Leitsatz (amtlich)

1. Die §§ 54 bis 58 UStDB 1938 über die Zusatzsteuer in der Textilwirtschaft, die auf der gesetzlichen Ermächtigung der §§ 8, 18 UStG vom 16. Oktober 1934 (RGBl I S. 942) in Verbindung mit §§ 12 und 13 Ziff. 1 AO damaliger Fassung beruhen, gelten bis zum Erlaß des UStG 1951 und der UStDB 1951 als vorkonstitutionelles Recht weiter.

2. Bei einer Buntspinnweberei stellt das Färben des von der Spinnerei übernommenen Rohgarnes in der Kreuzspulfärberei oder in der Kettenbaumfärberei bereits einen Vorgang der Weberei dar. Der Übergang der Garne von der Spinnerei auf die Weberei wird demgemäß in dem Zeitpunkt angenommen, in dem mit den ersten Webevorbereitungsvorgängen, d. h. regelmäßig mit dem Spulen begonnen wird. Soweit in den Urteilen des Reichsfinanzhofs V 381/39 vom 20. Juni 1941 (RStBl 1941 S. 806) und V 38/41 vom 23. Oktober 1942 (RStBl 1943 S. 23) eine andere Auffassung zum Ausdruck kommt, wird daran nicht festgehalten.

 

Normenkette

UStG 1934 §§ 8, 18; UStDB 1938 §§ 54-58

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige betreibt eine Baumwollspinnerei und Weberei. Streitig ist im Veranlagungszeitraum 1949 die Erhebung der Zusatzsteuer nach § 54 UStDB 1938 hinsichtlich der im Webereivorwerk angefallenen Veredelungskosten für das Bleichen und Färben der aus der eigenen Spinnerei stammenden Garne in der Kreuzspulfärberei und in der Kettenbaumfärberei. Das Finanzamt hat diese Kosten entsprechend der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V 381/39 vom 20. Juni 1941, RStBl 1941 S. 806) der Zusatzsteuer unterworfen, während die Steuerpflichtige den Standpunkt vertritt, daß die genannten Veredelungsarbeiten nicht der Spinnerei, sondern der Weberei zuzurechnen seien.

Mit der Sprungberufung hatte die Steuerpflichtige Erfolg. Das Finanzgericht ist der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs nicht gefolgt, sondern hat -- gestützt auf ein Gutachten eines staatlichen Technikums für Textilindustrie -- ausgeführt, daß es, ehe das Garn webfertig sei, mehrerer Arbeitsgänge bedürfe und daß überall dort, wo Spinnerei und Weberei zu verschiedenen Unternehmen gehörten, diese im Streitfall zu beurteilenden Arbeitsvorgänge nicht Sache der Spinnerei, sondern der Weberei seien. Die Auffassung des Reichsfinanzhofs führe dazu, daß der Spinnweber schlechter gestellt sei als der reine Weber.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts rügt unrichtige Anwendung des geltenden Rechts; sie kann keinen Erfolg haben.

Der erkennende Senat hat durch Urteil V 226/57 S vom 22. Oktober 1959 (BStBl 1959 III S. 441, Slg. Bd. 69 S. 486) die §§ 59 bis 62 UStDB 1951 über die Zusatzsteuer in der Textilwirtschaft mangels einer gültigen gesetzlichen Ermächtigung für nichtig erklärt. Der Senat ist in diesem Urteil zu der Auffassung gekommen, daß die genannten Vorschriften der UStDB 1951 nachkonstitutionelles Recht sind, weil sie auf der Ermächtigung der §§ 8, 18 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1951 beruhen, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 18/56 vom 5. März 1958 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 282 ff.) für nichtig erklärt worden sind. An diesem Urteil hält der Senat fest.

Im Streitfall sind die UStDB 1938 anzuwenden, die auf der gesetzlichen Ermächtigung der §§ 8, 18 UStG vom 16. Oktober 1934 (RGBl I S. 942) in Verbindung mit §§ 12 und 13 Ziff. 1 AO damaliger Fassung beruhen. Deshalb gelten auch die §§ 54 ff. UStDB 1938 nach Art. 123 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) bis zum Erlaß des UStG 1951 und der UStDB 1951 als vorkonstitutionelles Recht weiter, soweit sie nicht dem GG widersprechen. Einen Widerspruch zum GG vermag der Senat für die hier in Betracht kommenden Durchführungsbestimmungen (§§ 54 ff. UStDB 1938) unter Berücksichtigung der bei ihrem Ergehen herrschenden staatsrechtlichen Verhältnisse nicht zu erblicken (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 200/55 S vom 17. Juli 1956, BStBl 1956 III S. 316, Slg. Bd. 63 S. 306).

In formeller Hinsicht ist festzustellen, daß § 12 AO in der Fassung des Steueranpassungsgesetzes vom 16. Oktober 1934 (RGBl 1934 I S. 925) den Reichsminister der Finanzen ermächtigte, zur Durchführung und zur Ergänzung der Steuergesetze Rechtsverordnungen zu erlassen. Der Reichsminister der Finanzen hat sich mit der Regelung des Textilbesteuerungsausgleichs im Rahmen der Grundlinien des UStG, insbesondere dessen § 8 UStG 1934, gehalten, in dem bereits eine spezielle Ermächtigung, Maßnahmen zum Ausgleich der verschiedenen Umsatzsteuerbelastungen der einstufigen und mehrstufigen Unternehmen zu treffen, enthalten war. Das GG ist nach Art. 145 Abs. 2 am 24. Mai 1949 in Kraft getreten (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 13/52, 1 BvL 21/52 vom 9. November 1955, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 4 S. 331 ff., 341). Maßgeblich für den Zeitpunkt der Rezeption des alten Rechts ist jedoch der Tag, an dem der Bundestag zum ersten Male zusammengetreten ist, das ist der 7. September 1949. Von diesem Zeitpunkt an sind die alten Ermächtigungen nach Art. 129 Abs. 3 GG erloschen (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvF 1/53 vom 10. Juni 1953, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 2 S. 307). Durch das Außerkrafttreten der ermächtigenden Rechtsgrundlage wurde jedoch die Gültigkeit der auf Grund der Ermächtigung erlassenen Rechtsvorschriften nicht berührt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 75/51 U vom 20. Februar 1953, BStBl 1953 III S. 150. Slg. Bd. 57 S. 386). Es muß aber die Vereinbarkeit des rezipierten Rechts mit dem GG auch in sachlicher Hinsicht geprüft werden.

Im Schrifttum ist mehrfach die Vereinbarkeit der textilen Zusatzsteuer mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG in verschiedener Hinsicht bezweifelt worden. Nach Auffassung des Senats ist der Gedanke einer Ausgleichsregelung im Umsatzsteuerrecht, insbesondere durch eine zusätzliche Besteuerung, wie sie schon im § 7 UStG 1918 zum Ausdruck kommt, mit Art. 3 GG vereinbar. Der Verordnungsgeber hat das ihm vorschwebende Ziel, einen der wesentlichsten Einwände gegen das geltende Umsatzsteuersystem zu beseitigen und die Wettbewerbsfähigkeit der einstufigen Unternehmen zu verbessern, auf dem Textilsektor durch eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt, die einen Ausgleich der Wettbewerbslage erreichen, ohne daß der Textilwirtschaft insgesamt eine zusätzliche Umsatzsteuerlast entstand (vgl. Hübschmann in Hübschmann-Grabower-Beck-von Wallis, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, Einleitung S. 21 ff.; Herting in "Aktuelle Umsatzsteuerfragen", München, 1951, S. 26 ff., 30). Der Zweck der Vorschriften war, wie häufig im modernen Steuerrecht, nicht fiskalischer, sondern wirtschaftspolitischer Art, ein Umstand, der durchaus verfassungskonform ist (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats V 52/56 S vom 22. Januar 1960, BStBl 1960 III S. 111, Slg. Bd. 70 S. 299). Art. 3 GG könnte verletzt sein, wenn wesentlich Gleiches ungleich, nicht dagegen, wenn wesentlich Ungleiches entsprechend der bestehenden Ungleichheit ungleich behandelt wird (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 201/51 vom 12. Oktober 1951, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 1 S. 14 ff., 52). Der Vorgang, der nach § 54 a. a. O. zum Anlaß einer zusätzlichen Besteuerung gewählt worden ist, nämlich der Übergang selbstgesponnener Garne in die eigene Weberei, kann nur bei Spinnwebereien, nicht aber bei einstufigen Spinnereien oder einstufigen Webereien vorkommen. Der Sachverhalt, an den die Besteuerung anknüpft, ist demnach anders als das, was bei einstufigen Textilunternehmen gegeben ist. Es wird also nicht Gleiches etwa ungleich behandelt. Auch die Tatsache, daß der Textilbesteuerungsausgleich als gezielte wirtschaftspolitische Lenkungsmaßnahme die Wettbewerbslage verändert, ist nicht verfassungswidrig. Das GG hat sich nicht für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden, so daß der Gesetz-(Verordnungs-)geber darin frei ist, die ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu treiben. Will der Gesetzgeber also einen Mangel des geltenden Umsatzsteuersystems ausgleichen oder doch mildern, so ist er hierin durch grundgesetzliche Bestimmungen nicht gehindert, solange nicht Willkür obwaltet. Mag man auch die Besteuerung von Innenlieferungen als Fremdkörper innerhalb des geltenden Umsatzsteuersystems empfinden, so ist dem entgegenzuhalten, daß das GG nirgendwo vorschreibt, daß Steuergesetze nur systemgemäße Vorschriften enthalten dürfen. Auch manche Befreiungsvorschriften des UStG sind systemwidrig, ohne daß deshalb die Verfassungswidrigkeit solcher Vorschriften geltend gemacht worden wäre oder geltend gemacht werden könnte.

Auch der Umstand, daß der Verordnungsgeber von der Ermächtigung des § 8 UStG nur für die Textilwirtschaft Gebrauch gemacht hat, verstößt nicht gegen das GG; denn dieses verbietet nicht, daß die vom Gesetz (§ 8 UStG 1934) für alle mehrstufigen Betriebe vorgesehenen Maßnahmen auf einen bestimmten Sektor, der sich von den anderen Industriezweigen deutlich unterscheidet, beschränkt bleibt. Auch insoweit hat nicht etwa Willkür vorgelegen, sondern die Regierung hat seinerzeit auch mit anderen Industriezweigen verhandelt und ist dabei zu der Feststellung gelangt, daß ein vordringliches Bedürfnis zu Ausgleichsmaßnahmen eben nur auf dem Textilsektor vorlag (vgl. im einzelnen hierzu Hübschmann, a. a. O., S. 22; zur Entstehungsgeschichte der Vorschriften vgl. ferner Gast-Klein in Heft 18 der Schriftenreihe des Instituts "Finanzen und Steuern" S. 10 ff.). Es würde zu einer unerträglichen Einengung der Gesetzgebung führen, wenn diese nach gewissenhafter Prüfung der wirtschaftlichen Bedürfnisse und Notwendigkeiten im Hinblick auf Art. 3 GG genötigt sein würde, Maßnahmen zum Schutz von Industriezweigen zu ergreifen, die von den beteiligten Wirtschaftskreisen selbst als nicht erforderlich erachtet werden. So wird auch wiederum Gleiches nicht etwa ungleich behandelt, da es auf der Hand liegt, daß die Umsatzsteuer als Unkostenfaktor nicht bei allen Industriezweigen die gleiche Rolle spielt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner oben angeführten Entscheidung vom 5. März 1958 (a. a. O. S. 298) ausgeführt, daß die Wettbewerbsverhältnisse der Unternehmenstypen, zwischen denen ein Ausgleich in Frage kommen kann, außerordentlich vielfältig sind. Wenn also aus der Entstehungsgeschichte der hier einschlägigen Vorschriften nur gefolgert werden kann, daß von der Ermächtigung des § 8 UStG nur bei einer besonders krassen Verzerrung der Wettbewerbsverhältnisse Gebrauch gemacht werden sollte, so ist der Verordnungsgeber von durchaus sachgerechten Erwägungen und einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise ausgegangen (vgl. auch Bundestags-Drucksache 1924 der 2. Wahlperiode 1953 S. 35, ferner Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 612/52 vom 18. September 1952, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 1 S. 418, 427).

Auch die Art der Durchführung des Textilbesteuerungsausgleichs läßt eine Verletzung verfassungsrechtlicher Grundsätze nicht erkennen. Hier ist insbesondere der Einwand erhoben worden, der Grundsatz der Konzentrationsneutralität und Wettbewerbsneutralität der Zusatzsteuer sei verletzt, weil nur die Spinnweber und nicht die Spinnwirker und Spinnstricker einer Zusatzbesteuerung unterlägen. Dem ist entgegenzuhalten, daß Wirkereien und Strickereien ganz überwiegend einstufig betrieben wurden und daß es seinerzeit nur ganz wenige Spinnwirker und Spinnstricker gegeben hat. Dieser Umstand ist naturgemäß auf die Wettbewerbsverhältnisse nicht ohne Einfluß geblieben. Ganz allgemein ist allen Einwänden, der Textilbesteuerungsausgleich sei auch auf dem Textilsektor nicht umfassend genug gestaltet worden, entgegenzuhalten, daß es allein Sache des Verordnungsgebers war, von einer so weittragenden und komplizierten Regelung nur in den Fällen Gebrauch zu machen, in denen nach Fühlungnahme mit den beteiligten Wirtschaftsverbänden das Bedürfnis hierzu offen zutage trat. Es ist gerade auf dem Gebiet des Steuerrechts nichts Ungewöhnliches, daß von einer gesetzlichen Ermächtigung zunächst nur vorsichtig und stufenweise Gebrauch gemacht wird, um Erfahrungen zu sammeln und die Auswirkungen abwarten zu können. Die getroffene Regelung mag nicht in allen Punkten die idealste und zweckmäßigste gewesen sein, die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse mag Änderungen und Ergänzungen als wünschenswert erscheinen lassen, so ist doch darum noch nicht ein Verstoß gegen verfassungsrechtliche Grundsätze zu erblicken. Dem Gesetzgeber muß im Bereich des Steuerrechts ein weiter Ermessensspielraum verbleiben, und nur die Verletzung seiner äußersten Grenzen unterliegt verfassungsmäßiger Nachprüfung (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 241/56 vom 21. Februar 1957, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 6 S. 273, 280).

Der Verordnungsgeber hat lediglich unter verschiedenen, sachlich vertretbaren Gesichtspunkten die Unterscheidung zwischen einstufigen und mehrstufigen Unternehmen desselben Wirtschaftszweiges getroffen (vgl. das oben angeführte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1958, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 282, 297), er war aber nicht verpflichtet, alle denkbaren ausgleichsbedürftigen Sachverhalte in seine Regelung einzubeziehen (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1958, a. a. O. S. 289). Ein nachkonstitutionelles Gesetz hätte die hier angeschnittenen Fragen, wie das Bundesverfassungsgericht a. a. O. ausführt, zwar im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht offenlassen dürfen. Dieser Gesichtspunkt scheidet jedoch bei vorkonstitutionellem Recht, das nicht den Erfordernissen des Art. 80 GG untersteht, aus (vgl. den oben angeführten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juni 1953, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 2 S. 307 ff., 326 bis 328). Art. 123 Abs. 1 GG unterscheidet nicht, aus welcher Quelle das Recht stammt, dessen Fortgeltung zu prüfen ist (vgl. Urteil des Württemberg-Badischen Verwaltungsgerichtshofs 2. S--241/51 vom 18. Februar 1952 in "Die öffentliche Verwaltung" 1952 S. 280 ff., 283, und neuestens Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 100/57 vom 7. Januar 1959, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 9 S. 73, 76). Es genügt in diesem Zusammenhang demnach, daß die §§ 54 ff. UStDB 1938 beim Zusammentritt des Bundestages noch gegolten haben und von den Behörden und Steuergerichten angewendet worden sind (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 550/52 vom 10. Mai 1957, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 6 S. 389 ff., 418, 419). In der Form, wie die §§ 54 ff. UStDB 1938 bis zum Erlaß des neuen UStG gegolten haben, sind diese Vorschriften weder in ihrer Gesamtheit noch in einzelnen Normen grundgesetzwidrig; denn die im Schrifttum gerügten Ungleichheiten erklären sich durchweg aus der Besonderheit der verschiedenen Sachverhalte (im Ergebnis ebenso Gast-Klein, a. a. O., S. 27).

Hiernach war für den Veranlagungszeitraum 1949 davon auszugehen, daß der vom Finanzamt zur Begründung der Zusatzsteuerpflicht angezogene § 54 UStDB 1938 gültig ist.

Hinsichtlich des im Streitfall anzuwendenden Besteuerungsmaßstabs (§ 54 Abs. 3 a. a. O.) tritt der Senat im Ergebnis der Vorentscheidung bei.

Das fingierte Entgelt, mit dem der Übergang der Garne in die Weberei zu erfassen ist, ist der Preis, den der Unternehmer am Ort und zur Zeit des Übergangs der Garne in die Weberei für die Lieferung solcher Garne zu zahlen hätte. Die Beteiligten sind sich darin einig, daß ein Färben in der Flocke oder im Cardenband der Spinnerei zuzurechnen ist. Es handelt sich solchenfalls um eine Faserfärbung in einer Buntspinnerei. Die durch die Faserfärbung entstehenden Kosten sind beim Verkauf der Buntgarne zwangsläufig Bestandteile des umsatzsteuerlichen Garnwerts. Streitig ist lediglich, ob die bis zum Übergang auf den Webstuhl durch Färben oder Bleichen auf der Kreuzspule oder dem Kettenbaum entstandenen Veredelungslöhne dem zusatzsteuerpflichtigen Entgelt zuzurechnen sind.

Der Reichsfinanzhof hat im Urteil V 381/39 vom 20. Juni 1941 (RStBl 1941 S. 806) die Zurechnung auch dieser Veredelungskosten entscheidend damit begründet, daß er nicht -- dem Wortlaut entsprechend -- den Übergang der Garne von der Spinnerei in die Weberei, sondern den Zeitpunkt, in dem das "webfertige" Garn auf den Webstuhl kommt, als maßgeblich angesehen hat. Hierfür führt er zur Begründung an, "daß allgemein bei dieser Auslegung des Gesetzes eine unbedingte Gleichmäßigkeit in der Heranziehung zur Umsatzsteuer erreicht werde, gleichviel wie die zusammengefaßten Betriebe sich bezüglich ihrer Veredelungsanstalten eingerichtet haben, ob also die Färberei der Spinnerei oder ob sie, was häufiger zutrifft, der Weberei angegliedert ist, oder ob diese Arbeiten teilweise hier und teilweise dort durchgeführt werden". Der Reichsfinanzhof ist also davon ausgegangen, daß Garnfärbungen auf der Kreuzspule und dem Kettenbaum auch in einstufigen Spinnereien durchgeführt werden. Demgegenüber hat die Vorinstanz, gestützt auf das oben angeführte Gutachten, festgestellt, daß diese Art des Färbens nirgendwo in einer einstufigen Spinnerei durchgeführt wird. Diese Feststellung läßt keinen der im § 288 AO aufgeführten Mängel erkennen; sie bindet deshalb nach § 296 AO den Senat. Der Ausgangspunkt des Reichsfinanzhofs in der oben angeführten Entscheidung vom 20. Juni 1941 ist deshalb in tatsächlicher Hinsicht unrichtig. Im übrigen hat der Reichsfinanzhof in dem angeführten Urteil die Streitfrage gar nicht endgültig entschieden, weil die Unternehmerin jenes Streitfalles die Zusatzsteuer nach den vom Reichsminister der Finanzen festgesetzten durchschnittlichen Grundpreisen berechnet hatte. Dem erkennenden Senat ist also auch ein anders gelagerter Sachverhalt unterbreitet.

Der erkennende Senat hat gegen die Begründung dieses Urteils auch noch folgende Bedenken:

Ehe ein Garn "webfertig" ist, d. h. auf den Webstuhl gebracht werden kann, bedarf es noch mehrerer Arbeitsgänge (z. B. Spulen, Scheren, Zetteln, Schlichten). Es ist technisch bedingt, daß zwingend notwendige Arbeitsvorgänge einer Weberei nicht erst auf dem Webstuhl, sondern schon bei der Weiterverarbeitung des Garns im Webereivorwerk beginnen. Das oben angeführte Urteil läßt nicht erkennen, ob sich der Reichsfinanzhof, als er annahm, daß sich der Übergang der Garne von der Spinnerei in die Weberei in dem Zeitpunkt vollziehe, in dem die Garne auf den Webstuhl gelangen, dieser technisch bedingten Notwendigkeiten bewußt gewesen ist. Würde man mit dem Reichsfinanzhof als maßgeblichen Zeitpunkt das Einlegen der Garne in den Webstuhl ansehen, so müßten folgerichtig auch die Kosten der anderen vorbereitenden Arbeitsvorgänge in die Bemessungsgrundlage des § 54 Abs. 3 a. a. O. einbezogen werden. Soweit geht aber auch die Verwaltung nicht (vgl. Juretzek, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 7. Aufl., § 8 Anm. II 2, S. 473).

Für die steuerliche Beurteilung kann aber nicht außer acht gelassen werden, daß ohne Rücksicht darauf, ob man es mit einer einstufigen Weberei zu tun hat oder mit einer Weberei, zu der eine betriebseigene Spinnerei gehört, dem Färben der Garne in der Kreuzspulfärberei und in der Kettenbaumfärberei eine ganze Reihe von Arbeitsgängen im Webereivorwerk vorangeht. Es erscheint daher auch ohne Rücksicht auf die Einstufigkeit oder Mehrstufigkeit der Betriebe nicht folgerichtig, gerade den nachfolgenden Veredelungsvorgang des Färbens in die Zusatzsteuer einzubeziehen; denn es wäre weder durch Wortlaut noch Sinn der Vorschriften gedeckt, z. B. von einer einstufigen Baumwollbuntweberei Zusatzsteuer für Garne zu verlangen, die sie in der betriebseigenen Färberei veredelt hat.

Der Senat kommt deshalb zu der Auffassung, daß bei einer Buntweberei das Färben der von der Spinnerei übernommenen Rohgarne organisch und technisch bedingt bereits einen Vorgang der Weberei darstellt. Da der Senat davon ausgehen muß, daß einstufige Spinnereien den hier streitigen Kreuzspul- und Kettenbaumfärbeprozeß nicht durchführen, greift auch der vom Reichsfinanzhof hervorgehobene Gesichtspunkt der Gleichmäßigkeit in der Heranziehung zur Zusatzsteuer nicht durch. Mit Recht hat die Steuerpflichtige hervorgehoben, daß in einem Falle, in dem etwa eine einstufige Buntweberei keine eigene Garnfärberei besitzen sollte und das Färben des Garns im Werklohn bei einer Lohnfärberei durchführen läßt, die von dem Lohnfärber zu zahlende und auf die Buntweberei im Preis abgewälzte Umsatzsteuer von dieser im Anrechnungsverfahren nach § 56 UStDB 1938 wieder hereingeholt werden kann. Eine zusätzliche Besteuerung der Garnfärbekosten kommt solchenfalls nicht zustande. Handelt es sich um eine Spinnweberei, deren Webereivorwerk mit eigenen Garnfärbeanlagen ausgerüstet ist, so würde diese deshalb bei Heranziehung der Färbekosten dem reinen Buntweber gegenüber in Nachteil gesetzt. Die Entscheidung kann, soweit ist dem Reichsfinanzhof zu folgen, nicht davon abhängen, wo das Färben räumlich vorgenommen wird. Es kann aber bei den tatsächlichen und technischen Gegebenheiten nicht richtig sein, die streitigen Veredelungskosten durchweg der Spinnerei zuzurechnen. Nach dem Grundgedanken des § 54 UStDB 1938 soll der Vorteil ausgeglichen werden, der einer Spinnweberei in ihrer Weberei dadurch erwächst, daß Garne aus der eigenen Spinnerei dorthin gelangen, ohne daß sie wie bei einem Erwerb von einem fremden Unternehmer mit Umsatzsteuer vorbelastet sind. Es ist aber nicht der Sinn der Vorschriften, einstufige Buntwebereien besserzustellen. Eine solche Besserstellung ergäbe sich aber nach dem oben angeführten Beispiel einer reinen Buntweberei, die im Werklohn färben läßt. Der Gleichmäßigkeit der Besteuerung dient es vielmehr, daß sowohl der Spinnweber als auch der einstufige Buntweber nicht mit der auf dem Veredelungslohn ruhenden Umsatzsteuer belastet wird. Es erscheint daher zutreffend, den Zeitpunkt des Übergangs der Garne von der Spinnerei auf die Weberei in dem Zeitpunkt anzunehmen, in dem mit den ersten Webevorbereitungsvorgängen, d. h. regelmäßig mit dem Spulen, begonnen wird. Hiernach ist der Vorentscheidung beizutreten und die Rb. des Vorstehers des Finanzamts mit der Kostenfolge des § 309 AO als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409680

BStBl III 1960, 339

BFHE 1961, 244

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