Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechtigtes Interesse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage; Wechsel zwischen degressiven und erhöhten Absetzungen bei Lohnsteuerermäßigung und Veranlagung

 

Leitsatz (NV)

1. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, daß ein inzwischen erledigter Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, ist im Hinblick auf die Folgejahre zu bejahen, wenn auch künftig dieselbe tatsächliche und rechtliche Beurteilung der Besteuerung zugrunde zu legen sein wird und das Finanzamt zu erkennen gibt, daß es auch dann bei seiner dem Steuerpflichtigen ungünstigen Auffassung bleiben wird.

2. Wechselt ein Steuerpflichtiger ausschließlich im Lohnsteuerermäßigungsverfahren von den degressiven Absetzungen für Abnutzung nach § 7 Abs. 5 EStG zu den erhöhten Absetzungen nach § 7b EStG, um sodann im Veranlagungsverfahren wieder degressive Absetzungen für Abnutzung nach § 7 Abs. 5 EStG geltend zu machen, so kann hierin eine rechtsmißbräuchliche Inanspruchnahme des § 39a Abs. 1 Nr. 6 EStG (§ 42 AO 1977) zu erblicken sein.

 

Normenkette

FGO § 100 Abs. 1 S. 4; EStG § 7 Abs. 5, §§ 7b, 39a Abs. 1 Nr. 6; AO 1977 § 42

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau errichteten eine Eigentumswohnung, die im Jahre 1983 bezugsfertig wurde, und vermieteten sie. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gewährte dem Kläger und seiner Ehefrau für die Eigentumswohnung in den Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 1983 und 1984 antragsgemäß Absetzungen für Abnutzung (AfA) nach § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von 5 v. H. der Herstellungskosten.

Im Lohnsteuerermäßigungsverfahren 1985 beantragten der Kläger und seine Ehefrau die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte 1985 wegen erhöhter Absetzungen nach § 7b EStG für die Eigentumswohnung. Das FA lehnte dies durch Bescheid vom 6. März 1985 mit der Begründung ab, ein Wechsel von den degressiven AfA nach § 7 Abs. 5 EStG zu den erhöhten Absetzungen nach § 7b EStG sei unzulässig.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 296 veröffentlichten Urteil vom 26. September 1985 VI 148/85 statt. Es verpflichtete das FA, auf der Lohnsteuerkarte des Klägers für das Jahr 1985 den begehrten Freibetrag einzutragen. Es hielt einen Wechsel von den degressiven AfA nach § 7 Abs. 5 EStG zu den erhöhten Absetzungen nach § 7b EStG für zulässig.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 7 Abs. 5 EStG.

Zwischenzeitlich haben der Kläger und seine Ehefrau beim FA eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 1985 eingereicht, in der sie für ihre Eigentumswohnung degressive AfA nach § 7 Abs. 5 EStG geltend gemacht haben. Das FA hat die Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1985 noch nicht durchgeführt.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt festzustellen, daß die Ablehnung des FA, einen Freibetrag für erhöhte Absetzungen nach § 7b EStG auf der Lohnsteuerkarte für das Jahr 1985 einzutragen, rechtswidrig gewesen ist.

Sein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung erblickt der Kläger darin, daß das FA im Lohnsteuerermäßigungsverfahren für das Jahr 1986 wie im Streitjahr die Eintragung eines Freibetrags für erhöhte Absetzungen nach § 7b EStG abgelehnt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das angefochtene Urteil war aufzuheben, weil im Zeitpunkt der Entscheidung durch den erkennenden Senat der Rechtsstreit um die Frage, ob der Kläger die Eintragung eines Freibetrages für erhöhte Absetzungen nach § 7b EStG auf seiner Lohnsteuerkarte für das Jahr 1985 beanspruchen kann, gegenstandslos geworden ist. Denn nach Ablauf des Monats März 1986 kann sich die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte 1985 nicht mehr auf das Lohnsteuerabzugsverfahren auswirken (§ 42b Abs. 3 Satz 1 EStG).

2. Die Klage mit dem Antrag festzustellen, daß die Weigerung des FA, einen Freibetrag für erhöhte Absetzungen nach § 7b EStG auf der Lohnsteuerkarte 1985 einzutragen, rechtswidrig gewesen sei, ist als unzulässig abzuweisen.

Hat sich ein Verwaltungsakt erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO). Der Kläger besitzt kein berechtigtes Interesse an der Feststellung einer etwaigen Rechtswidrigkeit der Weigerung des FA, den begehrten Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte 1985 einzutragen.

a) Der Bundesfinanzhof (BFH) hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids anerkannt, der sich durch Ergehen des Umsatzsteuerjahresbescheids erledigt hat, sofern sich die Sach- und Rechtslage in dem Rechtsbehelfsverfahren gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid unverändert darstellt (Urteil vom 18. Dezember 1986 V R 127/80, BFHE 148, 226, BStBl II 1987, 222).

In Anlehnung an diese Entscheidung läßt sich ein berechtigtes Interesse des Klägers nicht begründen. Denn im Einkommensteuerveranlagungsverfahren für das Jahr 1985 stellt sich nicht die gleiche Streitfrage bei gleicher Sach- und Rechtslage wie im vorausgegangenen Lohnsteuerermäßigungsverfahren 1985. Der Kläger hatte im Lohnsteuerermäßigungsverfahren 1985 die Eintragung eines Freibetrages für erhöhte Absetzungen nach § 7b EStG beantragt. Im Einkommensteuerveranlagungsverfahren begehrt er hingegen die Berücksichtigung von degressiven AfA nach § 7 Abs. 5 EStG.

b) Ein Feststellungsinteresse im Hinblick auf die Folgejahre hat der BFH ferner ausnahmsweise dann bejaht, wenn auch in den Folgejahren dieselbe tatsächliche und rechtliche Beurteilung der Besteuerung zugrunde zu legen sein wird und das FA zu erkennen gibt, daß es auch dann bei seiner dem Steuerpflichtigen ungünstigen Auffassung bleiben wird (Urteil vom 16. Dezember 1971 IV R 221/67, BFHE 103, 555, BStBl II 1972, 182).

Der Kläger kann nicht unter Berufung auf diese Rechtsprechung sein Feststellungsinteresse darauf stützen, daß das FA auch im Lohnsteuerermäßigungsverfahren der Folgejahre die Eintragung eines Freibetrages wegen erhöhter Absetzungen nach § 7b EStG ablehnen werde, wie es dies bereits im Lohnsteuerermäßigungsverfahren 1986 getan habe. Denn ein solches Begehren des Klägers ist in den Folgejahren nicht aufgrund der gleichen Sach- und Rechtslage wie im Lohnsteuerermäßigungsverfahren 1985 zu beurteilen.

Im Lohnsteuerermäßigungsverfahren 1985 ging es um die Frage, ob das FA es gegenüber dem Kläger rechtswidrig abgelehnt hat, erstmals von den in den Jahren 1983 und 1984 in Anspruch genommenen degressiven AfA nach § 7 Abs. 5 EStG zu den erhöhten Absetzungen nach § 7b EStG überzuwechseln. Da der Kläger jedoch im Veranlagungsverfahren 1985 wieder die degressive AfA nach § 7 Abs. 5 EStG begehrt hat, wird im Lohnsteuerermäßigungsverfahren der Folgejahre auch zu prüfen sein, ob der Kläger rechtsmißbräuchlich i. S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) handelt, wenn er im jeweiligen Lohnsteuerermäßigungsverfahren einen Freibetrag für erhöhte Absetzungen nach § 7b EStG gemäß § 39a Abs. 1 Nr. 6 EStG beantragt, während er im anschließenden Veranlagungsverfahren bei den degressiven AfA nach § 7 Abs. 5 EStG bleibt, für die in § 39a Abs. 1 Nr. 6 EStG keine Eintragung eines Freibetrages vorgesehen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415075

BFH/NV 1987, 714

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