Ein solches mechanisches Versehen kann auch darin liegen, daß eine offenbare Unrichtigkeit, die in einem Betriebsprüfungsbericht enthalten ist, von dem Veranlagungsbeamten bei der Auswertung des Berichts unbemerkt in den Bescheid (Berechnungsbogen) übernommen wird. Die Anwendung des § 92 Abs. 2 AO scheidet in einem solchen Falle nicht schon deshalb aus, weil der Fehler nicht von dem Veranlagungsbeamten herrührte (so zutreffend Tipke-Kruse, Reichabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Anm. 2 zu § 92 AO). Zwar hat der II. Senat des BFH in dem Urteil II 121/63 U vom 24. November 1965 (BFH 84, 438, BStBl III 1966, 158) entschieden, daß ein nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO ergangener Änderungsbescheid, durch den eine offenbare Unrichtigkeit des Erstbescheides ohne Nachprüfung übernommen wurde, nicht nach § 92 Abs. 3 AO (jetzt § 92 Abs. 2 AO) berichtigt werden könne, da es bei einer Neuaufrollung des Veranlagungsfalles (es handelte sich dort um eine Grunderwerbsteuersache) geboten gewesen wäre, alle für die Besteuerung maßgeblichen Wertansätze auf ihre sachliche Richtigkeit zu überprüfen. Da dies unterlassen worden sei, beruhe die Unrichtigkeit des Änderungsbescheids auf falscher Rechtsanwendung. Diese Grundsätze können nach Auffassung des erkennenden Senats nicht ohne weiteres auf die Fälle übertragen werden, bei denen es sich um die Auswertung von mehr oder weniger umfangreichen Betriebsprüfungsberichten handelt, bei denen erfahrungsgemäß die Überprüfung jeder einzelnen Position durch den Veranlagungsbeamten schon aus praktischen Gründen nicht in Betracht kommen kann. Übernimmt der Veranlagungsbeamte einen in dem Betriebsprüfungsbericht enthaltenen Fehler, der als offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 92 Abs. 2 AO zu beurteilen ist, so macht er sich diesen Fehler zu eigen, mit der Folge, daß der Bescheid, in den der Fehler eingeht, in der gleichen Weise berichtigt werden kann, als ob der Veranlagungsbeamte selbst den Fehler begangen hätte. Es kommt deshalb für die Entscheidung in Fällen der vorliegenden Art darauf an, ob der Fehler bereits im Rahmen des Betriebsprüfungsberichts als offenbare Unrichtigkeit zu beurteilen ist.

2. Eine Fehlerberichtigung nach § 92 Abs. 2 AO scheidet im Streitfall aber schon deshalb aus, weil die Unrichtigkeit nicht "offenbar" war. Offenbar ist nur, was für alle Beteiligten durchschaubar, erkennbar, eindeutig oder augenfällig ist (vgl. BFH-Urteil V 109/61 vom 29. März 1966, BFH 86, 333, BStBl III 1966, 515). Anders als Fehler, die sich bei der Anwendung einer Steuertabelle ergeben und die auf gleichsam mechanischem Wege erkannt werden können, wird ein Fehler der hier zu beurteilenden Art erst durch Einschaltung rechtlicher Erwägungen körperschaftsteuerlicher und gewerbesteuerlicher Art offenbar. Dies hat nichts mit der Frage zu tun, ob dem Veranlagungsbeamten die Bedeutung der hier in Betracht kommenden Rechtsbegriffe geläufig war. Der Senat geht davon aus, daß dem Beamten diese Unterschiede geläufig waren und die ihnen unterlaufene Verwechslung auf einem Versehen beruhte. Gleichwohl war der Fehler nicht "offenbar". Dem steht nicht entgegen, daß, wie das FA vorträgt, eine Gewerbesteuerrückstellung wegen zu erwartender Mehrforderungen gebildet war und daß die gewerbesteuerrechtliche Auswirkung von dem Betriebsprüfer auch in eine Mehr- und Weniger-Rechnung aufgenommen wurde. Denn auch diese Tatsachen ließen nicht ohne weiteres erkennen, daß die gewerbesteuerrechtlichen Bemessungsgrundlagen unrichtig angesetzt waren. Dazu bedurfte es vielmehr erst besonderer Überlegungen.

Nach alledem ist die Vorentscheidung im Ergebnis zu bestätigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413268

BStBl II 1972, 743

BFHE 1972, 14

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